Rote Fahne 02/2020

Rote Fahne 02/2020

Neue Weltwirtschafts- und Finanzkrise – worauf müssen wir uns einstellen?

Kurzarbeit in immer mehr Betrieben ... ... ein Konzern nach dem anderen kündigt Pläne zur Arbeitsplatzvernichtung an, Tausende Leiharbeiter sind bereits entlassen – alles nur ein „leichter Abschwung“ oder eine „Rezession“, wie bürgerliche Ökonomen behaupten?

Neue Weltwirtschafts- und Finanzkrise – worauf müssen wir uns einstellen?
Rote Fahne 02/2020

Die MLPD hat analysiert: Eine neue Weltwirtschafts- und Finanzkrise mit weitreichenden Folgen hat bereits begonnen. Gabi Fechtner, Parteivorsitzende der MLPD, dazu im Interview mit der Roten Fahne am 11. Oktober 2019: „Diese Einleitung der Weltwirtschaftskrise begann bereits im zweiten Halbjahr 2018. In diesem Zeitraum hatte die bis dahin andauernde schwankende Stagnation ihren Zenit überschritten. ... Die Industrieproduktion geht seitdem in einem Teil der imperialistischen Zentren zurück, in anderen sinken die Wachstumsraten erheblich.“ Was ist also zu erwarten, worauf müssen wir uns einstellen?

Die Verwirrung könnte nicht größer sein. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) geht davon aus, dass sich „die Stimmung in der Wirtschaft zusehends aufhellt“1. Die Bundesbank liest aus der Glaskugel, dass die deutsche Wirtschaft „ihre aktuelle Schwächephase allmählich überwinden wird“2. Der Chef des Unternehmerverbands Gesamtmetall, Rainer Dulger, fordert mit der gegenteiligen Begründung „Die fetten Jahre sind jetzt zu Ende“3 ein umfassendes Programm zur Verschlechterung der Arbeits- und Lohnbedingungen.

Diese Konfusion zeigt nicht nur die Unfähigkeit der bürgerlichen Politiker und Wirtschaftsvertreter, mithilfe ihrer Pseudowissenschaft, der bürgerlichen Ökonomie, zu richtigen Einschätzungen zu kommen. Solche Prognosen sind auch rein zweckmotiviert: Will man den Leuten Vertrauen einflößen, ist mindestens von „Belebung“ die Rede – wenn die Arbeiter ihre Forderungen aufstellen, wird auf „düstere Krise“ gemacht.

Die MLPD geht mithilfe der dialektischen Methode von den kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten und den realen Fakten aus. Der wichtigste Indikator für eine Überproduktionskrise ist der absolute Rückgang der Industrieproduktion auf ein Jahre zurückliegendes Niveau. Die Statistik der gesamten Wirtschaftsleistung – das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – ist heute durch die Einberechnung von Rüstungsausgaben, Geldwäsche, Drogen- und Prostitutionsgeschäften sowie der überbordenden Kapitalspekulation nur noch beschränkt aussagekräftig.

Seit August 2018 geht die Industrieproduktion in Deutschland im Vorjahresvergleich absolut zurück. Bereits im Oktober 2019 war sie auf ein Niveau niedriger als 2015 zurückgefallen. Die Industrieaufträge sinken stark, besonders die aus dem Ausland.

Im November 2018 begann auch in der Eurozone und der gesamten EU der absolute Rückgang der Industrieproduktion. In Japan geht die Industrieproduktion seit Ende 2018 zurück. Seit Juni 2019 sinkt die Industrieproduktion der OECD4. Sie umfasst mit ihren 36 Mitgliedsstaaten vor allem die alten imperialistischen Staaten – mit rund 60 Prozent der Weltwirtschaftsleistung. Mit acht von 14 Ländern ist zugleich die Mehrzahl der neuimperialistischen Staaten von der Krise erfasst.

Seit September 2019 sinkt auch die Industrieproduktion der USA gegenüber dem Vorjahr ab. Damit wurde die größte Wirtschaftsmacht der Welt ebenfalls von der Weltwirtschafts- und Finanzkrise erfasst. In China ging die Wachstumsrate des BIP im dritten Quartal 2019 auf sechs Prozent zurück – den niedrigsten Wert seit fast drei Jahrzehnten.

Krisenabschwung ohne „Knall“?

Schon die bisher tiefste Weltwirtschafts- und Finanzkrise, von 2008 bis 2014, ging einher mit einer breiten Debatte über die Schlussfolgerungen aus dem kapitalistischen Krisenchaos – aber auch mit großen Massenkämpfen. Sie hatte das Potenzial des Ausreifens einer revolutionären Weltkrise. Die Versprechungen, aber auch die Hoffnungen der bürgerlichen Analysten, dass es dieses Mal nicht so schlimm kommen werde, beruhen unter anderem auf der Tatsache, dass die jetzige Weltwirtschafts- und Finanzkrise anders verläuft als die 2008 bis 2014. Sie begann nicht mit einem lauten Knall wie beim Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008. Dieser kappte abrupt die weltweiten Finanzströme und führte zum jähen Absturz der Weltwirtschaft.

Bundeskanzlerin Angela Merkel gab sich 2013 als oberste Verfechterin einer „weltweiten Regulierung der Finanzmärkte“, um einer neuen Weltwirtschafts- und Finanzkrise entgegenzuwirken. Mit der folgenden Politik des billigen Geldes, dem fortlaufenden Aufkauf von Staats- und Unternehmensanleihen durch die Notenbanken, umfassenden staatsmonopolistischen Stützungsaktionen für Großbanken und neuen Regeln für die Bankenregulierung konnten die Herrschenden den Ausbruch der neuen Krise zwar hinauszögern und bisher einen abrupten Einbruch verhindern.

Das Volumen der aufgekauften Staats- und Unternehmensanleihen beträgt inzwischen allein bei der Europäischen Zentralbank 2,6 Billionen Euro5. Das entspricht fast dem gesamten Bruttoinlandsprodukt Indiens, der mittlerweile siebtgrößten Wirtschaftsmacht der Welt. Verhindern konnten sie den Ausbruch der Krise damit aber nicht.

Diese Politik geht jedoch einher mit einer enormen Aufblähung der Kapitalspekulation, und sie birgt die Gefahr, dass Spekulationsblasen platzen und zahlreiche Unternehmen und Staaten zahlungsunfähig werden. Platzen solche Spekulationsblasen, könnte das eine abrupte Vertiefung der Weltwirtschafts- und Finanzkrise einleiten.

Wer die Krisen abschaffen will ...

Karl Marx wies nicht nur die Gesetzmäßigkeit solcher Krisen nach, sondern er deckte auch ihre Ursachen in der kapitalistischen Ausbeutung und Klassenherrschaft auf: „In den Krisen kommt der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung zum gewaltsamen Ausbruch. … die Produktionsweise rebelliert gegen die Austauschweise, die Produktivkräfte rebellieren gegen die Produktionsweise, der sie entwachsen sind.“ 6 Die Tendenz zur schrankenlosen Ausdehnung der Produktion gerät gesetzmäßig in Konflikt zu den beschränkten Märkten. Die periodischen Überproduktionskrisen stellen das Gleichgewicht nur vorübergehend wieder her. Der kapitalistische Krisenzyklus beginnt von vorne. Für Karl Marx war deshalb klar: Wer die Krisen beseitigen will, muss den Kapitalismus revolutionär überwinden.

Dafür gibt es heute täglich mehr Gründe. Die allgemeine Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems vertieft sich. Dazu gehören länger anhaltende Strukturkrisen, in denen Merkmale wie Kapital- und Arbeitsplatzvernichtung, die früher zyklischen7 Überproduktionskrisen zugerechnet wurden, chronisch werden. Die neue Weltwirtschafts- und Finanzkrise durchdringt sich mit der Wirkung von drei internationalen Strukturkrisen zugleich: der Strukturkrise auf der Grundlage der Neuorganisation der internationalen Produktion, die bereits in den 1990er-Jahren begann; der Strukturkrise aufgrund der Umstellung auf die Elektromobilität, die vor allem in der Autoindustrie wirkt; und der Strukturkrise durch die umfassende Digitalisierung von Produktion, Handel, Kommunikation und Gesellschaft. Dieses Zusammenwirken verschiedener Krisenfaktoren ist der materielle Grund für die Verschärfung der Klassengegensätze und das häufigere Ausbrechen offener politischer Krisen – bis hin zu einer künftigen revolutionären Gärung.

Ein unmittelbarer Auslöser der jetzigen Weltwirtschafts- und Finanzkrise war der von US-Präsident Donald Trump losgetretene Handelskrieg. Er hat zur Folge, dass die OECD-Exporte seit Dezember 2018 gegenüber dem Vorjahr absolut zurückgehen; die Weltexporte sinken seit dem ersten Quartal 2019, ebenso die Exporte der BRICS-Staaten.8 Das trifft Staaten wie Deutschland und Japan besonders, die in hohem Maße exportabhängig sind. Während in der letzten Weltwirtschafts- und Finanzkrise der Kapitalexport in die aufstrebenden neuimperialistischen Länder noch ein „Ventil“ für das überakkumulierte Kapital der alten imperialistischen Länder eröffnete, ist auch das nun verstopft. Denn diese Länder sind mehrheitlich selbst von der Krise erfasst.

Weitreichende Folgen

Es ist kein Zufall, dass sich gerade jetzt die Aggressivität im zwischenimperialistischen Konkurrenzkampf deutlich zeigt, ebenso eine Tendenz zu imperialistischem Krieg und Faschismus. Besonders die ultrareaktionäre, faschistoide US-Regierung unter Donald Trump spielt mit dem Feuer eines neuen Nahost-Krieges. Aber auch in anderen Konfliktherden wie Libyen oder dem östlichen Mittelmeer verschärfen sich die Widersprüche.

Noch stehen wir erst am Anfang der neuen Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Auch die Folgen der Abwälzung der Krisenlasten auf die Arbeiter und breiten Massen zeigen sich erst in Ansätzen. Bereits jetzt aber bekommen die Beschäftigten Tausender Klein- und Mittelbetriebe der Autozulieferindustrie, Zehntausende Leiharbeiter, Arbeiter von Fremdfirmen, Zeitverträgler und Auszubildende die unmittelbaren Folgen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes zu spüren. Das lässt allenfalls ahnen, welch weitreichende Folgen die weitere Entfaltung der Weltwirtschafts- und Finanzkrise haben wird: nicht nur für Arbeiter in den Betrieben, sondern auch, was die erkämpften Rechte etwa der Hartz-IV-Empfänger angeht, der Frauen und der Umweltbewegung. Das wird deutlich an den Forderungen des Präsidenten des Monopolverbandes BDA9, Ingo Kramer, der eine neue Agenda-Politik à la Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) befürwortet. Es müsse endlich einer kommen, der Mut habe, zu sagen: „Wir müssen unsere Sozialausgaben deutlich verringern. Wir müssen … der Wirtschaft neuen Spielraum geben, statt sie immer mehr einzuengen.“

Welch eine Perspektive, wenn die unternehmerische Verfügungsgewalt über die Arbeitskraft der Arbeiter nicht mehr durch Gesetze und Tarifverträge „eingeengt“ wird, wenn Steuergeschenke der Wirtschaft „mehr Spielraum“ geben und deren Profitstreben nicht länger durch Umweltschutzauflagen behindert wird. Ingo Kramer hat dabei allerdings ein Problem: Die Massen verarbeiten zunehmend die „Agenda 2010“-Politik, und damit verbunden ist der fortschittliche Stimmungsumschwung mit einer wachsenden antikapitalistischen Tendenz.

Monopole über weiteren Kurs uneinig

Die amtierende große Koalition und die maßgeblichen Teile der Monopole setzen weiterhin auf die hauptsächliche Methode des dämpfenden Krisenmanagements, während sie zugleich die Rechtsentwicklung vorantreiben. Eine Hauptmethode in den Betrieben ist dabei der Abschluss sogenannter Zukunftsverträge. Sie verbinden die Vernichtung Tausender Arbeitsplätze mit vagen Zusagen wie „keine betriebsbedingten Kündigungen“, aber auch mit kleineren Zugeständnissen an die Belegschaften – in Zusammenarbeit mit der reformistischen Gewerkschaftsführung und Betriebsratsspitzen. Das fördert in den Betrieben teilweise die Suche nach einem individuellen Ausweg, stößt aber auch auf wachsendes Misstrauen und Ablehnung.

Uneinig sind sich die Herrschenden, ob und wie lange sie noch an diesem Kurs festhalten – oder ob sie zu einer offen reaktionären Politik übergehen sollen. All das macht es dringend notwendig, dass die Menschen sich einen klaren Durchblick verschaffen und die MLPD ihnen dabei hilft mit ihrer klaren wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Analyse.

Folgerichtiger Schritt nach vorne

In den industriellen Großbetrieben, aber auch in Branchen und Bereichen, wo gewerkschaftliche Arbeit teils noch schwierig ist, wie im Einzelhandel, Erziehungswesen oder den Pflegeberufen, gibt es ein gewachsenes gewerkschaftliches Bewusstsein. Der fortschrittliche Stimmungsumschwung schlägt sich unter anderem nieder in den großen Massendemonstrationen im letzten Jahr entlang der ganzen Bandbreite der politischen Themen.

In all diesen Bewegungen spielte die MLPD eine aktive, zum Teil prägende Rolle. Und sie stellte damit unter Beweis, dass sie in der Lage ist, in eine neue gesamtgesellschaftliche Verantwortung hineinzuwachsen. Die ICOR, die Internationale Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen, ist inzwischen auf 58 Mitgliedsorganisationen angewachsen – ein Ausdruck der weltweiten Suche der Massen nach einer gesellschaftlichen Alternative. In wenigen Wochen treffen sich Automobilarbeiter aus der ganzen Welt zur 2. Internationalen Automobilarbeiterkonferenz in Südafrika. Ein Band zwischen diesen Bewegungen und Kämpfen sind die Weltfrauen, die ihre dritte Weltfrauenkonferenz vorbereiten. Ein weiterer Höhepunkt in diesem Jahr ist die Vorbereitung der Gründung einer internationalen antiimperialistischen Einheitsfront gegen Faschismus und Krieg.

Es kommt jetzt vor allem darauf an, die Bewusstheit und Organisiertheit zu erhöhen, den Kampf um jeden Arbeits- und Ausbildungsplatz zu führen, sich auf offensiv geführte Tarifrunden einzustellen sowie Arbeiter- und Massenkämpfe gegen die Abwälzung der Krisenlasten vorzubereiten.

Die materiellen Voraussetzungen für eine planmäßige Entwicklung von Produktion und Konsumtion, die im Einklang steht mit den Bedürfnissen der Massen und dem Schutz der natürlichen Umwelt im internationalen Maßstab, sind heute mehr denn je ausgereift. Es ist einzig die Verfügungsgewalt durch eine kleine Minderheit des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals, gestützt auf die imperialistischen Regierungen und Staatsapparate, die dies verhindert. Die internationale sozialistische Revolution ist deshalb der folgerichtige Schritt nach vorne. Sie wird es ermöglichen, die revolutionären Produktivkräfte mit neuen, revolutionären Produktions- und Verteilungsverhältnissen in Übereinstimmung zu bringen. Dann gehören auch Wirtschaftskrisen der Vergangenheit an.