Geschichte der MLPD

    Die „Geschichte der MLPD“ ist die Einführung in die Geschichte des Parteiaufbaus, ihrer Grundlagen, der Kämpfe und Auseinandersetzungen, die ausgefochten werden mussten! Sie ist ein unbedingtes „ Muss“ für jedes neue Mitglied, das die Entstehung seiner Partei gründlich kennen lernen will! Sie behandelt ausführlich und anschaulich die Entwicklung der „Marxistisch-Leninistischen-Bewegung“, die materiellen Grundlagen für die Verwirrungen und Irrwege in dieser Zeit und besonders die Herausbildung des KABD, der Vorläuferorganisation der MLPD. Durch alle drei Bände zieht sich wie ein roter Faden die grundlegende Erkenntnis: Erst der Sieg über die kleinbürgerliche Denkweise eröffnet den proletarischen Weg des Parteiaufbaus. Die „Geschichte der MLPD“, die die Zeit bis zur Parteigründung 1982 umfasst, ist Zeitdokument und Nachschlagewerk in einem: mit zahlreichen Dokumenten und Einschätzungen zur Lage im Klassenkampf und zu den jeweiligen Situationen im Parteiaufbau. Und es wird ein guter Einblick gegeben, wie die MLPD Stück für Stück ihre ideologisch- politischen Grundlagen mit dem System des REVOLUTIONÄRER WEG geschaffen hat, wie systematisch die Partei neuen Typs aufgebaut und eine Kaderpolitik neuer Art entwickelt wurde.

    Die Geschichte der MLPD

    1. Teil, Entstehung, Entwicklung und Ende der „marxistisch-leninistischen Bewegung“, erschienen 1985
    2. Teil (2 Bände), Parteiaufbau vom KABD zur MLPD, erschienen 1986

    Herausgegeben vom Zentralkomitee der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands

    Rezensionen, Studientipps und Briefwechsel

    ROTE FAHNE: Bevor wir dich zum Buch »Geschichte der MLPD« fragen, zunächst kurz zum II. Parteitag der MLPD, an dem du teilgenommen hast. Wie bewertest du ihn und worin siehst du seine wichtigsten Ergebnisse?

    Willi Dickhut: Ich habe bisher alle Zentralen Delegiertentage des KABD und die beiden Parteitage der MLPD erlebt. Sie waren jeweils Meilensteine am Wege des Parteiaufbaus. Jeder hatte seine besondere Bedeutung, um die ideologischen, politischen und organisatorischen Voraussetzungen des Parteiaufbaus zu schaffen. Die erste Phase des Parteiaufbaus, die vom Bund zur Partei, hatten wir vor drei Jahren beendet: Die Marxistisch-Leninistische Partei wurde gegründet! Jetzt befinden wir uns in der zweiten Phase, der Phase des eigentlichen Parteiaufbaus, um zur Partei der Massen zu werden. Es war in diesen ersten drei Jahren nach der Gründung nicht zu vermeiden, daß revolutionäre Ungeduld auftrat und Fehler gemacht wurden, die Hektik erzeugten und die junge Partei schüttelten wie der Sturm ein junges Bäumchen. Die neue Partei bewährte sich. Sie verlor im Sturm des Aufbaus einige faule Äste und Blätter, aber der Stamm erstarkte und wurde größer und härter im Sturm des Klassenkampfs.

    Das zeigte der II. Parteitag mit aller Deutlichkeit. Die über dreitausend Anträge zum Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees spiegelten die ideologisch-politische Reife unserer Mitglieder wider, ebenso die Diskussionen zu den verschiedenen Tagesordnungspunkten. Hervorragend war die freiwillige Disziplin der Delegierten, die bestrebt waren, den zeitlichen Ablauf des Parteitags nicht zu gefährden. Entscheidend war die ideologisch-politische Geschlossenheit der Delegierten und damit aller Mitglieder. Liquidatorische Auffassungen, wie sie noch auf dem IV. Zentralen Delegiertentag des KABD zu Tage traten, hatten hier keinen Raum. Dialektische Kritik und Selbstkritik, sachlich und kameradschaftlich, war vorherrschend und vorwärtstreibend. So hatten wir sie in der früheren KPD nie kennengelernt. Beispielhaft war auch die innerparteiliche Demokratie, was besonders bei den Wahlen des Zentralkomitees, der Zentralen Kontrollkommission und der Zentralen Revisionskommission zum Ausdruck kam. Keiner konnte kandidieren, der nicht die Zustimmung seiner Grundeinheit hatte, auch das hat es in der alten KPD nicht gegeben. Zusammengefaßt war der Parteitag getragen von einem hohen ideologisch-politischen Niveau, einer straffen Organisationsdisziplin, einer breiten innerparteilichen Demokratie und einer hervorragenden ideologisch-politischen Geschlossenheit und Festigkeit wie nie zuvor ein ZDT des KABD.

    ROTE FAHNE: Du hast auf dem Parteitag unter anderem auch einen Beitrag über die theoretische Arbeit gehalten und aufgerufen »Werdet Theoretiker der Arbeiterbewegung«.

    Warum liegt dir das so am Herzen?

    Willi Dickhut: Mein kurzer Redebeitrag im Rahmen der allgemeinen Diskussionszeit sollte auf ein wichtiges Problem der zukünftigen Entwicklung der Partei hinweisen: die theoretische Arbeit. Viele unserer Genossen sind mit rein praktischer Arbeit derart überlastet, daß sie kaum noch die Möglichkeit haben, ihr theoretisches Wissen zu vervollständigen, ganz zu schweigen sich auch theoretisch zu betätigen. Wir brauchen aber theoretisch geschulte Praktiker und in der Praxis erfahrene und gestählte Theoretiker der Arbeiterklasse. Diejenigen in der »marxistisch-leninistischen Bewegung«, die »Hauptseite Theorie« oder »Neue Hauptseite Theorie« predigen, was auf nur Theorie hinausläuft, sind in Wirklichkeit keine Theoretiker der Arbeiterklasse, sondern kleinbürgerliche Silbenstecher, die die Praxis scheuen wie die Pest. Proletarischer Theoretiker zu werden, heißt die Methode der dialektischen Einheit von Theorie und Praxis beherrschen zu lernen. Ohne ständige Wahrung dieser Einheit kann man weder das Wesen des Marxismus-Leninismus begreifen noch ihn auf die heutige Situation konkret anwenden und weiterentwickeln. Wir brauchen für die theoretische Arbeit Genossen, die die dialektische Methode in Theorie und Praxis beherrschen. Ich gehöre zu den Alten, die – wie Stalin über die Kader sagt – »kraft elementarer Naturgesetze aus der Arbeit ausscheiden«.

    Wir brauchen jungen Nachwuchs für die theoretische Arbeit. Es gab manchen Genossen, der als Mitarbeiter in das Redaktionskollektiv einbezogen wurde, der die theoretische Arbeit zuerst unterschätzte und sich selbst überschätzte, bis er vor den Schwierigkeiten kapitulierte. Um Theoretiker der Arbeiterklasse zu werden, muß man die dialektische Methode beherrschen, die Probleme bis auf den Grund durchdenken können. Dabei sind die von Lenin ausgearbeiteten »Elemente der Dialektik« (Lenin Werke Bd. 38, S. 212-214) in der Anwendung der dialektischen Methode eine hervorragende Hilfe. Nur wer diese »Elemente der Dialektik« begreift, nur wer Theorie und Praxis als dialektische Einheit ansieht, nur wer die dialektische Methode richtig anzuwenden versteht, kann Theoretiker der Arbeiterklasse werden. Darauf sollte mein Redebeitrag hinweisen.

    ROTE FAHNE: Dabei sind wir auch schon beim Thema »Geschichte der MLPD«. Wieso beschäftigt sich der I. Teil eigentlich so ausführlich mit Entstehung, Entwicklung und Ende der sogenannten »marxistisch-leninistischen Bewegung«?

    Willi Dickhut: Die »Geschichte der MLPD«, konkret dargestellt, war schon deshalb notwendig, weil viele junge Genossen, die seit dem I. Parteitag Mitglied der MLPD bzw. ihrer Nebenorganisationen wurden, keine Kenntnis von der Entstehung und Entwicklung unserer vier Organisationen haben. Die Aufteilung in einen ersten und einen zweiten Teil wurde aus folgenden Gründen vorgenommen:

    Der I. Teil zeigt auf, wie der Parteiaufbau nicht möglich ist, daß er scheitern mußte, weil alle diese Gruppen von einer kleinbürgerlichen Denkweise beherrscht wurden.

    Der II. Teil zeigt den Parteiaufbau auf richtiger Grundlage, weil hier die proletarische Denkweise vorherrschend war.

    Da im I. Teil die Entstehung, Entwicklung und das Ende der sogenannten »marxistisch-leninistischen Bewegung« ausführlich behandelt wurden, tritt die negative Seite, die kleinbürgerliche Denkweise, in den Vordergrund. Das war aber trotzdem notwendig, weil es ohne eine solche Analyse der negativen Seiten des Parteiaufbaus nicht möglich war, die richtigen Grundzüge des Parteiaufbaus zu erkennen und zu begreifen. So haben die führenden Köpfe der verschiedenen sich »marxistisch-leninistisch« nennenden Gruppen bis heute den Zerfall ihrer Gruppe nicht begriffen. Sie suchen die Ursache nicht in ihrer eigenen kleinbürgerlichen Denk- und Arbeitsweise, sondern in der Lehre des Marxismus-Leninismus und behaupten, daß diese überholt sei und den heutigen Bedingungen nicht mehr entspräche. Sie können auch nicht begreifen, warum der KABD zur Gründung der MLPD schreiten und sich weiter entwickeln konnte, wo andere Gruppen sich in Zersetzung und Auflösung befanden.

    ROTE FAHNE: Am Schluß des I. Teils der »Geschichte der MLPD« werden Schlußfolgerungen und Lehren aus der Entwicklung der »marxistisch-leninistischen Bewegung« in Form von drei Thesen gezogen. Kannst du diese Thesen und ihre Bedeutung kurz erläutern?

    Willi Dickhut: Wenn man die Ursache des Zerfalls der »marxistisch-leninistischen Bewegung« nicht begreift, hat man auch keine Erklärung für ihre Wirkung. Warum gab es früher in der kommunistischen Bewegung solche Erscheinungen, wie sie in den vergangenen 17 Jahren hervortraten, nicht? Schon allein die klassenmäßige Zusammensetzung der alten KPD machte das unmöglich. Die Mitgliedschaft bestand zu rund 90 Prozent aus Arbeitern, der Rest aus kleinbürgerlichen Schichten (Handwerker, Gewerbetreibende, Bauern, Kleinhändler und Intellektuelle). Die proletarische Denkweise bzw. das proletarische Klassenbewußtsein war ausschlaggebend. Nach der revisionistischen Entartung der KPD/DKP wurde der Aufbau einer revolutionären Partei der Arbeiterklasse zur zwingenden Notwendigkeit. Diese Situation fiel zusammen mit dem Zerfall der kleinbürgerlichen Studentenbewegung. Die enttäuschten Studenten und Schüler wandten sich der Arbeiterbewegung zu und stürzten sich auf das Studium des Marxismus-Leninismus und den Aufbau einer proletarischen Partei: Die »marxistisch-leninistische Bewegung« entstand.

    Diese Bewegung war gekennzeichnet durch mangelhaftes theoretisches Wissen und vollständiges Fehlen praktischer Erfahrungen. Dagegen war vorherrschend eine kleinbürgerliche Denk- und Arbeitsweise, bürgerlicher Ehrgeiz, kleinbürgerlicher Führungsanspruch, Verachtung der proletarischen Massen, Überheblichkeit und Arroganz, Konkurrenzdenken gegenüber anderen Gruppen, Karrieretum usw. Mit einer kleinbürgerlichen Denk- und Arbeitsweise geriet der Parteiaufbau in immer größere Schwierigkeiten. Versuche der proletarischen Kräfte, die kleinbürgerliche Überwucherung beim Aufbau der Partei durch einen Intellektuellenstopp bei der Aufnahme zu verhindern, scheiterten, weil die kleinbürgerlichen Elemente die Oberhand hatten. Überall dort, wo die Kleinbürger die Führung in den »marxistisch-leninistischen« Gruppen innehatten, brach die Organisation auf kurz oder lang zusammen. Das wiederholte sich in allen solchen Gruppen. Daraus ergab sich die Schlußfolgerung:

    Mit einer kleinbürgerlichen Denkweise kann man keine proletarische Partei aufbauen!

    Mehr noch. In solchen Gruppen, wo proletarische Genossen mit theoretischen und praktischen Kenntnissen die Führung innehatten, war die Organisation diszipliniert und stabil, weil sie durch eine proletarische Denk- und Arbeitsweise geleitet wurde. Sobald aber kleinbürgerliche Elemente die Organisation überwucherten oder die Führung übernahmen, trugen sie den Geist der Zersetzung und Spaltung hinein, indem sie die proletarische Linie durch eine kleinbürgerliche Linie verdrängten. Dadurch wurde der Widerspruch zwischen der kleinbürgerlichen und proletarischen Denkweise zum antagonistischen Widerspruch, und die vorherige proletarische Organisation wurde liquidiert. Diese Erfahrung im Parteiaufbau zeigte immer wieder, daß kleinbürgerliche Denkweise und Liquidatorentum identisch sind. Daraus ergab sich die zweite Schlußfolgerung:

    Mit einer kleinbürgerlichen Denkweise kann man eine proletarische Organisation zerstören!

    Man muß sich die Frage vorlegen, wieso ist das möglich, da die meisten dieser kleinbürgerlichen Elemente es doch subjektiv ehrlich meinten und oft über beträchtliches theoretisches Wissen des Marxismus-Leninismus verfügten. Ich habe in der früheren KPD einen Landesfunktionär gekannt, der ganze Zitate von Marx und Lenin auswendig lernte und damit anderen Genossen imponierte. Kurz vor dem Verbot der KPD 1956 trat er aus Feigheit aus. Seine im Grunde kleinbürgerliche Denkweise trieb ihn dazu. Schon Kalinin wies in seinem Buch »Kommunistische Erziehung« darauf hin, daß man durch noch so vieles Studium das Wesen des Marxismus-Leninismus nicht begriffen hat. Und wenn man das Wesen des Marxismus-Leninismus nicht begriffen hat, kann man auch keine proletarische Partei aufbauen. Daraus ergibt sich die dritte Schlußfolgerung:

    Mit einer kleinbürgerlichen Denkweise kann man das Wesen des Marxismus-Leninismus nicht begreifen!

    Der I. Teil der »Geschichte der MLPD«, der die Entstehung, Entwicklung und das Ende der »marxistisch-leninistischen Bewegung« schildert, zeigt gleichzeitig die wichtigsten Lehren des Aufbaus einer proletarischen Partei auf. Gelingen oder Scheitern des Parteiaufbaus hängen von der Denkweise ab. Aus der ganzen Vorgeschichte des eigentlichen Parteiaufbaus geht eines klar hervor:

    Nur mit einer proletarischen Denkweise kann man eine proletarische Partei aufbauen!

    Das wird im II. Teil der »Geschichte der MLPD« deutlich – »Parteiaufbau vom Bund zur Partei«.

    ROTE FAHNE: Du warst seit 1926 Mitglied der KPD. Weshalb mußte eine neue Partei aufgebaut werden?

    Willi Dickhut: Der eigentliche Grund liegt 30 Jahre zurück im XX. Parteitag der KPdSU (1956 – Anmerkung RF-Redaktion). Mit der Machtübernahme Chruschtschows wurde die Diktatur des Proletariats zerstört und der Marxismus-Leninismus revidiert. Das hatte auch Auswirkungen auf uns. Die Führung der KPD übernahm alles, was aus Moskau kam, und folgte dem revisionistischen Kurs. Das war anfangs sehr schwer zu durchschauen. Vor allem wurde die Auseinandersetzung dadurch behindert, daß die KPD noch im gleichen Jahr verboten wurde, wir uns also nur in kleinen Gruppen treffen konnten. Und die Führung tat natürlich alles, die Auseinandersetzung über den Marxismus-Leninismus und den Revisionismus aus der Partei fernzuhalten. Als wir dann 1969 wissenschaftlich nachgewiesen haben, daß sich die KPD vollständig auf die Positionen des modernen Revisionismus begeben hatte und schon vorher die Genossen, die am Marxismus-Leninismus festhielten, ausgeschlossen worden waren, stand fest: Die Partei mußte neu aufgebaut werden.

    ROTE FAHNE: Wie ging die Auseinandersetzung dann weiter?

    Willi Dickhut: Im Gegensatz zu den Träumereien und Illusionen der verschiedenen Gruppen der »marxistisch-leninistischen Bewegung« von einem »schnellen Aufschwung der Revolution« ging der KABD von Anfang an davon aus, daß wir uns in einer nichtrevolutionären Situation befinden, wo der Klassenkampf noch wenig entwickelt ist. Wir bemühten uns, den Parteiaufbau mit den Kämpfen der Arbeiter zu verbinden und die Kämpfe höherzuentwickeln. Das ist nur im harten ideologisch-politischen Kampf gegen Reformismus und Revisionismus möglich. Dieser Kampf ist sozusagen der »rote Faden«, der die Geschichte des Parteiaufbaus durchzieht und entsprechend unser theoretisches Organ REVOLUTIONÄRER WEG, unsere ideologisch-politische Linie und die Strategie und Taktik in unserer Praxis. Dabei konnten wir die marxistisch-leninistische Theorie konkretisieren und entsprechend den veränderten Bedingungen im Klassenkampf weiterentwickeln; ganz im Gegensatz zu einigen Vertretern der Vorstellung: »Die Hauptseite ist die Theorie«, die damit nur ihren eigenen Rückzug kaschieren wollen. So hat die Analyse »Die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion« von 1972 auch heute internationale Bedeutung und wurde in Finnland und in der Türkei übersetzt und verbreitet. Auf dieser Grundlage konnte auch die revisionistische Entwicklung in China nach dem Tod Mao Tsetungs 1976 recht schnell erkannt werden, während sie bei anderen Gruppen der »marxistisch-leninistischen Bewegung« deren Zerfall beschleunigte. Die DKP-Führung war bis heute nicht in der Lage, darauf zu antworten, sondern hat statt dessen üble Verleumdungen – vor allem auch gegen meine Person – verbreitet. Oder nehmen wir die Untersuchungen der Wirtschaftsentwicklung und des staatsmonopolistischen Kapitalismus in der BRD: Bei der Untersuchung der Veränderungen in der Wirtschaft Anfang der 70er Jahre konnten wir erkennen, daß das Monopolkapital mit geballter Macht Rationalisierung, Konzentration und Kapitalexport einsetzte, und daraus auf die künftige Massenarbeitslosigkeit als Dauererscheinung schließen, als noch niemand von den bürgerlichen »Experten« daran dachte. Daraus ergab sich dann die Forderung nach der »35-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich«, die der KABD 1974 als erste und damals einzige Organisation aufstellte. Später wurde dann die Phase der Schwankenden Stagnation als neue Erscheinung im Krisenzyklus des staatsmonopolistischen Kapitalismus herausgearbeitet. Diese Weiterentwicklung unserer Linie war auch deshalb wichtig, weil sie falschen Vorstellungen von einer schnellen und spontanen Höherentwicklung des Klassenkampfs und der revolutionären Ungeduld vieler Genossen genau entgegenwirkte.

    ROTE FAHNE: Aus deinen Ausführungen geht schon hervor, daß der Parteiaufbau keine leichte Angelegenheit war.

    Willi Dickhut: Als wir 1972 den KABD gründeten, war es kaum vorhersehbar, daß es zehn Jahre dauern sollte, bis die wesentlichen ideologischen, politischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Gründung der Partei vorhanden waren. Alles mußte erst erlernt werden. Der ganze Parteiaufbau wurde beeinflußt durch das Ringen der kleinbürgerlichen mit der proletarischen Denkweise. Durch das Hinwenden vieler kleinbürgerlicher Intellektueller zum Marxismus-Leninismus nach dem Scheitern der Studentenbewegung trat dieses Problem – in diesem Ausmaß – erstmals in der Geschichte der Arbeiterbewegung auf. In der früheren KPD hatte die überwiegende Mehrheit der Mitglieder aus Arbeitern bestanden. Mit der Durchführung des »Intellektuellenstopps« wurde zwar das Problem erkannt und organisatorisch angepackt, aber es war ein jahrelanger Kampf nötig, bis die proletarische Denkweise die Oberhand gewann. Denn auch die Arbeiter wurden durch Presse, Funk und Fernsehen ständig mit dem kleinbürgerlichen Denken konfrontiert. Wie wir in einem Faltblatt am Ende des Buches deutlich machen, verlief dieser Kampf in einem Zick-Zack-Kurs. So ist der Kampf der Zentralen Kontrollkommission gegen die Jacob-Liquidatoren 1975/76 wohl das dramatischste Kapitel in der bisherigen Parteigeschichte. Damals standen der KABD und seine Jugendorganisationen unmittelbar vor der Explosion. Unter dem Einfluß Jacobs war die kleinbürgerliche Denkweise durchgebrochen und hatte die gesamte Zentrale Leitung des KABD erfaßt. Die ideologisch-politische Linie wurde torpediert, eine ungeheure Verwirrung entstand in der Organisation, jahrelange Aufbauarbeit stand vor der Zerstörung. Aber die Zentrale Kontrollkommission konnte das Liquidatorentum ideologisch-politisch entlarven und organisatorisch zerschlagen. Das unterstreicht die überaus große Bedeutung der Kontrollkommissionen damals und heute. Gleichzeitig gelang es durch die Einbeziehung der Mitglieder unter voller Publizität, mit der Durchführung der Kritik-Selbstkritik-Bewegung das ideologisch-politische Niveau der ganzen Organisation zu erhöhen, die Wachsamkeit zu stärken und das Liquidatorentum – auch nach späteren Angriffen – zu besiegen. Das war ein entscheidender Schritt, damit sich schließlich die proletarische Denkweise durchsetzte und die Partei gegründet werden konnte. Dabei muß ich aber betonen, daß dieser Kampf um die Denkweise ständig weitergeführt werden muß, daß es immer darum geht, wer wen beeinflußt, und daß dieser Kampf auch im Sozialismus nicht aufhört.

    ROTE FAHNE: Welche Lehren können wir aus der »Geschichte der MLPD« ziehen?

    Willi Dickhut: Diese Frage kann man pauschal so nicht beantworten. Ein Sympathisant oder ein neues Mitglied unserer Partei, das diese Entwicklung selbst nicht miterlebt hat, wird sich einen Überblick über den Inhalt und die Entwicklung unserer Linie verschaffen. Ein erfahrener Funktionär wird sich Gedanken über seine eigene Entwicklung machen und überlegen, daß bestimmte Erscheinungen oder Fehler unter veränderten Bedingungen neu auftreten können. Die »Geschichte der MLPD« hat auch internationale Bedeutung, weil verschiedene marxistisch-leninistische Organisationen – vor allem in den Entwicklungsländern – gar nicht die Möglichkeit haben, an das notwendige Material zur Weiterentwicklung der Theorie zu kommen. Gleichzeitig haben wir im Parteiaufbau verschiedene grundlegende Fragen – wie die Frage der Denkweise – herausgeschält, die keineswegs auf die besondere Situation in der BRD beschränkt sind. Wir müssen die Erfahrungen aus der »Geschichte ...« nutzen, um die heutigen und künftigen Aufgaben zu lösen. Dazu muß sich vor allem das Denken in die Tiefe und in die Perspektive entwickeln. Das bedeutet, mit Hilfe der theoretischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen die dialektische Methode entsprechend den Bestimmungen der Dialektik durch Lenin auf kommende Probleme anzuwenden. Nur auf diesem Weg war es zum Beispiel möglich festzustellen, daß wir uns in der vierten Phase der Allgemeinen Krise des Kapitalismus befinden. Es gilt also, aufkommende Probleme zu ergründen, zu analysieren, den Kern herauszuschälen, sein Wesen zu bestimmen und die richtige Lösung zu finden.

    Nach dem Zusammenbruch der KPD/ML (ZB): Was tun?

    Lieber Dietmar! 5. 1. 74

    Deine beiden Briefe habe ich dankend erhalten; ich will Dir eine Antwort geben, die Dir vielleicht nicht gefallen wird. Sie soll Dich anregen, über Deine Einstellung und Weiterentwicklung gründlich nachzudenken.

    Deine Beschwerde an den Verlag Neuer Weg vom 24. 12., daß Du auf Deine Kritik an der Roten Fahne bisher keine Antwort bekommen hast, ist berechtigt, jedoch hast Du zum Teil selbst schuld, weil Du Dich nicht an meinen allzu berechtigten Hinweis gehalten hast, Dich auf die Kritik der von Dir beanstandeten Artikel in der Roten Fahne zu beschränken und nicht die Organisation einzubeziehen. Das hast Du nicht beachtet, darum hat die Redaktion Deine Kritik an die Zentrale Leitung weiter geleitet, ohne dabei festzulegen, wer die Beantwortung übernehmen soll. Das ist der sachliche Hintergrund, warum Du noch keine Antwort bekommen hast. Das entschuldigt natürlich nicht, daß der Empfang Deiner Kritik bis heute nicht bestätigt wurde. Ich weiß aber, daß die Zentrale Leitung Deinen Brief bekommen hat.

    Doch nun zu dem, was mich bewegt, Dir ausführlich zu schreiben. Es geht um Deine Einstellung und Haltung, die aus verschiedenen Papieren, die Du verfaßt hast, und auch aus Gesprächen, die wir geführt haben, zum Ausdruck kommen. Offen gesagt: Mir macht Deine weitere Entwicklung Sorgen. Als vor jetzt einem Jahr die Zentralbüro-Organisation zerbrach, hast Du wohl erkannt (Du wirst Dich an unsere ersten Diskussionen erinnern), daß die Hauptursache des Zusammenbruchs der Zentralbüro-Organisation der maßlose Führungsanspruch der kleinbürgerlichen Intellektuellen war, die die marxistisch-leninistischen Grundsätze des Parteiaufbaus durch ihr kleinbürgerliches Machtstreben mißachteten. Es muß hier aber festgehalten werden, daß Du keinen Anteil an der Entlarvung und Bekämpfung des kleinbürgerlichen Einflusses in der marxistisch-leninistischen Bewegung im allgemeinen und der Zentralbüro-Organisation im besonderen hattest.

    Im Gegenteil, Du hast viel dazu beigetragen, um diese Entwicklung zu fördern, allerdings unbewußt.

    Plötzlich fällst Du aus allen kleinbürgerlichen Himmeln – enttäuscht, empört und verbittert. So wichtig es ist, den kleinbürgerlichen Einfluß in der Arbeiterbewegung zu erkennen und systematisch zu bekämpfen, so muß man doch berücksichtigen, daß man das Eindringen kleinbürgerlicher Elemente in eine proletarische Partei nicht verhindern kann. Man muß nur darauf achten, daß diese nicht die Oberhand gewinnen und daß sie gewillt sind, sich von den Arbeitern umerziehen zu lassen. Lenin schreibt darum sehr treffend:

    »Wenn die Arbeiterpartei besonders schnell wächst (wie dies bei uns in den Jahren 1905/1906 der Fall war), ist es unvermeidlich, daß zahlreiche, von kleinbürgerlichem Geist durchdrungene Elemente in die Partei eindringen. Und daran ist nichts Schlimmes. Die historische Aufgabe des Proletariats besteht darin, alle Elemente der alten Gesellschaft, die diese in Gestalt der aus dem Kleinbürgertum stammenden Menschen dem Proletariat hinterläßt, zu verdauen, umzumodeln und umzuerziehen. Dazu ist jedoch erforderlich, daß das Proletariat diese Menschen umerzieht, daß das Proletariat auf sie Einfluß bekommt, nicht aber sie auf das Proletariat.« (Lenin Werke Bd. 16, S. 48/49)

    Das ist wie für heute geschrieben. Dabei müssen wir berücksichtigen, daß sich das Kleinbürgertum in der Arbeiterpartei nicht nur auf die kleinbürgerlichen Intellektuellen beschränkt, sondern auch in die Massen des Proletariats eindringt, gefördert durch die Massenmedien der Bourgeoisie und durch Beeinflussung eines höheren Lebensstandards, den nicht wenige Arbeiter und Angestellte durch Mitarbeit der Frau sich erworben haben. Es wäre falsch, vor diesen Erscheinungen seine Augen zu verschließen. Kleinbürgerliche Herkunft ist allein nicht für eine kleinbürgerliche Einstellung verantwortlich zu machen, auch die proletarische Herkunft verbürgt noch keine proletarische Einstellung. So verständlich die Reaktion einzelner Arbeitergruppen ist, sich von der Führung der kleinbürgerlichen Intellektuellen zu befreien (was zu begrüßen ist), so halte ich es doch für falsch, das Kind mit dem Bade auszuschütten, das heißt, sich auch von den gutwilligen und ehrlichen Intellektuellen, die uneigennützig mit ihrem Wissen der Arbeiterklasse helfen wollen, abzustoßen. Damit wird das Problem des kleinbürgerlichen Einflusses in der Arbeiterbewegung nicht gelöst. Wenn das so einfach wäre, hätte Lenin das obige Zitat anders geschrieben.

    Nun zu Deinen Fehlern. Du bist als kleinbürgerlicher Intellektueller mit der marxistisch-leninistischen Bewegung in Berührung gekommen und hast Dich wie auch andere Kleinbürger in die politische Arbeit gestürzt. Mit besonderem Eifer unterstütztest Du die kleinbürgerliche Führung, die sich anmaßte, »Zentralbüro« zu spielen. Deine Enttäuschung beruhte im Grunde doch auf der Erfolglosigkeit der Zentralbüro-Führung, nicht aber auf der Erkenntnis und richtigen Einschätzung der Schädlichkeit des Einflusses der kleinbürgerlichen Intellektuellen-Führung. Erst der zwangsläufig einsetzende und nicht mehr aufzuhaltende Zusammenbruch der Zentralbüro-Organisation und die nachfolgenden Diskussionen, die wir über die Ursache führten, öffneten Dir die Augen.

    Aus dem Gefühl, Dich irgendwie zu rechtfertigen, machtest Du den Fehler, die Frage des kleinbürgerlichen Einflusses in der Arbeiterbewegung zum Hauptproblem, gewissermaßen zum Nabel der Welt zu machen, und stürztest Dich wie der Erzengel Michael auf den kleinbürgerlichen Drachen, um ihn mit Deinen Papieren zu erschlagen. Dabei hast Du gar nicht begriffen, daß Du an das Problem selbst kleinbürgerlich herangegangen bist. Gerade durch die Erstellung mehrerer Papiere, auf die ich inhaltlich im einzelnen nicht eingehen will, hast Du gehandelt wie ein kleinbürgerlicher Intellektueller, aber nicht wie ein Proletarier. Meinen gutgemeinten Hinweis: Weniger Papiere, mehr praktische Arbeit! hast Du nicht verstanden oder wolltest Du nicht verstehen, weil Dein innerer Drang nach Rechtfertigung Dich dazu trieb. Es kommt nicht auf »Rechtfertigung« an, sondern auf die Überwindung des kleinbürgerlichen Teufels in sich selbst.

    Sicher ist es mal nötig, und ich hatte mit Dir und Heinz darüber gesprochen, die Frage des kleinbürgerlichen Einflusses in der Arbeiterbewegung theoretisch zu beleuchten, doch zur Überwindung des kleinbürgerlichen Einflusses muß man von der Praxis aus herangehen. Das geschieht

    1. durch Gewinnung der fortgeschrittensten Arbeiter für die revolutionäre Partei und
    2. durch Entwicklung der fähigsten Arbeiter zu führenden Kadern.

    Das ist nur durch die tägliche Praxis im Betrieb und in der Gewerkschaft in Verbindung mit der Schulung über die marxistischleninistische Theorie möglich. Persönliche Erfahrung und Schulung sind das Bindeglied zwischen Theorie und Praxis. Persönliche Erfahrung sammelt man in der politischen Arbeit und im Klassenkampf.

    Hier will ich gleich etwas einschalten. Dein Schulungsplan ist dogmatisch und viel zu abstrakt. So kann man dem Revisionismus nicht zu Leibe rücken. Eine Schulung, die nicht mit der lebendigen Praxis verbunden ist, hat ihren Sinn verloren, so wie der Cheftheoretiker des Zentralbüros heute in einer kleinen Gruppe über Marx‘ Kapital »schult«. Du hättest besser daran getan, in Deiner Gruppe die Betriebs- und Gewerkschaftsprobleme, wie sie im Revolutionären Weg 11 und 12 behandelt wurden, zum Thema zu wählen. Die hier behandelten Fragen fußen nicht nur auf theoretischen Erkenntnissen, sondern auf langjähriger Betriebs- und Gewerkschaftspraxis. Eine Frage: Schreckst Du vielleicht davor zurück, um nicht Deine jetzige Arbeitsstelle zu gefährden? Ist Deine Aktivität in der Erstellung von Papieren etwa eine Ablenkung von einer unzureichenden Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit? Du mußt doch erkennen, wo der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt; denn nur durch die obengenannten zwei Punkte überwinden wir das Kleinbürgertum. Der Schlüssel dazu ist eine aktive Betriebsund Gewerkschaftsarbeit. Meine Kritik bedeutet nicht, daß ich Dein Bemühen um Schulung nicht anerkenne. Aber allein die angeführte Literatur für das Schulungsthema ist doch typisch kleinbürgerlich-intellektuell. Damit erschlägst Du auch den willigsten Arbeiter. Lieber Dietmar, lerne doch erst mal von den Arbeitern, damit Du verstehen kannst, was Du ihnen zumuten kannst.

    Mit der gleichen kleinbürgerlichen Art und Weise, wie Du an die Schulung herangehst, bist Du auch an die Kritik der Roten Fahne herangegangen. Bei Deinem ersten Kritikentwurf bist Du schon dadurch falsch herangegangen, daß Du den Inhalt des Revolutionären Wegs 11 und 12 dem der Roten Fahne gegenüberstelltest. Sachlich gesehen befaßt sich das theoretische Organ ausführlich mit einem bestimmten Problem und wirkt in der Hauptsache propagandistisch. Das Zentralorgan spiegelt das tägliche Leben und den Kampf der Arbeiterklasse wider und wirkt in der Hauptsache agitatorisch durch die regelmäßige Beeinflussung der Öffentlichkeit. Natürlich muß das Zentralorgan, trotz Vorhandensein eines theoretischen Organs, auch Grundsatzartikel enthalten, und Agitationsartikel müssen grundsätzlich ausgerichtet sein. Du kannst nicht bestreiten, daß das der Fall ist. Warum dann das Neben- beziehungsweise Gegeneinanderstellen der beiden Organe. Ist diese Art und Weise nicht auch kleinbürgerlich?

    Du hast einige Artikel in der Roten Fahne mit Recht kritisiert, weil sie bei der Behandlung anderer Gruppen, statt sich sachlich mit deren Politik auseinanderzusetzen, einen subjektiven Ton enthielten. Das wird zukünftig bereinigt, weil eine Veränderung der Redaktion vorgenommen wird, zum Teil schon ist. Wenn Dein Hinweis in Deinem Brief an mich (24. 12. 73) auf die Rote Fahne 12/73 sich auf den Artikel »Wem nützt die ›RGO‹-Politik?« bezieht, dann bin ich der Meinung, daß man nicht päpstlicher sein soll als der Papst, das heißt, man braucht nichts zu übertreiben, auch die Kritik nicht. Sieh mal, eine Kritik, wenn sie kameradschaftlich und nicht feindlich sein soll, bezieht auch das Positive mit ein, sonst wirkt eine Kritik herunterreißend und negativ – und das ist auch kleinbürgerlich. Du glaubst in Deiner Kritik, eine durch und durch kleinbürgerliche Redaktion zu erkennen und zu verurteilen. Ein solches Herangehen ist doch selber kleinbürgerlich. Wie viele Arbeiter schreiben für die Rote Fahne, betrachten die Gestaltung der Zeitung auch als ihre Sache, gehören zum Mitarbeiterstab der Redaktion. Sie üben auch Kritik, um die Rote Fahne zu verbessern, aber sie negieren nicht, sie machen positive Vorschläge, helfen den Intellektuellen im Kollektiv, ihre noch vorhandenen kleinbürgerlichen Eierschalen abzustreifen. Alle befinden sich im Lernprozeß, ob Redaktion oder Mitarbeiterstab, ob Intellektueller oder Arbeiter, ob Genosse oder Sympathisant, die die Rote Fahne als ihr Kampforgan im täglichen Kampf benutzen.

    Auch die Kritik gehört zum Lernprozeß, sowohl für die Kritisierten wie auch für die Kritiker. Du kritisierst zu Recht den subjektivistischen Ton in einigen Artikeln, aber ohne eine Gesamtbeurteilung der Roten Fahne zu geben, das heißt auch das Positive herauszugreifen und zu analysieren, um festzustellen, was überwiegt. Ein Beispiel: Als Genger seine Broschüre »Die proletarische Linie« herausgab, habe ich sie im großen ganzen als positiv bezeichnet, ohne geringfügige Fehler zu berücksichtigen. Daß die Herausgabe dieser Broschüre von G. ein gerissenes Manöver war, um der Betriebsgruppe l den Weg in die KPD/ML zu ebnen, ist eine andere Sache, ebenso daß er nachher im Zentralbüro genau entgegengesetzt zu den in der Broschüre enthaltenen Prinzipien gehandelt hat. Marxistische Kritik muß man auch lernen. Es sieht nicht so aus, als ob Du das gelernt hast. Deine Kritik ist eine mit erhobenem Zeigefinger, überheblich, verächtlich auf das vermeintliche Kleinbürgertum der Roten Fahne und des KABD schauend, besserwissend, nicht kameradschaftlich und helfend. Sie ist im Grunde genommen kleinbürgerlich. Grundlegend falsch war es, Deine Kritik an einigen Artikeln der Roten Fahne ohne weiteres auf die Organisation und deren Leitung zu übertragen; und Du wunderst Dich auch noch, bis jetzt keine Antwort bekommen zu haben. Obwohl ich Dich bereits auf diesen Fehler im ersten Entwurf Deiner Kritik hingewiesen habe, wiederholst Du ihn in der überarbeiteten Kritik und obendrein noch in dem Brief vom 24.12. an den Verlag, wo es heißt:

    »Wenn Ihr natürlich gegenüber außenstehenden Genossen, die nicht in Eurer Organisation tätig sind, diese Haltung einnehmt, muß ich daraus schließen, daß ihr keinerlei Interesse daran habt, die Fehler Eurer Organisation (jetzt sind es schon keine Fehler der Roten Fahne mehr – W. D.) zu erkennen, muß ich weiter daraus schließen, daß Ihr in der Frage der Kritik und Selbstkritik die gleiche falsche Haltung einnehmt wie -zig kleinbürgerliche Organisationen in der BRD.«

    Ich hatte Dir bereits gesagt, daß es unsinnig sei, über eine Organisation zu urteilen, die man nicht kennt und von der man nicht weiß, was dort vorgeht. In Deinem Brief geht es schon nicht mehr um Fehler der Roten Fahne. Du machst daraus, mir nichts Dir nichts, einfach »Fehler Eurer Organisation« und »damit seid ihr gleichzusetzen mit den -zig kleinbürgerlichen Organisationen«. Was sollen die Genossen, die diesen Brief bekommen und Dich nicht kennen, von dem Schreiber halten, der, ohne die Organisation zu kennen, ohne eine Analyse der Politik dieser Organisation zu machen, in einer solchen Art und Weise urteilt? Sie müssen doch an Deiner Urteilsfähigkeit zweifeln. Ist diese Deine Handlungsweise nicht durch und durch kleinbürgerlich? Man kann nicht gegen das Kleinbürgertum in der Arbeiterbewegung anrennen wie gegen Windmühlenflügel. Man kann nicht den kleinbürgerlichen Einfluß in der Arbeiterbewegung erfolgreich bekämpfen, ohne vor allem den Kleinbürger in sich selbst überwunden zu haben.

    Hier will ich aus einem Brief eines zuverlässigen Genossen zitieren, der an seinen Freund, der ebenfalls Genosse ist, über den kleinbürgerlichen Einfluß schreibt:

    »Wir Intellektuellen werden durch Denken allein nicht umgeformt, sondern in erster Linie durch die praktische Parteiarbeit. Fehlt diese für längere Zeit und sind die Arbeitsbedingungen auch sonst nicht günstig, so können leicht kleinbürgerliche Einstellungen wieder zum Vorschein kommen, spontan und unbemerkt. Daraus müssen wir die Lehre ziehen und genau darauf achten: Die Kritik an anderen muß zuerst bei einem selbst anfangen, und zwar nicht nur den Bereich theoretischer Überlegungen betreffend, sondern genauso bezüglich der inneren Einstellung. Vielleicht habe ich die ›innere Einstellung‹ noch nicht deutlich genug gemacht. Sie ist das Bindeglied zwischen Denken und Handeln. Erst wenn das eigene Fühlen und Wollen vom marxistischen parteimäßigen Standpunkt wirklich durchdrungen sind, wird sich eine Einheit zwischen Theorie und Praxis herstellen lassen. Auf dieses Bindeglied haben wir Intellektuelle, die kleinbürgerlicher Herkunft sind, besonders zu achten, da es Quelle spontaner, immer wiederkehrender, zumeist unbemerkter kleinbürgerlicher Regungen ist.« So weit die Briefstelle, über die nachzudenken sich wirklich lohnt. Lieber Dietmar, ich schreibe Dir das alles in kameradschaftlicher Offenheit, denn es ist zu befürchten, daß Du zurückfällst, statt Dich vorwärts zu bewegen. Das Falscheste ist, sich aufs hohe Roß zu setzen, statt Dich bescheiden in das Fußvolk einzureihen. Die nächste Ausgabe der Roten Fahne wird einen Artikel von mir über Lenin enthalten, der wichtige Lehren für unseren heutigen Kampf beinhaltet. Studiere ihn gründlich, denn er bringt auch Aufschluß über die hier behandelten Probleme.

    Wegen Deinem Besuch bitte ich zu berücksichtigen, daß ich im Januar schon alle Wochenenden besetzt habe. Schreibe bitte umgehend, wann Ihr kommt.

    Du wolltest Dir von der »Selbstkritik des Verlages KT«, die Du letztens mitgenommen hattest, eine Fotokopie machen und sie mir dann zurückschicken. Da ich die Schrift schon mehrfach gebrauchen konnte, bitte ich Dich, sie mir umgehend zurückzuschicken. So war kürzlich W. Heuzeroth bei mir, der berichtete, daß G. Ackermann ihn, H., als Agenten bezeichnet hätte. Das ist die Methode »Haltet den Dieb!«

    Die besten Neujahrsgrüße

    mit Rot Front!

    Willi

    Korrekte Zusammenarbeit von KAB/ML und KPD/ML(RW)

    Liebe Genossen! 16. 4. 72

    Anbei unsere Vorschläge zur Änderung des Statuts, die wir gestern beraten haben.

    Kurz bevor ich zur Sitzung fahren mußte, kamen drei Genossen der Tübinger Ortsgruppe: Peter J., Johann T. und Jürgen T. Sie erklärten, daß sie von mir einen Rat wollten, weil J. ausgeschlossen sei. Ich sagte ihnen natürlich, daß ich nicht zuständig sei, selbst wenn wir bereits vereinigt wären, wäre das eine Angelegenheit der zuständigen Leitung und Kontrollkommission, aber nicht der Kontrollkommission von Nordrhein-Westfalen. Das war ihnen auch klar, und sie hatten Verständnis, daß ich nicht auf die Ursache des Ausschlusses einging. Sie wollten einen Rat, was sie tun sollten, weil bis Mittwoch jedes Ortsgruppenmitglied durch Unterschrift erklären sollte, daß es den Ausgeschlossenen als Opportunisten verurteilte; falls das nicht geschähe, würde es ebenfalls ausgeschlossen. Ich habe ihnen erklärt, daß der Ausgeschlossene laut Statut das Recht habe, Einspruch beziehungsweise Berufung gegen den Ausschluß zu erheben. Die anderen Mitglieder der Ortsgruppe Tübingen sollten in der Angelegenheit nichts überspitzen, sondern mit der übergeordneten Leitung sachlich über die Angelegenheit diskutieren. Sie ließen mir einige Betriebszeitungen und Flugblätter hier, in denen angeblich opportunistische Fehler sein sollten, die zum Ausschluß geführt haben sollen. Damit war die Unterredung beendet. Ich habe heute noch keine Gelegenheit gehabt, die Betriebszeitungen durchzusehen.

    Soweit der Vorfall bei mir. Ich habe nicht den Eindruck, daß sie gekommen waren, mich gegen Euch auszuspielen. Wir wollen als positiv werten, daß sie zu mir und nicht zu den Gegnerorganisationen gegangen waren. Wenn ich auch keine Kenntnisse von den Vorgängen in der Ortsgruppe Tübingen habe, so bitte ich Euch doch, mit dem Mittel der Überzeugung in der Mitgliederversammlung aufzutreten, denn es handelt sich ja nicht nur um den Ausgeschlossenen. Wenn das mit dem Reversunterschreiben stimmen sollte, halte ich das nicht für ein geeignetes Mittel, die Mitglieder von der Richtigkeit des Ausschlusses von J. zu überzeugen. Wir müssen manchmal in solchen Dingen geschickt operieren, ohne bei grundsätzlichen Verfehlungen als Versöhnler aufzutreten. Falsch wäre es, von Seiten der Leitung etwas zu überspitzen; ich meine das allgemein und nicht für diesen speziellen Fall, den ich ja im einzelnen nicht kenne. Bedenkt auch bitte, daß Ausschluß wirklich das äußerste Mittel gegen Parteivergehen ist. Und wenn bei einem solchen Verfahren nicht peinlich genau das Statut und die Richtlinien der Kontrollkommissionen berücksichtigt werden, kann das eine Unruhe in der gesamten Organisation hervorrufen, darum seid bitte sehr vorsichtig. Faßt das bitte nicht so auf, als würde ich Euch Vorschriften machen wollen, ich habe früher x Verfahren durchgeführt und bin auch jetzt Vorsitzender der Landeskontrollkommission. Ich schreibe Euch das aus Sorge, weil es sich doch in den meisten Fällen um junge, unerfahrene Genossen handelt, die in ihren Vorstellungen falsche Ideen entwickeln und darum Fehler machen. Rechtzeitige sachliche Kritik kann manchen Ausschluß aus der Partei verhindern. Lieber zehnmal das Mittel der Überzeugung als einmal administrative Mittel! Es würde mich nun doch interessieren, wie es zu den Vorfällen in der Ortsgruppe Tübingen gekommen ist und was dem zugrunde gelegen hat.

    Rot Front!
    Willi