Strategie und Taktik im Klassenkampf

Die sich rasch ändernden Verhältnisse in der Welt, die Zuspitzung der Widersprüche und das immer stärkere parteimäßige Eingreifen des KABD (Kommunistische Arbeiter Bund Deutschlands – Vorläuferorganisation der MLPD) in die Kämpfe der Arbeiterklasse stellte erhöhte Anforderungen an die konkrete Analyse der konkreten Situation und die Entwicklung der Strategie und Taktik.

Die Fähigkeit der bewussten Anwendung der dialektischen Methode zur Führung und Höherentwicklung des proletarischen Klassenkampfs musste zielstrebig herausgebildet werden. Dies war Aufgabe des REVOLUTIONÄREN WEG 20/21. Dabei wurde auch die bürgerliche Strategie und Taktik untersucht.

Er arbeitet die Grundlagen der proletarischen Strategie und Taktik heraus und wendet sie konkret an; unter anderem auf die Etappen des proletarischen Klassenkampfs, den Kampf der Arbeiterjugend und auf den antifaschistischen Kampf.

Am 29. April 1904, wurde Willi Dickhut in Schalksmühle geboren. Er starb am 8. Mai 1992 in Solingen - auf den Tag genau 47 Jahre nach der Befreiung vom Hitler-Faschismus. Willi Dickhut war Arbeiter, Marxist-Leninist, Widerstandskämpfer gegen den Hitler-Faschismus, Mitbegründer und Vordenker der MLPD.

Er hat lange Jahre das theoretische Organ REVOLUTIONÄRER WEG der MLPD geleitet. Sein Lebenswerk umfasst nahezu ein ganzes Jahrhundert Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung in Deutschland. Er hat den Stil der MLPD entscheidend mit geprägt. Ein besonderes Anliegen war ihm, kritisch-selbstkritisch und selbständig denkende und handelnde Kader zu entwickeln, als Damm gegen Dogmatismus, Revisionismus oder gar eine Entartung der Partei.

Leseprobe

I. Grundsätze der unterschiedliche Strategie und Taktik im jeweiligen Kampf
1. Die Bedeutung der Unterschiedliche Strategie und Taktik im jeweiligen Kampf 5
A. Begriff der Strategie und Taktik aus der Militärwissenschaft auf den Klassenkampf übertragen 15
B. Strategie und Taktik des proletarischen Klassenkampfes und die dialektische Methode 26
C. Theorie und Praxis als dialektische Einheit im Klassenkampf 33
2. Unterschiedliche Strategie und Taktik im jeweiligen Kampf 33
A. Strategie und Taktik im proletarischen Klassenkampf 43
B. Strategie und Taktik im antifaschistischen und demokratischen Kampf 55
C. Strategie und Taktik im nationalen Befreiungskampf und die Frage des Nationalismus 67
3. Konkrete Anwendung der Strategie und Taktik im Klassenkampf 67
A. Die Etappen des proletarischen Klassenkampfes und die Bestimmung des Endziels und der Etappenziele 68
B. Hauptfeind, Hauptkräfte und Reserven im proletarischen Klassenkampf 82
C. Revisionistische Strategie und Taktik als Verrat an der Revolution 97
II. Strategie und Taktik im Kampf der Arbeiterjugend
1. Die Bedeutung der Strategie und Taktik im Kampf der Arbeiterjugend 116
A. Die Entwicklung der Arbeiterjugendbewegung und ihre Rolle im Klassenkampf des Proletariats 116
B. Der Aufschwung der Arbeiterjugendbewegung in der Bundesrepublik Deutschland 130
C. Die Gewerkschaftsjugend und der Einfluß des Reformismus 140
2. Der Kampf der Arbeiterjugend gegen den Militarismus 152
A. Die Arbeiterjugend unter Führung Karl Liebknechts im Kampf gegen Militarismus und 1. Weltkrieg 153
B. Der Kampf der Arbeiterjugend gegen Faschismus, Militarismus und II. Weltkrieg 163
C. Der Kampf der Arbeiterjugend gegen die Remilitarisierung in der Bundesrepublik 179
3. Die Taktik der Arbeiterjugend im Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung 194
A. Der Kampf der Arbeiterjugend gegen die Folgen der kapitalistischen Rationalisierung 194
B. Die Berufsausbildung und die Rolle des Staates 202
C. Die Rolle der Kultur- und Freizeitarbeit im Kampf der Arbeiterjugend 212

Rezensionen, Studientipps und Briefwechsel

Beurteilung des Manuskripts des Revolutionären Wegs 20  und  21

Liebe Genossen der Zentralen Kontrollkommission

und der Zentralen Leitung!

19. 6. 81

Als Ach. am 2. 6. (neben Stn., Di. und Kl.) bei mir war, hatte ich die Beurteilung der Zentralen Kontrollkommission noch nicht gelesen. Ich hatte Ach. gebeten mitzukommen aus der Besorgnis heraus, daß es auf dem vier Tage später stattfindenden Zentralen Delegiertentag des Bundes Kommunistischer Intellektueller zu Auseinandersetzungen über die Frage der kleinbürgerlichen Schichten kommen könnte, weil es seit einiger Zeit darüber Diskussionen gibt. Aufgrund des Briefs der Zentralen Kontrollkommission vom 26. 2. 81 an Wode hatte ich den Eindruck bekommen, daß die Zentrale Kontrollkommission bei ihrer Untersuchung einen allzu starren Standpunkt eingenommen habe und zumindest unklare Ansichten vertrete. Die Diskussion unter uns fünf Genossen bestätigte die fehlerhafte Einstellung der Zentralen Kontrollkommission, die auch in ihrer Beurteilung des Revolutionären Wegs 20 und 21 – wie ich nachher feststellen mußte – enthalten ist, worauf ich nachfolgend noch zurückkommen werde.

1. Die Kritik der Zentralen Kontrollkommission in ihrer Beurteilung

Als ich die Beurteilung der Zentralen Kontrollkommission las, war ich betroffen von der überheblichen und schulmeisterlichen Art der Kritik, als ob es nie einen Revolutionären Weg 10 gegeben hätte, der auch einiges über Kritik und Selbstkritik enthält. Im Stil eines Schulmeisters werden denn auch regelrechte Noten für die einzelnen Kapital erteilt: einmal »sehr gut«, sechsmal »gut«, zwei- mal »im wesentlichen gut«, zweimal »im ganzen gut«, einmal »ausreichend«, dreimal »nicht ausreichend«, dreimal »nicht konkret«, einmal »falsch«. Die guten Noten wurden gleich wieder abgeschwächt, wodurch die Gesamtkritik negativ ausfällt. So wird auf Seite l behauptet: »Er (der Revolutionäre Weg) stellt eine Zusammenfassung – aber keine Weiterentwicklung unserer bisherigen Erkenntnisse dar, wie sie im Revolutionären Weg l bis 19 enthalten sind.« Dieses pauschale negative Urteil wird zwar ein paar Sätze weiter abgeschwächt: »Gut ist die Herausarbeitung der Bedeutung der dialektischen Methode für die Strategie und Taktik des proletarischen Klassenkampfs. Hierin liegt eine Vertiefung und Weiterentwicklung des bisherigen Verständnisses.« Um diesen Widerspruch gleich wieder auszubügeln, geht es weiter: »Eine Schwäche liegt aber darin, daß im weiteren die strategischen und taktischen Grundsätze nicht ausführlich und klar erkennbar als Ergebnis der bewußten Anwendung der dialektischen Methode behandelt werden.«

Diese Beurteilung kann man doch wohl nicht ernst nehmen. Ich habe zwei Broschüren über Strategie und Taktik der KPD, eine aus den zwanziger und eine aus den fünfziger Jahren. Der Inhalt ist abstrakt und dogmatisch. Wir haben uns bemüht, gerade die grundsätzliche Seite mit der konkreten zu verbinden. Auf die wirklichen Mängel und Fehler werde ich unter 2. eingehen. Die Zentrale Kontrollkommission steht mit ihrer Gesamtbeurteilung ganz allein und im Widerspruch zu den Beurteilungen aller anderen Genossen, von den Mitgliedern der Zentralen Leitung bis hin zu den Mitarbeitern des Revolutionären Wegs. Ich führe hier die Kernstellen der Gesamtbeurteilung durch Mitglieder der Zentralen Leitung an, die einstimmig die Vorlage beschlossen haben:

»Die Vorlage bedeutet eine Weiterentwicklung unserer Linie in der Frage der dialektischen Methode, einmal, was den Antagonismus/Nichtantagonismus betrifft, und zum zweiten in ihrer bewußten Anwendung auf Strategie und Taktik, was auch bei den Klassikern so nicht geleistet wird. Gerade in dem Kampf um das Erlernen eines marxistischen Arbeitsstils durch die Leitungen und Mitglieder als Kettenglied zur Parteigründung wird uns dieses Kapitel gut weiterhelfen.

Sehr auffällig an diesem Revolutionären Weg ist, daß er sehr eng mit den Erfahrungen der Organisation verbunden ist; man kann fast sagen: ›Produkt‹ unserer Aufbauarbeit als KABD.

Diese verallgemeinerte Aufarbeitung zum großen Teil eigener Erfahrungen des KABD bedeutet eine neue Qualität gegenüber den bisherigen Nummern des Revolutionären Wegs, wo doch weitgehend aus Erfahrungen der KPD geschöpft wurde.«

»Als entscheidenden Punkt sehe ich an, daß die beiden Nummern des Revolutionären Wegs gegenüber den bisherigen insofern eine neue Qualität darstellen, daß sie auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus und der Erfahrungen der Arbeiterbewegung die Praxis des KABD theoretisch verallgemeinern. Das bedeutet einerseits, daß die Arbeit als Bund in der Hauptseite richtig und erfolgreich war, anderseits, daß die Durchführung der Aufgaben als Partei jetzt möglich und notwendig ist.«

»Ich meine, daß diese beiden Nummern des Revolutionären Wegs eine im wesentlichen gute Zusammenfassung und in etlichen Fragen eine Weiterentwicklung unserer ideologisch-politischen Linie darstellen.«

»Die entscheidende Neuheit bei diesem Revolutionären Weg ist die klare und konkrete Herausarbeitung des Zusammenhangs zwischen dialektischer Methode und Strategie und Taktik. So wird auch deutlich, daß wir die dialektische Methode erlernen müssen, wenn wir im Klassenkampf eine richtige Strategie und Taktik erarbeiten wollen.«

»Es war auf jeden Fall richtig, über die ursprüngliche Planung hinauszugehen und auch die Strategie und Taktik unserer Gegner zu behandeln Die Frage der Strategie und Taktik wird umfassend behandelt und auf die konkreten Verhältnisse angewandt. Jedoch fällt der zweite Teil über die Jugend in Schärfe und Konzentration etwas von den anderen Kapiteln ab.«

»Die besondere Stärke dieser Nummern des Revolutionären Wegs sehe ich in der Verbindung der allgemeinen Erfahrungen der Arbeiterbewegung im Klassenkampf mit der Verallgemeinerung der konkreten Erfahrungen, die der KABD in der Entwicklung des Klassenkampfs gemacht hat. Die Konkretheit, mit der das Thema behandelt werden konnte, bestätigt den richtigen Weg des KABD im Parteiaufbau. Gleichzeitig wird der Stand und die Einengung unserer Arbeit deutlich und damit die Bedeutung dieser Nummern des Revolutionären Wegs für die Weiter- und Höherentwicklung unserer Arbeit.«

»Die Nummern 20 und 21 des Revolutionären Wegs sind eine wichtige Weiterentwicklung unserer ideologisch-politischen Linie. Sie beruhen auf dem Marxismus-Leninismus, den Maotsetungideen und der kritischen Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der alten KPD im Kampf gegen Hitlerfaschismus und Remilitarisierung der BRD sowie den praktischen Erfahrungen unserer Organisation.«

»Die Grundsätze der Strategie und Taktik im Kampf der Arbeiterklasse sind klar und deutlich herausgearbeitet, wobei es sehr gut ist, daß die unterschiedliche Taktik und Strategie im proletarischen, antifaschistischen, demokratischen und nationalen Befreiungskampf hervorgehoben wird. Hier gab es in der Vergangenheit oft Unklarheiten.«

»Die Bedeutung der Herausgabe des Revolutionären Wegs 20 und 21 liegt darin, daß die Führung des revolutionären Kampfs der Arbeiterklasse in einer Situation internationaler und nationaler, wirtschaftlicher und politischer Verschärfung auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt wird. Das stellt hohe Anforderungen an den Revolutionären Weg in Inhalt und Form.«

»Insgesamt finde ich die beiden Nummern des Revolutionären Wegs gut und richtig. Bin aber der Meinung, daß, wenn möglich, Kapitel II/3 ›Die Taktik des Kampfs der Arbeiterjugend gegen Ausbeutung und Unterdrückung‹ neu überarbeitet werden muß.«

»Über den Umfang des Manuskripts war ich anfangs doch einigermaßen erschrocken. Nach dem Lesen aber war mir klar, welche ungeheure Bereicherung das Thema durch die Aufnahme des Kapitels über Strategie und Taktik der Kapitalisten und ihres Staates erfahren hat.«

»Die beiden Nummern des Revolutionären Wegs sind eine sehr positive umfassende und in sich geschlossene Ausarbeitung – aufbauend auf unseren bisherigen Nummern des Revolutionären Wegs Sie verbinden diese grundsätzliche Seite mit der konkreten Situation und den Aufgaben im Klassenkampf in der BRD. Es ist eine beispielhafte Anwendung der dialektischen Methode und eine grundsätzliche und konkrete Anleitung für die tägliche Praxis, der ›Kompaß‹ für unsere weitere revolutionäre Tätigkeit.«

»Die entscheidenden Fragen, die auch schon in den früheren Nummern des Revolutionären Wegs behandelt wurden, werden wieder aufgegriffen. Das gilt für die Etappeneinteilung, die Frage des Revisionismus und der Reformen, die Bedeutung der Jugend in der Perspektive und die Entwicklung der Kämpfe. Daran wird deutlich, welche Kontinuität schon in unserer Arbeit steckt und wie notwendig es ist, diese Fragen immer mehr zu vertiefen.«

»Das Kernstück der Nummern 20 und 21 des Revolutionären Wegs besteht meiner Meinung nach in dem Kapitel über die dialektische Methode. Hier handelt es sich um eine Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus. Die Klassiker, und hier besonders Stalin, haben immer die verschiedenen Seiten der Strategie und Taktik erläutert und dargestellt, durch die Nummern 20 und 21 des Revolutionären Wegs werden aber die Genossen in die Lage versetzt, wenn das Kernstück der dialektischen Methode erfaßt ist, selbständig die Strategie und Taktik zu entwickeln. Darum schaffen die Nummern 20 und 21 des Revolutionären Wegs hier eine gute Grundlage, auf der unsere Genossen zum eigenständigen Denken erzogen werden können.«

»Meines Erachtens sind die Nummern 20 und 21 des Revolutionären Wegs in der Gliederung richtig, die Gedankenführung ist in Übereinstimmung mit dem Marxismus-Leninismus. Die Ausführungen zeigen viele wichtige Zusammenhänge und geben auch auf verschiedene Einzelfragen Antwort, die unserer Arbeit und der Eroberung der entscheidenden Mehrheit der Arbeiterklasse dienen.«

»Die beiden Nummern des Revolutionären Wegs sind gut, die Herausgabe von zwei Nummern ist angebracht. Besonders gut sind die Kapitel zur dialektischen Methode. Ein etwas unklarer Punkt ist, daß wir die Etappen des Klassenkampfs anders verstehen als Stalin. Ich finde dies richtig, und es entspricht dem Revolutionären Weg 6.«

Ich habe hier Mitglieder der Zentralen Leitung zitiert, um daran die Frage zu knüpfen: Welche Schlußfolgerung soll man aus dieser offensichtlich widerspruchsvollen Gesamtbeurteilung des Revolutionären Wegs 20 und 21 ziehen? Soll der gesamten Zentralen Leitung die Urteilsfähigkeit abgesprochen werden, oder hat die Zentrale Kontrollkommission eine sachliche Beurteilung vermissen lassen?

2. Mängel und Fehler im Manuskript des Revolutionären Wegs 20 und 21 und die Ursachen

Bevor ich auf die Beurteilung der Zentralen Kontrollkommission weiter eingehen werde, will ich die tatsächlichen Mängel und Fehler aufzeigen. Ihr alle wißt, daß durch meine angeschlagene Gesundheit und Sehfähigkeit meiner Arbeit am theoretischen Organ eine Grenze gesetzt ist. Die Heranziehung von Mitarbeitern, auf die ich seit Jahren hingewiesen habe, wurde jetzt brennend. Mein Plan war: Die Ausarbeitung der einzelnen Kapitel geschieht durch Mitarbeiter, danach werde ich das Ganze überarbeiten, ohne einen wesentlichen Umbau vornehmen zu müssen. Dieser Plan ist gescheitert: Die Verbandsleitung, die den Jugendteil schreiben sollte, hat nach einem Jahr trotz gutem Willen kapituliert. Was andere Mitarbeiter ausgearbeitet hatten, mußte zum großen Teil gestrichen werden. Ich hatte mich bemüht, das Brauchbare möglichst zu erhalten, um die Mitarbeiter nicht abzuschrecken, denn es drohte bei einigen Resignation. Die Überarbeitung der Manuskripte war unter diesen Bedingungen sehr schwierig, Mängel und Fehler waren unvermeidlich. Es wäre einfacher gewesen, das Manuskript von Anfang an ganz oder zum größten Teil selbst auszuarbeiten. Aber das widerspricht dem Heranziehen von geeigneten Mitarbeitern und der Kaderentwicklung.

So wird an mehreren Stellen ein verschiedener Stil deutlich. Schwächen in der Formulierung, mißverständliche Ausdrücke, einzelne verdeckte Fehler, die übersehen wurden, Versuche, vom »roten Faden« abzuweichen (was übrigens auch bei vielen Abänderungsvorschlägen unbewußt zum Ausdruck kommt), Wesentliches mit Unwesentlichem vermengen usw. Vor allem litt durch die bruchstückweise Bearbeitung des Themas der einheitliche Guß.

Die so entstandenen Mängel und Fehler sollten durch eine breite kollektive Mitarbeit unserer Spitzenfunktionäre behoben werden. Darum haben wir die Zahl der Kopien des Manuskripts von 30 auf 40 erhöht. Das hat sich als vorteilhaft erwiesen. Bei keinem Manuskript früherer Nummern des Revolutionären Wegs haben die führenden Genossen bei der Beurteilung und Überarbeitung so interessiert und ernsthaft an der Verbesserung mitgearbeitet wie diesmal, und das ohne Ausnahme. Das zeigt eine hervorragende Kaderentwicklung. Durch diese konkrete Hilfe, durch Einbringen zahlreicher Anträge wurde das Manuskript wesentlich verbessert. Dafür danke ich allen Genossen, einschließlich den Genossen der Zentralen Kontrollkommission.

3. Grundsätzliche Fehler in der Beurteilung der Zentralen Kontrollkommission

Wenn ich noch einmal auf die Kritik der Zentralen Kontrollkommission zurückkomme, dann aus dem Grunde, weil sie neben richtigen Feststellungen auch grundsätzliche Fehler enthält. Auf Seite 3 heißt es über die kleinbürgerlichen Zwischenschichten, bezugnehmend auf das Manuskript der Nummern 20 und 21 des Revolutionären Wegs:

»Die Lage dieser Schichten wird falsch dargestellt, ihr Wesen wird in dem schwankenden Charakter gesehen, nicht aber in ihrer Klassenlage. Auf Seite 77 oben wird faktisch der Standpunkt des antagonistischen und nichtantagonistischen Aspekts vertreten, und der grundlegende Antagonismus nicht erwähnt. Es fehlt vollständig die Taktik der proletarischen Partei unter und gegenüber diesen Schichten.«

Zunächst ist es eine Unterstellung, daß die kleinbürgerlichen Schichten nicht in ihrer Klassenlage gesehen würden, sondern nur in ihrem schwankenden Charakter. Wo soll das stehen? Alle Nummern des Revolutionären Wegs, die sich mit den kleinbürgerlichen Schichten befaßt haben (im Revolutionären Weg 13 ein ganzer Abschnitt), begründen die Veränderung der Klassenlage der Kleinbürger aus der kapitalistischen Produktionsweise heraus. Diese veränderte Klassenstruktur von selbständigen Klassen im Feudalismus in Zwischenschichten im Kapitalismus ist die Ursache der Schwankungen der Kleinbürger zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Diese Schwankungen rufen eine Wandlung der Widersprüche der Kleinbürger sowohl gegenüber der Bourgeoisie wie auch gegenüber dem Proletariat hervor. Und eben dieser schwankende Charakter ermöglicht ein Bündnis des Proletariats mit einem Teil der kleinbürgerlichen Schichten, mit den unteren Schichten, die dem Proletariat am nächsten stehen.

Die Zentrale Kontrollkommission vertritt den Standpunkt des

»grundlegenden Antagonismus« zwischen Proletariat und kleinbürgerlichen Schichten, das heißt aber einen absoluten Antagonismus so wie zwischen Proletariat und Bourgeoisie, der wegen seines unversöhnlichen, unüberbrückbaren Charakters keine Wandlung erfahren kann (wir wollen hier die nationale Bourgeoisie, die es bei uns nicht gibt, außerachtlassen). Die Zentrale Kontrollkommission hat den gleichen Fehler übernommen, der im »Lernen und Kämpfen« 8/1980, Seite 18, enthalten ist: »Der Widerspruch zwischen Kleinbürgertum und Arbeiterklasse kann unter den Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaft nicht versöhnt werden.« Weiter wird »vom grundlegenden antagonistischen Wesen des Widerspruchs« gesprochen. Wenn man vom »grundsätzlichen« (absoluten) Antagonismus im Verhältnis zwischen Proletariat und den kleinbürgerlichen Schichten ausgeht, dann sind natürlich die Schwankungen dieser Schichten ohne Bedeutung, dann ist aber auch ein Bündnis mit den unteren Schichten des Kleinbürgertums nicht möglich. Aber die Zwischenstellungen der kleinbürgerlichen Schichten zwischen den beiden großen Klassen bringt notwendigerweise diese Schwankungen hervor. Lenin hebt darum den schwankenden Charakter der Kleinbürger immer wieder hervor. Hier ein paar Beispiele:

»Die kleinbürgerlichen Massen können nicht anders als zwischen Bourgeoisie und Proletariat hin- und herschwanken.« (Bd. 25, S. 111)

»Der Kleinbürger befindet sich in einer solchen ökonomischen Lage, seine Lebensbedingungen sind derart, daß er nicht umhin kann, sich selbst zu täuschen, es zieht ihn unwillkürlich und unvermeidlich bald zur Bourgeoisie und bald zum Proletariat. Eine selbständige ›Linie‹ kann er ökonomisch gesehen nicht haben. Seine Vergangenheit zieht ihn zur Bourgeoisie, seine Zukunft zum Proletariat.« (Bd. 25, S. 200)

»Jeder Marxist weiß schon seit langem, daß in jeder kapitalistischen Gesellschaft nur das Proletariat und die Bourgeoisie als die entscheidenden Kräfte auftreten können, während alle zwisehen diesen Klassen stehenden sozialen Elemente, die ökonomisch unter die Kategorie Kleinbürgertum fallen, unvermeidlich zwischen diesen entscheidenden Kräften hin und herschwanken.« (Bd. 28, S. 181)

Aufgrund der Schwankungen der kleinbürgerlichen Schichten versucht sowohl die Bourgeoisie als auch die Arbeiterklasse, Einfluß auf sie zu bekommen. Das wäre bei einem »grundlegenden Antagonismus« für die Arbeiterklasse nicht möglich und für die Bourgeoisie nicht nötig. Lenin sagt aber:

»Der Gang der Ereignisse ist sonnenklar: immer größeres Anwachsen der Unzufriedenheit, der Ungeduld und Empörung der Massen, immer mehr verschärft sich der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie, besonders um den Einfluß auf die kleinbürgerlichen Massen.« (Bd. 25, S. 203)

Das Proletariat wird jedoch die Interessen der Kleinbürger, um diese als Bündnispartner zu gewinnen, nicht schlechthin vertreten, sondern nur jene der unteren Schichten, die sich gegen den Kapitalismus und seine Regierung richten.

»Nur das Proletariat ist kraft seiner ökonomischen Rolle in der Großproduktion fähig, der Führer aller Werktätigen und ausgebeuteten Massen zu sein, die von der Bourgeoisie vielfach nicht weniger, sondern noch mehr ausgebeutet, geknechtet und unterdrückt werden als die Proletarier, aber zu einem selbständigen Kampf um ihre Befreiung nicht fähig sind.«

Wo ist hier der »grundlegend antagonistische« Charakter zwischen der Arbeiterklasse und den kleinbürgerlichen Massen zu sehen – er ist nicht vorhanden. Ich habe die Befürchtung, daß die Untersuchung der Zentralen Kontrollkommission betreffs Ha. und Wo. von einem falschen Standpunkt der Zentralen Kontrollkommission aus geführt worden ist. Das wäre schlimm. In dem Brief von Ach. an Wo. vom 26. 2. 81 heißt es nämlich: »Das Interesse dieser Schicht steht in Übereinstimmung mit dem der Bourgeoisie, daher handelt es sich auch um einen antagonistischen Widerspruch zur Arbeiterklasse.« Und ein paar Zeilen höher: »… ihre soziale Stellung ist untrennbar mit dem Kapitalismus verbunden …« Das hat mit Dialektik nichts mehr zu tun.

Ach. polemisiert gegen einen Brief von Wo., der in eigenen Worten Lenins Gedanken im obigen Zitat (Bd. 25, S. 416) wiedergibt. Dieses Zitat zeigt auch, daß sich der an sich antagonistische Widerspruch kleinbürgerlicher Schichten zum Proletariat unter bestimmten Bedingungen in einen nichtantagonistischen Widerspruch wandeln kann. Das leugnet die Zentrale Kontrollkommission, wenn Ach. an Wo. schreibt:

»Nichtantagonismus im Verhältnis Arbeiterklasse und Zwischenschichten würde bedeuten, daß die Interessen des Proletariats mit denen dieser Schichten versöhnt werden können, würde bedeuten, daß es in einer kommunistischen Organisation nur noch zum Linienkampf kommen kann, wenn Bourgeoisie-Gedanken direkt aufkommen.« (S. 4)

Demnach müßte Lenin wohl Bourgeoisie-Gedanken vertreten, denn das obige Leninzitat (und nicht nur dieses) widerspricht doch grundsätzlich der hier vertretenen Ansicht der Zentralen Kontrollkommission. Die Ansicht der Zentralen Kontrollkommission in der Frage der Zwischenschichten widerspricht nicht nur den Lehren der Klassiker, sondern auch der Linie des KABD. Meines Erachtens hat die Zentrale Leitung keinen Beschluß im Sinne der Zentralen Kontrollkommission gefaßt. Ich fürchte, daß die Zentrale Kontrollkommission die Untersuchung auf der Grundlage ihres falschen Standpunkts in der Frage der kleinbürgerlichen Schichten durchgeführt hat beziehungsweise noch weiter führt. Deshalb mache ich den Vorschlag, die Untersuchung betreffs Wo. und Ha. so lange auszusetzen, bis die Fragen ideologisch geklärt sind, sonst gerät die Zentrale Kontrollkommission in eine Sackgasse.

In der Beurteilung der Zentralen Kontrollkommission des Manuskripts des Revolutionären Wegs 20 und 21 wird mit Recht die ursprüngliche Formulierung »Strategie und Taktik des Kampfs der Arbeiterjugend« beanstandet. Das kann mißverstanden werden, als habe die Jugend eine eigene Strategie. Deshalb wurde die Überschrift geändert in: »Strategie und Taktik im Kampf der Arbeiterjugend«. Die Zentrale Kontrollkommission verlangt aber folgende Änderung: »Strategie und Taktik der Partei für den Kampf der Arbeiterjugend«. Soweit es sich um die Strategie handelt, ist das richtig, denn unsere Jugendorganisation kann nicht die ideologisch-politische Linie und damit die Strategie selber festlegen, das ist Sache der Partei. Sie hat aber die organisatorische Selbständigkeit und muß die Taktik zur Durchführung ihrer Aufgaben selber ständig überprüfen und entsprechend der konkreten Situation neu erarbeiten. Das geschieht in Anlehnung an die Taktik der Partei. Nimmt man ihr das Recht des selbständigen taktischen Handelns, dann zerstört man die organisatorische Selbständigkeit. Die Zentrale Kontrollkommission kontrolliert, ob die organisatorische Selbständigkeit gewahrt bleibt.

Rot Front!

Willi

_

An die Zentrale Leitung des KABD

An die Redaktion des Revolutionären Wegs

28.8.81

Liebe Genossen!

Der Brief von Willi vom 19. 6. 81 und die Vertiefung der Kritik durch das Sekretariat am 2. 7. 81 deckten auf zentraler Ebene auf, daß wir einen grundsätzlich falschen Standpunkt in der Frage des Antagonismus eingenommen hatten.

Unser Standpunkt des absoluten Antagonismus zwischen Arbeiterklasse und kleinbürgerlichen Zwischenschichten leugnet den schwankenden Charakter der Klassenlage und des Klassenstandpunkts dieser Schichten, setzt sie mit der Bourgeoisie gleich und führt deshalb faktisch zur Liquidierung des revolutionären Bündnisses mit ihnen. Dieser Standpunkt ist antimarxistisch und Ergebnis einer metaphysischen Denkweise.

Studiert man gründlich unsere Klassiker und unsere Grundlagen dazu, unter anderem auch die im Revolutionären Weg 20 angeführten Zitate, so kann man sich über den absoluten Antagonismus nur an den Kopf schlagen. Das konnten wir allerdings erst, nachdem uns die prinzipielle, helfende Kritik von Willi und des Sekretariats aufgerüttelt hatte. Kritik und Selbstkritik müssen nun vertieft werden:

Die Ursachen dieser grundsätzlichen Fehler bei uns müssen in ihrem Zusammenhang im Rechenschaftsbericht behandelt werden. Auf unserer letzten Sitzung arbeiteten wir Tendenzen der Loslösung von der Praxis des Klassenkampfs und den Erfahrungen der Organisation, Erscheinungsformen der kleinbürgerlichen Denkweise wie Überheblichkeit und Vernachlässigung prinzipieller selbstkritischer Überprüfung heraus.

Weiter ist zu untersuchen, warum sich dieser falsche Standpunkt so lange auf zentraler Ebene unaufgedeckt halten konnte. Gegenüber den Organisationen und gegenüber Ha. und Wo. muß eine gründliche Korrektur offen durchgeführt werden.

Wir haben unsere Herangehensweise bei unserer Beurteilung des Revolutionären Wegs überprüft und folgende Gründe für »die Überheblichkeit und schulmeisterliche Art der Kritik« herausgearbeitet, die in der Auswertung unserer Sitzung vom 4. 7. 81 festgehalten ist. Dazu heißt es:

»a) Der Maßstab, den wir anlegten, ging von einem theoretisch vom Klassenkampf losgelösten Verständnis aus. Allseitigkeit wurde von uns im Sinne einer Enzyklopädie (Nachschlagewerk– die Herausgeber) verstanden.

b) Dies paßt zusammen mit einer Haltung, daß dieser Revolutionäre Weg den Weg der Revolution in der BRD vorzeichnen müßte. Wir erwarteten eine Antwort auf alle Fragen, die uns der Klassenkampf theoretisch stellen könnte. Das lief auf eine Haltung hinaus, Rezepte zu erwarten, statt zu verstehen, was der Revolutionäre Weg als Anleitung zum Handeln bedeutet. Das läuft auf eine Trennung von Theorie und Praxis hinaus.

c) Diese Trennung spiegelt sich darin wider, daß wir die Erfahrungen und den Stand der Organisationen im Klassenkampf nicht erfaßt oder berücksichtigt haben. Das zeigt sich daran, daß unsere Fragestellungen schon nicht von den Erfahrungen und Aufgaben der Organisationen ausging, daher erfaßten wir auch nicht die Bedeutung wichtiger Teile des Revolutionären Wegs als ganzen für die weitere Arbeit der Organisationen.

d) Unser Herangehen war nicht: was können wir lernen, sondern: was müßte rein, was steht nicht drin? Auch wenn das in bester Absicht geschah, so drückt sich darin das Auseinanderreißen von Kritik und Selbstkritik aus. Ohne Selbstkritik kommt man aber zu keinen richtigen Erkenntnissen oder zu einem richtigen Urteil.

Was hier zum Ausdruck kommt, ist eine Denk- und Arbeitsweise, die nicht die Einheit von Theorie und Praxis herstellt. Eine Denkweise, die die Kritik von der Selbstkritik trennt … Das Entwicklungsgesetz zu negieren heißt, die Entwicklung zu negieren. Die daraus resultierende Arbeitsweise war dogmatisch in dem Sinne, Rezepte zu erwarten, idealistisch in dem Sinne, den Weg der Revolution vorzeichnen zu können.

Dies ist auch nicht dadurch aufzuwiegen, daß unsere Kritik auf wirkliche Fehler und Schwächen hingewiesen hat und unsere Anträge zum größten Teil verarbeitet wurden.

An der Darstellung der Kadersituation beim Revolutionären Weg durch Willi zeigten sich auch die Fehler der Zentralen Kontrollkommission in der Behandlung dieser Frage. Wir wurden auch von Willi seit längerer Zeit darauf hingewiesen, ohne jedoch für die Kontrolle daraus Konsequenzen zu ziehen. Wir tragen hier eine Mitverantwortung.«

Soweit der Stand unserer Überprüfung. Es kommt jetzt darauf an, aus den gewonnenen Erkenntnissen die praktischen Konsequenzen zu ziehen, damit die Kontrolltätigkeit ihren Beitrag zur Parteigründung leisten kann.

In diesem Sinne Rot Front!

Ach.

Das Buch »So war's damals und die Fehler der KPD

4.5.81

Lieber Willi!


Infolge des Literaturwettbewerbs habe ich Dein Buch nunmehr zum dritten Mal vorgenommen und versuche momentan, es mir systematisch anzueignen, das heißt für eine konkrete Nutzanwendung in meiner politischen Tätigkeit anzueignen. Für den privaten Gebrauch habe ich es vorher schon benützt: im Rahmen meiner Magisterarbeit über die revisionistische Faschismustheorie des Marburger Professors Reinhard Kühnl (enger Sympathisant oder gar Angehöriger der DKP), der sich zu folgender Aussage verstieg:
»Die ökonomisch Herrschenden waren auf diese faschistische Führung in einem viel höheren Maße › angewiesen ‹, als sie dies etwa im Fall der verschiedenen Regierungen der Weimarer Republik oder der Bundesrepublik waren. Alle diese Regierungen waren ohne größere Schwierigkeiten ersetzbar. Dies galt nicht für die faschistische Regierung. Dieses wechselseitige Aufeinanderangewiesensein ist es, was den Begriff des ›Bündnisses‹ gerechtfertigt
erscheinen läßt …« Daraus erläutert er das Scheitern des Putsches von 1944, den Massenmord an Juden (»verselbständigte Ideologie«) und negiert die das Wesen des Faschismus erfassende Dimitroff-These. Er beschreibt also die Erscheinungsform des staatsmonopolistischen Kapitalismus, aber nicht die Unterordnung des Staates unter die Monopole, beziehungsweise diese leugnet er wie jeder Revisionist. Deine Ausführungen zum 20. Juli haben mir zur Widerlegung sehr große Dienste erwiesen. Im übrigen ist das nur eine verballhornte Thalheimer-These, was Kühnl hier (1979) wieder kaut (1971 hat er sich noch beinahe vollständig Thalheimer verschrieben: »soziale Herrschaft Bourgeoisie, politische Herrschaft Faschisten«).
Die Lektüre Deines Buches warf andererseits natürlich auch verschiedene Fragen auf: Du hast sowohl im Revolutionären Weg als auch in Deinem Buch deutlich und hart die Sozialfaschismustheorie und die RGO-Politik angegriffen und herausgearbeitet, wie schädlich beides auf die Zusammenarbeit mit SPD-Kollegen gewirkt hat. Insgesamt kommt allerdings zum Ausdruck, daß Du beide schwere Fehler als taktische Fehler siehst, zum Beispiel, wenn Du schreibst (S. 135/136): »Das sture, kompromißlose Verhalten hatte gewiß nicht dazu geführt, eine Annäherung mit den Sozialdemokraten an der Basis herbeizuführen . . . (Leninzitat)
. . . Die unbewegliche Taktik der KPD wurde durch die auf Massenbetrug ausgerichtete Taktik der SPD-Führer begünstigt.« Oder im Revolutionären Weg 11, Seite 87: »Diese Beurteilung der sozialdemokratischen Bewegung (wohlgemerkt »Bewegung« und nicht »Führung«) erwies sich als schwerer Fehler. So wurden damals nicht nur führende Sozialdemokraten ... als Sozialfaschisten bezeichnet (was verständlich war), sondern auch einfache sozialdemokratische Funktionäre . . .«
Wenn ich diese Aussagen richtig interpretiere, dann siehst Du in der Bezeichnung sozialdemokratischer Führer á la Zörgiebel als Sozialfaschisten einen historisch verständlichen Fehler, die Ausweitung dieses Begriffs auf die SPD-Mitgliedschaft oder gar auf Brandleristen als zusätzlichen taktischen Fehler. Denn auf Seite 88 im Buch schreibst Du anläßlich eines Briefs an Maria Stamm:
»Die Richtlinien des VI. Weltkongresses sind zweifellos richtig . . .« Auf diesem VI. Weltkongreß aber wurde, ebenso wie auf dem nachfolgenden X. EKKI-Plenum, die Sozialfaschismustheorie zwar nicht geboren (das geschah schon zirka 1925), aber für die SPD-Führung festgeschrieben.
Meine Frage ist, ob mit dieser Theorie nicht ein grundsätzlicher strategischer Fehler begangen worden ist, wobei ich allerdings ins Schleudern geriet, als ich dazu Stalins Ausführungen zur Strategie und Taktik in den »Grundlagen des Leninismus« heranzog. Denn Stalin behandelt die Loslösung der Avantgarde von den Massen oder die Taktik der Otsowisten (Verzicht auf Arbeit in den Gewerkschaften) unter taktischer, nicht strategischer Führung. Auch der Parteigründungsaufruf von Zentraler Leitung und Zentraler Kontrollkommission spricht im Zusammenhang mit der Massenlinie von Taktik (S. 10). Andererseits ist die Massenlinie beziehungsweise ihre Anwendung ein grundlegendes marxistisch-leninistisches Prinzip, mit der Sozialfaschismusthese und der RGOPolitik wurde diesem Prinzip ins Gesicht geschlagen. Und meines Erachtens war die Sozialfaschismusthese auch nicht bloß deshalb falsch, weil damit ein Graben zwischen SPD/KPD-Mitgliedern/Kollegen entstand, sondern dahinter steckt doch auch eine falsche Übertragung (ein falscher Vergleich) der Ideologie und Politik der faschistischen Partei Mussolinis mit der Ideologie und Politik der SPD (vergleiche Alexander Plato, »KPD und Komintern, Sozialdemokratie und Trotzkismus«, Oberbaumverlag, Berlin 1973, der allerdings die Sozialfaschismusthese verteidigt!!). Und dahinter müßte doch eigentlich eine zumindest teilweise falsche Einschätzung der gegebenen wirtschaftlichen und politischen Tatsachen in der Weimarer Republik stecken. Stalin nennt zur Strategie: Sie ist die Festlegung der Richtung des Hauptstoßes des Proletariats auf der Grundlage der entsprechenden Etappe der Revolution . . . Falls ich mich nicht falsch erinnere, war damals eine relative Stabilisierung des Kapitalismus zu verzeichnen, also der Hauptstoß gegen die gegenwärtige Hauptstütze der Bourgeoisie, die Sozialdemokratie, zu führen.
Von daher betrachtet, war die Sozialfaschismusthese eine falsche taktische Ausformung einer vom Grundlegenden her richtig bestimmten Strategie. Aber ich schwimme da noch.
Außerdem interessiert mich Deine eigene Herangehensweise an diese beiden Fehler. Im Rahmen des demokratischen Zentralismus warst Du verpflichtet, zumindest die sozialdemokratischen Führer als sozialfaschistisch zu bekämpfen. Wann hast Du diese Fehler erkannt, beziehungsweise wie hast Du dafür gekämpft, daß sie behoben werden? Denn aufgrund Deiner Arbeit im Betrieb beziehungsweise Deiner Massenarbeit müßtest Du ja sehr schnell die Schädlichkeit von Sozialfaschismusthese und RGO-Aufbau erkannt haben . . .
Wie stark waren Streiks und Demonstrationen der Arbeiter bis 1948? Darüber schreibst Du sehr wenig. Auch die Tatsache, daß neun Betriebsgruppen das Zehnfache an Straßengruppen Ende 1945 gegenüberstand, ist mir nicht klar (S. 472), oder habt Ihr auch nach dem Krieg das Schwergewicht nicht auf die Betriebe gelegt, oder stand das nicht an? Oder ging das nicht?
Rot Front!
W.

21.7.81

Lieber Genossse W.!

Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Deinen Brief vom 4. 5. erst heute beantworten kann. Als der Brief hier ankam, war ich gerade für drei Wochen in Erholung. Zurückgekehrt, mußte ich sofort an die Überarbeitung des Manuskripts des Revolutionären Wegs 20 und 21 herangehen, danach an die Vorbereitung für den Revolutionären Weg 22. Auch jetzt ist meine Zeit eingeplant, trotzdem schalte ich diesen Brief ein. Nun zu Deinen Fragen:
Sozialfaschismusthese und RGO-Politik: Es waren taktische Fehler der KPD. Grundsätzlich sind die reformistischen Führer durch ihre Politik der Arbeitsgemeinschaft mit den Kapitalisten Agenten der Bourgeoisie im Lager der Arbeiterklasse. Lenin sagt, sie sind der Hauptfeind innerhalb der Arbeiterklasse (der strategische Hauptfeind der Arbeiterklasse ist die Bourgeoisie im allgemeinen und das Monopolkapital im besonderen). Die Hauptstoßrichtung des Kampfs muß immer gegen die Bourgeoisie sein, die man aber nicht besiegen kann, ohne den Einfluß der Reformisten und Revisionisten in der Arbeiterklasse durch konsequenten Kampf zu beseitigen. Strategisch ist das ein Bestandteil des Klassenkampfs.
Wie dieser Kampf geführt wird, ist eine taktische Frage, sie hängt zusammen:
1. mit der Taktik der Herstellung der proletarischen Einheitsfront, der Aktionseinheit der kommunistischen, sozialdemokratischen, christlichen und parteilosen Arbeiter oder der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse 2. mit der Vorbereitung und Durchführung von Kämpfen: ökonomischer Kampf als Kampf um Reformen, politischer Kampf um Erweiterung demokratischer Rechte und Freiheiten, Kampf gegen Regierung und Staatsorgane 3. mit einer intensiven Arbeit in Betrieben und Gewerkschaften, um die Millionen Mitglieder vom reformistischen Einfluß zu lösen und für den Klassenkampf zu gewinnen Der Durchführung dieser Taktik standen die Sozialfaschismusthese und die RGO-Politik im Wege. Sie wurden zu einer künstlich errichteten Mauer zwischen den kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeitern, die kaum noch zu übersteigen war und zur Isolierung der KPD führte. Um das zu verhindern, hätte die Taktik äußerst beweglich sein müssen. Der Revolutionäre Weg 20 und 21, »Strategie und Taktik im Klassenkampf«, erläutert ausführlich die Probleme. Wenn Du beide gelesen hast, schreibe mir mal, ob Dir die Fragen klar geworden sind.
Zu Einzelheiten Deines Briefes: Alexander Plato, den Du in Deinem Buch erwähnst, war der »Theoretiker« der »KPD« Semlers und Horlemanns — ein kleinbürgerliches Element, der auch den KABD verunglimpft hat.
Die »relative Stabilisierung des Kapitalismus« war von 1924 (nach der Schaffung der »Rentenmark«) bis 1928. In dieser Zeit war die SPD die soziale Hauptstütze der Bourgeoisie. Dann kam die Weltwirtschaftskrise und das Ende der sozialen Reformen. Die Massenbasis der SPD schwand mehr und mehr, und die Bourgeoisie bereitete den Wechsel der sozialen Hauptstütze und die Änderung ihrer Herrschaftsform vor. Spätestens hier hätte die Partei die Taktik ändern müssen — das ist nicht geschehen.
Was mich anbelangt, habe ich das Falsche der Taktik nicht sofort erkannt (ich hatte noch zu wenig Erfahrung und auch noch zu geringe theoretische Erkenntnisse). Die Sozialfaschismusthese war in Solingen nicht so stark in Erscheinung getreten wie anderwärts.
Die Stärke der Partei (40 Prozent Wählerstimmen) und der Einfluß in den Arbeiterorganisationen ließen die Widersprüche mit der SPD nicht so stark aufeinanderprallen, außer in den Gewerkschaften, besonders Metall und Bau, was dann zur Bildung des »Einheitsverbands der Metallarbeiter« führte. Erst die Enttäuschung über die ungenügende Zahl der Übertritte aus der reformistischen Gewerkschaft ließ Zweifel über die Richtigkeit der weiterentwickelten RGO-Politik aufkommen . . .
Der starke Wille und die unerschütterliche Überzeugung hat mich nie zweifeln lassen, die einmal als richtig erkannte Weltanschauung konsequent durchzusetzen. Bevor ich aber eine Entscheidung treffe, gehe ich den Problemen auf den Grund. Selbst Enttäuschungen über ehemalige Genossen haben an der Richtigkeit meiner Überzeugung nicht den geringsten Zweifel aufkommen lassen. Ich verstehe, daß junge Genossen nicht nachvollziehen können, was das heißt, weil sie die brutale Wirklichkeit des Klassenkampfs noch nicht erlebt beziehungsweise durchstanden haben. Wenn sich in der Zukunft die Situation verschärfen wird, dann wird sich die Spreu vom Weizen trennen . . .
Nun zur letzten Frage: Streiks bis 1948. Ich verstehe, daß Du Dir nicht vorstellen kannst, was eine zerstörte Stadt bedeutet.
Wohnhäuser, Betriebe, Geschäfte — die meisten mehr oder weniger dem Erdboden gleichgemacht. Es ging ums Überleben. Es fehlte buchstäblich alles, so auch Rohstoffe für die noch intakten Betriebe. Die Arbeiter haben die zerstörten Betriebe erst wieder aufbauen müssen, bevor sie ans Streiken dachten. Die zerstörten Betriebe waren auch die Ursache (neben den vielen Kleinbetrieben in Solingen und Remscheid), die eine umfassende Organisation in Betriebszellen unmöglich machte, das war nur in größeren Betrieben möglich. Sieh Dir in meinem Buch die beiden Fotos über die beiden zerstörten Städte an, es hat Jahre mit dem Wiederaufbau gedauert.
Damit hoffe ich, Deine Fragen ausführlich genug beantwortet zu haben. Dir und der Ortsgruppe viel Erfolg in der politischen Arbeit wünschend,
grüßt herzlich
Willi

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