1.
Geschichte, Charakter und Ziele von EWG und EU
Die großen europäischen Konzerne waren nach dem II. Weltkrieg bestrebt, die Enge der einzelnen nationalen Märkte in Europa zu durchbrechen. Sie erwirkten durch ihre Regierungen die Bildung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die im weiteren Verlauf, vor allem durch den Beitritt Englands, zur Europäischen Gemeinschaft (EG) ausgedehnt wurde.
Die EG regelt die wirtschaftlichen Fragen untereinander wie Aufhebung der Zollschranken, Beseitigung der Beschränkungen des freien Verkehrs von Waren, Kapital und Arbeitskräften, gegenseitige Erleichterungen bei Errichtung von Tochtergesellschaften großer Konzerne, aber auch mittlerer Unternehmen, um den dortigen Markt kostengünstiger zu beliefern.
Die EG ist nicht nur der größte Markt für die BRD (1976 = 46 Prozent der Gesamtausfuhr), sondern auch die wichtigste Kapitalanlage (1976 = 35 Prozent der gesamten Direktinvestitionen). Sie bildet die Plattform für weitere Expansionen in die übrigen europäischen Länder und für den wirtschaftlichen Vorstoß auf dem Weltmarkt. ...
Von der starken Position in Europa aus dringen die westdeutschen multinationalen Konzerne, einschließlich der Großbanken, in viele Länder der Erde ein und errichten dort Tochtergesellschaften.
(Willi Dickhut: Der staatsmonopolistische Kapitalismus in der BRD, Revolutionärer Weg Nr. 18, 1978, S. 143/144)
Die Europäische Union wurde 1995 von zwölf auf fünfzehn Mitgliedsländer erweitert. Mit 370 Millionen Einwohnern bildet sie seitdem den größten Binnenmarkt der Welt. Sie ist eine Vereinigung großer imperialistischer Länder mit kleineren kapitalistischen und imperialistischen Ländern Europas. Über die Rolle einer solchen Verschmelzung größerer und kleinerer Länder für die Machtpolitik des internationalen Finanzkapitals führte Lenin aus:
»Derartige Beziehungen zwischen einzelnen großen und kleinen Staaten hat es immer gegeben, aber in der Epoche des kapitalistischen Imperialismus werden sie zum allgemeinen System, bilden sie einen Teil der Gesamtheit der Beziehungen bei der ›Aufteilung der Welt‹ und verwandeln sich in Kettenglieder der Operationen des Weltfinanzkapitals.« (»Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus«, Lenin, Werke, Bd. 22, S. 268 – Hervorhebung Verf.)
Den größeren imperialistischen Staaten gibt eine solche Verbindung mehr politisches Gewicht und ein erweitertes »Hinterland«. Die kleineren Länder bekommen die Chance, am internationalen Konkurrenzkampf teilzuhaben, was aus eigener Kraft nur wenig aussichtsreich wäre. Dafür müssen sich die kleineren Länder den Interessen der führenden imperialistischen Länder – Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien – und ihrer Übermonopole unterordnen. Lenins Analyse bestätigt sich:
»Die imperialistische Tendenz zur Bildung großer Weltreiche ist durchaus realisierbar und wird in der Praxis auch häufig in Gestalt imperialistischer Bündnisse selbständiger und, im politischen Sinne des Wortes, unabhängiger Staaten realisiert. Solche Bündnisse sind möglich und sind nicht nur in der Form zu verzeichnen, daß das Finanzkapital zweier Länder ökonomisch miteinander verwächst, sondern auch als militärische ›Zusammenarbeit‹ im imperialistischen Krieg.« (»Über eine Karikatur auf den Marxismus und über den ›imperialistischen Ökonomismus‹ «, Lenin, Werke, Bd. 23, S. 42)
Unter der Herrschaft der internationalen Monopole beschleunigte und vertiefte sich der europäische Einigungsprozess. Dabei wuchs das Gewicht der großen imperialistischen Länder gegenüber den kleinen Ländern:
(Stefan Engel: Götterdämmerung über der »neuen Weltordnung«, Revolutionärer Weg Nr. 29–31/2003, S. 347/348)