Willi Dickhut
Der jüngste und der älteste Kämpfer
Grundsätzliche Briefwechsel und Dokumente Willi Dickhuts
Lieber Willi!
Wie geht es Dir? Du kennst mich vielleicht nicht. Ich bin der Sohn von Magdalena und Franz St. Ich habe Dich noch nie gekannt, aber ich weiß viel über Dich. Meine Eltern haben schon viel von Dir erzählt. Egal, ob ich zehn Jahre bin, ich lese schon den Rebell. Ich werde bald Dein neues Buch »Krieg und Frieden« lesen. Aber jetzt noch nicht, denn ich lese erst das Buch »Das war Ernst Thälmann«. Ich kann gar nicht glauben, daß Du in diesem Alter noch ein Buch schreiben kannst. Bei Deinem Buch »Krieg und Frieden« finde ich gut, daß hinten eine Beschreibung ist, was für eine Wirkung der Atomkrieg hätte (hätte = denn wir können's noch verhindern). Ich schreibe Dir bald wieder.
Rot Front!
Dein Hannes
Lieber Hannes!
Dein Brief hat mich sehr gefreut. Wenn ich auch nicht sofort antworten konnte, weil ich an beiden Augen operiert wurde, so hast Du doch eine vorläufige Antwort von Luise bekommen. Zwar kann ich noch nicht richtig sehen, besonders weil ich jetzt noch eine Bindehautentzündung dazu bekommen habe, doch will ich Dich nicht länger warten lassen, denn später habe ich sicher wenig Zeit.
Du meinst, ich würde Dich vielleicht nicht kennen, oh doch! Als ich vor knapp zehn Jahren bei Deinen Eltern in der Stuttgarter Wohnung war, bist Du auf dem Fußboden rumgekrochen, und Deine Mutter hatte nicht wenig Arbeit mit Dir. Inzwischen bist zu zum kleinen Kämpfer herangewachsen. Das hatte ich auch von Dir nicht anders erwartet.
Als ich zehn Jahre alt war, brach der I. Weltkrieg los, und ich habe damals viel hungern müssen. Was auf Lebensmittelkarten zu kaufen war, reichte nicht aus zum Sattwerden. Es gab nicht einmal Kartoffeln, nur Steckrüben. Du kannst Dir das sicher nicht vorstellen. Zum Heizen und Kochen gab es nur Schlammkohle, und die brannte nur, wenn man Holz beigab. Aber woher nehmen und nicht stehlen? Also habe ich im nahen Wald Bäume gefällt, ganz nach Hause geschleppt und da zerkleinert. Auch für eine Nachbarsfrau, deren Mann im Krieg gefallen war, habe ich einen Baum gestohlen für ein Butterbrot, so groß war der Hunger. Immer mehr Männer starben den »Heldentod«, wie man so sagte, während der Pfarrer von der Kanzel die Waffen segnete, mit denen Männer in anderen Uniformen umgebracht wurden. Am letzten Tag des Weltkriegs fiel auch mein vier Jahre älterer Bruder. Das war der Krieg!
In den zwanziger Jahren wurde ich Kommunist, aber das kannst Du besser nachlesen in meinem Buch »So war's damals …« Ich war entschlossen, mein Leben dem Klassenkampf der Arbeiter und anderer Unterdrückten zu widmen. Der Dichter Bert Brecht schrieb einmal die Worte:
Die Schwachen kämpfen nicht.
Die Stärkeren kämpfen vielleicht eine Stunde lang.
Die noch stärker sind, kämpfen viele Jahre.
Aber die Stärksten kämpfen ihr Leben lang.
Diese sind unentbehrlich!
Ich bin stolz darauf, zu den letzteren zu gehören …
Lieber Hannes!
Ich hoffe und erwarte das auch von Dir. Wenn Du alt bist wie ich, daß Du dann ebenfalls sagen kannst: Ich gehöre auch zu den letzteren, die ihr Leben lang gekämpft haben! Und solltest Du doch mal schwach werden, dann nimm diesen Brief zur Hand, er wird Dir Kraft geben, den Kampf weiterzuführen bis zum Sieg. Um zu den Stärksten zu gehören, muß man eine unerschütterliche Überzeugung haben und einen eisernen Willen zum Handeln.
In diesem Sinne grüßt Dich mit
Rot Front!
Dein Willi