Rote Fahne 18/2019

Rote Fahne 18/2019

Katastrophenalarm - Der Kapitalismus zerstört die Einheit von Mensch und Natur! Was tun?

Millionen Menschen erleben und spüren in den letzten Monaten hautnah: Die Dynamik des Übergangs in eine globale Umweltkatastrophe verschärft sich zusehends. Hitzewellen, regionale Unwetterkatastrophen, ganze Areale von braunen, nadellosen Fichten in den Wäldern. Mikroplastik ist nachweisbar bis in die entlegensten Gegenden auf der Welt und in menschlichen und tierischen Organismen. Der bekannteste isländische Gletscher, Okjokull, ist so gut wie verschwunden, und weite Teile der Eisflächen der Erde sind unwiderruflich verloren. Es bahnen sich dramatische qualitative Veränderungen an - mit weltumspannenden Auswirkungen. Es ist unübersehbar: Katastrophenalarm ist angesagt! Aber was ist dagegen zu tun?

Von Hannes Stockert, umweltpolitischer Sprecher der MLPD
Katastrophenalarm - Der Kapitalismus zerstört die Einheit von Mensch und Natur! Was tun?
Foto: Michael Pollak / CC BY 2.0

Am 8. August veröffentlichte der IPCC der UNO1 einen neuen Sonderbericht. Darin belegt er eine Beschleunigung der Erderwärmung. Die zusammengetragenen Daten sind alarmierend: Bereits heute hat die durchschnittliche Erwärmung der Lufttemperatur an der Erdoberfläche 1,53 Grad Celsius gegenüber dem Jahr 1850 erreicht. Sie ist „beinahe doppelt so stark angestiegen wie die globale Durchschnittstemperatur“.2 2014 prognostizierte der IPCC eine solche „wahrscheinliche“ Entwicklung nur bei wesentlich höheren CO2-Emissionen als heute.3 Besorgt äußert sich UN-Chef António Guterres: „Die Welt sieht sich einem schwerwiegenden Klimanotfall gegenüber … Dieser schreitet schneller fort, als es die besten Wissenschaftler der Welt prognostiziert haben.“4

Rasante Verschärfung der Umweltkrise

„Notfälle“ entwickeln sich gleich an mehreren Fronten. An neun gegenwärtigen Hauptfaktoren verschärft sich die globale Umweltkrise rasant: die Zerstörung der Ozonschicht, die beschleunigte Vernichtung der Wälder, die heraufziehende Weltklimakatastrophe, die deutliche Zunahme regionaler Umweltkatastrophen, die drohende Gefahr umkippender Weltmeere, die Zerstörung regionaler Ökosysteme und das Artensterben, der rücksichtslose Raubbau an den Naturstoffen, die Vermüllung, Vergiftung und Verschmutzung sowie die unverantwortliche Nutzung der Atomenergie.5 Insbesondere ihre Wechselwirkungen beschleunigen den Übergang zur globalen Umweltkatastrophe. Zugleich entwickeln sich derzeit verstärkt gefährliche „Kipppunkte“, an denen die dramatische Entwicklung unumkehrbar wird. Bereits 2014 analysierte und prognostizierte das Buch „Katastrophenalarm! Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur?“ eine solche Entwicklung.

Klimaforscherin Ricarda Winkelmann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung führt in einem Interview dazu aus: „Es ist ein extrem komplexes System. Kippelemente agieren etwa nicht losgelöst voneinander, sie beeinflussen sich wechselseitig. Was wir in den nächsten paar Jahren machen, hat also Konsequenzen über Jahrhunderte bis Jahrtausende.“6 Wie perspektivlos und überholt ist daher das Festhalten an der Verbrennung fossiler Energieträger durch die internationalen Energiemonopole? Dadurch steigert sich die Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre mit immer neuen Höchstwerten. Die damit beförderte Erderwärmung führt zu anhaltenden Dürren und befeuert weltweit im wahrsten Sinne des Wortes verheerende Waldbrände in neuer Qualität. Allein in Sibirien sind so in den letzten Wochen 3 Millionen Hektar Wald auf Jahrzehnte zerstört. Die Permafrostböden gehen durch Erwärmung und Waldbrände unwiderruflich kaputt. Die darin gespeicherten Millionen Tonnen CO2 und Methan werden schlagartig in die Atmosphäre katapultiert. Das wiederum beschleunigt die unnatürliche Erwärmung sprunghaft.

Mit der Rodung des Regenwalds wird die „grüne Lunge“ und ein großer Kohlenstoff-Speicher der Erde nachhaltig zerstört. Der kapitalistische Zweck: Ausplünderung von Bodenschätzen, permanente Erweiterung der Flächen für Viehweiden, für Soja-Plantagen zur Massentierhaltung, für Biosprit und die Holz-industrie. Nutznießer sind internationale Agrar-, Groß- und Einzelhandelsmonopole. Ein skrupelloses, aber im Kapitalismus legales und durch Staat und bürgerliche Parteien gefördertes Umweltverbrechen. Das Zusammenwirken mit zunehmenden anhaltenden Dürren und einer Degradation der Ackerböden erzeugt laut jüngstem IPCC-Bericht „zusätzliche Belastungen für Landsysteme, was bestehende Risiken für Lebensgrundlagen, die biologische Vielfalt, die Gesundheit von Mensch und Ökosystemen, Infrastruktur und Ernährungssysteme verschärft“.

„Qualitative Sprünge deuten sich durch beschleunigte quantitative Veränderungen an und durch Verschärfung der inneren Widersprüche in den Dingen oder Prozessen. Aufgrund wissenschaftlicher Analysen ... seit den 1990er Jahren kam die MLPD zu dem prägnanten Urteil: Im Prozess der globalen Umweltkrise wurde bereits ein qualitativer Sprung, das Umschlagen in eine globale Umweltkatastrophe eingeleitet“7, führt das Buch „Katastrophenalarm! . . .“ aus. Seit seinem Erscheinen wurden ca. 12 300 Exemplare verkauft, in englisch, französisch, spanisch und russisch übersetzt und auch international vertrieben. Es hat dazu beigetragen, dass das Umweltbewusstsein auf breiter Front erwacht ist und viele Menschen zunehmend die Zusammenhänge in der globalen Umweltkrise sowie ihre gesellschaftlichen Ursachen im Kapitalismus sehen und bekämpfen.

Die Hauptverantwortlichen ins Visier nehmen

Diese für die Menschheit höchst gefährliche Entwicklung, die zur Auflösung der Einheit von Mensch und Natur führt, sprich menschliches Leben auf der Erde unmöglich machen würde, ist nicht mehr wegzudiskutieren. Sie bestimmt schon seit längerem die öffentliche Debatte und die Schlagzeilen. Und gerade an der Umweltfrage vertieft sich die tiefe Vertrauenskrise in die gesamte bürgerliche Politik. Woche für Woche demonstrieren Tausende von Jugendlichen in der Fridays-for-Future-Bewegung, „bis gehandelt wird!“. Die Dramatik wird immer offensichtlicher – aber auch das unverantwortliche Aufschieben notwendiger Sofortmaßnahmen. Regierung, bürgerliche Parteien und Medien organisieren stattdessen in genau dieser Situation eine regelrechte Gegenkampagne. Sie nimmt sich des Themas scheinbar an, hat aber den hauptsächlichen Zweck, von den Hauptursachen und Hauptverantwortlichen, den internationalen Übermonopolen und ihren Verbündeten, abzulenken. Es ist schon dreist, wie diese aus dem Visier genommen werden und den Massen die Schuld in die Schuhe geschoben wird. Wie der Dieb, der durch alle Kanäle posaunt, „haltet den Dieb“.

In den verschiedensten Talkshows, in den Schlagzeilen der bürgerlichen Medien, … überall Tausende von „Rezepten“, wie jeder jetzt sein persönliches Leben oder Wahlverhalten – natürlich ganz im bürgerlichen Rahmen – für die Umwelt ändern soll: „Warum wir alle weniger fliegen sollten“8; „Was Fleischverzicht für den Klimaschutz bringt“9; „Grüne – beim Klima prima“10. Mit täglich neu verkündeten Vorschlägen will die Regierung den Eindruck von reger Geschäftigkeit in Sachen Umweltschutz vermitteln. Ausgerechnet die „CO2-Bepreisung“ soll nun das „Wundermittel“ sein? Das kennen wir doch schon! In Form des CO2-Zertifikatehandels wird dies schon seit Anfang der 1990er-Jahre betrieben. Mit dem Resultat, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre seitdem von 350 auf 415 ppm11 gestiegen ist. Der gleiche Ansatz – nur noch direkter zum Abkassieren der Massen geeignet.

Penetrant wird eine gesellschaftliche Debatte diktiert, ob „Verbote oder Anreize“ die Bevölkerung zu umweltfreundlichem Verhalten antreiben. Warum wird nicht sofort Schluss gemacht mit dem umweltzerstörerischen und gesundheitsschädlichen Braunkohletagebau? Dafür muss kein einziger Braunkohlekumpel oder Kraftwerksarbeiter arbeitslos werden. Mindestens 25 000 Arbeiter haben noch für Jahrzehnte zu tun, die massiven Schäden der Braunkohle-Förderung wieder so gut wie möglich zu sanieren. Warum wird nicht sofort die ungefilterte Einleitung der Giftbrühe voller PCB, Schwermetallen und Dioxinen aus den stillgelegten Steinkohlezechen in öffentliche Gewässer verboten und der RAG-Aktiengesellschaft bedingungslos auferlegt, den von ihr untertägig eingelagerten Giftmüll auf ihre Kosten wieder zu bergen? Die „arme“ RAG will diesen aber fluten und gefährdet das Trinkwasser von Millionen Menschen in NRW. Bürgerliche Politiker und Parteien stehen ihr dabei helfend zur Seite. So etwas gehört verboten und bestraft!

Seit Wochen wird dagegen über „Otto Normal‘-Verbraucher“ diskutiert. Solche Ablenkungs-Kampagnen sind nicht neu und kommen direkt aus den Konzernzentralen. Anfang der 1950er-Jahre inszenierten müllproduzierende Konzerne wie Coca Cola, Pepsi Cola und Philip Morris in den USA eine Kampagne „Haltet Amerika sauber“. Ihr damaliger Hauptslogan: „Die Menschen beginnen mit der Umweltverschmutzung – Die Menschen können sie aufhalten.“ Damals wie heute: eine skandalöse Spurenverwischung! Schämen soll sich jetzt, wer für den Urlaub in ein Flugzeug steigt, so die bürgerliche Meinungsmache. So berechtigt seine Einschränkung ist - der Luftverkehr macht gerade einmal 2,7 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus. Der Anteil der Industrie- und Energiekonzerne einschließlich ihres LKW-Verkehrs liegt dagegen bei über 70 Prozent! Wer diesen Löwenanteil weitgehend unangetastet lässt, der hat entweder den Ernst der Lage überhaupt nicht begriffen, oder betreibt bewusst ein betrügerisches und ablenkendes Spiel. Oder beides.

Zweifellos sind auch individuelle Verhaltensänderungen im Sinne des Umweltschutzes erforderlich. Ein Paradigmenwechsel, damit die Einheit von Mensch und Natur in den Mittelpunkt gestellt wird, ist dringend nötig. Das geht aber nur gesamtgesellschaftlich und frei vom Profitdiktat der internationalen Monopole. Dafür braucht es den echten Sozialismus. Sich heute umwelt- und gesundheitsbewusst zu verhalten, ist eine wichtige Schule dafür. Entscheidend ist, dass dies nicht aus der Gesamtproblematik heraus gelöst wird und mit der Aufnahme des aktiven Widerstands gegen die Hauptverursacher einhergeht.

Die Umweltfrage ist zur Systemfrage geworden

Wir leben in einem imperialistischen Weltsystem. Es ist seine kapitalistische Profitwirtschaft, die die Entwicklung zur Umweltkatastrophe systematisch vorantreibt. Überzeugend und stichhaltig weist das Buch „Katastrophenalarm!“ auch die Hauptursache in den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten des Imperialismus nach. Mit der chronischen Überakkumulation von Kapital „wurde die rücksichtslose Ausbeutung der Naturressourcen als eine Quelle des Reichtums auf einem Niveau der systematischen und allseitigen Zerstörung der lebensnotwendigen Einheit von Mensch und Natur erstmals zu einem ökonomischen Zwang; anders konnte das allein herrschende internationale Finanzkapital keine Maximalprofite mehr verwirklichen“.12

Wer die Umweltzerstörung heute aufhalten will, der muss die Umwelt vor der Profitwirtschaft retten. Der muss sich mit dem Imperialismus konsequent anlegen. Die MLPD und ihr Jugendverband REBELL stehen deshalb für eine revolutionäre und sozialistische Perspektive im Umweltkampf. Dem Übel an die Wurzel gehen und gesellschaftliche Verhältnisse erkämpfen, in der die Einheit von Mensch und Natur grundlegende Leitlinie ist – das ist die richtige Schlussfolgerung aus der derzeit dramatischen Entwicklung. Das steht natürlich in Einheit damit, dringend nötige Sofortmaßnahmen zu erkämpfen und dies zu einer Schule des gesellschaftsverändernden Kampfes zu machen.

20. September – Streik- und Protesttag der Arbeiter- und Umweltbewegung

Gerade um diese perspektivische Frage entfaltet sich ein heftiger Richtungskampf in der Fridays-for-Future-Bewegung. Viele machen sich grundsätzliche Gedanken. Die Kapitalismuskritik wächst. Auf der ersten internationalen FFF-Demo am 21. Juni in Aachen waren es insbesondere Sprechchöre wie „One Solution – REVOLUTION“ oder „A – Anti – Anticapitalista“, die anziehend wirkten. Der REBELL und die MLPD stießen mit ihrem Lautsprecherwagen und der Organisierung eines kämpferischen kulturvollen Blocks auf Zustimmung. Mit der bürgerlichen Gegenkampagne soll daher auch die um ihre Zukunft kämpfende Jugend an die systemkonforme Kandare genommen werden. Vor allem Kräfte der Grünen/Grünen Jugend und des Campact-Vereins versuchen, sie auf das untaugliche (und von der Wirklichkeit bereits überholte) Pariser Klimaabkommen zu trimmen. Oder darauf sich auf Änderungen des individuellen Verhaltens zu reduzieren. Protestieren: ja; Kapitalismuskritik: aber bitte nur in Maßen und vor allem nicht mit radikalen gesellschaftlichen Lösungen und erst recht nicht mit Marxisten-Leninisten. Um das durchzusetzen, schrecken diese Kräfte auch nicht vor undemokratischen Methoden der Spaltung, Unterdrückung und Mobbing von konsequent kapitalismuskritischen Kräften, allen voran REBELL und MLPD, zurück. Wer so arbeitet, spielt nur den Umweltzerstörern der internationalen Monopole in die Hände.

Die MLPD hat mit ihrer jahrzehntelangen umweltpolitischen Kleinarbeit zum heutigen erwachenden Umweltbewusstsein auf breiter Front beigetragen. Sie ist die einzige Partei in Deutschland, die eigens mit Umweltgruppen arbeitet. Alle ihre Betriebsgruppen wiederum haben ihre Arbeit erweitert auf den Kampf um Arbeitsplätze und Umweltschutz. Auch in den Wohngebiets-, Uni- und Aufbaugruppen hat die Umweltpolitik festen Stellenwert: Mit breitem Vertrieb und Lesegruppen zum Buch „Katastrophenalarm! . . .“ als Streitschrift zur Orientierung und Perspektive. Mit der Förderung des Zusammenschlusses im Umweltkampf. Mit der Organisierung der Einheit von Arbeiter-, Umwelt- und Jugendbewegung.

Die FFF-Bewegung steht an einem Scheideweg: Kurs nehmen auf einen gesellschaftsverändernden Umweltkampf auf Grundlage einer politischen Selbständigkeit und Überparteilichkeit – oder Unterordnung unter den imperialistischen und kleinbürgerlichen Ökologismus, antikommunistische Spaltung der Bewegung und Ausgrenzung revolutionärer Positionen. Letzteres macht sie zum Anhängsel der Regierung. Weltweit wird vom 20. bis 27. September eine Aktionswoche für den Kampf zur Rettung der Umwelt organisiert. Die MLPD begrüßt den Aufruf von Fridays for Future, des ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske und des DGB zu einem Protest- und Streiktag am 20. September in Deutschland. Wenn sich die internationale Jugendumweltbewegung mit der Arbeiterbewegung verbindet, dann erwächst daraus eine wirkungsvolle und kampfstarke gesellschaftliche Kraft. Die MLPD-Betriebsgruppen werden dafür in den Betrieben breit mobilisieren. Das macht keine andere Partei in Deutschland! Auch das Internationalistische Bündnis organisiert den notwendigen breiten Zusammenschluss fortschrittlicher und revolutionärer Kräfte gegen die ganze Bandbreite der Rechtsentwicklung und Umweltzerstörung. Und die revolutionäre Weltorganisation ICOR13 ruft mit ihren 57 Mitgliedsorganisationen auf allen Kontinenten zu einer international koordinierten Massenaktion am 20. September auf. Eine breite, wirklich überparteiliche und weltanschaulich offene Umweltbewegung kann und wird ihren Beitrag leisten, damit der Umweltkampf einen gesellschaftsverändernden Charakter bekommt!