-

8.2. Notwendige Überwindung pazifistischer Illusionen

Der allgemeine Friedenswille und das antifaschistische Bewusstsein sind in der Masse der Bevölkerung in Deutschland tief verwurzelt. Sofort nach Ausbruch des Ukrainekriegs demonstrierten etwa 835 000 Menschen in Deutschland für den Frieden. Notwendig ist jedoch, die Bereitschaft zum aktiven Widerstand gegen diesen imperialistischen Krieg und alle Kriegstreiber zu entwickeln. Dazu müssen die friedliebenden Menschen mit einer verbreiteten Unterschätzung der akuten Gefahr eines Dritten Weltkriegs und allerlei pazifistischen Illusionen fertigwerden.

Die revisionistischen Kräfte trauern immer noch der büro­kratisch-kapitalistischen UdSSR vor 1990/91 nach, machen einseitig die imperialistische NATO verantwortlich für die Eskalation, übernehmen unkritisch Putins Rechtfertigung oder verbreiten pazifistische Illusionen. Die revisionistische Partei Kommunisten Russlands (KPKR) äußerte:

»Als Kommunisten und Patrioten unseres Heimatlands unterstützen wir die Entscheidung, eine spezielle Militäroperation in der Ukraine durchzuführen.«[154]

Was für ein kläglicher Kniefall unter den russischen Neo­imperialismus! Hatte nicht Wladimir Putin gerade eben noch den Kommunisten Lenin und Stalin ins Gesicht gespuckt und ihnen die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der ­Ukraine vorgeworfen?[155]

Die SDAJ-Vorsitzende Andrea Hornung sieht Russland – im Unterschied zur DKP-Führung – zwar als imperialistisches Land, warnt aber:

»Wir müssen uns klar von jeder ›Äquidistanz‹[156]-Position abgrenzen, nach der Russland und NATO gleichermaßen aggressiv seien.«[157]

Natürlich erfordert die konkrete Analyse der konkreten Situa­tion eine differenzierte Position, aber vor allem eine klare. Die Warnung vor einer angeblichen »Äquidistanz« darf nicht – wie bei Andrea Hornung – dazu führen, Russland als den besseren Imperialisten zu verkaufen:

»Russland ist gegenüber der NATO aber in der Defensive und das kann uns als Marxisten nicht egal sein«.[158]

Offensive und Defensive im Krieg sind zwei nicht zu trennende Bewegungsformen. Ist ein Krieg schon allein deswegen gerecht, weil er vorgibt, defensiv zu sein? Wer einen Imperialisten in Schutz nimmt, weil er gerade »in der Defensive« ist, leugnet den Klassencharakter des Imperialismus und des imperia­listischen Kriegs. Er öffnet Tür und Tor, mal diesen und mal jenen Imperialisten zu verteidigen, und gleitet damit auf eine sozialchauvinistische Position ab.

Oskar Lafontaine, langjähriger Parteivorsitzender zunächst der SPD und dann der Partei »DIE LINKE«, besticht zweifellos durch eine realistische Analyse des gegenwärtigen imperialistischen Kriegs und gehört eindeutig ins Lager ­seiner entschiedenen Gegner. Er verbreitet jedoch gleichzeitig die Illusion, dass der Imperialismus auch ohne Krieg auskommen könne. So begründete er seinen Austritt aus der Partei »DIE LINKE« am 17. März 2022 damit, dass »jetzt auch noch die friedenspolitischen Grundsätze der Linken abgeräumt werden.«[159]

Diese »friedenspolitischen Grundsätze« waren allerdings nie mehr als kleinbürgerlich-pazifistische Illusionen vom imperialistischen Frieden, der durch den »Interessenausgleich« zwischen imperialistischen Mächten zustande komme. Da der Imperialismus jedoch durch die ungleichmäßige Entwicklung der einzelnen Länder gekennzeichnet ist, ist es gesetzmäßig, dass der viel gerühmte Interessenausgleich von einer bestimmten Situation an nicht mehr funktioniert. Dann wird der Kampf der imperialistischen Mächte um die Weltherrschaft mit gewaltsamen Mitteln im imperialistischen Krieg ausgetragen. Wer imperialistische Kriege abschaffen will, muss bereit sein, ihre gesetzmäßigen Ursachen zu beseitigen und den Imperialismus zu überwinden.

Ein tiefes Verständnis der Veränderungen im imperialistischen Weltsystem setzt heute die Kenntnis wesent­licher politischer und weltanschaulicher Grundlagen des aktiven proletarischen Widerstands voraus. Die Aktivisten müssen verstehen, dass eine Reihe neuimperialistischer Länder entstanden ist und dass eine weltanschauliche Immunität gegen die kleinbürgerlich-sozialchauvinistische, kleinbürgerlich-antikommunistische sowie kleinbürgerlich-opportunistische Denkweise notwendig ist.