Polarisierte Wahl in der Türkei
Wichtiger Achtungserfolg: Fortschrittliches Wahlbündnis liegt bei 10,54 Prozent
Unter den Bedingungen der Herrschaft des faschistischen Erdoğan-Regimes und einer äußerst ausgeprägten Meinungsmanipulation ist den fortschrittlichen Kräften in der Türkei ein Achtungserfolg gelungen.
Nach jetzigem Stand erreicht die Grüne Linkspartei (YSP), unter deren Banner die fortschrittliche Demokratische Partei der Völker (HDP) zur Wahl angetreten ist, 8,81 Prozent der Stimmen und 62 Sitze im türkischen Parlament. Damit ist sie aktuell - wie zuvor bereits die HDP - drittstärkste Kraft im Parlament. Die türkische Arbeiterpartei TIP, verbucht nach derzeitigem Stand 1,73 Prozent der Stimmen und erreicht vier Sitze im Parlament. Sie konnte insbesondere auch in der vom Erdbeben schwer getroffenen Provinz Hatay punkten und erreichte dort 9 Prozent. Damit erreicht das Bündnis für Arbeit und Freiheit, für das beide angetreten sind, zusammen 67 Sitze. Es erhielt insgesamt 10,54 Prozent der Wählerstimmen. In vielen Provinzen im Südosten der Türkei mit großem kurdischen Bevölkerungsanteil, wie in Amed (türkisch Dyabarkir), Êlih (Batman) oder Colemêrg (Hakkari) erreichte die YSP die absolute Mehrheit. Das wurde im Gegenwind errungen: Der Unterdrückung, der Verhaftung tausender Funktionäre und weitgehend gleichgeschalteter Medien. Dazu herzlichen Glückwunsch!
Das Internationalistische Bündnis und die MLPD hatten dazu aufgerufen "Unterstützt und wählt die Yesil Sol Parti!" und in Deutschland gemeinsam mit fortschrittlichen Migrantenorganisationen einen aktiven Wahlkampf durchgeführt.
Der faschistische Präsident Erdoğan hat zum ersten Mal keine absolute Mehrheit bei der Präsidentschaftswahl (er liegt momentan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu bei 49,5 Prozent) und muss in eine Stichwahl gegen Kemal Kılıçdaroğlu von der sozialdemokratischen CHP-Partei (44,89 Prozent). 5 Prozent für den dritten Präsidentschaftskandidaten, Sinan Ogan, der rassistisch gegen Flüchtlinge gehetzt hat.
Es ist das erste Mal in der Geschichte der Türkei, dass das passiert. Die Wut der Massen über die galoppierende Inflation, die zuletzt bei über 80 Prozent innerhalb eines Jahres lag und über die schleppende Erdbeben-Hilfe sind nicht verflogen. Offenbar war aber für viele Menschen Kılıçdaroğlu zugleich keine Alternative, die sie begeistern konnte. Er ist eben auch ein Vertreter der herrschenden Klasse in der Türkei, nur eben eines anderen Lagers der Monopole, die sich im imperialistischen Konkurrenzkampf mehr von einer engeren Zusammenarbeit mit der EU versprechen.
Das Internationalistische Bündnis hat in seinem Wahlaufruf die richtige Einschätzung getroffen: „Wir sind uns zugleich bewusst, dass man den Faschismus nicht abwählen kann. Weiterhin hat der aktive Widerstand gegen Faschismus und Krieg größte Bedeutung, ihre Ursachen liegen im Kapitalismus und Imperialismus.“ Die zwei Wochen bis zur Stichwahl müssen natürlich genutzt werden, um für die Abwahl Erdoğans zu werben. Die Stimmung in der Türkei ist stark politisiert und es gab eine Wahlbeteiligung von fast 90 Prozent.
Viele Menschen waren mobilisiert und beobachteten die ganze Nacht über die Wahlauszählung. Sie berichteten von Wahlfälschungen und Attacken auf Kandidaten und Aktivisten von YSP und TIP – die kurdische Nachrichtenagentur ANF und die HDP haben diese gesammelt und dokumentiert.
Was für mutige Kämpfer kandidieren, zeigt auch der Bericht über Ferit Şenyaşar. ANF berichtet: „[Mit ihm] zieht ein Mitglied der seit Jahren für Gerechtigkeit protestierenden Familie Şenyaşar ins Parlament ein. Zehn Tage vor der Parlamentswahl am 24. Juni 2018 suchte der AKP-Abgeordnete Ibrahim Halil Yıldız in Begleitung von Verwandten und Leibwächtern im Kreis Pirsûs (tr. Suruç) den Familienbetrieb der Familie Şenyaşar auf. Nach einem politischen Streit griffen die Bodyguards und Verwandten von Yıldız die Familie an. Dabei wurden Ferit, Fadıl, Celal und Adil Şenyaşar teils schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht. Während Ferit überlebte, wurden Fadıl und Adil im Krankenhaus von einem Lynchmob aus Angehörigen des AKP-Abgeordneten ermordet. Der zum Krankenhaus geeilte Vater Hacı Esvet Şenyaşar wurde dort durch Schläge mit einer Sauerstoffflasche auf den Kopf ermordet.“ All diesen mutigen Menschen gehört unsere volle Solidarität. Jetzt erst recht: Keine Stimme für Erdoğan! Kampf dem Faschismus!