Rote Fahne 06/2020
Tarifrunden 2020: Gewerkschaftliche Kampfkraft in polarisierten Zeiten entfalten
Ein provokatives fünfjähriges „Stillhalten“ bei den Löhnen – ... ... statt tariflichen Lohnerhöhungen nur Einmalzahlungen.
Das fordert der Monopolverband Gesamtmetall für die vier Millionen Beschäftigen in der Metall- und Elektroindustrie. Als Begründung dafür muss nach Ansicht der bayerischen Metallunternehmer sogar das Coronavirus herhalten. Vereinbarungen über Arbeitsplatzgarantien, wie von der IG-Metall-Führung gefordert, lehnt Gesamtmetall ab. Die Kolleginnen und Kollegen in der Metall- und Elektroindustrie stehen vor einer besonderen Tarifrunde – in einem brisanten politischen und wirtschaftlichen Umfeld.
Das gewerkschaftliche Bewusstsein hat sich in den letzten Jahren auf breiter Front gestärkt. Die Metallerinnen und Metaller sind noch stolz auf die Tarifrunde 2018: mit insgesamt 1,5 Millionen Beteiligten an Warnstreiks und Aktionen. Mit selbständigen Initiativen der Basis, vor allem mit verschiedenen 24-Stunden-Streiks, machten Kolleginnen und Kollegen die Gewerkschaft zur Kampforganisation. Auch kürzere, selbständige Aktionen organisierten sie in einzelnen Betrieben, wobei es vor allem um die Übernahme von Leiharbeitern und Auszubildenden ging. Selbstbewusst streiken Pflegekräfte im Gesundheitsbereich, wie zuletzt in den vier Ameos-Kliniken in Sachsen-Anhalt. Am 20. Februar forderte der Vorstand der IG Bau 6,8 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 230 Euro für die 850 000 Beschäftigten im Bauhauptgewerbe.
Ganz anders der IG-Metall-Vorstand: Er kündigte am 26. Februar die Tarifverträge für Entgelt – ohne eine konkrete Lohnforderung. Begründung: In der Tarifrunde gehe es vor allem um den Erhalt von Arbeitsplätzen.1 Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann will keinen Tarifvertrag ohne mehr Geld unterschreiben, sich aber begnügen mit einem „Inflationsausgleich“ von knapp zwei Prozent.2 Netto ist das unterm Strich ein Minus. Natürlich hat Gesamtmetall den als Moratorium bezeichneten Vorschlag des IG-Metall-Vorstandes umgehend begrüßt, sofort in Verhandlungen einzutreten und sich möglichst noch vor Ende der sogenannten Friedenspflicht am 28. April zu einigen. Tarifverhandlungen also – ohne Einsatz der gewerkschaftlichen Kampfkraft. Was soll dabei anderes herauskommen als ein fauler Kompromiss? Die Politik des Co-Managements wird so zum Totengräber der Gewerkschaft als Kampforganisation.
Der Kampf um höhere Löhne und Gehälter ist berechtigt
Die Forderung nach höheren Löhnen und Gehältern ist völlig berechtigt. „Zwischen dem, was ich in der Zeitung als offizielle Inflationsrate lese und der Inflationsrate in unserm Haushaltsportemonnaie klafft ein erheblicher Unterschied“, berichtet eine Automobilarbeiterin. Und sie ergänzt: „Auf der Arbeit müssen wir inzwischen mit drei Frauen die Arbeit von vier machen – für dasselbe Geld.“ Ihre Kollegin pflichtet ihr bei: „Bei den ganzen Löhnen wird überhaupt nicht berücksichtigt, dass heute die Kinder länger zur Schule gehen.“ Höhere Löhne und Gehälter sind nicht nur für die Arbeiterfamilien wichtig. Wenn acht Millionen Rentner nicht mehr als 800 Euro im Monat haben, dann ist das wesentlich eine Folge der niedrigen Löhne der letzten Jahrzehnte. Ein Betriebsrat berichtet von einer Funktionärskonferenz der IG Metall in Baden-Württemberg: „Die Forderungen aus den Betrieben lagen zwischen 4 und 6,5 Prozent. Aber auch die Sorge um die Arbeitsplätze beschäftigt viele Kolleginnen und Kollegen.“
Tarifrunde in einer brisanten politischen Situation
Vereint auf antikommunistischer Grundlage, wählten CDU, FDP und AfD im Februar Thomas Kemmerich (FDP) in Thüringen zum Ministerpräsidenten. Vor allem infolge der unmittelbar folgenden Proteste auf der Straße brach in Thüringen eine offene politische Krise aus. Die zog eine offene Parteikrise der CDU nach sich. In erster Linie AfD-Anhänger verteidigen jetzt in den Betrieben die angeblich „demokratische Abstimmung“ in Thüringen. Was aber soll daran demokratisch sein, wo doch die FDP mit 73 Stimmen gerade mal über die Fünf-Prozent-Hürde in den Landtag geschlittert ist, und die AfD ihrem eigenen Kandidaten keine einzige Stimme gab? Die meisten Kolleginnen und Kollegen stellen sich gegen die AfD und gegen jede Form von Rassismus und Faschismus. In Neukirchen-Vluyn beteiligten sich etliche Bergleute an einer antifaschistischen Protestversammlung gegen die Wahl Kemmerichs. Auch von zahlreichen gewerkschaftlichen Gremien gibt es entsprechende Stellungnahmen. Und was sich an dieser Frage auch zeigt: Das sind die schädlichen Folgen der antikommunistisch motivierten Unvereinbarkeitsbeschlüsse des IG-Metall-Vorstandes gegen die MLPD. Eine starke, antifaschistische Einheitsfront kann es nur geben ohne den Bannstrahl des Antikommunismus!
Seit 2015 entwickelt sich ein fortschrittlicher Stimmungsumschwung, wozu die Tarifrunden 2018 einen Beitrag geleistet haben. Aber auch die Rechtsentwicklung hat sich verstärkt – ausgehend von der Regierung, den bürgerlichen Parteien, einem Teil der Medien und der Kultur. Mit Wirkung bis hinein unter die Massen. Das gilt auch für die Betriebe. Zur Tarifrunde ist von der AfD bislang kein Wort zu hören, handelt es sich bei Siemens, Daimler und so weiter doch um „deutsche Unternehmen“. Stattdessen hetzt sie ständig gegen die Gewerkschaften. Die Demagogie der AfD, sie sei angeblich eine Partei der kleinen Leute, muss entlarvt werden.
Ein gewerkschaftlicher Streik Hunderttausender Metaller hätte politische Bedeutung, gerade in dieser für die Kapitalisten, die Regierung und die bürgerlichen Parteien politisch und ökonomisch labilen Situation. Vor allem, wenn der Streik von einem wesentlichen Teil des Industrieproletariats bewusst gegen die Zersetzung der gewerkschaftlichen Kampfkraft geführt wird, verbunden mit offensiven Forderungen und selbständigen Initiativen in den Betrieben. In solch einer aufgewühlten Situation brechen weitergehende politische Fragen auf, und die Suche nach einer Alternative zum Kapitalismus nimmt zu. Zudem kann die MLPD mit ihrer Kleinarbeit ihren Einfluss ausweiten – in dem Maße, wie die Kolleginnen und Kollegen mit dem Antikommunismus fertigwerden. Dazu ein klassenkämpferischer Kollege: „Ich bin Vertrauensmann und mach` aus meiner kommunistischen Weltanschauung kein Geheimnis. Dafür werde ich auf Belegschaftsversammlungen oft vom Geschäftsführer angegriffen. Parteipolitik hätte hier nichts zu suchen, und schließlich sei das Experiment mit dem Sozialismus kläglich gescheitert. Zunächst wusste ich nicht, wie ich damit umgehen soll. Dann habe ich mir überlegt, das nächste Mal den Spieß umzudrehen. ‚Natürlich bin ich parteilich, nämlich für die Interessen der Arbeiter. So, wie Sie mit Ihrem Antikommunismus parteilich für Unternehmerinteressen sind. Damit wollen Sie uns nur spalten und davon abhalten, über den Kapitalismus hinauszudenken!‘“ Die Ergebnisse der Organisationswahlen in der IG Metall belegen, dass in vielen Betrieben die Kolleginnen und Kollegen immer besser lernen, mit dem Antikommunismus fertigzuwerden.
Vernichtung von Arbeitsplätzen durch kapitalistische Krisen
Während Gesamtmetall den Eindruck erweckt, gesprächsbereit zu sein, sind in den meisten Autokonzernen und bei Autozulieferern bereits Zehntausende Leiharbeiter auf die Straße geflogen. Alle Autokonzerne haben die Vernichtung Zehntausender Arbeitsplätze angekündigt. Die Zahl der Kurzarbeiter steigt, Konzerne wie Daimler, Siemens, Thyssenkrupp werden zerlegt, Ausbildungsplätze gestrichen und so weiter. All das ist auch den Vorstandsmitgliedern der IG Metall bekannt, die das Moratorium dessen ungeachtet betreiben.
Die Arbeitsplatzvernichtung ist Folge der Weltwirtschafts- und Finanzkrise und der eingeleiteten Strukturkrisen durch die Einführung der E-Mobilität und Digitalisierung. Doch nicht der technische Fortschritt ist verantwortlich für Arbeitsplatzvernichtung. „… im Kapitalismus wird dieser Fortschritt immer mehr und immer wieder in eine Destruktivkraft verwandelt – gegen die Arbeiterklasse und die Umwelt. Er dient allein der Steigerung der Maximalprofite der internationalen Monopole. 3 So wird der Kapitalismus und seine Ideologie des Antikommunismus immer mehr zu dem Hindernis für den Fortschritt der menschlichen Gesellschaft.“
Durch Lohnzurückhaltung Arbeitsplätze erhalten?
Der IG-Metall-Vorstand will mit Gesamtmetall „Zukunftspakete“ abzuschließen, um in jedem Betrieb Vereinbarungen zur „Beschäftigungssicherung“ abschließen zu können. Sichere Arbeitsplätze sind allerdings das Letzte, was es im Kapitalismus gibt. Wer sichere Arbeitsplätze will, der muss für den Sozialismus kämpfen, wo die Ausbeutung von Mensch und Natur abgeschafft ist. Dass sein Vorschlag eine Mogelpackung ist, weiß der IG-Metall-Vorstand sehr wohl. So fordert er von den Unternehmern die Verpflichtung, „keine einseitigen (!) Maßnahmen zum Personalabbau, zu Ausgliederungen, zur Verlagerung von Produkten und zur Schließung von Standorten zu ergreifen“.4 Fühlt sich ein Arbeitsloser etwa besser, wenn er seinen Arbeitsplatz mit Zustimmung des Betriebsrates verloren hat? Jeder gewerkschaftliche Aktivist weiß auch, dass Betriebsräte in den einzelnen Betrieben von den Geschäftsleitungen viel leichter unter Druck gesetzt werden können als die Gewerkschaft als Ganzes. Die Erhöhung der Altersteilzeitquote oder Abfindungsprogramme – all das sind Methoden, um Arbeitsplätze auf Kosten der Jugend zu vernichten. Am Ende sind die Kolleginnen und Kollegen beides los: ihre Lohnerhöhung und die Arbeitsplätze!
Solche „Zukunftsverträge“ haben vor allem ein Ziel: Kämpfe zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu verhindern mithilfe der kleinbürgerlichen Denkweise des individuellen Auswegs. „Es sind oft ältere Kollegen, die die Arbeitshetze nicht mehr aushalten“, so ein IG-Metall-Vertrauensmann. „Sie hoffen, früher ausscheiden zu können. Den meisten ist dabei bewusst, dass die Arbeitsplätze für die Jugend verloren sind. Aber vielen fehlt noch die Kraft und auch das Vertrauen, dagegen was ausrichten zu können.“ Erfolge und Fortschritte können die Arbeiterinnen und Arbeiter im Kapitalismus aber nur erreichen, wenn sie von ihren Klasseninteressen ausgehen – und dafür gemeinsam kämpfen.
Der Kampf um Erhalt und Schaffung von Arbeitsplätzen
Der IG-Metall-Vorstand will die Angleichung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich in Ostdeutschland zum Bestandteil dieser Tarifrunde machen. Das tut er zu Recht und auf massiven Druck von der Basis, vor allem im Osten. Der zweijährige Versuch, nur mit Gesprächen zu einer Einigung mit Gesamtmetall zu kommen, ist kläglich gescheitert. Deshalb darf es in keinem IG-Metall-Bezirk einen Abschluss geben ohne Einigung über die Angleichung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich in Ostdeutschland – und zwar sofort und für alle. Angesichts der massiven Arbeitsplatzvernichtung reicht das aber schon lange nicht mehr. Wer Arbeitsplätze erhalten und schaffen will, muss den Kampf um jeden Arbeitsplatz und für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich auf Kosten der Profite führen. Wir haben kein vollständiges und allseitiges gesetzliches Streikrecht. Deshalb muss der Kampf um jeden Arbeitsplatz vor allem selbständig geführt werden – in Wechselwirkung zu gewerkschaftlichen Kämpfen. Bei vier Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie könnten mit einer 30-Stunden-Woche rein rechnerisch 640 000 Arbeitsplätze erhalten beziehungsweise geschaffen werden. Es ist eine Forderung, die von den Klasseninteressen der Arbeiter ausgeht. Mit ihr können die Kämpfe gegebenenfalls konzern- und länderübergreifend koordiniert und so die Spaltung der Arbeiterklasse überwunden werden. Sie richtet sich gegen die wachsende Ausbeutung und Flexibilisierung, und sie schafft Zeit für kulturelle, soziale und politische Aktivitäten. Die Forderung wirft auch die Frage auf, wem der Produktivitätsfortschritt zugutekommt – und stellt damit die kapitalistische Verfügung über die Produktionsmittel infrage. In den Betrieben wird die Forderung inzwischen von einer wachsenden Minderheit aufgegriffen. Die Forderung spielt auch im Kampfprogramm der internationalen Automobilarbeiter eine zentrale Rolle, das von der 2. Internationalen Automobilarbeiterkonferenz im Februar in Südafrika beschlossen wurde.5 Die Arbeiterplattform im Internationalistischen Bündnis setzt sich ebenfalls dafür ein. Gerade weil die Tarifrunde verbunden ist mit der massiven Vernichtung von Arbeitsplätzen, ist jetzt der offensive Einsatz der gewerkschaftlichen Kampfkraft dringend geboten, verbunden mit selbständigen Initiativen und Streiks in den jeweiligen Betrieben.
Wie ist das mit dem Lohn?
Angeblich geht es bei den Tarifverhandlungen um die gerechte Verteilung des bei der Produktion erzielten Ertrags. Damit wird die Wirklichkeit auf den Kopf gestellt. Die Arbeiter sind im Kapitalismus gezwungen, ihre Arbeitskraft an die Kapitalisten zu verkaufen. Sie sind kein „Kostenfaktor“. Vielmehr erarbeiten sie mit ihrer Arbeitskraft – in Wechselwirkung mit den Naturstoffen – alle gesellschaftlichen Werte. Zugleich bekommt ein Automobilarbeiter aber, bezogen auf eine Stunde, nur den Wert als Lohn, den er in weniger als zehn Minuten erarbeitet hat. Fünfzig Minuten in der Stunde arbeitet er also umsonst: für den Kapitalisten. Der Lohn ist gerade so viel, wie ein Arbeiter und seine Familie entsprechend dem kulturellen Stand der Gesellschaft zum Leben brauchen – und manchmal nicht einmal das, wenn man die wachsende Zahl von Hartz-IV-Aufstockern berücksichtigt. Auch wenn die Arbeiter durch Lohnkämpfe den Anteil der bezahlten Arbeitszeit zeitweise zu ihren Gunsten verändern können, ändert das nichts an ihrer Ausbeutung als Lohnarbeiter. Deshalb hat schon Karl Marx den Arbeitern empfohlen, nicht beim gewerkschaftlichen Kampf stehenzubleiben, sondern sich die Losung „Nieder mit dem Lohnsystem“ auf die Fahne zu schreiben. Im Sozialismus geht es nicht mehr um Profit, sondern um die gesellschaftlichen Bedürfnisse in Einheit mit der Natur. Dafür kämpft die MLPD.
Die MLPD jetzt näher kennenlernen
Die anstehende Tarifrunde ist eine gute Gelegenheit, die MLPD näher kennenzulernen. In ihren Betriebsgruppen lernt man, Kolleginnen und Kollegen für gewerkschaftliche und selbständige Kämpfe zusammenzuschließen. Die praktischen Erfahrungen werden mithilfe der Linie der MLPD ausgewertet, wodurch es immer besser gelingt, sich selbständig zu orientieren. In der Parteigruppe erfahren die Mitglieder Solidarität und Rückhalt in allen Lebensfragen, und sie erleben ein kulturvolles Miteinander. Und selbstverständlich ist die Mitgliedschaft vertraulich.