Willi Dickhut
Willi Dickhut zu seinem 80jährigen Geburtstag - Interview mit der MLPD-Wochenzeitung "Rote Fahne"
Am 29. April 1984 feierte der Genosse Willi Dickhut, Mitbegründer der MLPD und langjähriger Leiter des theoretischen Organs REVOLUTIONÄRER WEG seinen 80jährigen Geburtstag. Die Redaktion der ROTEN FAHNE führte aus diesem Anlaß mit dem Genossen folgendes Gespräch. Es wurde veröffentlicht in Rote Fahne 17/1984, Seite 9
ROTE FAHNE:
Wenn der Arbeiter morgens die Zeitung aufschlägt, dann fallen ihm gleich Schlagzeilen vom »Wirtschaftsaufschwung« ins Auge. Lambsdorff redet sogar von dem »sich selbst tragenden Aufschwung«. Gleichzeitig wird den Arbeitern eingeredet, ein Streik um die Durchsetzung der 35-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich mache den Aufschwung kaputt. In der ROTEN FAHNE haben wir diese Behauptungen als »Aufschwunglüge« bezeichnet. War diese Einschätzung richtig?
Willi Dickhut:
Die CDU hatte im vorigen Jahr den Wahlkampf unter der Parole geführt: »Es geht aufwärts!« Sie ist heute gezwungen, die Aufschwunglüge fortzusetzen, um ihre reaktionäre Politik zu rechtfertigen. Es gibt allerdings einen »Aufschwung« in der Zahl der Arbeitslosen und der Pleiten vor allem kleinbürgerlicher Existenzen, die die Versprechungen der Kohl-Regierung für bare Münze gehalten haben. Es gibt einen deutlichen Aufschwung in der Aneignung von Maximalprofiten durch die Monopole, ermöglicht durch den »Aufschwung« der Rationalisierung, der Automation verbunden mit Elektronik. Die Folge ist ein ruckartiger »Aufschwung« der massenhaften Vernichtung von Arbeitsplätzen. Die Kohl-Regierung vollzog einen bemerkenswerten »Aufschwung« in der rigorosen Sparpolitik auf Kosten der Sozialversicherten, der Rentner, der Kranken, der Arbeitslosen. Das ist der »Aufschwung« der Bonner Regierungskolition alles andere ist Illusion.
Wir haben im 1. Mai-Aufruf 1974 als einzige Organisation die 35-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich auf Grund einer konkreten Wirtschaftsanalyse gefordert. Damals lehnten alle anderen Organisationen, einschließlich die Gewerkschaften, diese Kampflosung ab. Heute wird diese Forderung von Millionen Arbeitern und Angestellten vertreten und erkämpft. Die 35-Stundenwoche ist gegenwärtig das einzige Mittel, die Arbeitslosigkeit fühlbar zu mildern, aber sie kann nicht restlos beseitigt werden, solange der Kapitalismus besteht, das ist nur im Sozialismus möglich.
ROTE FAHNE:
In der Bundesrepublik entwickelt sich die Bewegung für die 35-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich trotz massiver Kapitalistenpropaganda. Weltweit herrschen Hunger, Unruhe, Kriegsgefahr. Frech verminen die USA-Imperialisten die Häfen von Nicaragua. Die Gefahr wächst, daß es zu einem Zusammenstoß der Supermächte kommt. Andererseits gibt es militante Arbeiterkämpfe in Frankreich und England, Hungerrevolten in den Entwicklungsländern, Arbeiterwiderstand im sozialfaschistischen Polen, eine weltweite Friedensbewegung. Welche Haupttendenz zieht sich durch diese Entwicklung?
Willi Dickhut:
Mao Tsetung sagte _bereits vor Jahren: »Haupttendenz in der Welt ist Revolution!« Nun ist die Weltrevolution keine einmalige Aktion aller Unterdrückten, sondern setzt sich aus unzähligen kleineren und größeren Aktionen zusammen. Tagtäglich erfahren wir aus Zeitungen, Zeitschriften, Magazinen, aktuellen Büchern, Fernsehen und Rundfunk -wie es in der ganzen Welt von Unruhe brodelt: Streiks und Demonstrationen ― »friedliche« und gewaltsame, unblutige und blutige ― brutales Eingreifen von Polizei und Militär, Zusammenstöße, aktiver Widerstand der unterdrückten und ausgebeuteten Massen finden statt.
Die Herrschenden erzittern vor dem unaufhaltsamen und immer mächtiger werdenden Ansturm der Massen in aller Welt. Wie eine in die Ecke drängte Bestie vor nichts zurückschreckt, so erwägen auch die Imperialisten, an der Spitze die Supermächte, den Einsatz von Atomwaffen, chemischen Kampfstoffen und Seuchen erzeugenden Bakterien. Aber es wächst der millionenfache Widerstand gegen die drohende Kriegsgefahr und auch gegen die profitgierigen monopolkapitalistischen Zerstörer der natürlichen Umwelt. Weltumspannender aktiver Widerstand gegen den Atomtod, gegen die Umweltverseuchung, gegen den millionenfachen Hungertod, gegen die verschärfte Ausbeutung und Unterdrückung der Werktätigen das ist die gegenwärtige Haupttendenz in der Welt.
ROTE FAHNE:
Der Kampf zum Sturz des Imperialismus und für den Sozialismus erfordert eine marxistisch-leninistische Partei, die das Vertrauen der breiten Masse gewonnen hat. Die MLPD ist knapp zwei Jahre alt. Sie ist heute noch keine Massenpartei. Sie muß ihre gesamte Tätigkeit ausrichten, das Vertrauen zu gewinnen, ohne in der spontanen Bewegung aufzugehen. Der Gründung der MLPD ging eine zehnjährige Vorbereitungszeit voraus. Damals ging es um die Schaffung einer bewußten. Vorhut der Arbeiterklasse. Darum konzentrierten wir uns in unserer Arbeit auf das Industrieproletariat. Diese im KABD erkämpfte Zielrichtung erfordert, daß die MLPD unter den breiten Massen der Werktätigen politisch arbeiten muß. Wie kann das Problem Weg und Ziel gelöst werden?
Willi Dickhut:
Die ausgebeuteten und unterdrückten Massen in aller Welt wollen nicht im Sumpf der kapitalistischen Barbarei versinken. Darum flammen überall spontane und organisierte Kämpfe auf, vielfach ohne richtige Ziel- und Stoßrichtung. Es gibt aber nur eine Lösung: Sturz der kapitalistischen Herrschaft und Errichtung der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Dieses Ziel kann aber nur erreicht werden, wenn die kämpfenden Massen von einer revolutionären proletarischen Partei geführt werden, die geleitet wird von der Theorie des Marxismus-Leninismus.
Darum kann der Aufbau der MLPD nicht losgelöst von den Kämpfen der Arbeiterklasse erfolgen. Das erfordert eine zähe, systematische, geduldige Kleinarbeit unter den Massen, besonders in den Betrieben und Gewerkschaften. Aber wir dürfen auch die politische Arbeit unter den übrigen werktätigen Schichten nicht vernachlässigen. Darum ist eine breite Öffentlichkeitsarbeit die taktische Hauptaufgabe der gegenwärtigen Situation. Weg und Ziel bilden eine dialektische Einheit, die in Wechselbeziehung miteinander stehen.
ROTE FAHNE:
Du bist 1926 in die KPD Ernst Thälmanns eingetreten. Damals hat es die KPD nicht geschafft, das Vertrauen der entscheidenden Mehrheit der Arbeiterklasse für den Sozialismus zu gewinnen, obwohl die KPD um 1930 rund 300 000 Mitglieder hatte. Ebenfalls gelang es nicht, die von der Weltwirtschaftskrise entwurzelten städtischen Werktätigen wie die in den Ruin getriebenen Kleinbauern in der Mehrheit als Verbündete zu gewinnen. Was können wir aus den Fehlern der KPD lernen und welche richtige Strategie und Taktik können wir übernehmen?
Willi Dickhut:
Die KPD hatte in den zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre bereits ein breites Vertrauen der Massen erworben. Sie hätte die entscheidende Mehrheit der Arbeiterklasse gewinnen können, wenn sie nicht schwere Fehler gemacht hätte. Nicht nur die verfehlte RGO-Politik und die Sozialfaschismustheorie haben die Partei gehindert, den entscheidenden Einfluß auf die Massen zu gewinnen, es war auch die Vernachlässigung der theoretischen Arbeit unter den Mitgliedern der KPD, die unvollständige Schulung und das mangelnde Selbststudium des Marxismus-Leninismus, das verhinderte, den ideologischen Kampf gegen die NSDAP wirksam zu führen und eine richtige Strategie und Taktik entsprechend der Veränderung der Situation zu entwickeln. »Ohne revolutionäre Theorie, kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben«, sagt Lenin. Aus alledem haben wir heute für den Parteiaufbau wichtige Lehren gezogen.
ROTE FAHNE:
Die KPD entartete nach 1956 völlig zur revisionistischen Partei. Du hast innerhalb der KPD diese Entwicklung bekämpft und bist 1966 ausgeschlossen worden. Die 1968 gegründete DKP ist eine durch und durch revisionistische Partei. Heute wird ihr Opportunismus immer offensichtlicher. Welche Rolle spielt der Kampf gegen den Revisionismus der DKP auf dem Weg zur Partei der Massen und wie muß er geführt werden?
Willi Dickhut:
Die mangelhafte theoretische Kenntnis ist auch die Hauptursache, daß die KPD nach 1956 politisch entartete. Dazu kommen noch die schwierigen Bedingungen der illegalen Tätigkeit nach dem Verbot im August 1956, die dem tropfenweise vorstoßenden Revisionismus seit dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 das Eindringen in die Partei erleichterte.
Der Revisionismus trat anfänglich nicht offen in Erscheinung. Erst die Veröffentlichung des Wirtschaftsprogramms der KPD im Jahre 1966 zeigte die vollkommene revisionistische Entartung der Führung. Da war ich bereits aus der KPD ausgeschlossen. Im weiteren Verlauf wurde der Revisionismus durch den Programmentwurf der KPD und die Grundsatzerklärung der DKP, deren Zulassung hinter verschlossenen Türen des Bundesjustizministeriums ausgehandelt wurde, vertieft.
Diese Entwicklung der KPD/DKP verpflichtete jeden Marxisten-Leninisten zur Bildung einer neuen Partei und zur Entlarvung des Revisionismus. Der Aufbau dieser Partei, und das ist die MLPD (KABD), ist ohne einen ständigen prinzipiellen ideologisch-politischen Kampf nicht möglich. Das weiß auch die revisionistische Führung der DKP sehr genau, und darum diffamiert sie die MLPD und ihre führenden Mitglieder, wo sie es glaubt, anbringen zu können.
ROTE FAHNE:
Die ROTE FAHNE erscheint seit Mitte 1983 wöchentlich. Das war ein wichtiger Schritt zur Partei der Massen. Trotz dieses Erfolges gibt es noch unübersehbare Schwächen. Welche Bedeutung hat die ROTE FAHNE bei der Entwicklung der MLPD zur Partei der Massen?
Willi Dickhut:
Die ROTE FAHNE, das Zentralorgan der MLPD hatte beim Übergang zum wöchentlichen Erscheinen gewiß große Schwierigkeiten zu überwinden. Die Schwächen der ROTEN FAHNE sind Schwächen unserer Leitungen. Nicht alle grundsätzlichen Artikel sind überzeugend und verständlich für Arbeiter geschrieben. Agitatorisch wirken manche Artikel schwach und sind nicht genügend kämpferisch. Der Stil ist oft zu trocken, nicht vorwärtstreibend. Immer wieder muß ich wiederholen: Schreibt kurz, konkret, verständlich! Das sollte man nie außer acht lassen. Die gegenwärtige Hauptaufgabe »breite Öffentlichkeitsarbeit« muß besonders durch die ROTE FAHNE verwirklicht werden. So kann sie maßgeblich dazu beitragen, daß die MLPD zur Partei der Massen wird.
ROTE FAHNE:
In der Partei gibt es die Ansicht, daß die Entwicklung der MLPD zur Partei der Massen nur eine engere Verbindung zu den Massen, eine größere Verankerung bedeute. In Wirklichkeit geht es um eine Offensive der proletarischen Denkweise, der proletarischen Kampfmoral der Kader. Wie können wir diese Festigung immer besser erreichen?
Willi Dickhut:
Ich habe des öfteren darauf hingewiesen, daß man mit einer kleinbürgerlichen Denk- und Arbeitsweise keine proletarische. Partei aufbauen kann.
Nur mit einer proletarischen Denkweise kann eine revolutionäre Partei geschaffen werden. Nur eine Partei, die von der proletarischen Denk- und Arbeitsweise durchdrungen ist, kann zur Partei der Massen werden. Das setzt allerdings den engsten Kontakt mit den Massen voraus. Wie ein Fisch das Wasser, so muß die Partei die Massen als ihr Lebenselement ansehen. Sich von den Massen lösen bedeutet das Ende der proletarischen Partei. Um zur Partei der Massen zu werden, dürfen drei Dinge niemals auseinandergerissen werden: Propagieren, Agitieren, Organisieren!
ROTE FAHNE:
In der bürgerlichen Propaganda wird das innere Leben einer revolutionären Arbeiterpartei als undemokratisch, verknöchert gekennzeichnet, als eine Organisation, die geprägt ist vom unkritischen Kadavergehorsam. Bei der Entwicklung der MLPD zur Partei der Massen müssen wir den unorganisierten Arbeitern mehr Einblick in das innere Leben der MLPD geben. Gleichzeitig ist aber notwendig, die Reihen der Partei zu stärken und zu festigen, die Disziplin zu erhöhen. Wie kann diese eiserne Disziplin heute verwirklicht werden?
Willi Dickhut:
Die Mitglieder und besonders die führenden Elemente einer bürgerlichen Partei werden von persönlichen Interessen, von Egoismus, Karrieretum, bürgerlichem Geltungsdrang geleitet. Zur Durchsetzung persönlicher Interessen ist ihnen eine feste Parteidisziplin hinderlich, mehr noch, sie ist ihnen zutiefst zuwider. Darum begreifen sie auch nicht die Notwendigkeit der eisernen Disziplin einer proletarischen Partei. Darum reden sie von Kadavergehorsam.
Den Arbeitern ist eine strenge Disziplin nichts Fremdes. Sie unterstehen tagtäglich im Betrieb einer Arbeitsdisziplin, ohne die eine Produktion nicht möglich wäre. Die Erkenntnis der Notwendigkeit der Arbeitsdisziplin übertragen sie bewußt auf ihre Organisationen, insbesondere auf die proletarische Partei. Diese Parteidisziplin ist eine freiwillige, sie beruht auf der Erkenntnis, daß die führende Rolle der Partei ohne eiserne Disziplin undurchführbar ist. Das setzt aber die Einheit des Willens und Handelns aller Parteimitglieder voraus, und zwar auf der Grundlage der bewußten Unterordnung, der Freiwilligkeit, bei gleichzeitiger Anerkennung der offenen Meinungsäußerung bis zur Beschlußfassung, dann entscheidet die demokratische Mehrheit. Die freiwillige Unterordnung der Meinung der Minderheit unter die Mehrheit ist die Voraussetzung zum Aufbau und zur Entwicklung der Partei. Wer dem zuwiderhandelt, die Disziplin verletzt, landet letzten Endes im Sumpf des Liquidatorentums.