Rote Fahne 01/19
Karl und Rosa – Adler waren sie beide
„Sieh! Einer hat dennoch sein Antlitz über den Krieg erhoben, und es wird einst leuchten in der Schönheit und der Bedeutung seines Mutes ... Liebknecht!“1
Diese Worte des französischen Frontsoldaten Bertrand aus dem berühmten Antikriegsroman „Das Feuer“ würdigen die Größe Karl Liebknechts. Sie bezieht sich auf seinen historischen Auftritt am 1. Mai 1916, als er mitten im I. Weltkrieg in Berlin Tausenden von Demonstranten zurief: „Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!“ Seine sofortige Verhaftung folgte. Organisiert von den revolutionären Obleuten der Berliner Großbetriebe traten 50.000 Arbeiterinnen und Arbeiter in einen Streik für seine Freilassung. Aber erst kurz vor der Novemberrevolution 1918 kam er aus dem Kerker.
Sein Vater, Wilhelm Liebknecht, hatte 1869 zusammen mit August Bebel die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands, die SPD, gegründet. Die Familie war eng mit Marx und Engels verbunden. Diese wurden Paten des 1871 in Leipzig geborenen Karl. Nach seinem Studium und dem Eintritt in die SPD gehörte Karl Liebknecht zu den linken revolutionären Kräften, die sich dem in der Partei vordringenden Reformismus entgegenstellten. Der Kampf gegen den Krieg, den die SPD-Führung 1914 mit der Bewilligung der Kriegskredite für den Kaiser so schmählich verriet, sollte seine herausragendste Leistung werden. Eng verbunden war er mit der russischen Arbeiterbewegung, die er unter anderem als Rechtsanwalt unterstützte.
Die Auswertung der Erfahrungen der russischen Revolution von 1905/1907 teilte er auch mit Rosa Luxemburg. Sie war im damals Russland einverleibten Teil Polens in einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren worden. Geprägt durch die Erfahrungen der nationalen Unterdrückung durch den Zarismus und grausame Judenpogrome, schloss sie sich bereits als Schülerin der revolutionär-sozialistischen Partei an. 1889 emigrierte sie in die Schweiz, wo sie bis 1897 studieren konnte, was in anderen Ländern für Frauen nicht möglich war. 1898 erschien in der Leipziger Volkszeitung ihre Aufsatzreihe „Sozialreform oder Revolution?“. Darin, wie in Reden bei Parteitagen und Kongressen, entlarvte sie den von Eduard Bernstein gepredigten Reformismus und stemmte sich gegen > die zunehmende Bürokratisierung der SPD-Führung. Gegen die Illusionsmacherei über den wahren Charakter des Kapitalismus, der sich mit der Herausbildung der Monopole zum kriegstreiberischen Imperialismus entwickelte, trat auch Karl Liebknecht auf.
Er war Mitbegründer und Präsident der Sozialistischen Jugendinternationale. 1910 unternahm er ausgedehnte Vortragsreisen in den USA und entlarvte die gefährliche Rolle der amerikanischen Monopole.
Die Familien der beiden Revolutionäre waren eng verbunden. Karl Liebknecht hatte nach dem Tod seiner ersten Frau Sophie Ryss geheiratet. Sie kümmerte sich um seine drei Kinder aus der ersten Ehe und wurde zur engsten Freundin Rosa Luxemburgs.
Rosa Luxemburg reiste 1905 illegal nach Warschau, um in der russischen Revolution am Kampf der polnischen Arbeiter gegen den Zarismus teilzunehmen. Schon bald wurde sie verhaftet. Auf dem SPD-Parteitag 1906 zog sie mit der Propagierung von Massenstreiks als revolutionäres Kampfmittel Lehren aus der russischen Revolution. Für die gesamte deutsche Linke spielte diese erste proletarische Revolution im Zeitalter des Imperialismus eine prägende Rolle. Die brutale Unterdrückung beantworteten viele Parteimitglieder, vor allem kleinbürgerlicher Herkunft, mit Resignation und Zerfahrenheit. Nicht so Liebknecht und Luxemburg. Ihr Vertrauen in die Massen blieb unerschütterlich. Über Fragen des nationalen Befreiungskampfs und zur Konzeption des Parteiaufbaus gab es zeitweise erhebliche Differenzen zwischen Rosa Luxemburg und Lenin – in streitbarer Freundschaft.
Aber wie Lenin und die Bolschewiki in Russland wandten sich Karl und Rosa 1914 entschieden gegen die Unterstützung des imperialistischen Kriegs durch die sozialdemokratischen Führer und kämpften für seine Beendigung durch die Revolution. Beide wurden dafür bis Kriegsende im Gefängnis festgehalten, und beide begrüßten begeistert die russische Oktoberrevolution von 1917. Schließlich gründeten sie im Dezember 1918 die neue revolutionäre Partei, die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). In der Haft unzureichend informiert, hatte Rosa Luxemburg zunächst Kritiken am Vorgehen der von Lenin geführten Bolschewiki geäußert. Entgegen ihrer späteren selbstkritischen Haltung dazu, wurden diese nach ihrer Ermordung von dem ehemaligen Kommunisten Paul Levi veröffentlicht, um die junge Sowjetunion anzugreifen. Bis heute werden aus dem Zusammenhang gerissene Zitate dazu verwendet, Luxemburg als Gegnerin Lenins und der Bolschewiki oder gar Pazifistin darzustellen. Beides war sie nie. Gerne wird ihr Satz zitiert und missinterpretiert „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.“ Damit waren nie die Todfeinde von Demokratie und Sozialismus gemeint. Statt Pluralismus forderte sie in der Partei eine revolutionäre Linie: „Würden wir mit gleicher ‚Freude‘ jede ‚Kritik‘ aufnehmen, die, die uns zum Ziel vorwärtsbringt, wie die, die uns vom Ziel ab – und überhaupt auf ein ganz anderes Feld zieht, so wären wir nicht eine zielsichere Kampfpartei, sondern eine Gesellschaft von Schwätzern, die mit großem Lärm ins Feld hinausgerückt ist, ohne selbst recht zu wissen, wohin es gehen will, und bereit, auf jeden ‚Ratschlag‘ hin die ganze Marschroute zu ändern oder überhaupt zurückzukehren und sich ‚schlafen zu legen.‘“ 2 Im Band 5 ihrer gesammelten Briefe kann man unmissverständlich lesen: „In diesem Sinne bleibt ihnen (den Bolschewiki) das unsterbliche geschichtliche Verdienst, mit der Eroberung der politischen Gewalt und der praktischen Problemstellung der Verwirklichung des Sozialismus dem internationalen Proletariat vorangegangen zu sein … Und in diesem Sinne gehört die Zukunft überall dem ‚Bolschewismus‘.“
Die passende Antwort Lenins erhielt Levi 1922: „Paul Levi will sich jetzt bei der Bourgeoisie … dadurch besonders verdient machen, daß er gerade diejenigen Werke Rosa Luxemburgs neu herausgibt, in denen sie unrecht hatte. Wir antworten darauf mit ein paar Zeilen aus einer trefflichen russischen Fabel: Wohl traf‘s sich, daß des Adlers Flug ihn niedriger, als Hühner fliegen, trug, doch fliegen Hühner nie auf Adlershöh‘n. Rosa Luxemburg irrte … Aber trotz aller dieser ihrer Fehler war sie und bleibt sie ein Adler …“ 3