Stefan Engel
Wir sagen "Schluss mit dem Krieg"!
Beitrag auf der 741. Montagsdemonstration in Gelsenkirchen am 28. Februar 2022
Liebe Freundinnen und Freunde, vor zwei Wochen haben wir hier gestanden und gerätselt, wie es wohl weitergeht. Ich hatte damals noch nicht damit gerechnet, dass Putin in die Ukraine einmarschiert.
Nach dem aktiven Widerstand der Bevölkerung in der Ukraine ist der Marsch nach Kiew offensichtlich ins Stocken geraten. Putin hatte nicht damit gerechnet, dass er auf solchen Widerstand stößt. Er ist auch »nur« mit 30.000 Leuten einmarschiert, eine kleine Truppe. Jetzt muss er nachrüsten. Jetzt muss er Nachschub holen, jetzt wird er die Kriegsführung verschärfen.
Gleichzeitig fängt die NATO an, sich unmittelbar in den Krieg einzumischen. Waffenlieferung ist Teilhabe an dem Krieg. Man kann hier nicht so argumentieren, „wir müssen der Ukraine zur Seite stehen". Denn man muss wissen, was die Ukraine für ein Land ist. Ist es ein Land, in dem die Leute in Demokratie und Würde leben? Das halte ich für verfehlt. Die Ukraine ist ein Land mit einer sehr eingeschränkten Demokratie. Demonstranten werden verhaftet, Bergarbeiterstreiks werden niedergeknüppelt und die Meinungsfreiheit ist sehr eingeschränkt. Die Ukraine als Staat und ihre Regierung kann man als fortschrittlicher Mensch nicht verteidigen. Die Herrschenden verteidigen sie im Grunde genommen nur, weil sie sich für die NATO und die EU entschieden hat. Damit würde das zweitgrößte Flächenland Europas in die EU integriert.
Was haben wir zu tun als Menschen, die diesen Krieg verabscheuen? Den Krieg, der nur auf Kosten der Bevölkerung geführt wird, der die Lasten auf die breiten Massen, die Kinder und die Frauen abwälzt. Viele werden ihn mit ihrem Leben bezahlen. Aber sie werden ihn auch bezahlen mit ihren sozialen Errungenschaften und mit einer Situation, die wir seit 77 Jahren, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, nicht mehr kennen.
Inzwischen hat die NATO umgeschaltet, einschließlich der Bundesrepublik. Das Thema sind nicht mehr friedliche Verhandlungen, sondern jetzt geht es um die aktive Vorbereitung eines III. Weltkriegs. Ein solcher Weltkrieg – man braucht sich keine Illusionen machen – läuft nicht atomwaffenfrei, chemiewaffenfrei oder frei von biologischen Waffen. Längst haben sie sehr zielgenaue, kleinere Atomwaffen entwickelt. Wenn einer die Gesetzmäßigkeiten eines Kriegs etwas kennt, dann weiß er, dass keiner einfach nachgibt, sondern immer versucht, den Krieg für sich zu entscheiden, indem er noch mehr nachlegt, noch stärkere Waffen einsetzt. Wir kennen das aus beiden Weltkriegen, die das letzte Jahrhundert bestimmt haben. Wir stehen in einer akuten Gefahr des Weltkriegs, wenige Meter davor.
Wer weiß, wie Waffenlieferungen laufen, der weiß auch, dass mit jeder Waffenlieferung auch, vor allem mit den komplizierten Waffen, »Fachleute«, im Kern Truppenkontingente mitgeschickt werden. Das ist praktisch ein Kriegseintritt. Die NATO umzingelt förmlich Russland: eine Korvette der Bundeswehr ist im baltischen Meer angekommen, andere Schiffe kreuzen im Mittelmeer und in Richtung Schwarzes Meer, die Flugzeuge sind alle schon nach Osteuropa verlegt, die »schnellen Eingreiftruppen« werden in Osteuropa aufmarschieren usw. D.h., hier wird tatsächlich ein Weltkrieg vorbereitet. Und niemand darf glauben, dass ein solcher Weltkrieg in irgendeinem Sinne mit den Interessen der Bevölkerung auf dieser Welt im Einklang steht. Es ist ein Krieg, der gegen die Interessen aller auf dieser Welt lebenden Menschen gerichtet ist. Und deswegen muss dieser Krieg entschieden bekämpft werden!
Es ist außer Zweifel, dass die Rücksichtslosigkeit der russischen Regierung unter Putin mit diesem aggressiven Akt diesen Krieg ausgelöst hat. Aber er wurde nicht allein von Russland vorbereitet. Wir haben erlebt wie die sogenannten Verhandlungen mit Baerbock, Schulz, Biden und Macron gelaufen sind. Hat die NATO in der ganzen Zeit auch nur ein einziges Zugeständnis gemacht? Wir wissen es aus Tarifrunden, da werden immer Kompromisse geschlossen: da macht der eine ein Zugeständnis, dann macht der andere mal ein Zugeständnis und dann treffen sie sich irgendwo, damit der sogenannte soziale Frieden gewahrt bleibt. Hat die NATO auch nur ein einziges Zugeständnis gemacht? Hat sie ihre Raketen, die sie vor der russischen Grenze aufgestellt hat, etwa zurückgenommen? Hat sie ihr Aufmarschgebiet im Baltikum zurückgenommen? Hat sie ihr Aufmarschgebiet in Rumänien verringert, in Tschechien, in der Slowakei usw.? Nichts dergleichen! Sie haben im Grunde genommen Russland einfach in die Knie zwingen wollen und haben sie eigentlich nur dazu bewegen wollen, diesen Aufmarsch der NATO in Osteuropa hinzunehmen. Das war der eigentliche Gehalt dieser Verhandlungen! Und das hat nichts mit Friedensverhandlungen zu tun, sondern einfach mit Machtdemonstration! Und sie haben nicht damit gerechnet, dass Putin einmarschiert.
Die Ursache liegt nicht einfach in Putins Person, wie es Friedrich Merz (CDU) ausgedrückt hat. Wir haben es mit zwischenimperialistischen Widersprüchen zwischen dem Block Russland und Verbündeten auf der einen Seite und dem Block der NATO auf der anderen Seite zu tun.
Und deswegen können wir eine Friedensbewegung, wie sie in den vergangenen Jahren aufgetreten ist nicht gebrauchen, die sich einseitig auf die Seite Russlands stellt! Oder eine Friedensbewegung, die jetzt zum Teil einseitig marschiert im Sinne der Bundesregierung, die die NATO als Hilfe für die Ukraine ausgibt. Beides ist nicht im Interesse der Bevölkerung! Wir sind gegen diesen Krieg, sowohl gegen den Krieg von Russland, wie auch gegen die Vorbereitung eines Weltkriegs durch die NATO! Wir sagen: Schluss mit dem Krieg!
Und das kann nur die Bevölkerung machen. Der Krieg wird nicht aufhören durch den Druck, durch Verhandlungen. Er wird nur aufhören, wenn das Volk aufsteht, das Volk in den betroffenen Ländern, in aller erster Linie in Russland, aber auch hier. Und ich freue mich darüber, dass gestern (27. Februar) schon 500.000 in Berlin demonstriert haben und heute morgen 250.000 in Köln. Da muss man sagen, der Friedenswille der Bevölkerung, das ist der eigentliche Garant dafür, dass wir auch diesen Krieg bezwingen können.
Aber wir sollten uns keine Illusionen machen. Krieg ist ein sehr schmutziges Geschäft. Man kann in so einer Kriegssituation keinen Nachrichten mehr glauben. Da wird psychologische Kriegsführung betrieben. Jede Friedensdemonstration oder -bewegung, die heute nicht gegen beide Mächte vorgeht, wird letztlich scheitern, oder beruht auf einer Illusion, wie heute der Krieg bekämpft werden kann. Die wichtigste Kraft in dieser Situation müssen die Arbeiter werden und das muss auch deshalb auch in den Betrieben diskutiert werden.
Momentan sind es Demonstrationen. Aber wir müssen auch dagegen kämpfen, dass man damit die sozialen Errungenschaften abbaut. Sie haben jetzt ein Programm aufgelegt in Deutschland, über 100 Milliarden als Sonderfonds für die Bundeswehr – und wo nehmen sie die her? Wo nehmen sie diese Milliarden her? Die nehmen sie den Hartz IV-Empfängern weg, die nehmen sie aus den Steuern der Arbeiter. Merz von der CDU hat schon offen infrage gestellt, ob man überhaupt die ganzen Versprechungen, die die Regierung gemacht hat, die Renten usw. oder Minijobs oder zwölf Euro Mindestlohn – ob man das überhaupt verwirklichen kann. Das ist auch der Punkt: Wir werden nicht verzichten auf unsere Interessen, wir werden auch unsere Söhne und Töchter nicht diesem imperialistischen Aasgeiern zum Fraß vorwerfen, sondern wir werden unsere Kraft darein setzen, dass wir kämpfen!
Aber ich will eure Aufmerksamkeit noch auf etwas Wichtiges richten: Wer diesen Standpunkt vertritt, den ich hier darstelle, der wird Repressionen erleben. Die zeigen mit dem Finger auf Russland, wo schon Tausende verhaftet wurden, weil sie demonstrierten. Aber glaubt ihr denn, dass hier das alles so durchgeht? Wenn dieses Umschalten auf Krieg stattfindet, dann kann dir jede antimilitaristische, jede Antikriegsdemonstration, die nicht im Sinne der Herrschenden ist, als Wehrkraftzersetzung ausgelegt werden. Wir wissen, in den 1950er Jahren, als die Demonstrationen gegen die Gründung der Bundeswehr und der NATO begonnen haben, da wurde die FDJ verboten, die Freie Deutsche Jugend, als entscheidende deutsche Kraft des Antimilitarismus. Und fünf Jahre später die KPD, als die Partei, die ganz entschieden gegen diese Remilitarisierung gekämpft hat. Machen wir uns nichts vor, wir haben es hier nicht mit einem friedliebenden Land zu tun, mit einem demokratischen, wir haben es mit einem imperialistischen Land zu tun und diese Vorbereitung des Krieges ist nichts anderes als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Das ist die grundlegende Haltung zum Krieg.
Dieser Kurs bezieht sich nicht auf eine Person, dieser Kurs entspringt aus der Politik. Die ganzen Jahre versuchen sie das so harmlos darzustellen, „Handel durch Wandel", „ökonomische Durchdringung mit allen Ländern der Welt", das funktioniert an diesem Punkt nicht mehr. In diesem Moment, wo Kriegskonfrontationen aufkommen, da scheitern all diese Konzepte und wird der imperialistische Charakter auch der deutschen Regierung offensichtlich.
Also beschäftigen wir uns mit den Hintergründen, beschäftigen wir uns mit dem Imperialismus. Das ist ein Wort, das kein Mensch mehr heute in den Schulen lernt. Früher hat man noch von Imperialismus gesprochen, vom Kaiser Wilhelm, aber den gibt es ja heute nicht mehr. Doch Imperialismus gibt es! Das wird aber nicht mehr so genannt, damit beschäftigt man sich nicht. Das wird alles verharmlost als friedliche Außenpolitik usw. usf. Wir müssen uns beschäftigen, wir müssen unseren eigenen Kopf gebrauchen. Wir brauchen eine Orientierung. Deswegen begrüße ich auch unsere Montagsdemonstration, die sich vom ersten Augenblick an in diese Front gegen einen neuen Weltkrieg einordnet und jeder Lüge über Kriegsvorbereitung und der Friedensheuchelei der Regierung ganz entschieden entgegentritt.
In diesem Sinne: Glückauf und ich wünsche uns viel Erfolg!