Stefan Engel
Die modernen Revisionisten und der „polnische Sozialismus“
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Wie die DKP-Führung versucht, die Ursachen für die polnischen Ereignisse zu verwischen
Als im Sommer letzten Jahres die ersten Streiks aus Polen gemeldet wurden, gab es für die „UZ“ („Unsere Zeit“ – Zeitung der DKP) nur „angebliche Streiks“, bestenfalls „Arbeitsunterbrechungen“. Aber als sich die Widersprüche in Polen zwischen der Arbeiterklasse und der herrschenden Bürokratenschicht explosionsartig entwickelten und die sozialimperialistische Sowjetunion einen Einmarsch vorbereitete, da begann die DKP-Führung eiligst, ihre Mitglieder im Sinne des Revisionismus auszurichten. Zu diesem Zweck dienten viele Artikel und eine Broschüre mit dem Titel „Polen und wir“. In dieser Broschüre gibt sich W. Gerns – Mitglied des Präsidiums der DKP – den Anspruch einer „Auseinandersetzung mit ideologischen Fragestellungen“, weil er erkannt hat, daß die polnischen Ereignisse nicht spurlos an der Mitgliedschaft der DKP vorbeigehen werden. So oder so – beidemal werden die eigentlichen Ursachen für die Entwicklung in Polen vertuscht. Tatsache ist: In Polen ist der Kapitalismus längst restauriert als Kapitalismus neuen Typs, d. h. ein bürokratischer Kapitalismus; mit Sozialismus hat das nichts mehr zu tun.
In der DKP-Broschüre bemüht sich W. Gerns, die Entwicklung in Polen so zu erklären:
„Sie (diese wirtschaftlichen Schwierigkeiten) äußern sich vor allem in einer zunehmenden Kluft zwischen rasch gestiegener Massenkaufkraft und einem damit nicht Schritt gehaltenen Wachstum des Warenangebots. Die Folge davon sind trotz steigenden Lebensstandards Mangelerscheinungen, Käuferschlangen, Unzufriedenheit der arbeitenden Menschen, die sich mit ihrer vollen Lohntüte auch entsprechend mehr kaufen wollen.“ (S. 15)
Damit wird die Lage der werktätigen Bevölkerung Polens stark untertrieben. Ein Sechstel der Bevölkerung lebt unter dem Existenzminimum. 40 % der Kinder müssen mit weniger auskommen, als nach Ansicht polnischer Experten zum Leben notwendig wäre. Das wurde in dem Parteiorgan der polnischen revisionistischen Partei „Trybuna Ludu“ vom 2. Januar 1981 zugegeben. Die „Frankfurter Rundschau“ vom 3. Januar berichtet weiter darüber:
„Laut ,Trybuna Ludu' sind vor allem alte und erwerbsunfähige Menschen von der Armut betroffen. Kinderreiche Familien – immerhin 17 % und alleinstehende Mütter verfügen ebenfalls häufig nicht über ausreichende Einkommen. Schließlich seien in dem Zusammenhang noch jungvermählte Paare zu nennen, die durch Kinder und hohe Mieten belastet seien.“
„Sehr positive“ Entwicklung?
Trotzdem behauptet W. Gerns:
„Zunächst einmal sollte man sich durch die derzeitigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten Polens … nicht den Blick dafür verstellen lassen, daß die Bilanz der wirtschaftlichen Entwicklung in Polen insgesamt sehr positiv ist.“ (Seite 14 – Hervorhebung durch uns)
Wie kann es aber bei einer „sehr positiven“ Entwicklung zu „Mangelerscheinungen“ kommen – und das nach 35 Jahren angeblichen Aufbaus des Sozialismus?
Gerns lenkt den Blick für die polnische Misere (natürlich) ins kapitalistische Ausland:
„Um das Tempo der Entwicklung der Industrie und des Lebensstandards zu beschleunigen, wurden in der ersten Hälfte der siebziger Jahre enorme Investitionen getätigt, die zum Teil durch die Aufnahme großer Kredite in kapitalistischen Ländern finanziert wurden. Dabei ließ sich die polnische Führung von der Überlegung leiten, daß diese Kredite später durch den Export von Produkten aus den mit ihrer Hilfe errichteten neuen Produktionsanlagen zurückgezahlt werden sollten. Dieses Vorhaben wurde allerdings durch die sich ab Mitte der siebziger Jahre verschärfenden wirtschaftlichen Krisenprozesse außerordentlich erschwert.
Infolge des zyklischen Produktionsrückgangs und des späteren nur gedämpften Wachstums in den kapitalistischen Ländern sperrten sich diese immer mehr gegen polnische Waren.“ (S. 16/17 – Hervorhebung durch uns)
Die letztere Behauptung ist eine plumpe Lüge! Die BRD ist der wichtigste westliche Außenhandelspartner von Polen. Exporte in die BRD:
(in Mio DM)
1969 - 532
1970 - 744
1971 - 770
1972 - 988
1973 - 1 219
1974 - 1 426
1975 - 1 436
1976 - 2 286
1977 - 2 089
1978 - 2 086
1979 - 2 207
(Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft – Leistung in Zahlen 79)
Von einer Sperrung der polnischen Waren kann keine Rede sein. Allein in den 10 Jahren von 1969 bis 1979 stieg der polnische Warenexport in die BRD um das Vierfache. Die Steigerung von 1979 hielt auch im 1. Halbjahr 80 an. Nach Angaben des „Statistischen Hauptamtes für Planerfüllung“ in Polen hat sich der Export in die westlichen Industrieländer im 1. Halbjahr 80 gegenüber dem 1. Halbjahr 79 sogar um 38,8 % erhöht. („Handelsblatt“, 8.8.80) Damit steigen die Exporte in die westlichen Länder schneller als die Einfuhr aus diesen Ländern.
Doch wir fragen W. Gerns: Ist denn eine Verschuldung von 20 Mrd. Dollar im westlich-kapitalistischen Ausland eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit? Wie kommt es, daß eine der größten Industrienationen der Erde nach 35 Jahren angeblichen sozialistischen Aufbaus so von den westlichen Imperialisten abhängig wird? Was sind dafür die Ursachen? Darauf gibt Gerns keine Antwort; er nimmt die Verschuldung dieses Ausmaßes offenbar als absolut normal hin. Gerns behandelt nur die Auswirkungen dieser Ausverkaufspolitik, deren Lösung er dann den Arbeitern anlasten will. Die Ursachen dieser Ausverkaufspolitik liegen aber im Innern.
Äußere Ursachen für die polnische Krise hauptsächlich verantwortlich zu machen, ist also nicht stichhaltig; es sei denn durch die Ausbeutung des Sozialimperialismus – aber darüber weiter unten. Wenden wir uns daher den inneren Ursachen Polens zu, um dem Kern näherzukommen.
Als zweite Ursache der polnischen Krise nennt Gerns:
„Wenn sich in Polen eine zunehmende Kluft zwischen Kaufkraft und Warendeckung entwickelt hat, so bedeutet das, daß in der praktischen Wirtschaftspolitik – aus welchen Gründen auch immer (!!) – die genannten objektiven ökonomischen Erfordernisse verletzt wurden.“
„… aus welchen Gründen auch immer …“ – sehr wichtig scheint dem „Genossen“ Gerns, führendes Mitglied des DKP-Parteivorstandes, die Frage nicht zu sein, warum den Werktätigen in Polen der Fortschritt nicht zugute kommt! Was soll das für ein Sozialismus sein, wo nach 35 Jahren „sozialistischen Aufbaus“ die Werktätigen zum Verzicht aufgerufen werden?
Stalin (den die modernen Revisionisten wohlweislich ablehnen) sagte 1934 auf dem XVII. Parteitag der KPdSU:
„Es wäre eine Dummheit anzunehmen, daß der Sozialismus auf der Basis des Elends und der Entbehrungen, auf der Basis der Einschränkungen der persönlichen Bedürfnisse und der Senkung der Lebenshaltung der Menschen auf die Lebenshaltung von Armen errichtet werden könnte, die übrigens selbst nicht arm bleiben wollen und nach einem Leben in Wohlstand streben. Wer braucht einen solchen, mit Verlaub zu sagen, Sozialismus? Das wäre kein Sozialismus, sondern eine Karikatur auf den Sozialismus … Denn der Sozialismus, der marxistische Sozialismus, bedeutet nicht Einschränkung der persönlichen Bedürfnisse, sondern ihre allseitige Erweiterung und Entfaltung, nicht Beschränkung oder Verzicht auf die Befriedigung dieser Bedürfnisse, sondern allseitige und vollständige Befriedigung aller Bedürfnisse kulturell hochstehender werktätiger Menschen.“ (Werke Bd. 13, S. 319)
Stellen wir gegenüber:
Im Kapitalismus dient die Produktion zur Erringung des größtmöglichen Profits für eine kleine Minderheit.
Im Sozialismus dient die Produktion der „Sicherung maximaler Befriedigung der ständig wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft“ (Stalin).
In wessen Interesse und nach welchen Gesichtspunkten wurden die gewaltigen Investitionen in die polnische Industrie getätigt? Der polnische Revisionist Soldaczuk (Institut für Grundprobleme des Marxismus-Leninismus beim ZK der PVAP, Warschau) gibt darüber mit bemerkenswerter Offenheit Auskunft, weswegen wir ihn ausführlich zitieren:
„Das Initiieren wichtiger Schlüsselinvestitionen, die von langfristiger Bedeutung für die Wirtschaft und die Entwicklung des Landes sind, sowie ihre erfolgreiche Verwirklichung und die dadurch erzielten positiven Resultate, können die Quelle persönlicher Genugtuung sein und für einen Teil der Wirtschaftsfunktionäre einen wichtigen Faktor ihres wirtschaftlichen und politischen Aufstiegs bilden. Ähnliche Motivationsfaktoren wirken auch bei den sozialistischen Unternehmen als Ursache der hohen Investitionsneigung.“ (Aus: „Arbeitsmaterialien des Instituts für Marxistische Studien und Forschungen“ (IMSF) Bd. 10/80, S. 133 – Hervorhebungen jeweils durch uns)
Als Ursache (sprich Triebkraft) für die hohen Investitionen wird die „Quelle der persönlichen Genugtuung“ (sprich Bereicherung) und die persönliche Karriere der Betriebsdirektoren angegeben. Hierin unterscheiden sie sich in keiner Weise von den Konzernmanagern in den westlichen Ländern, die ebenfalls nach diesen Gesichtspunkten die Investitionen vornehmen.
Ganz anders sieht es im Sozialismus aus. In dem „Lehrbuch für politische Ökonomie“, das die Erfahrungen der sozialistischen Sowjetunion unter Lenin und Stalin zusammenfaßt, wird ganz klar ein anderes Ziel der Investitionen genannt:
„Die sozialistische Produktion, die die Aufgabe verfolgt, die Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft zu befriedigen, verlangt eine ununterbrochene Entwicklung und Vervollkommnung der Technik; es gilt, die alte Technik durch die neue und die neue durch die neueste Technik zu ersetzen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit großer Investitionen in der Volkswirtschaft.“ (1955, Dietz-Verlag/Nachdruck, S. 432 – Hervorhebung durch uns)
Da die Höhe der persönlichen Bereicherung der Betriebsdirektoren in Polen und den anderen revisionistischen Ländern an die Höhe der Produktivität „ihres“ Betriebes gebunden ist, gehen sie nicht mehr von der Gesamtwirtschaft aus, sondern jeder ist nur noch bestrebt, sein Schäfchen ins Trockene zu bringen. Wie in allen kapitalistischen Ländern führt das zur Anarchie der Produktion. In Polen ist nur noch die Hülle einer Planwirtschaft zurückgeblieben, und selbst diese muss nach und nach den offenen kapitalistischen Wirtschaftsformen weichen. Ein typisches Beispiel ist der Wettlauf um staatliche Zuschüsse, denn je höher die staatlichen Zuschüsse, desto mehr kann sich die betriebliche Führungsschicht von dem Betriebsergebnis privat aneignen. In dem oben erwähnten Artikel wird darüber recht offen geplaudert:
„Die Tatsache, daß die Unternehmen von allen Sonderfonds, die von zentralen Institutionen für Investitionszwecke zur Verfügung gestellt wurden, anstelle eigener Mittel einsetzen können, bewirkt, daß die Unternehmen mit den Investitionsmitteln nicht sparen. Im Gegenteil, sie sind sogar noch bestrebt, möglichst hohe Finanz- und Sachmittel für Investitionszwecke zu erhalten.
Am wichtigsten für die Unternehmen ist also, im Plan entsprechend hohe Investitionsmittel zu verankern. Die Haupttätigkeit beruht demnach darauf, die Behörden von der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit bestimmter Investitionen im Unternehmen (...) und ihrer Einführung in den Investitionsplan zu überzeugen.
Zu diesem Zweck entwickelt die Leitung der Unternehmen rege Aktivitäten und bemüht sich, für die geplanten Investitionen die entsprechende Unterstützung der lokalen und Zentralbehörden zu gewinnen.“ (ebenda, S. 133)
Was ist das anderes als Verschwendung, Korruption, Vetternwirtschaft, Fehlinvestitionen zum Zwecke der persönlichen Bereicherung? Das sind keine einzelnen Fehltritte, wie die DKP-Führung glauben machen will, sondern die gesetzmäßige Folge einer kapitalistischen Wirtschaft. Die Verselbständigung der Betriebe im Rahmen des bürokratisch-kapitalistischen Systems ist die Grundlage für die persönliche Bereicherung der Betriebsdirektoren. Darum mußten die Revisionisten auch das sozialistische Verteilungsprinzip „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung“ abschaffen.
In dem Artikel des polnischen Revisionisten heißt es:
„Sie (die Investitionen – die Redaktion) stellen den schnellsten Weg der Beschleunigung des Produktionswachstums und der Erhöhung der Arbeitsproduktivität dar, also jener Maßstäbe, von denen die Bewertung der Ergebnisse des Unternehmens, das Lohnniveau der Arbeiter, des technischen und Führungspersonals abhängen.“ (ebenda S. 133)
Natürlich verschweigen sie, daß die Maßstäbe für Arbeiter und Direktoren sehr verschieden sind, je nach dem Grundgehalt. Dies ist typisch für die revisionistischen Länder und ist auch die Praxis in der Sowjetunion, wie wir bereits im REVOLUTIONÄREN WEG 8 nachgewiesen haben:
„Denn wie wir gesehen haben, hängt heute die Größe des ,Fonds für materielle Interessiertheit', und damit die Höhe der Prämien für die einzelnen Arbeiter, nicht mehr im entscheidenden Maße von der Arbeitsleistung des einzelnen ab; selbst nicht einmal von der Bruttoproduktion des Kollektivs, sondern vom Gewinn, von der Rentabilität des jeweiligen Betriebes. Es bekommt also nicht mehr jener Arbeiter eine höhere Prämie, der mehr und besser arbeitet, sondern derjenige, der in einem rentablen Betrieb arbeitet. Es kann durchaus vorkommen und geschieht sogar sehr oft, daß zwei Arbeiter, die genau das gleiche leisten, grundverschiedene Löhne erhalten, nur weil der eine in einem moderner ausgerüsteten und damit rentableren Betrieb arbeitet …“ (REVOLUTIONÄRER WEG 8, S. 76, theoretisches Organ des KABD)
Da der Gewinn der Direktoren von der Rentabilität des einzelnen Betriebes abhängt, sind diese bestrebt, die Arbeitshetze durch Prämien zu steigern. Die Arbeiter sollen das Gefühl haben, sie seien an dem Gewinn beteiligt; in Wirklichkeit bekommen sie nur kleine Brosamen.
Während ein Sechstel der Polen in Armut lebt, im Winter Kohle zum Heizen fehlt, chronische Fleischknappheit herrscht, da lebt eine kleine Bürokratenclique wie die Made im Speck, ist Korruption, Verschwendung und kapitalistischer Luxus an der Tagesordnung. Dabei sind die Direktoren abhängige Manager und Handlanger, während die eigentliche Monopolbourgeoisie im zentralen Partei- und Staatsapparat sitzt und sich ihren Profit direkt aus dem Staatshaushalt entnimmt. Und nicht zu knapp, wie das Beispiel des ehemaligen Präsidenten des Staatskomitees für Rundfunk und Fernsehen, M. Szczepanski, zeigt.
Verschiedene westliche Tageszeitungen und Zeitschriften haben eine lange Liste von seinen angehäuften Reichtümern veröffentlicht, die unseres Wissens bisher von der DKP noch nicht öffentlich dementiert wurde. Dazu gehören zwei Schlösser, Villen, mehrere Appartements in Warschau, ein Hotel an der Ostsee, mehrere landwirtschaftliche und Handwerksbetriebe, Bankguthaben auf westlichen Banken sowie westliche Aktienpakete.
Markant an diesem Fall ist, daß es gerade Szczepanski immer war, der über Rundfunk und Fernsehen ständig Maßhalteappelle ans Land hinaussendete. Auch auf die revisionistische Führungsclique trifft zu, was der Dichter Heinrich Heine so trefflich formulierte:
„Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, ich kenne auch die Herren Verfasser; ich weiß, sie tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser.“
Auch wenn die Revisionisten jetzt nur einzelne absetzen, „um die Götter zu beruhigen“, das ändert nichts daran, daß die ganze führende Schicht, die Partei-, Staats-und Wirtschaftsbürokratie, im Luxus lebt.
Und wo bleibt die angeblich existierende Arbeiterkontrolle? Wenn die Arbeiter die Macht in Polen hätten, dann wären die Bürokraten zum Teufel gejagt worden. In Polen aber wurde die Diktatur des Proletariats gestürzt und eine Diktatur einer Bourgeoisie neuen Typs errichtet.
Obwohl sich die Revisionisten alle nur erdenkliche Mühe geben, um den antagonistischen Klassenwiderspruch zwischen der neuen Bourgeoisie und der Arbeiterklasse zu vertuschen, können sie doch nicht ganz an der polnischen Realität vorbei. Scheinheilig erklärt der polnische Revisionist Gulczynski vom „Institut für Grundprobleme des Marxismus-Leninismus beim ZK der PVAP“ (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei) in Warschau:
„Paradox – der sozialistische Staat, der nicht mehr auf der Seite der Privilegien und Ausbeutung steht und seine Tätigkeit auf die Befriedigung der Bedürfnisse alle Bürger richtet – er erscheint den Menschen häufiger als 'Gegner' denn als Staat, der ihre Interessen schützt.“(IMSF, ebenda, S. 15)
In der Tat – das ist äußerst paradox. Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten:
Entweder schätzt die Bürokratie die 7 Millionen polnische Arbeiter für so dumm ein, daß diese ihren bürokratisch-kapitalistischen Staat als „sozialistischen Staat“ abnehmen, obwohl die staatliche Polizei 1970 streikende Arbeiter auf offener Straße erschossen hat.
Oder die Arbeiter erkennen immer mehr, daß es kein sozialistische Staat ist. Dann wäre sehr wohl erklärlich, wieso sie diesen Staat der revisionistischen Bürokratenclique als Gegner ansehen.
Gulczynski weiß sehr wohl, wieso er diesen Widerspruch nicht näher ausgeführt hat. Denn sonst müßte er zugeben, daß die zunehmende Gegnerschaft der Arbeiter zu diesem Staat ein Beweis dafür ist, daß es sich nicht um den Aufbau eines sozialistischen Landes gemäß den Lehren des Marxismus-Leninismus handeln kann. Lenin wies gerade auf diesen Punkt immer wieder hin, wonach der Aufbau des Sozialismus die Einbeziehung immer breiterer Teile der werktätigen Massen erfordert:
„Hier müssen sich die Gewerkschaften am meisten einen der tiefsinnigsten und berühmtesten Aussprüche der Begründer des modernen Kommunismus überlegen, wonach, je weiter und je tiefer die Umwälzung geht, die Zahl derer sich vermehren muss, die diese Umwälzung vollziehen.“ (Referat auf dem II. gesamtrussischen Gewerkschaftskongress – 20. Jan. 1919, Werke Bd. 28 S. 430/431)
Mögen sich die polnischen Revisionisten auch noch so oft als Verfechter des „realen Sozialismus“ herausstellen. Es wird ihnen nicht gelingen, dies mit der polnischen Wirklichkeit – eines massenhaften Protests der polnischen Arbeiter nach 35 Jahren eines (angeblichen) sozialistischen Aufbaus – in Einklang zu bringen.
Je stärker sich die Widersprüche zwischen der Arbeiterklasse und der neuen Bourgeoisie zuspitzen, desto häufiger beteuern die Revisionisten, daß es im (angeblich) sozialistischen Polen keine antagonistischen Klassenwidersprüche gäbe. Mit gespielter Unverständlichkeit gibt sich der Revisionist J. Schleifstein vom „Institut für Marxistische Studien und Forschungen“ (IMSF) in Frankfurt:
„Dennoch ist es verständlich, daß die Arbeiterbewegung in den kapitalistischen Ländern erwartet, erhofft, daß diese Widersprüche und Konflikte keinen explosiven Charakter annehmen, … daß diese Widersprüche und Konflikte eben schon die andere Natur, die nichtantagonistische Natur der Klassenbeziehungen, der sozialen Beziehungen in der sozialistischen Gesellschaft ausdrücken.“ („Blätter für deutsche und internationale Politik“ Nummer 10/80, S. 1198)
Und frei nach der Devise, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, behauptet der oben zitierte polnische Revisionist Gulczynski:
„Die Widersprüche des Sozialismus sind frei von der objektiven Unvermeidbarkeit ihrer Umwandlung in gesellschaftliche Konflikte, da es in dieser Gesellschaft keine Klassen mit strukturell entgegengesetzten Interessen gibt.“ (IMSF, ebenda, S. 19)
Schon allein die polnische Wirklichkeit ist Beweis genug, daß dies nicht auf Polen zutreffen kann, wo es in den letzten zehn Jahren mehrmals zu großen Arbeiterstreiks kam. Trotzdem behauptet der polnische Revisionist Jan Bluszkonski:
„Das Fehlen des Klassenantagonismus bildet den größten Vorzug der sozialistischen Gesellschaftsordnung, die Haupterrungenschaft der proletarischen Revolution.“ (IMSF, ebenda, S. 70)
Das ist revisionistischer Unsinn. Eine plumpe Fälschung des Marxismus-Leninismus, die im übrigen nicht neu ist und auf die Lenin bereits eine eindeutige Antwort gab:
„Der Fehler der ,Berner' Internationale besteht darin, daß ihre Führer den Klassenkampf und die führende Rolle des Proletariats nur in Worten anerkennen und Angst haben, bis zum Ende zu denken, daß sie gerade vor jener unvermeidlichen Schlußfolgerung Angst haben, die für die Bourgeoisie besonders schrecklich und absolut unannehmbar ist. Sie haben Angst anzuerkennen, daß die Diktatur des Proletariats ebenfalls eine Periode des Klassenkampfes ist, der unvermeidlich bleibt, solange die Klassen nicht aufgehoben sind. (...) Klassen sind Gruppen von Menschen, von denen die eine sich die Arbeit der anderen aneignen kann infolge der Verschiedenheit ihres Platzes in einem bestimmten System der gesellschaftlichen Wirtschaft. Es ist klar, daß man zur völligen Aufhebung der Klassen nicht nur die Ausbeuter, die Gutsbesitzer und die Kapitalisten, stürzen, nicht nur ihr Eigentum abschaffen muß, man muß auch sonst jedes Privateigentum an den Produktionsmitteln abschaffen, man muß sowohl den Unterschied zwischen Stadt und Land wie auch den Unterschied zwischen Hand- und Kopfarbeitern aufheben.“ (Die Große Initiative, Ausgewählte Werke Bd. III, S. 255)
Auch die polnischen Revisionisten und die DKP-Führung haben Angst, den Sozialismus als eine Periode des Klassenkampfes anzuerkennen, weil sie dann erklären müssten, zu welcher Klasse sie zählen, wo sie doch in offensichtlichem Widerspruch zur Arbeiterklasse stehen.
Wenn es aber in Polen und den anderen revisionistischen Ländern (das heutige China eingeschlossen) tatsächlich keine antagonistischen Klassenwidersprüche mehr geben würde, dann dürfte es konsequenterweise in der Sowjetunion, in der DDR und in Polen weder Polizei noch Gefängnis – kurz überhaupt keinen Staat mehr geben.
Denn „der Staat“, sagt Lenin, „ist das Produkt und die Äußerung der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze. Der Staat entsteht dort, dann und insofern, wo, wann und inwiefern die Klassengegensätze objektiv nicht versöhnt werden können. Und umgekehrt: Das Bestehen des Staates beweist, daß die Klassengegensätze unversöhnlich sind.“ (Staat und Revolution, Ausgewählte Werke Bd. II, Seite 322)
Daß in Polen und den anderen revisionistischen Ländern ein Staatsapparat besteht (der sogar noch ausgebaut wird), das kann die DKP-Führung nur schwerlich verleugnen. So lange aber ein Staat notwendig ist, so lange existieren auch antagonistische Klassengegensätze. Die Revisionisten erfinden nun kurzerhand eine „Interessengleichheit“ der verschiedenen Klassen und Schichten und tischen den alten revisionistischen Plunder vom „Staat des ganzen Volkes“ auf:
„In der Volksrepublik Polen beginnt die Periode des allmählichen Hinüberwachsens des Staates der Diktatur des Proletariats in den von der Arbeiterklasse geführten Staat des gesamten Volkes.“ (Jan Szydlak über den VII. Parteitag der PVAP in: „Probleme des Friedens und des Sozialismus“, Nummer 2/76, S. 154)
Die Revisionisten behaupten, daß der Staat einen Interessenausgleich schafft und das ganze Volk vertritt. Lenin spottet über die Leute, die Marx in dem Sinne „verbessern“ wollen, „daß der Staat sich als Organ der Klassenversöhnung erweist.“ (Staat und Revolution, Ausgewählte Werke, Bd. II, Seite 323)
Doch was wäre, wenn der Staat tatsächlich die Interessen des ganzen Volkes vertreten würde. Dann, so stellt Engels scharfsinnig fest, wenn der Staat „endlich tatsächlich Repräsentant der ganzen Gesellschaft wird, macht er sich selbst überflüssig“. (Anti-Dühring, zitiert nach Lenin, Ausgewählte Werke Bd. II S. 330)
Wie man sieht, verstricken sich die Revisionisten mit ihren artistischen Seiltänzen von einem Widerspruch in den anderen.
DAS GANZE GEREDE VOM „STAAT DES GANZEN VOLKES“ IST NICHTS ANDERES ALS EIN LÜGENGEBÄUDE, UM DIE HERRSCHAFT DER REVISIONISTISCHEN FÜHRUNGSSCHICHT ALS NEUE BOURGEOISIE GEGENÜBER DER ARBEITERKLASSE ZU VERTUSCHEN!
In den revisionistischen Ländern wie Polen, DDR und Sowjetunion hat sich die Partei- und Staatsführung von Dienern des Volkes zu Beherrschern des Volkes gewandelt. Von diesem Moment an verfolgten die bürokratischen Machthaber ausschließlich die Ziele ihrer eigenen Interessen. Selbst der oben zitierte polnische Revisionist Gulczynski kommt nicht umhin zuzugeben, daß es sich bei der Staatsführung um eine besondere Schicht handelt:
„Sie (die Leitenden – die Red.) können und haben gewiß ihre spezifischen Gruppeninteressen, die auf dem Streben nach Festigung der eigenen Stellung, nach größerer Unabhängigkeit von oben und von unten beruhen, nach der Erlangung der höchsten Prämien und Privilegien (manchmal nach einer übermäßig privilegierten materiellen Lage).“ (IMSF, ebenda, S. 17)
Gulczynski scheint zu wissen, wovon er spricht, nämlich von einer herrschenden Bürokratenclique, die nur noch ihren eigenen Vorteil im Sinn hat. Und diesen Sinn nur durchsetzen kann, weil sie der Arbeiterklasse die Macht entrissen haben.
Zur Aufrechterhaltung der Macht der neuen Bourgeoisie bildet die revisionistische Partei ihr Kampfinstrument. Um das zu vertuschen, wird die marxistisch-leninistische Lehre von der Partei über Bord geworfen, die die proletarische Partei stets als Teil, als den fortgeschrittensten Teil der Arbeiterklasse sieht:
„Die Kommunistische Partei ist ein Teil der Arbeiterklasse, und zwar der fortgeschrittenste, klassenbewußteste und daher revolutionärste. Die Kommunistische Partei wird auf dem Wege der natürlichen Auslese der besten, klassenbewußtesten, opferwilligsten, weitsichtigsten Arbeiter geschaffen. Die Kommunistische Partei hat keine von den Interessen der gesamten Arbeiterklasse abweichenden Interessen.“ (Aus den Leitsätzen „Über die Rolle der Kommunistischen Partei“, angenommen auf dem II. Kongress der Kommunistischen Internationale, 1920)
Lenin völlig entgegengesetzt, behaupten die Revisionisten, daß die Partei „über allen Sonderinteressen“ stehen würde, womit sie die Herrschaft der bürokratischen Führungsschicht aus Partei, Staat und Wirtschaft rechtfertigen wollen:
„Die Partei ist der Interessenvertreter der Arbeiterklasse, deren Interessen jene der ganzen Gesellschaft widerspiegeln; sie bilden eine einheitliche, über allen Sonderinteressen stehende gesellschaftliche Kraft, die die Gruppen- und Klasseninteressen mit den allgemeinen Interessen der Gesellschaft (das sagen die Monopole hier auch immer – die Red.) in Übereinstimmung zu bringen“ (Augustyn Wajda in: IMSF ebenda, S. 172 – Hervorhebungen durch uns)
Die revisionistische Clique sondert sich von den Arbeitern immer mehr ab, was dann der polnische Revisionist Drazkiewicz auch noch theoretisch zu begründen versucht. Dabei rutscht ihm versehentlich heraus, daß es eine „herrschende Gruppe“ gibt:
„Die planmäßige Entwicklung von Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaftsstruktur erhöht die Rolle der herrschenden Gruppe.“ (IMSF, ebenda, S. 94 – Hervorhebung durch uns)
Im Sozialismus ist es jedoch das Ziel, die Herrschaft von Menschen über andere Menschen abzubauen. Im Kommunismus – der klassenlosen Gesellschaft – existiert dann nur noch eine Verwaltung über Sachen. Um dahin zu kommen, müssen immer größere Teile der Arbeiterklasse an der direkten Staatsführung beteiligt werden. Ein wesentliches Mittel zur Entwicklung des Sozialismus sind die Gewerkschaften, in denen Lenin jene Organisationen sah, die imstande sind, Millionen und aber Millionen Werktätige zur Beteiligung an der unmittelbaren Macht heranzuführen:
„Die Gewerkschaften müssen wissen, daß … eine größere und wichtigere Aufgabe gestellt wird: die Massen das Regieren lehren …“
Und Lenin fährt fort:
„Wir werden sehen, daß wir diese Aufgabe lösen können, daß wir unermeßlich große Massen Werktätiger lehren können, den Staat zu regieren und die Industrie zu leiten, daß wir die praktische Arbeit entfalten und jenes in Jahrzehnten und Jahrhunderten in den Arbeitermassen eingewurzelte schädliche Vorurteil vernichten können, wonach das Regieren des Staates Sache der Privilegierten sei, wonach das eine besondere Kunst sei. Das ist nicht wahr.“ (Referat auf dem II. gesamtrussischen Gewerkschaftskongreß, 20. Jan. 1919, Werke Bd. 28, S. 439)
Um das Verhältnis zwischen der proletarischen Partei und den Gewerkschaften im Sozialismus anschaulich darzulegen, benutzte Lenin einmal das bekannte Beispiel von dem „Transmissionsriemen“. Darauf berufen sich auch die Revisionisten – aber völlig zu Unrecht, wie wir sehen werden. Zuerst Lenin:
„Wie die beste Fabrik mit einem ausgezeichneten Triebwerk und erstklassigen Maschinen stillstehen wird, wenn der Transmissionsmechanismus zwischen dem Triebwerk und den Maschinen nicht funktioniert, so ist eine Katastrophe unseres sozialistischen Aufbaus unvermeidlich, wenn der Transmissionsmechanismus zwischen der Kommunistischen Partei und den Massen – die Gewerkschaften – falsch aufgebaut ist oder nicht richtig funktioniert.“ (Beschluß des ZK der KPR(B) vom 12. Januar 1922, Ausgewählte Werke Bd. III, S. 752)
Lenin ging von einer korrekten marxistischen Partei aus. In diesem Fall sind die Gewerkschaften eine „Schule des Kommunismus“, die die Aufgabe hat, immer breitere Bevölkerungsschichten an die praktische Leitung des Staates heranzuführen. In diesem Fall wäre die Losung einer „unabhängigen Gewerkschaft“ reaktionär, weil sie zum Ausdruck bringt, daß hier eine Gewerkschaft in Gegnerschaft zu den Interessen des Proletariats angestrebt wird. In Polen aber handelt es sich um eine revisionistische Partei, eine Partei der neuen Bourgeoisie. Damit wandeln sich die Gewerkschaften in „Schulen des Revisionismus“. Sie werden damit zu Kontrollorganen der Bürokraten über die Arbeiter zur Niederhaltung des Klassenkampfs und zur Organisierung der Ausbeutung; anstatt umgekehrt ein Kontrollorgan gegenüber den Funktionären zu sein.
In einer solchen Situation die Anbindung der Gewerkschaften an einen bürgerlichen Staat zu fordern, ist reaktionär, während dann die Losung nach „freien Gewerkschaften“ wie in Polen zu einer fortschrittlichen, zu einer demokratischen Forderung wird, die eine Gewerkschaft als wirkliche Kampforganisation zum Ziel hat.
Nachdem nun die polnischen Arbeiter die „alten Gewerkschaften“ der Revisionisten zu Millionen verlassen haben, sehen sich die Revisionisten nachträglich selbst dazu genötigt, das jahrelang aufgebauschte Bild von den „Gewerkschaften der Arbeiterklasse“ anzukratzen. Der Bonner Korrespondent der polnischen Tageszeitung „Zycie Warszawy“ Ramotowski zeichnete folgendes Bild von der „Arbeit“ der Gewerkschaften:
„Kommen wir zur Rolle der Gewerkschaften. Wie vertraten sie bislang die Interessen der Arbeiter? Es gab in Polen bis vor kurzem zwar 1,5 Mio. Gewerkschaftsfunktionäre (natürlich in ihrer Mehrheit ehrenamtlich), aber die gewerkschaftlichen Aktivitäten hielten sich in Grenzen (sehr vorsichtig ausgedrückt – die Red.). Zugespitzt formuliert: Man sah in den Gewerkschaften vor allem die 'Versorgungsgesellschaft', die 'Sozialfürsorge für kleine Dinge'. Im Herbst haben sich die Gewerkschaften z. B. für ihre Betriebsbelegschaften auf dem Lande nach preiswerten Äpfeln umzusehen.“ (Aus: „Blätter für deutsche und internationale Politik“ Nr. 10/80, S. 1189)
Das nennt man an den Sorgen und Nöten der Massen meilenweit vorbeizuschießen.
Die DKP-Führung ist nicht mehr in der Lage, allein schon wegen den bis heute bekannt gewordenen Einzelheiten über das Treiben der polnischen Gewerkschaftsführer, dies vor ihren Mitgliedern zu rechtfertigen. In der Broschüre „Polen und wir“ schreibt Willi Gerns, Mitglied des Präsidiums der DKP:
„Nach unseren programmatischen Vorstellungen werden die Einheitsgewerkschaften in einer sozialistischen Bundesrepublik eine maßgebliche Rolle in Wirtschaft und Gesellschaft spielen. Diese Aussage könnte jetzt von Gewerkschaftskollegen bezweifelt werden, nachdem Informationen über die bisherige Arbeit der polnischen Gewerkschaften bekannt werden, die nicht diesem Bild entsprechen.“ (S. 19)
Und Gerns stellt die Frage: „Was sollen wir dazu sagen?“
Als Antwort empfiehlt er seinen Mitgliedern:
„Die Rechte, die die polnische Gewerkschaften bisher hatten, entsprächen dann aber auch nicht denjenigen Rechten, die die Gewerkschaften in der DDR und anderen sozialistischen Ländern bereits haben.“ (S. 20)
In Polen schlecht – in der DDR gut, das ist doch etwas zu plump. Heißt das dann, daß in Polen die sozialistischen Prinzipien nicht Realität sind, wohl aber in der DDR? Warum hat dann die DKP-Führung in der Vergangenheit nicht die Verletzung der Prinzipien in Polen kritisiert? Dazu wäre z. B. auf dem VIII. Parteitag der polnischen revisionistischen Partei vor einem Jahr eine gute Gelegenheit gewesen, wo doch H. Gautier, der stellvertretende Vorsitzende der DKP, die Delegation leitete. Aber statt dessen schmierte er den polnischen Revisionisten Honig ums Maul:
„Es ist für uns deutsche Kommunisten eine große Genugtuung und eine Quelle von Kraft, in den polnischen Kommunisten gute Freunde zu haben.“ („UZ“ – Zeitung der DKP vom 16.2.80)
Jetzt ist plötzlich aus der „Quelle von Kraft“ eine Quelle der Probleme geworden, der man sich möglichst schnell entledigen möchte.
Und wenn angeblich so viel Unterschied zwischen den polnischen Gewerkschaften und dem FDGB der DDR bestehen soll, wie will dann Gerns erklären, daß eben dieser FDGB während des Streiks der Reichsbahner in Westberlin die Arbeit als Terroristen beschimpfte und selbst mit Terrormaßnahmen gegen die Streikenden vorging?
Die DKP-Führung versucht, die westlich-kapitalistischen Länder für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten verantwortlich zu machen:
„Die jähe Verteuerung dieser Kredite, die galoppierenden Preise für die Brenn- und Rohstoffe auf dem Weltmarkt zwangen zu schnellen Änderungen in der Handelsbilanz.“ („UZ“ vom 11.8.80)
Natürlich wollen die westlichen Kapitalisten Geschäfte machen, wenn sie die ungeheure Summe von ca. 20 Mrd. Dollar (ca. 40 Mrd. DM) vergeben. (Ein sozialistisches Land verschuldet sich schon gar nicht in dem Maße, sondern baut vor allem aus eigener Kraft die Industrie auf, wie das in der Sowjetunion unter Lenin und Stalin und in dem China Mao Tsetungs geschah.) Bei einer solchen Verschuldung ist doch von Anfang an klar, daß damit den polnischen Werktätigen eine ungeheure Bürde aufgeladen wird, um Zins, Zinseszins und Tilgung zusätzlich zu erarbeiten.
Die DKP-Führung geht aber interessanterweise nicht auf die Sowjetunion ein, wenn sie vom Ausland redet. Wenn die DKP-Führung schon die „galoppierenden Preise für Brenn- und Rohstoffe“ als Grund angibt, warum verschweigt sie dann, daß die Sowjetunion der größte Rohstofflieferant Polens ist?
- Mangan-und Chromerze zu 75 % (Radio Warschau, 11. 4. 80, nach Monitor-Dienst)
- Öl zu zwei Dritteln („Handelsblatt“ vom 18. 8. 80)
- Baumwolle ebenfalls zu zwei Dritteln („Handelsblatt“ vom 18. 8. 80)
Grundlage für diese Abhängigkeit ist das imperialistische Prinzip der sogenannten „Internationalen Arbeitsteilung“. Die Grundsätze dieser revisionistischen Politik legte Chruschtschow bereits auf dem XX. Parteitag der KPdSU dar:
„Heute ist es nicht mehr notwendig, daß jedes sozialistische Land unbedingt alle Zweige der Schwerindustrie entwickelt …“
In einem Artikel von N. Inosenzew von 1973 wird bezeichnenderweise der Weltmarkt der kapitalistischen Staaten friedlich vereint mit den „sozialistischen Staaten“ und den ausgebeuteten Entwicklungsländern:
„Die beiden Weltmärkte, die beiden Weltwirtschaften stehen in bestimmter Wechselwirkung zueinander, sind durch die Gemeinsamkeit der Wirtschaftsverbindungen geeint und bilden (zusammen mit den Entwicklungsländern) ein System der modernen Weltwirtschaft“ (Aus: „Marxistische Blätter“ Nr. 4/73, S. 62)
Diese Darstellung ist nicht verwunderlich, denn diese „internationale Arbeitsteilung“ ist ein Prinzip der imperialistischen Länder, die unterentwickelten Länder von sich abhängig zu machen! Sie sorgen nämlich dafür, daß die Wirtschaft dieser Länder einseitig entwickelt bleibt (z. B. sogenannte Monokulturen wie Kaffee oder aber Montageindustrie von Teilen, die das Land nur aus dem imperialistischen Industrieland beziehen kann). So sind diese Länder zwar formal unabhängig, aber in Wirklichkeit weiter von den imperialistischen Ländern abhängig. (Wir haben das im REVOLUTIONÄREN WEG 16 ausführlich nachgewiesen.) Wie kann von Gleichberechtigung die Rede sein, wenn die UdSSR als einziges Land des RGW eine allseitig entwickelte Wirtschaft hat und andererseits z. B. die mongolische Volksrepublik auf der Stufe eines reinen Agrarlandes gehalten wird?
Auch Polens Wirtschaft ist einseitig und darauf ausgerichtet, ein Teil der sowjetischen Wirtschaft zu sein. 55 % des Maschinenexports gehen in die SU, Polen ist der größte Lieferant von Konsumgütern in die SU und hat die größte Werftindustrie der RGW-Staaten.
Ein bezeichnendes Beispiel einer solchen „sozialistischen internationalen Arbeitsteilung“ ist der Bau der Erdgaspipeline „Sojus“, die am 18. Januar 1979 eröffnet wurde: (aus: „Archiv der Gegenwart vom 6. Juni 1979“, 22619A)
Am Bau der Pipeline beteiligten sich Ungarn, CSSR, DDR, Bulgarien und Polen, eingeschränkt Rumänien.
„… am Bau waren über 15 000 Arbeitskräfte beschäftigt, die jeweils den Abschnitt in der UdSSR zu bauen hatten, der ihrem Land zugewiesen worden war: … Polen III … (der längste Abschnitt von 583 km) … die ,Gastarbeiter' … hatten ihre eigenen Maschinen, Materialien usw. mitzubringen bzw. von der UdSSR zu beziehen und außer der eigentlichen Rohrleitung … auch 22 Kompressionsstationen mit 158 Kompressoren … und örtliche Zusatzanlagen (Wohngebäude, Kindergärten, Schulen, Verwaltungsgebäude usw.) zu errichten...“
„Sojus“ soll 1980 28 Mrd. cbm Gas liefern, Polen soll für seine Bauleistungen „zunächst“ 2,8 Mrd. cbm erhalten.
Weiter heißt es in der Meldung:
„Zum Zwecke der Finanzierung, die die Kraft der RGW-Staaten überstieg, wurden auf den westlichen Kapitalmärkten Kredite von über 1 Mrd. Dollar aufgenommen … Die gesamte Anlage ist ausschließlicher Besitz der UdSSR.“ (Hervorhebung durch uns)
Somit ließ sich die UdSSR von den kleineren RGW-Ländern eine komplette Pipeline bauen und behält zudem noch einen Großteil des Gases für sich: Die Anfangsleistung der Pipeline beträgt 18 Mrd. cbm, aber nur 15,5 Mrd. cbm werden an die Länder geliefert, die die Pipeline erbaut und größtenteils finanziert haben; es bleiben also der Sowjetunion 2,5 Milliarden cbm schon im ersten Jahr als Profit. Für 1980 wurde die Leistung auf 28 Mrd. cbm geplant, d. h. der Profit der Sozialimperialisten erhöht sich.
Das ist die „brüderliche“ Arbeitsteilung. Hinzu kommt noch, daß sich die von der Sowjetunion abhängigen RGW-Staaten (wie z.B. Polen) auch noch bei dem westlich-imperialistischen Ausland stark verschulden mußten, um überhaupt die Mittel aufzubringen, um für die Sowjetunion eine Pipeline zu bauen. Das ist mit ein Grund für die ungeheure Verschuldung der kleinen RGW-Staaten – insbesondere Polens – im westlichen Ausland, die in keinstem Verhältnis steht zu der wirtschaftlichen Stärke dieser Länder; wogegen die Verschuldung des Sowjetunion im Verhältnis dazu relativ nieder ist. Kein Wunder: Die Sozialimperialisten lassen die kleinen Staaten für sich verschulden. (s. Grafik)
DIE ÖKONOMISCHE SELBSTÄNDIGKEIT IST DIE GRUNDLAGE FÜR DIE POLITISCHE SELBSTÄNDIGKEIT! ERST EINE POLITISCHE UNABHÄNGIGKEIT BIETET DIE VORAUSSETZUNG FÜR EINEN FREIWILLIGEN ZUSAMMENSCHLUSS – UND EINEN ANDEREN ZUSAMMENSCHLUSS ALS DEN AUF DER BASIS DER FREIWILLIGKEIT LEHNT DER MARXISMUS-LENINISMUS AB!
„Auf der Grundlage der Prinzipien Lenins wurde 1949 auch der ,Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe' (RGW) gegründet, wobei jeder Staat das Recht hatte, jederzeit aus dem RGW auszutreten, und kein Beschluss gegen den Willen auch nur des kleinsten Staates gefasst werden konnte. Inzwischen gibt es kein Selbstbestimmungsrecht der RGW-Staaten mehr. Mit dem Einmarsch der CSSR verkündete Breschnew die Theorie von der ,beschränkten Souveränität'.“ (REVOLUTIONÄRER WEG 19, S. 440)
Nachdem die Sozialimperialisten Ende 1979 in Afghanistan einmarschiert sind damit erstmals ein Nicht-RGW-Land direkt überfallen haben, ist nun der Einmarsch in Polen militärisch vorbereitet, um die Ausbeutung Polens weiterhin zu sichern und die Arbeiterbewegung gewaltsam zu unterdrücken. Jetzt wollen die Revisionisten die ideologisch-politische Rechtfertigung im voraus liefern, weil sie genau wissen, daß ein Einmarsch einen weltweiten Proteststurm hervorrufen wird.
Die „UZ“ vom 6. Dezember 80 zitiert den Sprecher der polnischen revisionistischen Partei:
„Wenn aber, sagt Klasa weiter, der Sozialismus existenziell bedroht sei, wenn ,die Führung aus den Händen der Demokratie in die Hände der Fürsprecher eines nichtsozialistischen Systems' übergehe, müsse dies mit einer Tragödie enden. ,Dann hätten die polnischen Kommunisten das Recht und die Pflicht, Hilfe bei den Kommunisten aus anderen Ländern zu suchen'.“
Am 4. Dezember 80 wurde von der polnischen Führung der sogenannte „Dramatische Appell“ veröffentlicht, der am Ende eine deutliche Drohung enthält:
„Landsleute, das Schicksal der Nation und des Landes steht auf dem Spiel. Die sich hinziehende Unruhe bringt unser Vaterland an den Rand der wirtschaftlichen und moralischen Vernichtung. Wir befinden uns weiter in der Phase einer scharfen politischen Krise. Ihre Auswirkungen können sich für unsere nationalen Grundinteressen als bedrohlich erweisen.“
Wie können im Sozialismus, wo doch die Arbeiter mit der Diktatur des Proletariats die Macht ausüben, die „nationalen Grundinteressen“ bedroht sein, wenn die Arbeiter mehr Lohn und Kontrolle der Staatsbeamten fordern?
Entweder es herrscht Sozialismus, dann führt die Erfüllung dieser Forderungen nicht zur Bedrohung der „nationalen Grundinteressen“.
Oder die „nationalen Grundinteressen“ sind gefährdet, wenn die Arbeiter eine Forderung aufstellen; dann handelt es sich schon lange nicht mehr um ein sozialistisches und unabhängiges Land, sondern um ein kapitalistisches Land, abhängig von den Sozialimperialisten.
Polen ist ein von dem Sozialimperialismus abhängiges Land – es ist seine Kolonie. Eine solche Abhängigkeit – mit welchen Worten auch immer kaschiert – ist mit dem Marxismus-Leninismus unvereinbar!
Engels schreibt dazu:
„Das siegreiche Proletariat kann keinem fremden Volk irgendwelche Beglückung aufzwingen, ohne damit seinen eigenen Sieg zu untergraben.“ (zitiert nach: Lenin Werke Bd. 22, S. 360)
Und Lenin schreibt in „Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution“:
„Die proletarische Partei erstrebt die Schaffung eines möglichst großen Staates, denn dies ist für die Werktätigen vorteilhaft; sie erstrebt die Annäherung und weitere Verschmelzung der Nationen, aber sie will dieses Ziel nicht mittels Gewalt erreichen, sondern ausschließlich auf dem Wege eines freien, brüderlichen Bündnisses der Arbeiter und der werktätigen Massen aller Nationen. Je demokratischer die Republik Rußland sein wird, je erfolgreicher sie sich als Republik der Sowjets und der Arbeiter- und Bauerndeputierten organisiert, desto stärker werden sich die Werktätigen Massen aller Nationen freiwillig zu einer solchen Republik hingezogen fühlen.“ (Ausgewählte Werke Bd. II, S. 66 – Hervorhebung durch Lenin)
Nach diesem Prinzip wurde erfolgreich die sozialistische Sowjetunion gegründet. Aber mit der Machtergreifung der neuen Bourgeoisie auf den XX. Parteitag in der Sowjetunion, Februar 1956, wurde dieses sozialistische Prinzip der Freiwilligkeit durch das imperialistische Prinzip der Gewalt ersetzt.
Fühlen sich heute die Nationen zu Russland hingezogen? Nein, statt dessen wurde die Sowjetunion in ein großes Völkergefängnis verwandelt. Fühlen sich die Völker (nicht die herrschenden Lakaien) der „befreundeten Staaten“ zur Sowjetunion hingezogen? Nein, sonst wäre kein Einmarsch in der CSSR, keine Besatzungstruppen in Afghanistan und kein Aufmarsch gegenüber Polen notwendig.
Die Völker streben nach Unabhängigkeit, weil sie unterdrückt werden, und der Sozialimperialismus beantwortet dies mit brutaler Gewalt. Aber das wird den Freiheitswillen der Völker wiederum stärken. Und schließlich wird sich auch das russische Volk zu einer erneuten Revolution erheben und aus der Sowjetunion wieder ein sozialistisches Land machen. Denn: „Nie kann ein Volk, das andere Völker unterdrückt, frei sein.“ (Lenin Werke, Bd. 22, S. 151)