Revolutionärer Weg
Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur
Eine immer schnellere Abfolge von Krisen erschüttert die kapitalistische Gesellschaft: Corona-Pandemie, tiefe Einbrüche der Weltwirtschaft, sozialer Notstand, die begonnene globale Umweltkatastrophe, wachsende Weltkriegsgefahr oder die zunehmende Gefahr des Faschismus.
Die bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, die Religion und die Kultur versuchen Antworten zu geben, sind aber selbst vom Krisenmodus betroffen.
Sie sind bei Weitem nicht »ideologiefrei«, sondern verbreiten die bürgerliche Weltanschauung! Das vorliegende Buch ergreift Partei für die Ideologie der Ausgebeuteten und Unterdrückten dieser Welt und ihre berechtigten kulturellen, ökologischen und sozialen Bedürfnisse.
Schonungslos entwickelt es die Kritik an der bürgerlich-dekadenten Kultur, um zugleich alles Wertvolle und Fortschrittliche der menschlichen Kultur zu verteidigen. Das Buch entwickelt befreiende Visionen, wie eine sozialistische Gesellschaft die aufgeworfenen Fragen vorwärtsweisend lösen wird.
Es ist der vierte Band in der Buchreihe »Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise«.
Im Buchhandel erschienen unter:
Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur
Erschienen: 13.10.2024
INHALT
Stefan Engel ist gelernter Schlosser und arbeitet heute als freier Publizist. Seit 1968 ist er für den Parteiaufbau der MLPD aktiv. Von 1979 bis 2017 war er erster Vorsitzender der MLPD, bis 2016 an verantwortlicher Stelle in der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung tätig. Seit 1991 hat er von Willi Dickhut die Leitung des theoretischen Organs REVOLUTIONÄRER WEG übernommen.
Monika Gärtner-Engel ist Internationalismusverantwortliche der MLPD, Hauptkoordinatorin der revolutionären Weltorganisation ICOR und Co-Präsidentin der United Front. Sie ist seit 2021 stellvertretende Leiterin der Redaktion REVOLUTIONÄRER WEG und Mitautorin der Bücher »Neue Perspektiven für die Befreiung der Frau« und »Die globale Umweltkatastrophe hat begonnen!«
Leseprobe
Einleitung
1. Die Krise der Religion
1.1. Religion als historisch erste weltanschauliche Grundlage der Klassengesellschaften 1.2. Die Krise der Religion und die dialektisch-materialistische Religionskritik
1.3. Die Anthroposophie – eine halbreligiöse und elitäre Lebensphilosophie
2. Die Unwissenschaftlichkeit der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften
2.1. Die Fantasterei bürgerlicher Wirtschaftswissenschaften
2.2. Das Dilemma der bürgerlichen Agrarwissenschaften
2.3. Die bürgerliche Geschichtsschreibung degeneriert zur Revision historischer Tatsachen
2.4. Der Drahtseilakt der bürgerlichen Pädagogik
2.5. Die Manipulation der öffentlichen Meinung durch die bürgerliche Soziologie
2.6. Fragwürdige Theorie und Praxis der bürgerlichen Rechtswissenschaft
3. Die Krise der bürgerlichen Kultur
3.1. Die zwiespältige Rolle der Kultur in der bürgerlichen Gesellschaft
3.2. Die Rolle der Sprache im weltanschaulichen Kampf
3.3. Beethovens Musik als Produkt der Aufklärung
3.4. Schöpferische Potenziale und Krise der bildenden und darstellenden Kunst
3.5. Die imperialistische Sportkultur als Vehikel der bürgerlichen Ideologie
3.6. Die Lebenslüge von den »freien Medien«
3.7. Zunehmende Dekadenz in der bürgerlichen Massenkultur
4. Die Notwendigkeit der Weiterentwicklung der proletarischen Weltanschauung undder Lehre von der Denkweise
Der vierte Band der Buchreihe »Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise« befasst sich mit der Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur.
Jede Gesellschaft braucht zum Funktionieren relativ vereinheitlichte weltanschauliche und kulturelle Erklärungen, Normen und Regeln. Mit den Klassengesellschaften entstanden Religionen als historisch erste systematisierte weltanschauliche Grundlagen.
Mit der Herausbildung des Kapitalismus, beim Siegeszug von Aufklärung und modernen Naturwissenschaften ging der gesellschaftliche Einfluss der Religionen zurück. Die bürgerliche Ideologie entstand und beanspruchte weltanschauliche Deutungshoheit über die bürgerliche Gesellschaft.
Die Entstehung der Arbeiterklasse bildete die materielle Grundlage für die Herausbildung der proletarischen Ideologie. Ihre materialistische Dialektik wurde zeitweilig zur vorherrschenden Methode für forschendes und freies Denken und Handeln in Wissenschaft und Kunst.
Die bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, die Kunst und die Kultur schlugen im Kampf gegen den Feudalismus bedeutende Schlachten: die Soziologie und Pädagogik der Aufklärung Jean-Jacques Rousseaus, die Musik Ludwig van Beethovens, die Sprache und Literatur Johann Wolfgang von Goethes, die Enzyklopädie Denis Diderots, die Ökonomie David Ricardos oder die Philosophie Immanuel Kants, Georg Wilhelm Friedrich Hegels und Ludwig Feuerbachs.
Insbesondere seit der Herausbildung des Imperialismus sahen sich die Herrschenden gezwungen, reaktionäre Rechtfertigungslinien und Verschleierungstaktiken für die kapitalistische Ausbeutergesellschaft anzubieten. Mit der Entstehung der allgemeinen Krisenhaftigkeit des Imperialismus wurden diese zunehmend vielschichtiger und reaktionärer. Schließlich geriet das ganze bürgerliche Betrugssystem selbst in einen fortwährenden Krisenmodus.
Der Eintritt in die globale Umweltkatastrophe, die akute Gefahr eines atomaren Dritten Weltkriegs in Wechselwirkung mit einer wachsenden internationalen Tendenz zum Faschismus haben die Menschheit in eine latente Existenzkrise gestürzt. Die Destruktivkräfte des Imperialismus und ihre weltanschaulichen Ausprägungen treten immer abstoßender in Erscheinung.
Als Antwort auf die gesellschaftlichen Krisen fördern die Herrschenden verstärkt Religionen sowie halbreligiöse Weltanschauungen wie Anthroposophie oder Esoterik.
Die bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften sollen den unterdrückten Massen die bürgerliche Gesellschaft nahebringen, sie auf ihre Verhaltensregeln ausrichten und kritischen Geistern illusionäre Irrwege weisen.
Sie geben vor, gesellschaftliche Probleme von demokratischen Werten geleitet zu ergründen und zu lösen. Tatsächlich sind sie heute im Wesen Pseudowissenschaften mit der hauptsächlichen Aufgabe, das imperialistische Weltsystem schönzureden und die öffentliche Meinung antikommunistisch zu beeinflussen.
Aber die Massen sind wacher und kritischer geworden! Um sie zu manipulieren und zu verwirren, wurde in den »modernen« kapitalistischen Gesellschaften das gesellschaftliche System der kleinbürgerlich-intellektuellen Denkweise geschaffen.
Der bürgerliche Kulturbetrieb zielt besonders auf die Gefühle. Neben Elementen der Aufklärung und fortschrittlicher Ausbildung der Lebenskultur erzeugt und verstärkt die bürgerliche Massenkultur heute jedoch die zersetzende und negativistische kleinbürgerliche Denkweise, individuelle Selbstverwirklichung, Karrierismus, Egoismus; sie idealisiert die Nationalstaaten und die bürgerlichen Staats- und Familienverhältnisse und nimmt auch immer mehr dekadente Züge an.
Die bürgerliche Geschichtsschreibung hat vor allem die Aufgabe, die herrschenden Verhältnisse zu rechtfertigen und zu idealisieren. Sie verfälscht dazu die Geschichte als eine zufällige Aneinanderreihung von Taten oder Untaten großer Persönlichkeiten und ihrer Gefolgsleute. Die moderne Geschichtsschreibung ignoriert gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten. Sie verleumdet die ehemals sozialistischen Länder und zeichnet ein antikommunistisches Zerrbild von ihnen.
Die bürgerliche Pädagogik erzieht die Jugend im Sinne der bürgerlichen Staats- und Familienordnung. Sie suggeriert, dass die kapitalistische Gesellschaft das »Normale« und unantastbar sei.
Bürgerliche Soziologie und Politikwissenschaft versuchen, die sich immer häufiger und heftiger entfaltenden gesellschaftlichen Krisen zu rechtfertigen. Das gleicht der unlösbaren Aufgabe einer Quadratur des Kreises. Sie richten das bürgerliche Krisenmanagement auf illusionäre Hoffnungen in die kapitalistische Gesellschaftsordnung oder lösen Weltuntergangsstimmung aus, um die Massen von der Erkenntnis abzuhalten, dass die sozialistische Weltrevolution notwendig und unvermeidlich ist.
Das bürgerliche Rechtssystem genießt bis heute zu Unrecht den guten Ruf, »im Namen des Volkes« Gerechtigkeit walten zu lassen. Ihrem Wesen nach praktizieren Gerichte jedoch bürgerliche Klassenjustiz. Ihr Instrumentarium reicht von offener Repression bis zu einem scheinbaren Interessenausgleich zwischen unversöhnlichen Klassengegensätzen.
Die bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften prahlen mit angeblich wissenschaftlich begründeten Analysen und Prognosen. Tatsächlich bleiben sie weitgehend zweckmotivierte Kaffeesatzleserei im Sinne der Diktatur der Monopole und ihrer Wirtschaftsweisen.
Die Agrarwissenschaft kreist als ein Feld der Wirtschaftswissenschaften meist um den konstruierten Hauptwiderspruch zwischen »konventioneller« und »ökologischer« Agrarwirtschaft. In Wirklichkeit besteht er zwischen der monopolistischen Agrarindustrie und den Lebensinteressen der Masse der Bauern, der breiten Massen und der Natur.
Goethe gestaltete die deutsche Sprache dialektisch. Seine Werke prägen seither mehr oder weniger die deutsche Literatur. Die Differenziertheit seiner Grammatik, die Exaktheit seiner Begriffe und Formulierungen bleiben vorbildlich. Im System der kleinbürgerlichen Denkweise wuchern dagegen pseudo-kreative Wortspielereien, verschleiernde Begriffsbildungen und eine Verrohung der Sprache.
Die Massen in Deutschland zeigen ein gewachsenes Informationsbedürfnis und zunehmendes Kulturniveau. Sie drängen nach selbständiger Meinungsbildung. Dem trägt die kapitalistische Lebenslüge der »freien Medien« scheinbar Rechnung. In Wahrheit verschleiern die monopolisierten Massenmedien nur ihren Zweck – die Manipulation der öffentlichen Meinung in einer raffinierten Mischung aus Wahrheit, Halbwahrheiten und Lügen.
Der bürgerliche Sport erzielt durch die Berichterstattung über Profiveranstaltungen in Fernsehen, Radio und Internet sprudelnde Milliardenprofite. Gleichzeitig vermittelt er eine kleinbürgerliche Denk- und Lebensweise des Individualismus, der persönlichen Profilierung, der Konkurrenz, des Karrierismus und des bürgerlichen Nationalismus.
Die bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften und Kultur können aber angesichts der kapitalistischen Realität immer weniger die Sehnsucht der Massen nach Klarheit und Perspektive befriedigen.
Daraus erwächst die dringliche Notwendigkeit, das freie Denken des wissenschaftlichen Sozialismus unter der Arbeiterklasse und den breiten Massen zu fördern. Eine Bewegung zu seiner Wiederbelebung und Verbreitung bildet das entscheidende weltanschauliche Fundament für das Erwachen und die Entwicklung des Klassenbewusstseins bis zum sozialistischen Bewusstsein.
Das schließt die unverzichtbare Weiterentwicklung der dialektisch-materialistischen Gesellschaftswissenschaften und der proletarischen Kulturarbeit ein. Alle wertvollen Errungenschaften der bisherigen Menschheitsgeschichte müssen dabei gegen die zunehmende Dekadenz der imperialistischen Entwicklung verteidigt und erhalten werden.
Die dialektische Negation der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Kultur und Religion ist eine wesentliche weltanschauliche und praktische Schule eines überzeugenden gesellschaftsverändernden Kampfs.
Sie hat zum Ziel, das proletarische Selbstverständnis, Selbstbewusstsein und Verhalten von immer mehr fortschrittlich oder revolutionär gesinnten Menschen in ihrem ganzen Lebensalltag herauszubilden und zu entwickeln. Sie ist auch Anleitung für die bewusste Gestaltung des Überbaus einer künftigen sozialistischen Gesellschaft auf der Grundlage der proletarischen Denkweise.
Dieses Buch beruht ebenso wie die ersten drei Bände auf einer großen kollektiven Leistung von insgesamt 140 Autorinnen und Autoren. Entsprechend der Breite der Themen dieser Streitschrift haben Arbeiterinnen und Arbeiter, Fachleute der Wirtschaftswissenschaften, der Pädagogik, Soziologie, Literatur, Kunst und aus dem Rechtswesen unter Anleitung und Schriftleitung von Monika Gärtner-Engel und mir zusammengewirkt.
Mit dem Buch würdigen wir besonders den Revolutionär Joachim Gärtner, der vor allem am Abschnitt über Beethoven mitarbeitete. Er stellte seine umfangreichen Kenntnisse und Fähigkeiten während des gesamten Parteiaufbaus der revolutionären Arbeiter- und Jugendbewegung zur Verfügung. Er verstarb am 21. Februar 2024 in Kassel.
Stefan Engel, Oktober 2024
Rezensionen
Christoph G., Redaktion REVOLUTIONÄRER WEG
06.01.2025
Lieber Götz,
Wir haben deine Kritik am Interview von Stefan Engel zum RW 39 vom 5.11.24 erhalten und ich möchte als einer der Mitarbeiter am »Revolutionärer Weg 39« gerne darauf antworten:
Worin liegt der qualitative Sprung in Beethovens musikalischer Dialektik?
»Kunst ist dialektisch, sonst ist sie keine Kunst.« So der britische marxistisch-leninistische Wissenschaftler George Thomson.1 Hauptmerkmal dafür ist die dialektische Einheit von Inhalt und Form. Das beinhaltet auch die Vielfalt der künstlerischen Formen, in denen sich die Vielfalt des Inhaltes widerspiegelt, ihre inneren Widersprüchlichkeiten, ihre Entwicklung und Verwandlung.
Auch Musik ist darum umso kunstvoller, je mehr dialektische Elemente sie enthält – bewusst oder unbewusst. So ist die Polyphonie2 der Renaissance-Musik mit ihrem Höhepunkt der Fugenkomposition von Johann Sebastian Bach in hohem Maße dialektisch. Kunst kann aber aus dialektisch-materialistischer Sicht nur das Lebensgefühl der Künstler in ihrer Zeit widerspiegeln. Das Lebensgefühl von Johann Sebastian Bach (1685-1750) war von einer tiefen protestantischen Frömmigkeit im fest gefügten statischen Weltbild des Barockzeitalters auf dem Höhepunkt der feudalen Macht geprägt. Darum waren die dialektischen Formen bei Bach trotz allem melodischen Reichtum, der gewagtesten Harmonien und der kunstvollsten Polyphonie letztlich immer begrenzt. Sie mussten »immer zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren, als wären ihnen feste Grenzen gesetzt.«3
Seine musikalischen Nachfolger in Mitteleuropa wie insbesondere Joseph Haydn (1732-1809) und Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) entwickelten noch im Schoß des Feudalismus, aber schon geprägt von den bürgerlich-demokratischen Idealen der Freimaurer die neue dialektische Form des Sonatenhauptsatzes mit musikalischer These, Antithese und Synthese – also dem musikalischen Element einer ständigen Höherentwicklung durch die Entfaltung der Widersprüche. Aber auch Haydn und Mozart waren durch die Lebensweise ihrer Abhängigkeit von feudalen Fürsten und der vorrevolutionären Zeit geprägt und gebremst.
Sowohl bei Bach, als auch bei Haydn und Mozart bestand also ein Widerspruch zwischen dialektischen Formen und starr-metaphysischen feudal geprägten Inhalten.
Diesen Knoten löste erst Ludwig van Beethoven (1770-1827). Er erlebte voller Anteilnahme und Enthusiasmus die bürgerlich-demokratische französische Revolution (1789 ff.) und schöpfte aus diesem Lebensgefühl einer revolutionären Umbruchperiode seine weltanschauliche, politische und musikalische Lebendigkeit und Kraft. Auch war Beethoven der erste freischaffende sozusagen bürgerliche Komponist. Auf diesem materiellen Hintergrund wurde der Inhalt der revolutionären Epoche mit dem von feudalen Fesseln befreiten Lebensgefühl Beethovens und seiner politischen Parteinahme für die Revolution identisch mit einer allseitigen revolutionären Entfaltung und Befreiung auch der musikalischen Formen – bei dialektischer Negation alles bisher schon Wertvollen.
Nur auf diesem Hindergrund der »äußeren« Dialektik von revolutionärer Lebensweise und revolutionärer Musik konnte sich auch auch die innere Dialektik der Musiksprache Beethovens voll entfalten - geprägt von der allseitigen Anwendung der dialektischen Methode: als wesentliches Merkmal Kampf und Einheit der Gegensätze (so in der Höherentwicklung und Vollendung der dialektischen Form der Sonate); der allseitige und echteste Ausdruck menschlicher Gefühle, die Einheit von Analyse und Synthese...
Bei allem musikalischen Genie war eine entscheidende Voraussetzung die Arbeitsweise in Beethovens Kompositionsmethode, die mehr oder weniger bewusst, gründlich und diszipliniert von Elementen der dialektischen Methode geprägt war.
Auf diesem Hintergrund kritisierst Du zwar einerseits die Aussage von Stefan Engel in seinem RF-Interview, dass Beethoven »die dialektische Methode in der Musik eingeführt« hätte. Aber Du verkennst mit Deiner Kritik die entscheidende Bedeutung der zweiten Hälfte des Satzes von Stefan Engel, dass Beethoven »eine ganz neue Epoche in der Musik hervorgebracht hat«: nämlich durch den qualitativen Sprung in Beethovens musikalischer Dialektik als neuartige Einheit von Inhalt und Form.
Herzliche Grüße,
Christoph
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1 Vom Wesen des Menschen, Wissenschaft und Kunst in der Entwicklung der Gesellschaft, Seite 124
2 Form der Mehrstimmigkeit, bei der die einzelnen Stimmen im Wesentlichen gleichwertig sind
3 Ebd. S. 131
Ein Leser schrieb an die Redaktion REVOLUTIONÄRER WEG zu dem Brief von Monika Gärtner-Engel unter dem Titel „Die Lebenslüge vom demokratischen Rechtsstaat ist eines der wesentlichen Betrugsinstrumente“:
„Nun, ich verstehe nicht den hier aufgeworfenen Gegensatz von „politischer Behandlung des Themas“ und dem „weltanschaulichen Klassenkampf“.
Zum einen wurde mir in meiner Zeit in eurer Reihen immer wieder, … eingeschärft, dass ALLES politisch zu sehen, anzugehen ist und dass es nichts unpolitisches gibt, was ja im Grundsatz richtig ist. Und zudem finde ich, wenn es ein besonders ausgeprägtes politisches Feld gibt, das behandelt werden muss, dann ist es doch GERADE der weltanschauliche Klassenkampf.“
Die Redaktion antwortete darauf:
„Lieber Kollege,
...
Du fragtest ja nach dem aufgeworfenen Unterschied zwischen der politischen und der weltanschaulichen Behandlung des Themas, hier des bürgerlichen Rechts.
Dazu muss man erstmal unterscheiden, was eine weltanschauliche und eine politische Betrachtung ist. Die Weltanschauung ist viel grundlegender und allseitiger als eine politische Anschauung. Sie ist die Gesamtheit der theoretischen Ansichten über die Natur und Gesellschaft, einschließlich der Methode, sie zu untersuchen und zu verändern. Eine politische Anschauung bezieht sich viel enger auf konkrete politische Handlungsweisen und Verhältnisse. Ein Beispiel: ich kann mir schnell mit einem Christen politisch einig werden, dass die AfD verboten werden muss, weil sie faschistisch ist. Da sind wir uns politisch einig. Aber weltanschaulich vertreten wir Marxisten-Leninisten, dass der Faschismus die am meisten reaktionäre, chauvinistische und brutale Herrschaftsform und Ideologie des Monopolkapitals ist, während der Christ ihn wahrscheinlich aufgrund seiner idealistischen Denkweise nur als „unmenschlich“ oder „rassistisch“ bezeichnen würde.
Politische Ansichten basieren auf der jeweiligen Weltanschauung, sie sind quasi eine äußere Erscheinungsform. Von daher besteht auch kein absoluter Unterschied zwischen politisch und weltanschaulich.
Es gibt natürlich viele Fragen, die im bürgerlichen Recht politisch aufgeworfen sind, beispielsweise: Dass sich die Reichen die besten Anwälte leisten können und auch ihr Ansehen eine Rolle dafür spielt, dass sie oft mildere Strafen erhalten.
Weltanschaulich spielt hier mehr eine Rolle, dass das bürgerliche Recht eine Gleichheit aller vor dem Recht suggeriert, und der Klassengegensatz geleugnet wird.
Es ist schon so, dass »alles politisch« ist; gleichzeitig ist auch alles eine Frage der Weltanschauung, der Ideologie. Die Frage ist unter welchem Blickwinkel man etwas betrachtet. Die ganze Buchreihe zur Krise der bürgerlichen Ideologie konzentriert sich auf die weltanschauliche Betrachtung, weil die Arbeiterklasse nur wenn sie mit der bürgerlichen Weltanschauung und ihrer Abart, der kleinbürgerlichen Denkweise, fertig wird, die überwiegende Mehrheit des internationalen Industrieproletariat für den Kampf um den Sozialismus gewonnen werden kann.
...
Herzliche Grüße,
Oskar Finkbohner“
02.12.2024
Hallo,
ich kuriere gerade Corona aus.
Dabei ist mir eingefallen, dass mir zu DDR-Zeiten eine Schrift von Lenin zugänglich war, in der er beschreibt, welche Eigenschaften es braucht, um die kommunistische Gesellschaft vorzubereiten. Klatsch und Tratsch, wie sie Social Media hochzüchtet, gehörten jedenfalls nicht dazu. Vielleicht nicht ohne Grund.
Wie im Film »Einer trage des anderen Last« zu sehen war, war der Vertreter des Glaubens mit dem Marxismus mehr vertraut als der Kommunist selbst und Letzterer durch die Verteufelung des religiösen Idealismus zudem voreingenommen.
Der neue RW (Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur, Anm. RW-Redaktion) setzt sich mit den Religionen ideologisch auseinander. Das ist gegenüber der vorherigen Praxis eine neue Qualität. Wer die Freiheit der Religion im Sozialismus will, muss sich mit den Christen eine gemeinsame Grundlage erarbeiten, anstatt wie Ulbricht oder Honecker sie zu gängeln oder mit Hilfe der Stasi vor seinen Karren zu spannen. Das hilft auch, einem Kalten Krieg auf der Kanzel vorzubeugen, den es hier gab. Um die Lehre von der Denkweise zu unterstreichen, wäre es gut, die Eigenschaften, die Lenin als Voraussetzung für den Kommunismus umrissen hat, in der »Rote Fahne« darzustellen.
Lenins Werke fielen den »Bücherverbrennungen« in der Wende leider zum Opfer. Weil sie keine ISBN-Nummer haben, wie der neueste Klatsch und Tratsch aus dem Westen, sind sie in Bibliotheken nicht mehr gelistet. Meines Erachtens hat der Klassenfeind Lenin sehr genau studiert, um zu wissen, welche Eigenschaften er hochzüchten muss, um das Ende des Kapitalismus möglichst lange hinauszuzögern oder im Falle einer Revolution diese in ihr Gegenteil verwandeln zu können. Das Volk hingegen soll offenbar nicht wissen, wie es sich erlösen kann. Indexe wie im finsteren Mittelalter. Aber Marx und Lenin wären wohl kaum »Männer des Jahrhunderts oder Jahrtausends«(?) geworden, wenn die Volksmassen sie auf der Suche nach einem Ausweg aus dem imperialistischen Sumpf nicht dazu gemacht hätten.
Das gibt Grund zur Hoffnung.
Es grüßt euch A. aus Mecklenburg.
Monika Gärtner-Engel, stellvertretende Leiterin der RW-Redaktion, 13.10.2022
Liebe Genossen!
(...)
Die Hauptproblematik ist eine recht dogmatische und auch weltfremde Behandlung der Kultur, die sich von den kulturellen Bedürfnissen, Neigungen und der kulturellen Betätigung der Massen heute recht stark loslöst.
(...)
Ergänzend und als Hilfe gebe ich euch jetzt den Abschnitt, wie er von mir angefangen wurde zu bearbeiten. Daraus werden die Kritik und die Vorstellung, wie man die Dinge behandeln müsste sicherlich deutlicher. D. h. nicht, dass das alles schon der Weisheit letzter Schluss ist!
Wichtig ist vor allem, dass ihr euch in einer gründlichen Beschäftigung und Diskussion auf die Kritik und Vorschläge zur Weiterentwicklung vereinheitlicht, mir dazu schreibt und dann an die Überarbeitung geht. (...)
In diesem Sinne herzliche Grüße und viel Spaß bei diesem wirklich sehr interessanten Abschnitt.
Monika
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verantwortliche Autoren
19.2.23
an Monika
Betrifft: Unsere Arbeit zur vorletzten und letzten Vorlage zum Abschnitt »Krise der bürgerlichen Kultur« für den RW 39 und deine Kritiken
Liebe Monika,
warum haben wir die in dem Vorspann zur Definition der Kultur von uns selbst genannten Elemente des täglichen Lebens (Ernährung, Wohnen, Kleidung und Mode, Freizeit, Tourismus, Wellness usw.) in der Ausarbeitung ignoriert? Zum einen spiegelt das bei uns eine noch nicht überwundene Tendenz der Geringschätzung dieser Fragen in der Kleinarbeit, der Jugendarbeit und der Kaderarbeit als Bestandteil der bewusstseinsbildenden Arbeit wieder. Das ist eine Trennung von Inhalt, Form und Methode. Kultur ist vor allem auch eine Methode, wie die Menschen miteinander umgehen, sie drückt aus, welche Wertschätzung der Mensch bekommt. Der Gegensatz von Kapitalismus und Sozialismus kommt ja gerade darin zum Ausdruck, dass bei letzterem der Mensch im Mittelpunkt steht. Dieser Widerspruch tobt ja heute in der Gesellschaft und in beidem kommt der jeweilige Kampf um die Weltanschauung zu Ausdruck. In der Realität gibt es ja nicht nur die rein proletarische und die rein bürgerliche, bzw. kleinbürgerliche Kultur. Wir hatten uns davor gedrückt, in diese reale komplizierte Widersprüchlichkeit vollständig einzudringen. Daher kam auch ein Ausweichen in kopflastige abstrakte Definitionen und lange historische Ausführungen.
Unser Fehler hat aber auch etwas – zumindest von meiner Seite - mit dem Verständnis von theoretischer Arbeit und weltanschaulichem Kampf zu tun, indem ich gemeint habe, dass man dies vor allem auf die Ebene intellektueller Auseinandersetzungen heben müsse. Richtig war die Kritik von Stefan an unserer ersten Vorlage, dass wir vor einer Polemik gegen das bürgerliche Kulturverständnis ausgewichen sind. In der Korrektur sind wir ins Gegenteil gekippt und haben willkürlich eine Reihe von bürgerlichen Definitionen abgearbeitet. Da die bürgerliche Definition sehr verwirrend ist und jede Menge Unsinn enthält, haben wir uns davon beeindrucken lassen, statt schnell auf den Kern zu kommen und diesen zu zerpflücken. So haben wir dabei sogar manche gute Ansätze aus der ersten Ausarbeitung ganz über Bord gekippt.
Das ist auch eine sektiererische Tendenz, die das reale Leben der breiten Massen nur auf die offensichtlichen politischen Positionen reduziert und die Menschen in die Schublade »fortschrittlich« oder »rückschrittlich« steckt. Deine Kritik hat uns darauf gestoßen, dass wir uns in unserer Tätigkeit bisher wenig mit dem beträchtlichen Teil der Massen beschäftigen, die sich über Wahlen und Informationen in der Tagesschau hinaus kaum bewusst politisch beschäftigen. Sie fällen politische Urteile vor allem gefühlsmäßig. Deshalb sind diese auch mit einem niedrigen proletarischen Bewusstsein anfälliger für rückschrittliche Denk- und Lebensweisen bis hin für völkische, rassistische und faschistische Demagogie. Mit solchen kulturellen Kulturangeboten wie sie bei Massenevents, wie Volksfeste, Karneval, Volksmusik, oder in vielen Fernsehserien am Nachmittag haufenweise konsumiert werden, befassen wir uns bisher in der Anleitung und Kontrolle kaum. Diese Ignoranz ist ein typisches Phänomen, wie es vor allem für intellektuelle Linke, bzw. linke Intellektuellen typisch ist, die gegenüber den breiten Massen naserümpfend überheblich auftreten.
Ich habe mich länger mit dem offensichtlichen Widerspruch beschäftigt, warum heute zugleich eine wachsende Masse sich für neue progressive Kulturformen und -inhalte öffnet und ebenso eine, vielleicht sogar noch größere Masse, auf Schlager, Volksmusik und Massenveranstaltungen mit konservativem trivialen primitiven Inhalt abfährt. Die Frage müssen wir lösen, nicht nur dass es offensichtlich so ist, sondern warum und welche Schlüsse wir für unsere Arbeit vor allem unter der Jugend daraus ziehen müssen.
Was ihre Profitmacherei angeht, können die Monopole mit beidem leben: nämlich mit Rock- und Pop-Musik, Festivals und Konzerten mit fortschrittlichem antifaschistischen, demokratischen und internationalistischen Anspruch auf der einen und Volksfesten mit Schnulzen, Herz-Schmerz-Lieder usw. Beide bedienen vor allem die Gefühle. Gefühle sind das beweglichste Element der Denkweise und zugleich als kollektive Denkweise auch sehr beharrlich und viel träger als die ökonomische und politische Umwälzungen. Das gilt auch für Brauchtum und Traditionen (Weihnachten, Karneval, Hochzeiten, Trauern usw.). Daher können bestimmte Bilder und Lieder sogar überlebte Traditionen in Verknüpfung mit besonderen Erlebnissen wieder wecken. Wenn Helene Fischer, Andrea Berg mit entsprechendem Oufit und Ambiente (Beleuchtung, toller Kameraführung usw.) »Atemlos durch die Nacht« oder »Tausendmal betrogen« usw. singen, erinnert das viele spontan an Gefühle ihrer ersten Liebe, bzw. Enttäuschung usw. Selbst manche sehr aufgeklärten und politisch progressiv eingestellten Leute können sich keine andere Hochzeit vorstellen, als mit weißem Brautkleid und -schleier, Kutschfahrt und dann doch noch in der Kirche bzw. stellvertretend an einem besonderen romantischen Ort... Das kann man nicht einfach als reaktionär abstempeln, aber damit besteht die Gefahr, dass spontan damit auch reaktionäre Gefühle nicht nur transportiert, sondern auch beflügelt werden können.
Die Tatsache liegt darin begründet, dass die bürgerliche Ideologie und ihre vermittelnden Gefühle sich noch lange – sogar bis in den Kommunismus - hartnäckig halten. Willi Dickhut schrieb: »Die Tradition der bürgerlichen Ideologie … ist so stark, daß immer wieder bürgerliche Ideen und Lebensgewohnheiten sich spontan erneuern.« (siehe Revolutionärer Weg 19, Seite 506) Gerade in Übergangssituationen bildet sich dieses Phänomen besonders heraus. Das Alte weicht nicht, indem es mechanisch wie bei einer Waage abnimmt und das Neue auf dieselbe Weise stärker wird. Es findet als ein Kampf und Einheit der Gegensätze statt, indem zeitweilig auch das Alte belebt wird und auch vordringen kann. Selbst nach der Entscheidung ist der Prozess in der Denkweise noch nicht beendet. Die Herrschaftsmethode der gesellschaftlichen kleinbürgerlichen Denkweise hat heute mit den modernen Kommunikations- und gestalterischen Mitteln noch viel mehr Möglichkeiten Zugang in die Gefühlswelt der Massen zu finden.
Andersherum gilt aber auch: Erlebnisse aus der Kindheit prägen sich daher sehr tief ein: Das erste Weihnachtsfest, Geburtstage, usw., aber auch traurige Einschnitte. Damit ist aber auch eine konkrete Weltanschauung verbunden. Deshalb ist von großer Bedeutung, wie wir kulturelle Rituale und Verarbeitungen als Lebensschule der proletarischen Denkweise organisieren bei der Rotfuchsarbeit, bei Festen, Veranstaltungen, Trauerfeiern, die alle sehr tiefgehende weltanschauliche Auseinanderzugsetzungen und Gefühle enthalten müssen und sich nicht nur auf die unmittelbar politischen Inhalte reduzieren.
Ich hatte mich zwar in meinen Analysen mit einer Reihe von kulturellen Fragen beschäftigt, wie Wohnen, Mode, Architektur und Städtebau, Umgang mit Tieren, Freizeit und Urlaub/Tourismus, Ernährung (wo gerade die Auseinandersetzung mit dem Veganismus besonders hervorsticht.) Aber ich habe diese Merkmale hauptsächlich nur als Brainstorming gesammelt, statt sie jeweils in ihre gesamtgesellschaftliche Rolle einzuordnen und sie dialektisch in ihrer inneren Widersprüchlichkeit zu qualifizieren. Wir haben versucht, in unserer Ende 2022 abgegebenen Vorlage Konsequenzen zu ziehen. Mit deiner Hilfe, mit der Methode des Revolutionären Weg Nr. 38 und dem Vorwortentwurf für den Revolutionären Weg 39 als Anleitung habe ich die Zuversicht, dass wir nun einen guten brauchbaren Abschnitt erarbeiten können und müssen.
Herzliche Grüße
.
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Monika Gärtner-Engel, stellvertretende Leiterin der RW-Redaktion,
23. Februar 2023
An die verantwortlichen Autoren des Abschnitts zur Kultur
Liebe Genossen,
danke für euren Brief vom 19.2.2023. Das ist wirklich eine interessante Aufarbeitung, die sicherlich weiterhelfen wird. Allerdings gibt es immer noch Reste einer langen Gegenüberstellung von »fortschrittlicher Musik« der »trivialen Massenkultur«, die ihr von vorneherein eher als rückschrittlich charakterisiert. Ihre Themen sind aber oft alltägliche Lebensweisheiten und Wünsche, wie Zusammenhalt und Freundschaft, Familiensinn, Naturverbundenheit usw., die tatsächliche Massenbedürfnisse zum Ausdruck bringen. Darüber sollte man sich nicht so einfach erheben! Ich erinnere mich noch, wie wir beim Revolutionären Weg Nr. 27/28 (...) überwinden mussten, wie den Familienzusammenhalt in der Kleinfamilie einseitig abzuqualifizieren. Wir haben damals herausgearbeitet, dass im Kapitalismus die Familie eine elementare Solidargemeinschaft ist, ohne die Arbeiter nur sehr schwer ihr Leben hinkriegen können.
(...)
Herzliche Grüße
Monika
Liebe Monika,
wir stimmen deinen Kritiken vom Ende Januar vollständig zu: Unser Entwurf vom Oktober 2023 würde noch keine „Ausarbeitung auf dem Niveau eines REVOLUTIONÄREN WEG ermöglichen“, er muss grundsätzlich überarbeitet werden.
Nach längeren Auseinandersetzungen konnten wir uns einigen, dass unser Fehler hauptsächlich darin bestand, die Untersuchung aktueller Entwicklungen von Sprache im weltanschaulichen Kampf zu beginnen, ohne vorher wirklich die marxistisch-leninistischen Grundlagen geklärt zu haben.
Wir haben die Klassiker nur unter dem Blickwinkel studiert, uns ein Fundament für die Auseinandersetzung mit dem Thema zu verschaffen. Mein Kolllege hat ausgewertet, dass er zu viel Respekt vor Stalin hatte, um ihn zu kritisieren, und außerdem die Vorstellung, die Fehler Stalins hätten sich vor allem in der Praxis ereignet. Das widerspricht dem Erkenntnisfortschritt der Partei und ist eine dogmatische Haltung, die die Kontrolle von unten aushebelt, wenn man sie zu Ende denkt. Wir haben gerade am Live-Talk diskutiert, wie in einer Zeit schneller Veränderungen, großer Herausforderungen und neuer Möglichkeiten die Kontrolle von unten funktionieren muss.
Der Gedanke, dass Sprache weder Basis noch Überbau wäre, gab uns ein ungutes Gefühl. Wir haben Stalins Qualifizierung aber zunächst unwidersprochen zitiert und nur anschließend geschrieben, dass es aber einen bürgerlichen und proletarischen Sprachgebrauch gibt. Einem unguten Gefühl nicht nachzugehen, den Widerspruch nicht zu überprüfen und dann klar zu formulieren, ist eine unzulässige Methode. So haben die Revisionisten die Übereinstimmung ihrer falschen Linie mit dem Marxismus-Leninismus zu begründen versucht. Wir teilen deine Kritik, dass Stalins Qualifizierung undialektisch und problematisch ist. Sie reiht sich ein in eine Reihe von Auseinandersetzungen in der Sowjetunion im Vorfeld der revisionistischen Entartung, die zumindest dazu beigetragen haben, die Partei und die Massen weltanschaulich zu entwaffnen. Wir hätten das Zitat von Stalin kritisieren und dann einen Teil über Sprache und Revisionismus ausarbeiten müssen.
Du kritisierst zu Recht, dass sich unser Entwurf „um die Behandlung der prinzipiellen Auseinandersetzung um Sprache und Sprachwissenschaft in der kommunistischen Bewegung herumdrückt“. Ohne eine solche Analyse ist eine schöpferische Synthese nicht möglich. Mit dem historischen Materialismus kann Sprache nur als Geschichte der Sprachentwicklung und der Sprachwissenschaft begriffen werden. Wir haben nicht erfasst, dass Stalin von Erkenntnissen abwich, die schon Marx und Engels in ihren Werken ausdrückten, und wir haben uns nicht die Mühe gemacht, auch bei Lenin und Mao nach weiteren Erkenntnissen über Sprache und Sprachgebrauch nachzuforschen.
Du kritisierst bei Stalin „Verstöße gegen die dialektische Methode“ und forderst: „Das dialektische Gesetz von Einheit und Kampf der Gegensätze“ muss auch auf die Sprache angewandt werden. Dann begnügst du dich in deinem Brief aber mit einem einfachen „sowohl ‒ als auch“. Das reicht für einen Brief, nicht für einen REVOLUTIONÄREN WEG. Während Stalin sich auf Wortschatz und Grammatik der Sprache konzentrierte, befassten sich Lenin und Mao vor allem mit Begriffen (vgl. RW 6, S.53‒56). Auch wenn große Teile der Sprache für verschiedene Klassen gleich sind, sind gerade die Bedeutungen vieler Begriffe abhängig voneinander, und zwar widersprüchlich. Der REVOLUTIONÄREN WEG Nr. 39 könnte einleitend im Abschnitt II.4 herausarbeiten, wie Kapitalisten- und Arbeiterklasse dieselben Begriffe benutzen, aber mit gegensätzlichen Bedeutungen, und wie sich deren jeweilige Vorherrschaft in der Gesellschaft ändert, etwa bei Lebenslügen oder revolutionären Begriffen.
Einen weiteren Fehler greifst du an ‒ auch sehr zu Recht ‒, wenn du darauf hinweist, dass wir keinen Konspekt erarbeitet und deshalb „die prinzipielle, kritisch-selbstkritische und schöpferische Beschäftigung“ mit den theoretischen Grundlagen nicht geleistet haben. Theoretisches Arbeiten mit der dialektischen Methode muss über die Auswahl von Zitaten und Kommentare zu den Zitaten hinausgehen.
Du hast uns geholfen zu verstehen, dass und wie wir unsere Fähigkeiten zur theoretischen Arbeit verbessern müssen. Danke.
Viele Grüße
Stefan Engel
Liebe Genossin,
ich habe gerade deine Ausarbeitung bearbeitet. Sie bildet allgemein einen Fortschritt, enthält eine Reihe interessanter Argumente, aber es ist noch einiges zu tun, um zu einer manuskriptreifen Vorlage zu kommen.
Schon der erste Satz ist problematisch, wenn du schreibst, »die bürgerliche Pädagogik entstand aus dem Interesse der Bourgeoisie, den Wert der Arbeitskraft … zu steigern.« Damit geringschätzt du die Rolle der bürgerlichen Ideologie als Grundlage des kapitalistischen Systems, die den Massen, insbesondere der Jugend beigebracht werden soll. Hier drückt sich ein vulgärmaterialistisches Verständnis aus. Das bürgerliche Erziehungswesen war von Anfang an vor allem ein Instrument zur Aufrechterhaltung der Herrschaft der Bourgeoisie und des Kapitalismus.
Deine Analyse über die Entwicklung der Sozialpädagogik ist nicht zu Ende, vor allem nicht deine Statistik, die völlig willkürlich ist. So setzt du einfach Sozialpädagogik mit »Sozialer Arbeit« gleich. 1961 gab es noch keine Sozialpädagogik, wohl aber Altenpfleger usw. Wir brauchen aber eine genaue Statistik, wie sich die Zahl der Sozialpädagogen und -psychologen seit den 1970er-Jahren entwickelt hat. Insbesondere der qualitative Sprung mit dem System der kleinbürgerlichen Denkweise wird übergangen.
Es ist auch nicht so, dass es eine gerade Linie von 1961 bis 2016 gibt. Zum Beispiel wurden zwischendurch die Jugendhäuser wieder massiv abgebaut und geschlossen, weil sie ihren Zweck erfüllt hatten. Die Jugendhäuser wurden insbesondere Anfang der 1970er-Jahre als Gegenprojekt der ML-Bewegung eröffnet. In den 1980er-Jahren wurden wiederum viele geschlossen. Nach der Wiedervereinigung wurden Jugendhäuser speziell eröffnet, um angeblich die »rechte Szene« zu kontrollieren und zu beeinflussen, was allerdings auch scheiterte, weil der Kampf gegen den Faschismus einseitig als sozialpädagogische Aufgabe begriffen wurde und nicht als politischer Kampf gegen den Faschismus. Diese Seite fehlt auch völlig.
Fakt ist, dass der staatsmonopolistische Kapitalismus die Sozialpädagogen und Sozialpsychologen braucht, sie bei jeder Gelegenheit ruft, um irgendwelche Probleme zu lösen. Diese Aufgabe hatten früher die Kirchen, die allerdings heute in die gesellschaftliche sozialpädagogische Arbeit einbezogen werden. Hinzu kommt, dass die Kirchen zunächst einmal ihren Einfluss verloren hatten. Auch diese Aufgabe des Staats wird von dir nicht richtig untersucht. Du erwähnst es nur einmal als geschichtliches Problem.
Richtig arbeitest du die weltanschauliche Grundlage der bürgerlichen Sozialpädagogik als modernen Antiautoritarismus heraus. Dazu gibt es aber keinerlei inhaltliche Definition, zum Beispiel aus dem REVOLUTIONÄRER WEG 3 oder auch, was das konkret bedeutet. Du nimmst nur ein Zitat, dass »der moderne Antiautoritarismus … zu einer staatstragenden Philosophie« wurde. Interessant, dass du weder die Disziplinlosigkeit, die Organisationsfeindlichkeit, den kleinbürgerlichen Individualismus und das kleinbürgerliche Unabhängigkeitsstreben als Wesensmerkmale aufführst. Was ist der Inhalt dieser Philosophie? Das bleibt offen. Hier wird ein Problem angetippt, ohne es richtig zu begreifen und auszuführen. Fakt ist doch, dass der Antiautoritarismus heute eine regelrechte Leitlinie in der Pädagogik wurde. In den Schulen ebenso wie in den Medien wird diese »Laissez-faire«-Behandlung von Jugendlichen propagiert.
Ich habe die Zwischenüberschrift geändert in »Das System der kleinbürgerlichen Denkweise als neue Arbeitsgrundlage«. Hier fehlt tatsächlich das System der kleinbürgerlichen Denkweise. Hier hat die bürgerliche Sozialpädagogik eine führende Rolle bekommen. Vorher lief sie noch parallel und zum Teil neben anderen Erziehungsmethoden. Die Sozialpädagogik wurde erheblich ausgebaut, sicherlich auch quantitativ. Mit dem ganzen Problem des Systems der kleinbürgerlichen Denkweise befasst du dich überhaupt nicht.
Was mir nicht so gefällt, ist die Aufzählung deiner Erziehungskonzepte, statt hieraus einen vernünftigen, in sich schlüssigen Text zu machen. Das sollte unbedingt geändert werden. Hier wird im Grunde genommen mit der Methode gearbeitet, Dinge nur anzudeuten, statt sich wirklich gründlich damit auseinanderzusetzen. In dieser Aufzählung zu den Konzepten ist auch eine unterschiedliche Methode: einerseits wird qualifiziert, andererseits wird nur ein Zitat angebracht. So kann man das nicht machen. Wir brauchen einen in sich geschlossenen, logisch aufgebauten Text, der mit der wissenschaftlichen Polemik arbeitet.
Was überhaupt nicht klar wird, ist die Krise der bürgerlichen Sozialpädagogik. Sie muss prägnant herausgearbeitet werden und hängt eng mit dem Übergang zur Internationalisierung der Produktion und der allgemeinen Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems zusammen, was bei dir in der Form überhaupt nicht auftaucht. Du behandelst nur die Krise der bürgerlichen Pädagogik, die zur Sozialpädagogik geführt hat, aber nicht die Krise der Sozialpädagogik. Das ist aber das Hauptthema des Abschnitts.
Deswegen sind auch die Schlussfolgerungen nicht sehr schöpferisch und reduzieren sich mehr auf die allgemeine Seite einer sozialistischen Pädagogik. Auch hier möchte ich nicht unbedingt eine Aufzählung, sondern einen in sich geschlossenen Text.
Ich bitte dich, den Abschnitt zu überarbeiten.
Herzliche Grüße Stefan
Stefan Engel an eine Mitarbeiterin am REVOLUTIONÄREN WEG Nr.39 »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur«
Liebe Genossin,
ich habe deinen Entwurf über die bürgerliche Soziologie gelesen.
Zunächst einmal muss der ganze Abschnitt eine richtige in sich geschlossene Logik haben, und man muss wissen, auf was du hinaus willst. Hier ist auffällig, dass du die bürgerliche Soziologie überhaupt nicht als Pseudowissenschaft bezeichnest. Vor allem zielt deine ganze Ausarbeitung nicht darauf ab, die bürgerliche Soziologie in ihrer Krise zu betrachten. Diese These taucht in dem ganzen Teil überhaupt nicht auf. Dadurch bekommt der ganze Teil einen defensiven Zug!
Am Anfang muss sicherlich zunächst einmal geklärt werden, welche Rolle die bürgerliche Soziologie im System der Herrschenden spielt. Du beginnst damit, aber du führst das nicht zu Ende.
Zwischendurch setzt du dich mit der Frage der sogenannten »Mittelschicht« auseinander. Diese »Mittelschicht« oder »Mittelklasse«, wie es heute heißt, hat nicht in erster Linie etwas mit dem »Verschwinden der Arbeiterklasse« zu tun, sondern richtet sich gegen jede Klassenanalyse. Dort verschwinden auch das Kleinbürgertum, mittlere und untere Teile der Bourgeoisie, und es wird rein nach dem Einkommen klassifiziert. Diese Auseinandersetzung über die Rolle der Arbeiterklasse haben wir an anderen Stellen bereits ausführlich geführt und muss hier nicht wiederholt werden. Die Klassenstruktur im staatsmonopolistischen Kapitalismus, insbesondere in der internationalisierten Produktion, haben wir ausführlich im RW behandelt. Das müsste das positive Ergebnis der Polemik mit dieser These sein.
Richtig unterscheidest du zwischen den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologen. Aber zunächst einmal musste die bürgerliche Soziologie in die Krise geraten und deutlich werden, dass dann im Rahmen des Systems der kleinbürgerlichen Denkweise kleinbürgerliche Soziologen auf den Plan getreten sind. Das wird von dir überhaupt nicht konkret analysiert.
Dein wiederholter Vorwurf ist, dass die bürgerliche Soziologie den wissenschaftlichen Sozialismus ignoriert. Das ist aber nicht das Problem. Sie attackiert den wissenschaftlichen Sozialismus und setzt an seine Stelle etwas anderes, eine idealistische Darstellung der Gesellschaft und der Klassenstruktur, um die Massen im Rahmen des Systems zu halten. Der reale Einfluss der bürgerlichen Soziologie in der Gesellschaft wird überhaupt nicht untersucht. Wir sollten die bürgerliche Soziologie attackieren und die Attacken der bürgerlichen Soziologie auf uns.
Ein weiteres Problem ist, dass du eigentlich durchgehend statt Polemik eine relativ phrasenhafte und sich ständig wiederholende Kommentierung wählst, auch keinerlei neue Gedanken entwickelt werden, die nicht irgendwo an anderer Stelle des Buchs schon behandelt sind. Das ist eine dogmatische Methode.
Du hast die gesellschaftliche Rolle der bürgerlichen Soziologie überhaupt nicht richtig untersucht. Das kann man aber auch nur in Zusammenhang mit der Praxis tun, die in deinem ganzen Teil überhaupt keine Rolle spielt. Das ist eine Trennung von Theorie und Praxis und zugleich auch eine Abgehobenheit.
Allerdings musst du die Überarbeitung selbst machen. Ich habe zum Beispiel vorgeschlagen, dass du einmal die bürgerliche Soziologie in Zusammenhang mit der Europafrage untersuchst, die wiederum im Zusammenhang mit dem Brexit behandelt werden soll. In der Berichterstattung über den Brexit wurde allgemein der Eindruck erweckt, als wäre der Brexit etwas Rückschrittliches und die Verteidigung der EU etwas Fortschrittliches. Das war aber eine typische Manipulation der Massen, was das Hauptgeschäft der bürgerlichen Soziologen darstellt. Natürlich waren die hauptsächlichen Wortführer, die man in den Medien wahrgenommen hat, reaktionäre, zum Teil auch faschistoide Politiker wie Johnson und andere. Aber man muss auch wissen, dass auch die Arbeiterbewegung immer gegen die EU war, weil sie ein imperialistischer Block ist, der volksfeindlich ist und eine imperialistische Politik durchführt. Diese fortschrittliche Kritik wurde nicht erwähnt, sondern einfach unter dem reaktionären Nationalismus und Chauvinismus subsumiert. Man kann an dieser Auseinandersetzung genau die Rolle der bürgerlichen Soziologie in ihrer manipulativen Arbeit darstellen. Das solltest du unbedingt tun.
Insbesondere solltest du dich bemühen, etwas mehr polemisch zu sein, geeignete Zitate zu suchen und diese auch wirklich auseinander zu pflücken.
Die Pseudowissenschaft der bürgerlichen Ideologie fußt nicht auf Wissenschaftlichkeit, sondern ist von vorneherein manipulativ und gegen jede wissenschaftliche Untersuchung gerichtet.
Ich möchte auch, dass der Abschnitt mehr Gehalt bekommt. Konkrete Untersuchungen, wie viele Sozialwissenschaftler es heute gibt, wie sich das entwickelt hat, wie das in den Lehrbüchern dargestellt wird usw.
Herzliche Grüße
Stefan
Monika Gärtner-Engel an Mitarbeiter am REVOLUTIONÄREN WEG Nr.39 »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur«
Liebe Genossen!
Die von Euch abgegebene Überarbeitung ist eine deutlich verbesserte Grundlage für den Abschnitt im REVOLUTIONÄREN WEG Nr. 39. Nach der Neugliederung heißt dieser Abschnitt I.8 »Fragwürdige Theorie und Praxis der bürgerlichen Rechtswissenschaft«.
Im Begleitbrief fand ich aufschlussreich, wie ihr die kritisierten Mängel am letzten Entwurf in Verbindung bringt mit typischen Gepflogenheiten in der bürgerlichen Juristerei. Das muss man für die ganze Frage der Umerziehung unbedingt verallgemeinern in Bezug auf die tiefe Wirkung der bürgerlichen Studiengänge und Berufsausübung auf die Denk-, Arbeit und Lebensweise auch fortschrittlicher Menschen oder gar Marxisten-Leninisten.
Die hauptsächliche Herausforderung bei der Bearbeitung des Abschnitts war der immer noch nicht überwundene und einseitige Drang zur politischen Behandlung des Themas, einem Linksdrall dabei bei gleichzeitiger Geringschätzung der weltanschaulichen Seite. Ihr werdet euch die sicherlich 200 Änderungen, auch im veränderten Aufbau im Detail anschauen, ich will nur einige Kernfragen dabei beispielhaft darstellen:
Die eingangs vertretene These, dass bürgerliches Recht nur mit dem Gewaltapparat durchgesetzt wird, ist überspitzt und verkennt die entscheidende weltanschauliche Seite, dass gerade die Lebenslüge vom demokratischen Rechtsstaat eines der wesentlichen Betrugsinstrumente ist. Hier ist im gesamten Abschnitt auch die Kernfrage noch nicht ausgereift, welche Denkweise unter den Arbeitern und den breiten Massen durch dieses wesentliche Betrugsinstrument hervorgerufen wird und was seine wesentlichen Merkmale sind.
Ihr hattet unter der Fragestellung »Was ist eigentlich Recht?« formuliert: »Es wird mithilfe ihres staatlichen Gewaltapparats, insbesondere zur Niederhaltung der unterdrückten Klassen durchgesetzt. … Es wird bestimmt durch die ökonomische Basis der Gesellschaft.« Der Einsatz des Gewaltapparats trifft als letzte Maßnahme der Herrschenden zu, ist aber zu undifferenziert und berücksichtigt auch nicht das später vorgebrachte Engelszitat, dass die ökonomische Basis nicht unmittelbar auf das Recht einwirkt. Deshalb habe ich geschrieben:
»Es wird mit Hilfe ihres staatlichen Apparats, mit Betrug und Gewalt, insbesondere zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und zur Niederhaltung aufbegehrender unterdrückter Klassen entwickelt und durchgesetzt. … Es wird wesentlich geprägt durch die Belange der ökonomischen Basis der Gesellschaft, so in Deutschland den Schutz des Privateigentums an Produktionsmitteln durch das Grundgesetz.«
Der notwendige Kampf der Arbeiterklasse um demokratische Rechte und Freiheiten hat jetzt ein angemessenes Gewicht im Manuskript. Gerade in der grundlegenden Anfangspassage begründet ihr die Bedeutung jedoch nur mit der Verbesserung der Lage und der Kampfbedingungen der Arbeiterklasse. Dem können jedoch auch reformistische Juristen folgen. Wir können diesen Kampf nicht einfach als Kampf um Reformen fordern und propagieren, sondern immer als Schule des Klassenkampfes und nicht zuletzt auch des Aufbaus des Sozialismus. Deswegen habe ich jetzt ergänzt
»… um Lage und Kampfbedingungen der Arbeiterklasse zu verbessern, nicht aber um Illusionen zu schüren in die Zähmung des Kapitalismus durch Rechtsreformen. Vor allem ist der Kampf um Demokratie und Freiheit unerlässlich als Schule dafür, im Sozialismus die politische Macht und die Staatsgeschäfte in die eigene Hand zu nehmen.«
Ein wesentliches Problem im Aufbau und in der Logik war, dass verschiedene Sachen mehrfach behandelt werden. Die Themen werden sozusagen »angedacht«, später nochmal aufgegriffen - das verwirrt. Das betraf zum Beispiel die Behandlung der Krise der bürgerlichen Rechtswissenschaft. Ich habe die verschiedenen Passagen jetzt zusammen genommen und auch die objektiven und subjektiven Faktoren für die Krise der bürgerlichen Juristerei behandelt, entgegen einer einseitige Betonung der objektiven Faktoren dafür. Der Gedanke des objektiven Widerspruchs zwischen Internationalisierung der Produktion und vorwiegend nationalem Recht und die daraus entstehenden Widersprüche und Konflikte ist wesentlich, aber ich habe bewusst die subjektive Seite des Vertrauensverlustes und das Streben der Massen nach Demokratie und Freiheit gegen das reaktionäre Wesen des Imperialismus als Einheit behandelt.
Ein weiteres allgemeineres Problem war neben der Logik und dem Aufbau immer noch die stiefmütterlich behandelte Polemik. Immer wieder stehen einfach Zitate wie das von Bodo Hombach, als ob sie für sich selbst sprächen. Oder es wird die Methode der »Etikettierung« (z.B. als Idealismus oder Agnostizismus) verfolgt, die nicht mehr ist als ein Kommentar für die, die es eh schon wissen. Polemik aber entwickelt Überzeugungskraft und führt auf die richtige Qualifizierung hin, setzt sie nicht bereits schon voraus.
Ebenso wie die Behauptung, dass Recht nur mit dem Gewaltapparat durchgesetzt wird ist auch nicht überzeugend, wenn die Frage des Rechtsstaates in der BRD mit einer einfachen Negation beantwortet wird. Nach dem Zitat von Professor Kirchhoff über den Rechtsstaat als Selbstbestimmung des Volkes hattet ihr nur geschrieben, eine Selbstbestimmung des Volkes ist unter der Diktatur der Monopole eine Illusion. Das ist richtig, aber ignoriert die Tatsache, dass es in Deutschland demokratische Rechte und Freiheiten im Rahmen der bürgerlichen Demokratie gibt, dass die Arbeiter- und revolutionäre Bewegung diese Rechte erkämpft hat. Ich habe jetzt eingefügt:
»Tatsächlich wurde nach dem Massenterror und Massenmord des Hitlerfaschismus im Grundgesetz und in der Gesetzgebung in Deutschland eine ganze Reihe bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten festgeschrieben. Das hat Deutschland dem heldenhaften Kampf der antifaschistischen Widerstandskämpfer, dem Sowjetvolk, der Roten Armee sowie dem späteren Verbund mit den Alliierten zu verdanken. Eine Selbstbestimmung des Volkes ist aber unter der Diktatur der Monopole eine Illusion.«
Insgesamt kam in eurem Text das KPD Verbotsurteil und die damit verbundene antikommunistische Grundausrichtung der bundesdeutschen Justiz m.E. zu kurz. Es wird als Keule gegen Revolutionäre qualifiziert und zusammenfassend geschrieben: »Das Gericht merkte offenbar gar nicht, welchen weltanschaulichen Offenbarungseid es mit dieser offen begründeten Feindschaft gegenüber einer einheitlichen wissenschaftlichen Theorie leistete.« Das ist aber noch eine bürgerlich-liberale Kritik, so habe ich ergänzt
»Die Feindschaft bezog sich jedoch keineswegs auf irgendeine Wissenschaft, sondern auf die des wissenschaftlichen Sozialismus« und bringe dann noch das Zitat von Foschepoth, der ausdrücklich den Charakter als »Gesinnungsurteil« betont, dass die KPD nach ihren Zielen, nach der Gesinnung ihrer Anhänger verboten wurde und es ein Urteil gegen ihre Weltanschauung war.
Insgesamt sind die vielfältigen Zitate der bürgerlichen Juristen interessant und aussagekräftig über ihre bürgerliche Ideologie. Manchmal aber auch sehr verschraubt und schwer verständlich. Deshalb habe ich verschiedene Stellen populärer formuliert, so zum Beispiel nicht nur den Staatsrechtler Reinhold Sibelius mit seiner schwierigen Begründung, warum Recht bei Gefahr außer Kraft gesetzt werden kann, sondern auch Konrad Adenauer, der ja sagte: »Natürlich achte ich das Recht. Aber auch mit dem Recht darf man nicht so pingelig sein«. Man muss sich immer in die Leser hineindenken. Manchmal wird die Ausarbeitung einen etwas intellektuellen bzw. abstrakten Zug.
Zu den Notstandsgesetzen schreibt ihr, dass sie bis zur Einführung des Faschismus gehen. Ich erinnere mich, dass Willi Dickhut immer wieder darauf hingewiesen hat, dass die Notstandsgesetze die Einführung faschistischer Methoden und Unterdrückung erlaubt, ohne die bürgerliche Demokratie abzuschaffen. Er hat betont, dass gerade in Deutschland die Wiedereinführung des Faschismus auf größte Widerstände stoßen würde und deshalb die Herrschenden neue Methoden wählen zur Vorbereitung der Unterdrückung der Massen, die möglichst nicht die Errichtung des Faschismus erfordern.
Ich habe eine neue Zwischenüberschrift eingeführt: Der Kampf der Arbeiterklasse um demokratische Rechte und Freiheiten, um die Bedeutung noch weiter hervorzuheben. Hier habe ich besonders die 100 positiven rechtlichen Entscheidungen für die MLPD noch mal klarer ausgewertet. Ihr habt geschrieben, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Verteidigung und Weiterentwicklung demokratischer Rechte und Freiheiten leisteten. Man muss hier aber unbedingt behandeln, wie sie zum tatsächlich bewusstseinsbildenden Erfolg werden statt bei Erfolgen Illusionen in die Justiz schüren. Zum Beispiel »… mit der Auswertung von Erfolgen und Niederlagen das Selbst- und Klassenbewusstsein zu stärken und die Realität der Klassenjustiz bewusstseinsbildend zu verarbeiten. …«
Die Darstellung der Auseinandersetzung um »Recht« im China Mao Zedongs hat aber eine Tendenz, den weltanschaulichen Klassenkampf, der die hauptsächliche Leitlinie war, gering zu schätzen. So wurde von Euch hervorgehoben, dass Recht nur »subsidiär« unterstützend und hilfsweise angewendet werde. Stattdessen habe ich die Frage des bürgerlichen Rechts und der entscheidenden Leitlinie bzw. Lehre in China Mao Zedongs, den »Kampf zur Überwindung des bürgerlichen Rechts im Sozialismus» hervorgehoben, wie es der REVOLUTIONÄREN WEG Nr. 19 zusammenfasst.
Herzliche Grüße
Monika
Stefan Engel /Leiter der Redaktion REVOLUTIONÄRER WEG
5. Februar 2022
Liebe Genossen,
ich habe euren Abschnitt für den Revolutionärer Weg Nr. 39 »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur« zur Krise der bürgerlichen Kultur jetzt durchgearbeitet. Ich bin nicht einverstanden mit dem Abschnitt, weil er eigentlich keine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Kultur führt.
Ihr beginnt richtigerweise mit dem bürgerlichen und proletarischen Kulturbegriff, wobei ihr zu der Unterscheidung von Kultur und Kulturbetrieb kommt. Im Folgenden wird aber diese Unterscheidung überhaupt nicht mehr vorgenommen und ständig Kultur und Kulturbetrieb durcheinandergeworfen. Hier wurde in eine wichtige Auseinandersetzung geführt ohne praktische Konsequenz. Man hat den Eindruck, dass dieser Absatz erst nachträglich eingefügt wurde, ohne den gesamten Text mit dieser Erkenntnis zu durchdringen.
Es wäre zweckmäßig, dass man dann einen Absatz zur bürgerlichen Kultur macht und später einen zur bürgerlichen Massenkultur. Es ist mir überhaupt nicht erklärlich, warum ihr diese Auseinandersetzung um die bürgerliche Kultur nicht richtig weltanschaulich führt. Ich sehe keine bürgerlichen Definitionen über die Kultur, keine Vorgaben, was die Kultur nach Ansicht der bürgerlichen Ideologie leisten soll und welche weltanschaulichen Auseinandersetzungen da stattfinden, mit denen man sich polemisch auseinandersetzen kann.
Stattdessen wird dann sofort auf die Dekadenz der bürgerlichen Kultur abgehoben, die meines Erachtens einseitig hervorgehoben wird, während die besondere Rolle der bürgerlichen Kultur zur Manipulation der öffentlichen Meinung überhaupt nicht erschöpfend behandelt wird. Die ganze bürgerliche Kultur nur als »dekadent« einzuschätzen, ist auch deshalb einseitig, weil sie dann nicht einen solch allseitigen Einfluss auf die Denk-, Lebens- und Arbeitsweise der Menschen haben könnte.
...
Es gibt auch verschiedene Kulturformen, auf die man eingehen muss, die Musik, die Literatur, Theater, Filme usw. Aber wenn das nur so negativ wäre, wird überhaupt nicht klar, warum zum Beispiel mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung lieber Volksmusik als andere Musik hört, wobei der inhaltliche Unterschied gar nicht so wesentlich ist. Ihr untersucht überhaupt nicht, was der Gehalt dieser Volksmusik ist. Das wird nur in abstrakten Formulierungen dargelegt, ohne einmal konkret zu werden.
Auch die ganze Dimension der bürgerlichen Massenkultur wird nicht behandelt. Einmal wird kurz angedeutet, dass der Individualismus gefördert wird. Aber das ist nicht das einzige. Es wird auch die bürgerliche Familienordnung, der kleinbürgerliche Ehrgeiz, die Unterwürfigkeit, der Antiautoritarismus usw. gefördert. Hier gibt es überhaupt keine Untersuchung, was diese Kultur alles macht, was natürlich nur möglich ist, wenn man sich auch mit den üblichen Texten der Schlager, der Filme usw. darlegt.
Gar nicht dargelegt wird auch, wie sich die bürgerliche Massenkultur im Lauf der Zeit verändert hat, insbesondere mit dem System der kleinbürgerlichen Denkweise und dem Auftreten der allgemeinen Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems. Überhaupt ist auffällig, dass die Frage der Krise der bürgerlichen Kultur nicht richtig ausgeführt wird.
Es sind sicher einige gute Auseinandersetzungen drin. Ich habe auch versucht, einzelne Änderungen durchzuführen. Aber die Sache ist meines Erachtens nicht allseitig zu Ende analysiert und auch in der Synthese nicht ausreichend. Es ist relativ willkürlich und unterschätzt im Grunde genommen die Bedeutung der bürgerlichen Kultur im weltanschaulichen Kampf.
...
Ich meine also, dass eine Konkretisierung des ganzen Abschnitts dringend erforderlich ist.
Vor allem scheint euch die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Polemik nicht einsichtig zu sein. Viel zu viel wird kommentiert, statt zu polemisieren!
...
Soweit erst einmal, herzliche Grüße
Stefan
Unter der Überschrift "Die neue Nummer aus der Reihe 'Revolutionärer Weg' schließt die Analyse der Krise der bürgerlichen Ideologie ab". Rote-Fahne-Interview mit Stefan Engel, dem Leiter des theoretischen Organs der MLPD.