Rezension zum RW 38
Diese steile These wird nicht unwidersprochen bleiben
Rezension aus Magdeburg zum Buch von Stefan Engel: "Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft"
Bei der Suche nach einem Geschenk bin ich über ein neues Buch gestolpert mit dem gewagten Titel »Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft«. Krisen sind nichts wirklich Neues, die Nachrichten sind voll davon. Aber auch in der Naturwissenschaft? Also habe ich mir das Buch gekauft, aber ein Geschenk ist es dann nicht geworden – höchstens für mich selbst.
Ich habe immer in der Industrie gearbeitet, als Einrichter oder Anlagenführer. Darum interessierte mich das Kapitel »Das bürgerliche Ingenieurwesens in der Krise« besonders. Die berufliche Arbeit ist nicht einfach, und macht heute eine enge Zusammenarbeit zwischen den Produktionsarbeitern und der Instandhaltung und den Ingenieuren - eine enge Einheit von Theorie und Praxis - nötig. Was im Betrieb noch mehr oder weniger gut funktioniert, oft genug weniger, versagt im gesellschaftlichen Maßstab. Das Buch weist auf die offensichtlichen Probleme der Mega-Projekte wie Stuttgart21 hin. Das große Interesse an der Bebauung des oberirdischen Gleisfelds mit lukrativen Immobilien schlug alle Bedenken aus der Geologie in den Wind. Die technischen Fähigkeiten der Ingenieure scheitern, weil die Profitinteressen des Kapitals ausschlaggebend sind. So wird der Ingenieur ungewollt zum »Master of Desaster«.
Das Buch zitiert den Technikforscher David Collingridge. Er geht davon aus, dass es unmöglich sei, »Technikfolgen« vorher abzuschätzen. Daher müssen Entscheidungen »flexibel, korrigierbar und flexibel sein«. Das klingt gut, ist in der Realität aber verantwortungslos. Zukünftigen Generationen werden die Folgen der Atomkraft oder der Aufheizung der Atmosphäre aufgebürdet, weil das nicht einfach reversibel und korrigierbar ist.
Das Interessante an diesem Buch ist der Bezug zur weltanschaulichen Frage. Werden gesellschaftliche Fragen vom Standpunkt der Lebensinteressen der Menschheit aus gelöst oder vom unmittelbaren Kapitalinteresse!? Damit steht die Frage, ob die bürgerlichen Naturwissenschaften dem Anspruch an eine Wissenschaft überhaupt noch gerecht werden. Es dominiert ein enger Pragmatismus, orientiert an wirtschaftlichem Nutzen, Versuch und Irrtum, Abstreiten der Erkennbarkeit von Gesetzmäßigkeiten. Das ist ein Wirrwarr einander widersprechender Thesen und Methoden. Das Buch weist das in der Physik, der Medizin, der Psychologie wie am Ingenieurwesen nach.