RW 39 Vorbereitung

RW 39 Vorbereitung

Das bürgerliche Erziehungswesen war von Anfang an vor allem ein Instrument zur Aufrechterhaltung der Herrschaft der Bourgeoisie

Stefan Engel an eine Mitarbeiterin am REVOLUTIONÄRER WEG Nr. 39 »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur« zu ihrer Ausarbeitung eines Abschnitts zur bürgerlichen Pädagogik

Von RW-Redaktion

Stefan Engel

Liebe Genossin,

ich habe gerade deine Ausarbeitung bearbeitet. Sie bildet allgemein einen Fortschritt, enthält eine Reihe interessanter Argumente, aber es ist noch einiges zu tun, um zu einer manuskriptreifen Vorlage zu kommen.

Schon der erste Satz ist problematisch, wenn du schreibst, »die bürgerliche Pädagogik entstand aus dem Interesse der Bourgeoisie, den Wert der Arbeitskraft … zu steigern.« Damit geringschätzt du die Rolle der bürgerlichen Ideologie als Grundlage des kapitalistischen Systems, die den Massen, insbesondere der Jugend beigebracht werden soll. Hier drückt sich ein vulgärmaterialistisches Verständnis aus. Das bürgerliche Erziehungswesen war von Anfang an vor allem ein Instrument zur Aufrechterhaltung der Herrschaft der Bourgeoisie und des Kapitalismus.

Deine Analyse über die Entwicklung der Sozialpädagogik ist nicht zu Ende, vor allem nicht deine Statistik, die völlig willkürlich ist. So setzt du einfach Sozialpädagogik mit »Sozialer Arbeit« gleich. 1961 gab es noch keine Sozialpädagogik, wohl aber Altenpfleger usw. Wir brauchen aber eine genaue Statistik, wie sich die Zahl der Sozialpädagogen und -psychologen seit den 1970er-Jahren entwickelt hat. Insbesondere der qualitative Sprung mit dem System der kleinbürgerlichen Denkweise wird übergangen.

Es ist auch nicht so, dass es eine gerade Linie von 1961 bis 2016 gibt. Zum Beispiel wurden zwischendurch die Jugendhäuser wieder massiv abgebaut und geschlossen, weil sie ihren Zweck erfüllt hatten. Die Jugendhäuser wurden insbesondere Anfang der 1970er-Jahre als Gegenprojekt der ML-Bewegung eröffnet. In den 1980er-Jahren wurden wiederum viele geschlossen. Nach der Wiedervereinigung wurden Jugendhäuser speziell eröffnet, um angeblich die »rechte Szene« zu kontrollieren und zu beeinflussen, was allerdings auch scheiterte, weil der Kampf gegen den Faschismus einseitig als sozialpädagogische Aufgabe begriffen wurde und nicht als politischer Kampf gegen den Faschismus. Diese Seite fehlt auch völlig.

Fakt ist, dass der staatsmonopolistische Kapitalismus die Sozialpädagogen und Sozialpsychologen braucht, sie bei jeder Gelegenheit ruft, um irgendwelche Probleme zu lösen. Diese Aufgabe hatten früher die Kirchen, die allerdings heute in die gesellschaftliche sozialpädagogische Arbeit einbezogen werden. Hinzu kommt, dass die Kirchen zunächst einmal ihren Einfluss verloren hatten. Auch diese Aufgabe des Staats wird von dir nicht richtig untersucht. Du erwähnst es nur einmal als geschichtliches Problem.

Richtig arbeitest du die weltanschauliche Grundlage der bürgerlichen Sozialpädagogik als modernen Antiautoritarismus heraus. Dazu gibt es aber keinerlei inhaltliche Definition, zum Beispiel aus dem REVOLUTIONÄRER WEG 3 oder auch, was das konkret bedeutet. Du nimmst nur ein Zitat, dass »der moderne Antiautoritarismus … zu einer staatstragenden Philosophie« wurde. Interessant, dass du weder die Disziplinlosigkeit, die Organisationsfeindlichkeit, den kleinbürgerlichen Individualismus und das kleinbürgerliche Unabhängigkeitsstreben als Wesensmerkmale aufführst. Was ist der Inhalt dieser Philosophie? Das bleibt offen. Hier wird ein Problem angetippt, ohne es richtig zu begreifen und auszuführen. Fakt ist doch, dass der Antiautoritarismus heute eine regelrechte Leitlinie in der Pädagogik wurde. In den Schulen ebenso wie in den Medien wird diese »Laissez-faire«-Behandlung von Jugendlichen propagiert.

Ich habe die Zwischenüberschrift geändert in »Das System der kleinbürgerlichen Denkweise als neue Arbeitsgrundlage«. Hier fehlt tatsächlich das System der kleinbürgerlichen Denkweise. Hier hat die bürgerliche Sozialpädagogik eine führende Rolle bekommen. Vorher lief sie noch parallel und zum Teil neben anderen Erziehungsmethoden. Die Sozialpädagogik wurde erheblich ausgebaut, sicherlich auch quantitativ. Mit dem ganzen Problem des Systems der kleinbürgerlichen Denkweise befasst du dich überhaupt nicht.

Was mir nicht so gefällt, ist die Aufzählung deiner Erziehungskonzepte, statt hieraus einen vernünftigen, in sich schlüssigen Text zu machen. Das sollte unbedingt geändert werden. Hier wird im Grunde genommen mit der Methode gearbeitet, Dinge nur anzudeuten, statt sich wirklich gründlich damit auseinanderzusetzen. In dieser Aufzählung zu den Konzepten ist auch eine unterschiedliche Methode: einerseits wird qualifiziert, andererseits wird nur ein Zitat angebracht. So kann man das nicht machen. Wir brauchen einen in sich geschlossenen, logisch aufgebauten Text, der mit der wissenschaftlichen Polemik arbeitet.

Was überhaupt nicht klar wird, ist die Krise der bürgerlichen Sozialpädagogik. Sie muss prägnant herausgearbeitet werden und hängt eng mit dem Übergang zur Internationalisierung der Produktion und der allgemeinen Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems zusammen, was bei dir in der Form überhaupt nicht auftaucht. Du behandelst nur die Krise der bürgerlichen Pädagogik, die zur Sozialpädagogik geführt hat, aber nicht die Krise der Sozialpädagogik. Das ist aber das Hauptthema des Abschnitts.

Deswegen sind auch die Schlussfolgerungen nicht sehr schöpferisch und reduzieren sich mehr auf die allgemeine Seite einer sozialistischen Pädagogik. Auch hier möchte ich nicht unbedingt eine Aufzählung, sondern einen in sich geschlossenen Text.

Ich bitte dich, den Abschnitt zu überarbeiten.

Herzliche Grüße Stefan