Rote Fahne 15/2020
Corona-Pandemie: Keine Entwarnung! Die „Lockerungseuphorie“ treibt auch in Deutschland immer neue Blüten
In Mecklenburg-Vorpommern wollte Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) die Maskenpflicht beim Einkaufen fallen lassen. Die notorischen Lockerungs-Prediger wie NRW-Ministerpräsident Armin Laschet tun immer so, als ginge es ihnen um den Wunsch der Menschen nach „Normalität“.
Aber der gefährliche Drang zur Abschaffung der Maskenpflicht ist nicht Mehrheitsmeinung: Nur 30,3 Prozent befürworten Lockerungen bei der Maskenpflicht, 62,5 Prozent halten sie für falsch¹. Dahinter steckt die berechtigte Sorge vieler Menschen vor einer neuen Infektionswelle.
Aber nicht die Interessen der Massen sind in unserer bürgerlichen „Demokratie“ oberster Maßstab, sondern die Anweisungen des internationalen Finanzkapitals. Deren Sprachrohr ist in Deutschland vor allem der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Dieser Monopolverband fordert von der Regierung, dass jetzt „die Normalisierung rascher herbeigeführt werden“ 2 soll. „Normal“ ist für die Monopole, dass Gesundheitsschutzmaßnahmen zurückgefahren werden und die Arbeitskräfte uneingeschränkt ausgebeutet werden können! Das ist ein Spiel mit dem Feuer der Gesundheit von Millionen Menschen.
Abschreckendes Beispiel Israel
In Israel war die Zahl der täglichen Neuinfizierungen im Mai von einigen hundert bis auf fünf gesunken. Dann hat die faschistoide Regierung von Benjamin Netanjahu auf einen Schlag Schulen, Betriebe, Bars und Fitnesscenter wieder geöffnet. Das Motiv war, die israelischen Monopole in der tiefen Weltwirtschafts- und Finanzkrise zu unterstützen. Die Lockerungen haben eine zweite, viel schlimmere Welle der Pandemie ausgelöst. Anfang Juli gab es bereits 1500 Neuinfektionen am Tag3, im Verhältnis zur Bevölkerungszahl ein internationaler Spitzenwert. Ähnlich rücksichtslos sind auch Donald Trump in den USA und Jair Bolsonaro in Brasilien ihren Monopolen dienstbar. Fleischbaron Clemens Tönnies hat mit seiner brutalen Überausbeutung von Mensch und Tier das Virus geradezu eingeladen. Überall, wo es solch übereilte Lockerungen ohne genügenden Gesundheitsschutz gibt, schnellen die Infektionszahlen in die Höhe. Besonders tun sich dabei ultrareaktionäre und faschistoide Regierungen hervor.
Allgemein ist das Krisenmanagement in der Krise und befindet sich in einer Zwickmühle. Wirksame Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie vertiefen die kapitalistische Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Umgekehrt führt jeder Versuch, die Wirtschaft durch weitere Lockerungen zu beleben, zu neuen Risiken der Ausbreitung des Virus.
Die Herrschenden tun so, als ob die Pandemie in vielen Ländern dauerhaft „im Griff“ wäre. In Deutschland verläuft sie gegenwärtig tatsächlich relativ kontrolliert. Aber es gibt immer neue Hotspots, vor allem in Flüchtlingsunterkünften, Alten- und Pflegeeinrichtungen, in der Fleischindustrie oder anderen Betrieben mit Massenunterbringung der Beschäftigten.
Weltweit ist seit Juni ein exponentieller Anstieg der Infektionen zu beobachten mit Schwerpunkten in Nord- und Südamerika (rund 120 000 Neuinfektionen am Tag), Indien (23 000) und Afrika, insbesondere Südafrika (10 000) 5. Über zwölf Millionen Menschen sind positiv getestet, weit über eine halbe Million sind bereits daran gestorben. Dabei hat die erste Welle noch längst nicht ihren Höhepunkt erreicht. Es ist abstrus nationalistisch, zu glauben, man könne Deutschland dauerhaft von einer solchen internationalen Entwicklung abkoppeln.
In ihrem Corona-Sofortprogramm fordert die MLPD unter anderem die flächendeckende Testung, FFP2/3-Masken für Risikopatienten und Pflegepersonal sowie kostenlose Masken für alle und das Einhalten der Abstandsregeln. Notwendig ist auch, dass in allen gesellschaftlichen Bereichen erst die Hygiene-Regeln gewährleistet werden müssen, bevor sie hochgefahren werden. Und: „Gesundheitsschutz ja – undemokratische Notstandsmaßnahmen – nein!“ Diese Forderungen hat die MLPD Mitte März 2020 aufgestellt, als Regierung und Medien Masken noch als „Virenschleudern“ diffamierten und Massentests ablehnten. Das Sofortprogramm hat sich als richtungsweisend erwiesen. Und es war vor allem die Disziplin der Massen, die eine kontrollierte Entfaltung der Pandemie gewährleistete.
Hochgefährliches Virus
Das Virus selbst ist hochgefährlich und wird anscheinend noch infektiöser. Es verursacht bei ernsthaft Erkrankten in vielen Fällen multiple und dauerhafte Organschäden. Man weiß mittlerweile auch, dass es keineswegs nur die Atemorgane angreift, sondern auch das Magen-Darm-System, das Gehirn und so weiter. Dachte man lange Zeit, man könne sich nur durch Tröpfchen infizieren, rückt jetzt zunehmend die Gefahr der Übertragung durch Aerosole6 in den Blickpunkt.
Große Hoffnung wird auf den baldigen Einsatz wirksamer Impfstoffe gelenkt. Die Massen sollen doch bitte schön stillhalten, brav arbeiten, viel konsumieren und auf Impfstoffe warten. Aber wird es solche Impfstoffe überhaupt geben? Bisher wurde noch nie ein Impfstoff eingesetzt, wie er jetzt entwickelt wird. Dieser Typ Impfstoff führt dem Körper nicht direkt Antikörper zu, sondern den genetischen Code (die RNA7) des Antigens, das dann im geimpften Körper die Produktion von Antikörpern auslösen soll.
Dazu kommt, dass dieses neuartige Virus immer wieder Überraschungen bereithält. Es tarnt sich bis zum Andocken an Zellen. Dadurch wird die Bildung von Antikörpern erheblich erschwert. Die meisten Infizierten bilden gar keine Antikörper. Führt ein Impfstoff überhaupt dazu, dass ausreichend und wirksame Antikörper gebildet werden? An 168 Stellen8 weltweit wird an unterschiedlichen Impfstoffen gegen das Coronavirus geforscht, in scharfem Konkurrenzkampf um dieses Billionen-Geschäft. Im Sozialismus würde eine solche Forschung weltweit Hand in Hand koordiniert. Und wenn es einen Impfstoff gibt, würde er solidarisch auf die betroffenen Länder verteilt. Heute haben USA und EU sich bereits vertraglich hunderte Millionen Dosen gesichert. Die armen Länder, in den denen die Masse der Infizierten lebt, würden das Nachsehen haben. Imperialismus tötet!
„Durchstarten“?
„Deutschland startet durch“ – diese Volkswagen Parole erinnert fatal an das Pfeifen im Walde. Deutschland kann auch wirtschaftlich nicht alleine „durchstarten“, wenn die Hälfte der Länder weltweit von der Pandemie überrollt wird und sich die Weltwirtschafts- und Finanzkrise weiter vertieft. Diese Parole zielt vor allem auf die Verbreitung einer nationalistischen und sozialchauvinistischen Denkweise. Damit die Konzerne erfolgreich sind, werden sie Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen knallhart angreifen. Damit die Arbeiter erfolgreich sind, müssen sie international koordiniert für ihre Lebensinteressen kämpfen.
Die Mitte 2018 eingeleitete Weltwirtschafts- und Finanzkrise ist innerhalb weniger Wochen zur tiefsten Wirtschaftskrise seit 1929 geworden. Schon zum vierten Mal haben die bürgerlichen Wirtschaftsexperten in Deutschland ihre Prognosen nach unten korrigiert. Die Folgen für Milliarden Menschen sind jetzt schon dramatisch. In den USA haben sich seit Januar über 45 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet. Eine Hungerkatastrophe bedroht nach Berichten der Welthungerhilfe akut eine Milliarde Menschen, zusätzlich befeuert durch Heuschrecken in Ostafrika und Kriege wie in Syrien oder Libyen. Oft fehlt Saatgut für die nächste Aussaat.9 Ein Mehrfaches der heute 80 Millionen Geflohenen wird gezwungen sein, die Heimat zu verlassen, was die Krise der bürgerlichen Flüchtlingspolitik dramatisch verschärft. Zwei Milliarden10 Straßenhändler, Tagelöhner und fliegende Handwerker kämpfen um ihre Existenz. Die Überweisungen von Migranten, Wanderarbeitern und Saisonarbeitern an ihre Familien haben sich bereits von 40 auf 20 Millionen Euro halbiert11. Die Folgen tragen vor allem Frauen und Kinder, womit sich auch die Krise der bürgerlichen Familienordnung vertieft.
Die globale Umweltkrise verschärft sich ebenfalls dramatisch. Sie wird befördert durch neue Pandemien aufgrund von Virenübertragung von Tieren auf den Menschen. In China wird bereits wieder vor einem neuen Schweinegrippe-Erreger gewarnt. Solche Fälle nehmen deutlich zu, weil der Lebensraum der Tiere durch Waldrodung und Zersiedelung der Landschaft immer weiter eingeengt wird.
Die Pandemie hat in Wechselwirkung mit der Weltwirtschafts- und Finanzkrise auch eine offene Agrarkrise ausgelöst. Kartoffeln können nicht mehr geerntet werden, weil Restaurants sie nicht abnehmen können, Schweine müssen notgeschlachtet werden, weil die Fleischindustrie von wochenlangen Schließungen betroffen ist. Doch weltweit hungern immer mehr Menschen! Das ist ein gesellschaftlicher Skandal.
All das mündet immer häufiger in offene politische Krisen, besonders, wenn sich das gegenseitig hochschaukelt. In den USA kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen der kämpfenden Massen mit dem Staatsapparat. Die Krisen verschärfen auch die Rivalität zwischen den Imperialisten und damit die Kriegsgefahr. Die bürgerliche Ideologie ist ebenfalls in einer tiefen Krise. Stefan Engel, Leiter des theoretischen Organs der MLPD, qualifiziert diese Gesamtsituation als „Tendenz zur gesamtgesellschaftlichen Krise des imperialistischen Weltsystems“.
Die Corona-Leugner und der Antikommunismus
Trump erklärt ganz offen „radikale Linke“ und „Marxisten“ zu seinen Hauptgegnern. Der brasilianische Außenminister hat gar die ganze Pandemie zur kommunistischen Verschwörung erklärt und spricht von einem „Comunavirus“. Man beachte das raffinierte Wortspiel aus Coronavirus und „comunista“! Der Mann hat es drauf, hat er doch bereits im Jahre 2018 den „Klimawandel“ als „marxistisches Komplott“ entlarvt.12 Diese antikommunistischen Kreuzritter offenbaren damit nur ihre absurde Realitätsferne und bornierte Rückschrittlichkeit. Dass sie so eindringlich vor dem Kommunismus warnen, zeigt aber auch, welche Kräfte wirklich für gesellschaftliche Veränderungen stehen. Deshalb ist es genau richtig, wenn sich die Massenbewegungen in vielen Ländern wie unter anderem den USA zunehmend auch gegen den Antikommunismus richten. Er ist bisher das Haupthindernis, im Kampf für den echten Sozialismus die einzige Alternative zum herrschenden kapitalistischen Krisenchaos zu erkennen.
„Gemeinsam aus der Krise“?
Um der Revolutionierung der Massen entgegenzuwirken, halten die Herrschenden in Deutschland noch überwiegend an der Politik der Dämpfung der Widersprüche fest, an dem gesellschaftlichen System der kleinbürgerlichen Denkweise als Regierungsmethode. Die Bundesregierung bringt Billionen Euro auf zur Förderung der Monopole, teilweise setzt sie diese auch zur Dämpfung der Widersprüche ein. Mit der Losung „Gemeinsam aus der Krise“ 13 versucht sich die Gewerkschaftsführung als „gesellschaftlicher Stabilitätsanker“ 14 anzudienen.
Die Arbeiterbewegung hat kein Interesse an der Stabilität des Kapitalismus, sie muss gerade in Krisenzeiten mit aller Härte kämpfen: Für Sofortforderungen zum Schutz vor der Pandemie und gegen die Abwälzung der Krisenlasten. Aktienkurse steigen bei der Verkündigung von Arbeitsplatzvernichtung – so sieht die „Gemeinsamkeit“ in der Krise aus! Ein Konzern nach dem anderen gibt Pläne zur Arbeitsplatzvernichtung bekannt, von Lufthansa über Schaeffler, BMW, ZF, Deutsche Bank, BASF bis Airbus. Dagegen entwickeln sich erste wichtige Kämpfe. In den letzten Wochen begannen Streiks in Stahlwerken in Ijmuiden (Niederlande), Duisburg und Genua (Italien), bei FiatChrysler in Italien und den USA, Hafenarbeiter in den USA streikten gegen Rassismus, in Brasilien gibt es täglich Massenproteste gegen Bolsonaro, in Indien demonstrieren Wanderarbeiter gegen Ausgehverbote, in Deutschland wächst die Flüchtlingssolidarität. Der Kampf um jeden Arbeitsplatz entwickelt sich bundesweit bei Kaufhof, bei Voith in Sonthofen, bei Eberspächer in Göppingen oder bei Sitech in Hannover. In der Delegiertenversammlung der IG Metall Eisenach wurde über einen regionalen Aktionstag beraten. Forderungen nach konsequentem Einsatz der Gewerkschaften für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich werden immer lauter.
Vor dem Hintergrund des Krisenchaos entwickeln sich schnell Massenkämpfe wie gegen rassistische Polizeigewalt. Das internationale Industrieproletariat stellt sich zunehmend an die Spitze der Kämpfe, oft geht die Initiative von Trägern der Internationalen Automobilarbeiterkoordinierung aus: Internationale Koordinierung der Kämpfe ist das Gebot der Stunde! Um die Ursachen der Pandemie zu überwinden und künftige, möglicherweise noch schlimmere Pandemien zu verhindern, muss das kapitalistische System beseitigt werden.
Nicht „zurück zur Normalität“ des Kapitalismus, die uns in dieses Krisenchaos gebracht hat. Vorwärts zu einer Gesellschaft des Paradigmenwechsels für die Einheit von Mensch und Natur! Einer Gesellschaft ohne Ausbeutung des Menschen und der Natur, ohne imperialistische Unterdrückung und Kriege – das ist der echte Sozialismus. Gerade jetzt, wo sich die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus dermaßen verschärft, ist es umso wichtiger, sich zu organisieren – in der MLPD, im REBELL und überparteilichen Selbstorganisationen der Massen!