RW 39
Ist eine Würdigung von Friedensreich Hundertwasser wirklich angemessen?
Briefwechsel zum Buch von Stefan Engel »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur«
Eine Genossin schrieb an die RW Redaktion:
Liebe Genossinnen und Genossen,
verblüfft las ich im RW 39 »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur« den Satz:
„Im Gegensatz zu einer von den Massen abgehobenen Kunst entwickelte Friedensreich Hundertwasser eine Architektur und Malerei, die der Menschenwürde und der Einheit mit der Natur gerecht werden sollte. Bewusst und mit persönlichem Einsatz unterstützte er die Umweltbewegung.“ (S.61)
(...)Hundertwasser ist sicherlich populär und macht gute Geschäfte, weil seine farbenfrohen Bilder und Häuser viele Menschen ansprechen.
Aber er ist in Bezug auf die Architektur auch kritikwürdig (ich meine persönlich auch kitschig) mit unsinnigen Türmchen und Erckerchen – angeblich als Gegenmodell zur »Betonarchitektur« – aber eben auch gegen den Bauhausstil, der die Trennung von innen und außen aufhob und alltagstaugliche Architektur (im selben Buch positiv bewertet) entwickelt hat, die heute von den Faschisten heftig attackiert wird.
Aber auch in seinem Einsatz für die Umweltbewegung war Hundertwasser ein esoterischer Mystiker, mit Ideen vom Rückzug in die Natur, »Humusklos« usw.
Politisch sprach er sich für eine konstitutionelle Monarchie aus!
Was aber meiner Meinung nach der Gipfel ist und weshalb er keinesfalls positiv bewertet werden kann: Mitten in Wien hat er eine Müllverbrennungsanlage umfangreich kunterbund dekoriert (mit Kügelchen, Zwiebeltürmchen...). So wird eine so naturzerstörende Anlage, gegen die es meines Wissens heftige Proteste gab, den Massen gar als lieblich und naturverbunden schmackhaft gemacht.
Wenn Beispiele für eine masssenverbundene aktuelle Kultur genannt werden sollen, dann wäre doch eher die sozialkritische Streetart eines Banski oder ähnliches angebracht, der ausdrücklich als Gegensatz zum Starkult der offiziellen Kultur anonym bleiben will.
Ich schlage vor, bei einer Neuauflage des Buchs die Passage zu Hundertwasser rauszunehmen.
Meine Kritik könnte ja auch veröffentlicht werden.
Schönen Gruß!
...
Redaktion REVOLUTIONÄRER WEG, 18.11.24
Liebe Genossin,
das Buch von Stefan Engel »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur« äußert sich hier sehr kurz und würdigt Friedensreich Hundertwasser vor allem im Gegensatz zu der von den Massen abgehobenen Kunst Gerhard Richters, die sich als »ideologiefrei« darstellt. Das heißt aber nicht, dass er nicht auch kritisch zu beurteilen wäre. Das sagt das Buch auch nicht.
Hundertwasser wurde deshalb aufgenommen, weil er unter den Massen sehr bekannt und auch bei vielen beliebt ist. Er schrieb selbst zur Architektur: »Eigentlich kann jeder im Industriegelände bauen, wie er will, ohne irgendwelche Mindestanforderungen an Ästhetik, Menschenwürde und naturgerechtes Bauen. Sogar die Vorschriften, die es in der Stadt gibt, wie Stadtbilderhaltung und Rücksichtnahme auf die Umgebung, gibt es im Industriegebäude nicht.
… Im Industriebau wurde sehr gesündigt. Mehr gesündigt als in den Städten, an Menschen, die in den sterilen menschenunwürdigen Industriebauten mehr Zeit verbringen als zu Hause.«
Daraus spricht die im Buch genannte Naturverbundenheit und Bezogenheit auf die Massen. Neben der Müllverbrennungsanlage gestaltete er u.a. auch ein einfaches Mehrfamilienhaus in Wien, eine öffentliche Toilette in Neuseeland. Er war selbst ein sehr idealistisch geprägter aber aktiver Umweltschützer. Er gestaltete Poster u.a. für die Rettung der Meere, für den Schutz des Regenwaldes und gegen die Kernenergie, die in hohen Auflagen gedruckt wurden und deren Verkaufserlöse an Umweltinitiativen und Umweltorganisationen gespendet wurden. Er hatte zunächst prinzipielle Widersprüche zur Gestaltung der Müllverbrennungsanlage in Wien. Erst als ihm versichert wurde, dass es nicht möglich sei, allen Müll Wiens zu vermeiden oder zu recyclen, modernste Filtertechnik zur Luftreinhaltung eingebaut wird und damit 60.000 Wohnungen mit Fernwärme versorgt werden können, erklärte er sich dazu bereit. Das ist natürlich trotzdem kritikwürdig, aber du stellst das dar, als hätte er sich willentlich an Greenwashing beteiligt. Warum du Humustoiletten so per se als unsinnig abtust ist unverständlich. Gerade in Regionen ohne Kanalisation ist das eine oft verwandte Technik.
Das er sich für eine konstitutionelle Monarchie einsetzte war mir tatsächlich nicht bekannt. Aber der Bezugspunkt an der Stelle im Buch ist die Umweltfrage und die Massenverbundenheit.
Deine Beurteilung bezieht sich sehr einseitig nur auf die kritikwürdigen Fragen, ... Im Buch geht es ja aber eben darum, der bürgerlichen Kultur auch das Fortschrittliche abzuringen im Kampf gegen kleinbürgerlich-sektiererische Kritiken.
Herzliche Grüße
deine RW Redaktion