Geschichte

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Lenins Aprilthesen – Kurs auf die sozialistische Revolution

Ende Februar 1917 stürzten die Arbeiter und breiten Massen in Russland die Herrschaft des Zaren mitten im I. Weltkrieg mit der bürgerlich-demokratischen Februarrevolution

Lenins Aprilthesen – Kurs auf die sozialistische Revolution
Lenin spricht im Taurid Palast am 4. April 1917, Foto: P. I. Volkow

Nach der Februarrevolution bildete sich zunächst eine labile Phase der Doppelherrschaft heraus, die kurzzeitig die Möglichkeit eines friedlichen Übergangs zum Sozialismus eröffnete. 1 Einerseits gab es die provisorische bürgerliche Regierung.

Andererseits hatten sich bewaffnete Sowjets, Räte von Arbeiter- und Soldaten-Deputierten, gebildet. In ihnen hatten zunächst die kleinbürgerlichen linken Kräfte die Mehrheit, die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre. Sie orientierten die Sowjets auf die Unterstützung der provisorischen Regierung. Die Kräfte des proletarisch-revolutionären Flügels der Sowjets, die Bolschewiki, waren in der Minderheit. Als Folge der brutalen Unterdrückung während der Zarenzeit kamen viele von ihnen direkt aus dem Gefängnis, der Verbannung oder dem Exil zurück. Die Bolschewiki begannen, die neuen demokratischen Rechte zu nutzen und ihre revolutionäre Kleinarbeit offensiv auszudehnen. Sie reorganisierten die Partei mit damals etwa 40 000 bis 45 000 Mitgliedern auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus und führten die Wählbarkeit aller Organe ein. Nach dem Ende der Illegalität war das nun möglich.

Gegenüber der entfalteten Auseinandersetzung unter den Massen über den weiteren Weg der Revolution gab es auch unter den Bolschewiki zunächst große Unsicherheiten. Wie soll man sich zur provisorischen Regierung stellen? Wie kommt man von der bürgerlich-demokratischen zur sozialistischen Revolution? Selbstkritisch äußerte sich Stalin später: „Diese Politik der Halbheiten war darauf berechnet, den Sowjets Gelegenheit zu geben, an Hand der konkreten Fragen des Friedens das wahre imperialistische Wesen der provisorischen Regierung zu durchschauen und sie dadurch von ihr loszulösen. Dies war jedoch eine zutiefst falsche Position, denn sie erzeugte pazifistische Illusionen, leitete Wasser auf die Mühlen der ‚Vaterlandsverteidiger‘ und erschwerte die revolutionäre Erziehung der Massen. Diese irrige Auffassung teilte ich damals mit anderen Parteigenossen und habe mich von ihr erst Mitte April vollständig losgesagt, als ich mich den Thesen Lenins anschloss. Es war eine neue Orientierung erforderlich.“2

In der Nacht zum 3. April kehrte Lenin, der Kopf der Bolschewiki, aus der Schweiz zurück – nach langen Jahren des Exils. Am Finnischen Bahnhof in Petrograd erwarteten ihn Tausende Arbeiter, Soldaten und Matrosen. Sie bereiteten ihm einen triumLage konkret analysiert. Am nächsten Tag hielt er in einer Versammlung von Bolschewiki das Referat „Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution“. Darin entwickelte er seine Aprilthesen, mit denen er auf den Übergang von der ersten Etappe der Revolution zur zweiten Etappe, der sozialistischen Revolution, orientierte.

Lenin stellte die Losung auf: „Keinerlei Unterstützung der provisorischen Regierung!“ Denn die Regierung der Bourgeoisie dachte nicht im Traum an die Erfüllung der Forderungen der Volksmassen; insbesondere nicht daran, den Krieg zu beenden. Der Krieg blieb auch unter der provisorischen Regierung ein räuberischer, imperialistischer Krieg. Lenin stellte fest: Um den Krieg zu beenden, braucht es den Sturz der herrschenden Bourgeoisie, die sozialistische Revolution. Auch zur Nationalisierung des Grund und Bodens brauchte es die Errichtung der Diktatur des Proletariats. Über die bürgerliche parlamentarische Republik konnte dies niemals gelingen, sondern nur, indem alle Macht den Sowjets der Arbeiter-, Bauern-, und Soldatendeputierten übertragen würde. Da aber die kleinbürgerlichen Menschewiki und Sozialrevolutionäre die Sowjets beherrschten, gab Lenin die Losung aus: Verstärkung der Aufklärungsarbeit gegenüber den Arbeiter- und Volksmassen, um die Mehrheit in den Sowjets für die revolutionären Positionen zu gewinnen.

Ferner forderte Lenin, dass sich die Partei der Bolschewiki einen neuen Namen geben müsse. Der Name „Sozialdemokratische Partei“ war durch den revisionistischen Verrat der meisten sozialdemokratischen Parteien und ihre Zustimmung zum imperialistischen I. Weltkrieg beschmutzt. Lenin schlug vor, die Partei künftig „Kommunistische Partei“ zu nennen, weil dies das Wesen ihrer Programmatik viel besser treffe.

Die Aprilthesen waren zunächst umstritten. Selbst in der Parteizeitung der Bolschewiki, der „Prawda“, wurde spekuliert, ob Lenin nicht durch seinen langen Auslandsaufenthalt den Sinn für die Realität in Russland verloren habe. Doch der weitere Gang der Entwicklung gab ihm recht. Den Bolschewiki gelang es – in Verbindung mit einer unermüdlichen Überzeugungsarbeit – immer mehr Menschen von der Richtigkeit ihrer Vorschläge zu überzeugen. Die Aprilthesen Lenins ermöglichten, diese Schlacht um die Köpfe erfolgreich auszutragen. Sie waren treffend, aufrüttelnd, visionär, kühn und nahmen entschlossen Kurs auf die sozialistische Revolution.