Willi Dickhut

Willi Dickhut

Kritik am Revolutionären Weg 12

Grundsätzliche Briefwechsel und Dokumente Willi Dickhuts 1973

Von RW-Redaktion
Kritik am Revolutionären Weg 12

Kritik am Revolutionären Weg 12

An die Redaktion Revolutionärer Weg

Dezember 1973

Ich halte die im Revolutionären Weg 12 auf Seite 45 unter dem Thema »Mitbestimmung als Realität und Illusion« unter Punkt 3 geschriebene Äußerung »Mitbestimmung als Übergangslosung« nicht für richtig.

  1. Es hätte richtiger heißen müssen: »Mitbestimmung als Realität in der Doppelherrschaft und Arbeiterkontrolle als Übergangslosung«. Das wäre auch dem nachfolgenden Artikel eher gerecht geworden, weil dort, was richtig ist, vor allem das Problem der Arbeiterkontrolle behandelt wird.
  2. Meiner Meinung nach ist es nicht richtig, wenn Mitbestimmung als Übergangslosung bezeichnet wird. So heißt es oben auf Seite 65 im Revolutionären Weg 12: »Dabei können Mitbestimmung und Arbeiterkontrolle als Übergangslosungen in einer revolutionären Situation eine bedeutende Rolle spielen.«

Im nächsten Absatz wird im Zusammenhang mit der Doppelherrschaft die Notwendigkeit von Übergangslosungen herausgestellt. In einer Doppelherrschaft kann die Bourgeoisie nicht mehr allein regieren. Es ist also eine reale Mitbestimmung vorhanden. Man braucht sie nicht mehr als Übergangslosung aufzustellen.

Oder soll in einer revolutionären Situation zur Erreichung der Doppelherrschaft die Forderung nach Mitbestimmung, die sich natürlich auf die bewaffnete Arbeiterklasse stützt, als Übergangslosung aufgestellt werden? Diese Losung ist meines Erachtens jedoch noch nirgends aufgetaucht, sie ist meiner Meinung nach auch nicht richtig.

Auch die selbständigen Streiks waren bisher gewerkschaftliche Streiks, Kämpfe um Reformen, Lohnerhöhungen und haben den reformistischen Rahmen also auch nicht durchbrochen, auch wenn der von der Gewerkschaftsführung gesteckte Rahmen durchbrochen wurde.

Daß die Gewerkschaften nicht zu Klassenkampforganisationen mit dem Ziel des Sozialismus werden können, liegt nicht nur an den rechten Führern, sondern auch an der breiten Form der Massenorganisation …

Werner

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25.1.74

Lieber Werner!

Ich habe Deine Kritik am Revolutionären Weg 12 erst jetzt erhalten. Du hättest sie einfacher an mich direkt schicken können. So sehr ich jede Kritik begrüße, muß ich Dir doch sagen, daß Du die Probleme nicht genügend durchdacht hast; trotzdem ist gut, daß Du die Fragen angeschnitten hast.

  1. In einer revolutionären Situation müssen stets Übergangslosungen beziehungsweise Übergangsforderungen aufgestellt werden, unabhängig davon, ob es für eine Zeitlang zu einer Doppelherrschaft kommt oder nicht. Es wird noch mehr Übergangslosungen als Mitbestimmung und Arbeiterkontrolle geben, sie werden aus der revolutionären Situation erstehen. In Rußland 1917 entstand die Doppelherrschaft aus dem Übergang von der bürgerlich-demokratischen Revolution zur proletarischen Revolution. Bei uns gibt es keine bürgerlich-demokratische Revolution mehr, sondern als direktes Ziel die proletarische Revolution. Das besagt aber nicht, daß es hier keine Doppelherrschaft geben kann, aber sie braucht nicht unbedingt notwendig zu sein, denn die Kämpfe könnten sich im Laufe einer akut revolutionären Situation so schnell entwickeln, daß die revolutionären Massen die Alleinherrschaft der Bourgeoisie durch ein Übergewicht zu stürzen vermögen. Es kann aber auch sein, daß sich eine Zeitlang die Kräfte die Waage halten, dann ist der Zustand der Doppelherrschaft gegeben, das Mitbestimmen und Mitregieren wird real verwirklicht. Alles hängt also von der Entwicklung der Klassenkräfte und des revolutionären Klassenkampfs ab. In jedem Fall müssen Übergangslosungen beziehungsweise Übergangsforderungen aufgestellt und muß für ihre Durchführung gekämpft werden.
  2. Müssen die Gewerkschaften Kampforganisationen sein? Die Gewerkschaften als Massenorganisationen der Arbeiterklasse müssen die Interessen der Arbeiter und Angestellten im Kampfdurchsetzen. Die Gewerkschaftsbürokratie ist bestrebt, aufgrund ihrer Politik der Klassenversöhnung und Klassenharmonie, Verbesserung durch Verhandlungen zu erreichen und weicht darum, soweit es geht, dem Kampf aus. Sie wollen nur mit dem Einsatz der gewerkschaftlichen Macht drohen. Das gelingt ihr nicht immer, vor allem dann nicht, wenn der Kampfwille der Arbeiter so stark ist, daß die Gefahr besteht, sie könnten sich über den Kopf der Gewerkschaftsführung hinwegsetzen und den Kampf selbständig führen. Die Gewerkschaftsführung kann sich nicht immer gegen die Durchsetzung von Forderungen der Arbeiter wenden, aber sie möchte möglichst ohne Kampf auskommen, anderseits muß sie dem Kampfwillen der Massen Rechnung tragen und selbst den Kampf auslösen. Da Reformen an sich keine Schule des Klassenkampfs bedeuten, sondern nur der Kampf für die Durchsetzung, ist es notwendig, die Gewerkschaften zu wirklichen Kampforganisationen zu machen, die stark genug sind, die Reformen im Kampf durchzusetzen. Da sie jedoch nur Kampforganisationen zur Durchsetzung gewerkschaftlicher (ökonomischer) Forderungen im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sind, können sie keine Klassenkampforganisationen sein, weil solche Organisationen das Ziel verfolgen, den Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu sprengen und den Sturz der kapitalistischen Herrschaft herbeizuführen.
  3. Es ist klar, daß die gewerkschaftliche Organisation die Millionen Mitglieder ausmachen, daß aber die Politik der Gewerkschaften von der Gewerkschaftsführung bestimmt wird. Diese Politik kann von den Mitgliedern nur dann beeinflußt werden, wenn sie begreifen, daß ihre Organisation zu einer wirklichen Kampforganisation werden muß, in der der Kampfwille der Mitglieder bestimmt. Das liegt natürlich nicht im Interesse der Bürokratie, deshalb müssen wir Kommunisten dahin wirken, daß die Gewerkschaften erstarken und kämpferisch werden, das heißt, zu wirklichen Kampforganisationen werden. Ein unerschütterlicher Kampfwille erleichtert auch den Übergang von gewerkschaftlichen Kämpfen zu selbständigen Kämpfen, die bei richtiger Verbindung von ökonomischen und politischen Kämpfen Klassenkampfcharakter bekommen. Diese Wechselwirkung ist ein dialektischer Prozeß im Klassenkampf.

Es ist falsch, wenn Du schreibst: »Auch die selbständigen Streiks waren bisher gewerkschaftliche Streiks …« Gewerkschaftliche Streiks müssen von der Gewerkschaftsführung bestätigt werden, sie unterstehen ihrer Kontrolle und werden von der zentral geführten Kasse finanziert. Selbständige Streiks brechen entweder spontan aus oder werden in der Weiterentwicklung organisiert, ohne von den Gewerkschaften anerkannt, finanziert und von der Gewerkschaftsführung kontrolliert zu werden. Daß sie um ökonomische Forderungen geführt werden, kennzeichnet sie noch keineswegs als gewerkschaftliche Streiks. Selbständige Streiks haben vielseitigen Charakter. In der gegenwärtigen Metalltarifrunde stellen wir uns die Aufgabe, Warnstreiks zu organisieren, um den gewerkschaftlichen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Auch das sind selbständige Streiks, die den Gewerkschaftsführern im Augenblick nicht genehm sind. Im vergangenen Jahr wurden selbständige Streiks zur Durchsetzung eigener Forderungen geführt. Bei beiden Arten selbständiger Streiks geht es um ökonomische Forderungen. Als selbständige Streiks sprengen sie wohl den gewerkschaftlichen Organisationsrahmen, aber noch nicht den reformistischen Rahmen. Trotzdem unterscheiden sie sich von gewerkschaftlichen Streiks innerhalb des reformistischen Rahmens, weil die selbständigen ökonomischen Streiks dadurch politischen Charakter haben, daß sie gegen die staatlich-juristische Ordnung verstoßen und für sie das den Gewerkschaften zugesicherte stillschweigende Streikrecht nicht gültig ist, sie deshalb »wilde« Streiks sind. Sie sind eben keine gewerkschaftlichen Streiks. Sie durchbrechen den reformistischen Rahmen in dem Augenblick, wo sie neben ökonomischen Forderungen auch politische Forderungen durchsetzen wollen. Das setzt aber ein hohes Klassenbewußtsein – über das gewerkschaftliche Bewußtsein hinaus – voraus, was nicht von heute auf morgen erreicht werden kann. Die Entwicklung der selbständigen Kämpfe zu Klassenkämpfen (obwohl sie in ihrer Gesamtheit schon Klassenkampf bedeuten), kann nur stufenweise erfolgen: ökonomische Streiks, ökonomisch-politische Streiks, politische Massenstreiks, verbunden mit Massendemonstrationen und Kundgebungen.

Wenn Du schreibst, daß »die Gewerkschaften nicht zu Klassenkampforganisationen werden können, liegt nicht nur an den Gewerkschaftsführern, sondern auch an der breiten Form als Massenorganisation«, ist das nicht richtig. Nicht die Form, sondern der politische Inhalt ist allein entscheidend, zum Beispiel waren die russischen Gewerkschaften nicht reformistisch, sondern revolutionär und damit Klassenkampforganisationen, die einen hervorragenden Beitrag in der Oktoberrevolution leisteten. Das war nur durch die enge Bindung mit der revolutionären Partei möglich. Das hättest Du aus dem geschichtlichen Teil (Revolutionärer Weg 11) ersehen können. Ich bitte Dich und die anderen Genossen, bei der jetzt kommenden Schulung über Revolutionärer Weg 11 und 12 die Probleme gründlich zu studieren und durchzudenken.

Wenn auch manche Fragen hätten ausführlicher behandelt werden können, so wollen wir doch den Rahmen des theoretischen Organs nicht überschreiten, noch dazu, weil alle Nummern des Revolutionären Wegs ein zusammenhängendes System beinhalten und gleiche Probleme in anderem Zusammenhang wiederkehren und dort ebenfalls behandelt werden müssen, zum Beispiel Etappen des Klassenkampfs in Revolutionärer Weg 6, Revolutionärer Weg 12 und Wirtschaftsbroschüre und später noch in »Strategie und Taktik des Klassenkampfs«. Ich hoffe, Deine Fragen ausreichend beantwortet zu haben und

grüße Dich und die anderen Genossen mit Rot Front!

Willi