Landtagswahl NRW

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Schwarz-gelbe Landesregierung abgewählt – Internationalistische Liste/MLPD zeigt erfolgreich Flagge in Situation der akuten Weltkriegsgefahr

Am 8. Mai vollzog sich im Herz von Nordrhein-Westfalen – in Essen und Gelsenkirchen – ein bemerkenswertes Ereignis. So bemerkenswert, dass ein seit langem nicht gekannter Bannstrahl der antikommunistischen Zensur dieses bundesweit bedeutsame Ereignis drastisch unterdrückte: Keine einzige Zeile in irgendeiner Zeitung erschien über das Signal einer neuen Friedensbewegung.

Schwarz-gelbe Landesregierung abgewählt – Internationalistische Liste/MLPD zeigt erfolgreich Flagge in Situation der akuten Weltkriegsgefahr
8. Mai 2022: Die Demonstration kommt in Gelsenkirchen an (Foto: RF)

Bis zu 1500 Menschen kamen aus ganz Deutschland zur ersten Demonstration gegen die akute Weltkriegsgefahr, die sich gegen alle imperialistischen Mächte richtete, sowie zur anschließenden Einweihung einer Gedenkstätte für Revolutionäre aus der deutschen Arbeiterbewegung vor der Horster Mitte, dem Willi-Dickhut-Haus. Dazu aufgerufen hatten das Internationalistische Bündnis und die MLPD.

Sie hatten sich bewusst dafür entschieden - um sich gerade mitten im Wahlkampf zu dieser Frage klar zu positionieren - und verbanden das mit einer bewusstseinsbildenden, in die Tiefe wirkenden Arbeit. Im Unterschied dazu versuchten alle bürgerlichen Parteien, die Diskussion über den Ukrainekrieg, den Kriegskurs der Regierung und die Weltkriegsgefahr so weit wie möglich aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Das Ergebnis der kläglichen Versuche, die brennenden Themen unter den Tisch zu kehren, waren ein nie gekannter Einbruch in der Wahlbeteiligung und:

Die schwarz-gelbe Landesregierung wurde abgewählt

CDU-Spitzenkandidat Hendrik Wüst freute sich über das „tolle Wahlergebnis“ und das „Vertrauen der Menschen“. So toll ist das Ergebnis bei genauerer Betrachtung allerdings nicht. Zwar legte die CDU beim prozentualen Stimmenergebnis um 2,8 Prozentpunkte auf 35,7 Prozent zu. Sie verlor aber 244.346 Wähler gegenüber der letzten Landtagswahl. Allein 160.000 bisherige CDU-Wähler entschieden sich, dieses Mal gar nicht zur Wahl zu gehen. Dass bei ihr das Ergebnis nicht schlechter ausfiel, lag vor allem daran, dass die CDU auf Bundesebene derzeit in der Opposition ist und sich verschiedene Kritiken an der Regierung zunutze machte.

Die FDP verlor 6,7 Prozentpunkte und kam mit 5,9 Prozent nur noch knapp über die Fünf-Prozent-Hürde. FDP-Chef Christian Lindner liegt mit seiner Qualifizierung von der „desaströsen Niederlage“ seiner Partei ausnahmsweise mal richtig. Nur um dann gleich wieder in übler Arroganz die vermeintliche Dummheit der Wähler dafür verantwortlich zu machen. Denn leider sei die „Kommunikation der Gerechtigkeitsfrage im Gesamtpaket der Entlastungen nicht gelungen“.

An der Kommunikation lag es bestimmt nicht, sondern eher daran, dass die von der Regierung beschlossenen meist einmaligen Entlastungen eine schlichte Frechheit sind. Tatsächlich wurde die FDP gerade für ihre Scharfmacherrolle beim Ukrainekrieg und ihre unverantwortliche Corona-Politik abgestraft. FDP-Landesbildungsministerin Yvonne Gebauer erntete berechtigte Wut dafür, wie unverantwortlich sie mit der Jugend umging. Es gab bis zuletzt breite Empörung über ihre „Freitags-Mails“, die stets von Neuem Kinder, Eltern und Lehrer vor vollendete Tatsachen ihres chaotischen Krisenmanagements stellten..

Wo ist der "Rebell" in Kutschaty?

Die Landes-SPD hatte lange Zeit gehofft, von der wachsenden Kritik an der CDU/FDP-Regierung und dem Hype um ihr Bundestagswahlergebnis zu profitieren. SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty präsentierte sich als „Jurist, Rebell und Arbeiterkind“. Der Jurist und das Arbeiterkind sind unbestreitbar. Aber wo soll hier auch nur ein Funken Rebellion zu finden sein? Das Arbeiterkind hat schlicht seine Klasse verraten – wie auch die SPD insgesamt.

In dem Buch von Stefan Engel "Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Opportunismus" heißt es über die fortschreitende Krise des Reformismus: "Die europäische Sozialdemokratie bezahlte für ihren modernen Reformismus mit einer offenen Krise, von der sie sich bisher kaum erholte. Daran änderten auch zeitweilige Stimmengewinne wie bei den Bundestagswahlen 2021 in Deutschland oder in den skandinavischen Ländern nichts, die meist nur Ausdruck des Unmuts über die  'noch schlechteren Mitbewerber' waren." (Seite 104)

Das hat sich voll bestätigt. Die SPD fuhr mit 26,7 Prozent ihr schlechtestes Wahlergebnis in NRW ein und verlor gegenüber 2017 ganze 744.172 Wähler. 300.000 bisherige SPD-Wähler wandten sich enttäuscht von allen Parteien ab und gingen gar nicht mehr wählen.

Historisch niedrige Wahlbeteiligung

In diesem Zusammenhang ist der massive Rückgang der Wahlbeteiligung um 9,67 Prozentpunkte auf nur noch 55,5 Prozent - den tiefsten Wert in NRW nach dem II. Weltkrieg - mit das bemerkenswerteste Ergebnis der Wahl. Es sind vor allem Arbeiter, aber auch andere Teile der Massen, die sich vom ganzen bürgerlichen Parteiensystem abwenden, weil sie darin keine echten Alternativen sehen. Die gesunkene Wahlbeteiligung zeigt, dass sich die Vertrauenskrise in die bürgerlichen Parteien weiter vertieft.

Alte Bindungen lösen sich hier auf – aber die neue zukunftsweisende Bindung an das Vertrauen auf die eigene Kraft, auf die MLPD und das Internationalistische Bündnis ist erst in Ansätzen entstanden. Hier wirkt oft die kleinbürgerlich-negativistische oder -skeptizistische Denkweise, der die Überzeugungsarbeit Selbstvertrauen, Klarheit und eigene Erfahrungen in einer engen Zusammenarbeit entgegensetzen muss.

Grüne missbrauchen den Wunsch nach Solidarität

Am deutlichsten gewonnen haben die Grünen mit 18,2 Prozent und einem Zuwachs von 11,8 Prozentpunkten. Viele Menschen – vor allem auch Jugendliche – wählten sie, weil sie von ihnen ein konsequenteres Vorgehen gegen die sprunghafte Inflation genauso wie gegen die Umweltkrise erwarten. Bei einer relativ großen Masse der Menschen wirkt auch, dass die Grünen vorgeben, den Krieg in der Ukraine aus „Solidarität“ für die Menschen dort und zur „Verteidigung“ gegen den „Diktator Putin“ zu unterstützen.

Subjektiv handelt es sich dabei durchaus um fortschrittliche Motive vieler Wähler. Wenn aber ein imperialistischer Krieg, der von NATO-Seite aus zur Eroberung der Vorherrschaft über die Ukraine und zur Schwächung des Rivalen Russland geführt wird, mit Waffen unterstützt wird, dann verlängert dies nur diesen ungerechten Krieg und das Leiden der Bevölkerung dafür. Die sozialchauvinistische Demagogie der Grünen, verkauft als „Solidarität“, missbraucht in Wirklichkeit die solidarischen, internationalistischen und antifaschistischen Motive unter den Massen.

Eines der wichtigsten Wahlergebnisse ist, dass die faschistoide AfD mit 5,4 Prozent vom Krieg in der Ukraine nicht profitieren konnte, sondern sogar um 1,9 Prozentpunkte zurückfiel. 237.863 Wähler wandten sich insgesamt von ihr ab. Selbst bürgerliche Meinungsmacher betonen, dass die AfD ihre Anziehungskraft als Protestpartei verloren hat. Das ist auch eine eindeutige Wirkung des bewusstseinsbildenden Slogans »Protest ist links« und vieler Diskussionen darum.

Die existenzielle Krise der Linkspartei vergrößert sich mit ihrer zunehmenden Marginalisierung von 4,9 Prozent 2017 auf nur noch 2,3 Prozent. Das ist die Quittung für den vordringenden Opportunismus gegenüber den bürgerlichen Parteien, ihre Anbiederung an SPD und Grüne. Zwar stimmte sie im Bundestag gegen die Lieferung schwerer Waffen. Von ihrer berechtigten Forderung nach Auflösung der NATO ist aber nichts mehr zu hören. Hinzu kam ein desaströser Einblick in das Innenleben der Partei, zum Beispiel mit Beschwerden über sexistische Übergriffe von Männern in der Partei, die meinen, sich alles erlauben zu können.

Dass von den bürgerlichen Medien nun vor allem eine „schwarz-grüne“ Landesregierung aus CDU und Grünen favorisiert wird, zielt nicht zuletzt auch auf den Aufbau einer bürgerlichen Alternative zur Ampel-Koalition auf Bundesebene. Allerdings wird das Zusammengehen mit der CDU auch die Kritik von der eher linken Basis der Grünen in NRW herausfordern. Deshalb ist längst noch nicht entschieden, ob nicht auch auf Landesebene eine Ampel-Koalition zur Stützung der Bundesregierung entstehen wird. Es bleibt abzuwarten, welche Leitlinie die Monopolverbände geben.

Beachtliches Wahlergebnis der Internationalistischen Liste / MLPD

Die MLPD hat ihre seitherigen Methoden der aktiven Wahlkampfführung zugunsten der Förderung des aktiven Widerstands gegen die akute Weltkriegsgefahr sowie gegen die Abwälzung der Kriegs- und Krisenlasten strikt konzentriert. Neben der Kleinarbeit zur bedeutenden Demonstration am 8. Mai hat sie zahlreiche Veranstaltungen zum neuen Buch "Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Opportunismus" durchgeführt, sich intensiv für den Aufbau von Widerstandsgruppen besonders unter Jugendlichen eingesetzt, hat Straßenumzüge, Jugendkonzerte und Open-Air-Diskussionen darauf ausgerichtet. Viel Aufsehen erregten drei neuen Plakatmotive, die mitten reingingen in die polarisierte Diskussion. Nachhaltiges Ergebnis sind unzählige tiefgehende Diskussionen, neue Verbindungen und Antworten auf die vielen ernsthaften Fragen der Massen in dieser nach dem II. Weltkrieg nicht gekannten Situation.

In dieser Gemengelage hat die MLPD ein beachtliches Wahlergebnis erreicht: Sie hat 3.563 Erststimmen für die Direktkandidaten und 3.346 Zweitstimmen für die MLPD als Partei erhalten. Damit konnte sie im Verhältnis zur Bundestagswahl 2021 sogar dazugewinnen. NRW-weit steigerte sie sich von 35 auf 46 Stimmen pro hunderttausend Wähler. Im Wahlkreis um die Horster Mitte, wo am 8. Mai die beeindruckende Kundgebung stattfand und die MLPD eine intensive Kleinarbeit macht, konnten sogar absolut 43 Zweitstimmen dazugewonnen werden. Allerdings hat die MLPD im Vergleich zu ihrem besten Landtagswahlergebnis 2017 durchschnittlich etwa 25 Prozent, teilweise sogar mehr verloren.

Das wichtigste Ergebnis sind vertiefte Verbindungen, neue Kontakte und deutlich mehr "Licht ins Dunkel" der noch erheblichen weltanschaulichen und politischen Verwirrung unter den Massen durch die Hilfe zu einer eigenständigen Orientierung.

Diese erste Beurteilung der Wahlergebnisse wird durch weitere konkrete und differenzierte Analysen zu vertiefen sein. Wir freuen uns über Beiträge und Berichte unserer Leserinnen und Leser dazu.