Willi Dickhut
Zum Buch »So war's damals . . .«
Grundsätzliche Briefwechsel und Dokumente Willi Dickhuts 1979
Lieber Willi! 25.6.79
Vielen Dank für Deinen besorgten Brief vom 11.6. Das Manuskript Deines Buchs blieb nicht in dem Sinne liegen, daß ich es erst nach Durchsicht an Klaus gegeben hatte. Sondern wir hatten den Termin der Weitergabe so verabredet, weil es ihm offenbar vorher nicht möglich war, daran zu arbeiten. Hoffentlich klappt seine zeitweilige Entlastung . . .
Also, das noch zu meinem Vorschlag, die Gesamtherausgabe einheitlich von einer Stelle aus vorzunehmen. Realistischerweise geht das aber hier von den Kräften her erst nach Abschluß der Arbeit am Revolutionaren Weg. Doch Zwischenlösungen sind auch denkbar, auf jeden Fall schlage ich eine Beratung über diese Fragen vor, bevor die Texte in Satz gehen, das lohnt sich bestimmt im Hinblick auf das fertige Werk später.
Nun noch zu einem Eindruck, den ich im letzten Brief vergessen hatte: In dem Teil, den ich kenne, bekommt man von Dir als Mensch und Genosse fast den Eindruck der Unfehlbarkeit — trotz der Bescheidenheit der Berichterstattung. Das legt die Vermutung nahe, das ist historisch auch so gewesen! Trotzdem solltest Du vielleicht noch darauf achten (wo es geht), daß Deine Entwicklung von einem noch unerfahrenen Kämpfer zu einem politisch immer reiferen Genossen und Funktionär besser nachvollziehbar wird im Sinne von Kritik und Selbstkritik als Entwicklungsgesetz. Manchmal ist das vielleicht auch eine Frage der Darstellung, so wenn Dir zum Beispiel während einer Wanderung druckreife Analysen von den Lippen kommen ... So wie ich Dich kenne, ist das wohl auch so gewesen! Doch wenn ich an die Schwierigkeiten in der mündlichen Agitation bei den meisten Genossen denke, so haben sie es sicher schwer, sich und ihr Bemühen darin wiederzuerkennen. Weißt Du, Du bleibst als Vorbild (und das ist ja ein wichtiger Punkt bei dem Buch) dadurch etwas »auf Distanz«.
Kriege ich den nächsten Teil auch so zu Gesicht wie den ersten?
Ich wurde mich jedenfalls sehr freuen.
Herzliche Gruße Bi.
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Lieber Bi.! 2. 7. 1979
Den Titel »So war's damals . . .« muß man in Verbindung mit dem Untertitel »Tatsachenbericht . . .« sehen. Habt Ihr einen anderen Vorschlag?
Zu Deinem Brief vom 25. 6. teile ich mit, daß Kl. am 10. 7. mich besuchen wird. Er wird dann den ersten Teil mitbringen und die ersten Kapitel des dritten Teils mitnehmen. Beim dritten Teil habe ich einige Bauchschmerzen, weil er einen etwas anderen Charakter bekommt. Die Zeit nach 1945 ist weniger durch persönliche »Abenteuer« geprägt als von sachlichen Erlebnissen, die durch zahlreiche Dokumente belegt sind. Hier wird die Arbeitsgemeinschaft mit der SPD ebenso konkret aufgezeigt wie der »Block demokratischer Parteien«, der Kampf gegen die Militärregierung und ihre deutschen Handlanger in der Verwaltung charakterisiert. Historisch ist das sehr wichtig und interessant, nur schwierig darzulegen, weil es zwangsläufig von dem Stil der ersten beiden Teile abweicht. Aber gerade dieser Teil ist sehr lehrreich und so konkret, bei voller Nennung der Namen, daß einige Leute wild werden. Das alles ist kompliziert.
Das konnte auch den »Eindruck der Unfehlbarkeit«, von dem Du schreibst, verstärken, obwohl ich das gerade vermeiden will.
Meine Entwicklung ist anders verlaufen als die unserer Genossen heute, kontinuierlicher, nicht so sprunghaft, langsam in die Arbeit und Funktionen hineinwachsend. Persönliche Fehler waren nicht so schwerwiegend und verhängnisvoll und wurden sofort korrigiert. Dabei war mein Verhalten stets so: Ein und denselben Fehler habe ich nie im Leben wiederholt. Er brannte wie Feuer und das wirkte mehr als oberflächliche Selbstkritik, die eine Wiederholung nicht verhindert.
Das ist auch gegenwärtig bei uns ein Problem, über das ich mit Genossen der Zentralen Leitung diskutiert habe: zuerst gar keine Selbstkritik, was falsch war, dann eine, die um den Kern herumging, was ebenfalls falsch war, und schließlich eine solche, die eher Selbstzerfleischung bedeutet, was auch falsch ist. Das gilt auch für die Zentrale Kontrollkommission. Eine dialektische Selbstkritik analysiert den oder die Fehler, geht dem Problem auf den Grund, untersucht sowohl den Kern wie auch die Nebenerscheinungen, die Zusammenhänge, die Widersprüche, Ursache und Wirkung, die objektive und subjektive Seite, die Situation, die eigenen Kräfte und Gegenkräfte usw., kurz eine allseitige Untersuchung, um Fehler rasch und gründlich zu korrigieren und um Vorsorge zu treffen, daß er sich nicht mehr wiederholt. Das bedeutet die Anwendung der dialektischen Methode Fehlern gegenüber. Umgekehrt bedeutet die ständige Anwendung der dialektischen Methode in der Praxis, Fehler von vornherein zu verhüten, »unfehlbar« zu werden, was natürlich nie ganz gelingt, selbst bei unseren Klassikern nicht, weil nicht voraussehbare Erscheinungen eintreten können.Aber immerhin: Die gründliche Aneignung und Anwendung der dialektischen Methode ist der Schlüssel zur weitgehenden Vermeidung von Fehlern. Dialektische Methode und Fehler sind zwei Seiten eines Widerspruchs. Je geringer die Anwendung der dialektischen Methode, um so mehr Fehler, oder umgekehrt. Die vielen Fehler unserer Leitungen sind Ausdruck des Mangels der Aneignung und Anwendung der dialektischen Methode. Wenn dieser Mangel die Ursache ist, dann hilft keine formale Selbstkritik, und wenn sie bis zur Selbstzerfleischung geht.
Dialektische Selbstkritik bedeutet Selbstuntersuchung, inwieweit man die dialektische Methode beherrscht, denn alle Fehler und Mängel sind Verstöße gegen die dialektische Methode. Je besser man die dialektische Methode beherrscht, um so leichter kann man Fehler und Mängel erkennen und sie rechtzeitig korrigieren beziehungsweise gar nicht erst aufkommen lassen. Die Anwendung der dialektischen Selbstkritik bedeutet eine Untersuchung
der Beherrschung der dialektischen Methode bei sich selbst, was wiederum nur durch die Anwendung der dialektischen Methode möglich ist. So beißt sich die Schlange selbst in den Schwanz, das heißt, das macht das alles so kompliziert und stellt die Leitungen vor Probleme, mit denen sie nicht fertig werden,
und nicht wenige Genossen stolpern darüber. Ich habe das Problem erst begriffen, nachdem ich vor Jahrzehnten Lenins »Bestimmung der Dialektik« begriffen und angewandt habe. Das hat mir erst die Sicherheit gegeben, die jeder Genosse braucht. Das kann man nicht durch »Buchwissen« erwerben, sondern nur durch die dialektische Einheit von Theorie und Praxis . . .
Herzliche Grüße
Willi