Rote Fahne 19/2019
Gewerkschaften: Co-Manager oder Kampforganisationen?
Vom 22. bis 28. September finden in Leipzig der 5. Bundeskongress von Verdi und vom 6. bis 12. Oktober der 24. Gewerkschaftstag der IG Metall statt.
Die Delegierten der beiden größten deutschen Einzelgewerkschaften vertreten über 4,24 Millionen Gewerkschaftsmitglieder. Die letzten gewerkschaftlichen Tarifrunden bei Metall, bei Stahl, im öffentlichen Dienst und anderen Branchen waren geprägt von einem Erwachen des gewerkschaftlichen Bewusstseins auf breiter Front. Mit der Rechtsentwicklung von Regierung und bürgerlichen Parteien, aber auch der allseitigen Verschärfung der krisenhaften Entwicklung des imperialistischen Weltsystems entstehen für die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung neue Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich ein Richtungskampf, welche Art von Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit heute gebraucht wird.
Noch heute sind viele Metaller stolz auf die 24-Stunden-Warnstreiks in der Tarifrunde 2018. Die Stahltarifrunde 2019 war geprägt von einer hohen Streikbereitschaft der Kollegen. „Wir standen Gewehr bei Fuß. Viele waren verärgert, dass unsere Kampfbereitschaft nicht voll zum Einsatz kam“ – so ein Vertrauensmann von Thyssenkrupp Duisburg. Im vergangenen Jahr haben die Beschäftigten verschiedener Unikliniken mit hoher Kampfmoral und Streiks in einer monatelangen Auseinandersetzung höhere Löhne, mehr Personal und Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen durchgekämpft. Ihre Streiks richteten sich auch gegen die Gesundheitspolitik der Regierung. Seit 12. Juni streiken 130 Kolleginnen und Kollegen der Firma Riva in Trier und Horvath für einen Tarifvertrag.
Das auf breiter Front erwachte gewerkschaftliche Bewusstsein hat sich gefestigt und im Zusammenhang mit dem wachsenden Umweltbewusstsein erweitert. Dazu hat die MLPD mit der systematischen Kleinarbeit ihrer Betriebsgruppen entscheidend beigetragen.
Dort, wo die Kolleginnen und Kollegen die Gewerkschaft als Kampforganisation erlebt und selber ihren Teil dazu beigetragen haben, ist es gelungen, den jahrelangen Mitgliederschwund zu verlangsamen, zu stoppen oder – wie bei der IG Metall – auch umzukehren. Trotzdem ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad von knapp zwanzig Prozent aller Beschäftigten noch unbefriedigend.
Der Schritt, sich gewerkschaftlich zu organisieren, ist der erste Schritt in der Entwicklung des Klassenbewusstseins – auf Grundlage der Erkenntnis, als Arbeiterin und Arbeiter die gleichen Interessen zu haben und in den Kapitalisten den gemeinsamen Gegner. Das ist eine wichtige Voraussetzung für Kampferfahrungen und ihre Verarbeitung mit Hilfe der marxistisch-leninistischen Partei. So wie jetzt die Bergleute im Ruhrgebiet beim Kampf gegen 200 betriebsbedingte Kündigungen. Nachdem die RAG, die SPD und die Klassenzusammenarbeitspolitik der rechten IGBCE-Führung bei ihnen weitgehend untendurch sind, machen sie nun auch intensive Erfahrungen mit der Landesregierung, den anderen bürgerlichen Parteien und den bürgerlichen Medien. CDU-Ministerpräsident Armin Laschet verunglimpfte den Protest im Landtag – als ob ihn „verkleidete“ MLPD-ler durchgeführt hätten. In den Medien wurde das teilweise ungeprüft verbreitet, allerdings brachten viele auch die Gegendarstellung der MLPD. Die AfD biedert sich hinterhältig den Bergleuten an, um sie für ihre faschistoiden und antikommunistischen Ziele zu missbrauchen. Im Fernsehen riskierte AfD-Mann Guido Reil die große Klappe, während er nicht einmal den Mumm hatte, die Anliegen der Kumpels im Arbeits- und Sozialausschuss des EU-Parlaments vorzubringen. In dieser Auseinandersetzung, die von der MLPD offensiv geführt wird, lernen die Bergleute immer besser zu unterscheiden, wer wirklich Freund und Feind ist; lernen sie vor allem auch, mit antikommunistischen Vorbehalten und Spaltungsmanövern immer besser fertigzuwerden. Entgegen aller organisierten Hetze wächst das Vertrauensverhältnis zur MLPD, das auch ein intensives gegenseitiges Beratungs- und Unterstützungsverhältnis ist. In zukünftigen Kämpfen werden sie verstärkt Erfahrungen mit Polizei und Staatsapparat sowie allen Seiten der Diktatur der Monopole machen. So wächst die Erkenntnis, dass ein politischer Kampf und eine starke MLPD zur Befreiung der Arbeiterklasse notwendig sind. Und so entwickelt sich das gewerkschaftliche schrittweise zum sozialistischen Bewusstsein.
Arbeiter- und Umweltbewegung – gehören zusammen
Nach ver.di rufen inzwischen auch IG Metall, GEW, EVG und andere zur Teilnahme am weltweiten Protest- und Streiktag der FFF-Bewegung am 20. September auf. Das ist Ausdruck eines deutlich gewachsenen Umweltbewusstseins, vor allem an der Basis der Gewerkschaften. Das spiegelt sich auch in über 20 Anträgen an den IG-Metall-Gewerkschaftstag wider, die in der Hauptseite von der Einheit im Kampf um Arbeitsplätze und Umweltschutz ausgehen. Damit geht die seit Jahren von der MLPD vertretene Losung in die Gewerkschaftsbewegung ein, wozu auch der Vertrieb des Buches von Stefan Engel, „Katastrophenalarm! – Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur?“, einen wichtigen Beitrag geleistet hat. Die MLPD mobilisiert breit zur aktiven Teilnahme am 20. September und begrüßt es, wenn Arbeiterinnen und Arbeiter sich mit Delegationen beteiligen und dazu auch die Arbeit niederlegen. Schließlich trifft es damit die Hauptverursacher der aus Profitgründen mutwillig betriebenen Umweltzerstörung. Wer die Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur heute aufhalten will, der muss die Umwelt vor der Profitwirtschaft retten.
Mit dem Aufruf zum „Klimastreiktag“ ist die Frage des Streikrechts aufgeworfen. Dazu heißt es im Antrag E2.125 an den IG-Metall-Gewerkschaftstag aus Ingolstadt: „Das restriktive Streikrecht in Deutschland ist lediglich Richterrecht. Es gibt keinerlei gesetzliche oder verfassungsrechtliche Bestimmungen, die politische Streiks ausdrücklich verbieten.“ In der Vergangenheit haben sich die Arbeiterinnen und Arbeiter in selbständigen Streiks, wie zum Beispiel gegen die Abschaffung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, das Recht auf Streik genommen. Die MLPD fordert seit Jahren ein vollständiges und allseitiges gesetzliches Streikrecht. Auch dazu gibt es Anträge an die beiden Gewerkschaftstage.
Ganz anders sieht dies der Vorsitzende der Gewerkschaft IGBCE, Michael Vassiliadis. Er sieht im Aufruf zum Klimastreik eine „Diskreditierung“ des Streikbegriffs1! Das sagt ausgerechnet einer, der in seiner ganzen Amtszeit als Gewerkschaftsvorsitzender alles getan hat, gewerkschaftliche und selbständige Streiks zu verhindern. Einer, der die Schließung des Bergbaus, den Deputatklau und die Flutung der Zechen aktiv mitbetrieben hat und den jetzt gegen die Kündigung kämpfenden Bergleuten in den Rücken fällt. Es ist diese Politik des Co-Managements, die die Gewerkschaften diskreditiert.
Berechtigte Empörung – aber welche Konsequenzen?
Abgestoßen davon überlegt mancher Gewerkschafter, auszutreten. Das freut allerdings nur die Herrschenden. Denn die Stärke der Arbeiter ist ihre Organisiertheit. Andere wiederum sehen im Aufbau einer Opposition innerhalb der Gewerkschaft eine Chance. Die Folge wäre, dass sich die kämpferischen Kollegen von der Masse der Kollegen abkapseln und den Hauptstoß ihrer Arbeit gegen die reformistischen Gewerkschaftsführer richten, statt gegen die Monopole. Die Überwindung der Spaltung der Gewerkschaftsbewegung nach politischer und weltanschaulicher Gesinnung war eine wesentliche Schlussfolgerung aus der Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung durch die Errichtung des Hitler-Faschismus. Die Durchsetzung einer tatsächlichen Einheitsgewerkschaft wurde allerdings in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg durch die rechten Gewerkschaftsführer in Zusammenarbeit mit den westlichen Besatzungsmächten verhindert.
Die Gewerkschaften in Deutschland haben einen Doppelcharakter. Auf der einen Seite der Gewerkschaftsapparat, der im System des staatsmonopolistischen Kapitalismus verankert und besonders durch seine Führung zu einem Ordnungsfaktor geworden ist. Deshalb kann dieser Apparat im Kapitalismus auch nicht abgeschafft oder erobert und können die Gewerkschaften nicht zu Klassenkampforganisationen gemacht werden.
Zugleich sind die Gewerkschaften die wichtigste Selbstorganisation der Arbeiterklasse. Nur wenn parteilose, christliche, sozialdemokratische und marxistisch-leninistische Arbeiterinnen und Arbeiter gleichberechtigt zusammenarbeiten, können die Gewerkschaften ihre Schlagkraft entwickeln.
Kritikbewegung in den Gewerkschaften
An der Politik der Klassenzusammenarbeit entwickelt sich auch innerhalb der Gewerkschaften eine Kritikbewegung. So heißt es zum Beispiel im Antrag E3.013 aus Krefeld zum IG-Metall-Gewerkschaftstag: „Es muss damit Schluss gemacht werden, dass unter dem Schlagwort ,Standortsicherung‘ Verschlechterungen in Fragen Lohn, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen hingenommen werden.“ Die Kritikbewegung ist Ausdruck eines Richtungskampfs zwischen zwei grundsätzlich verschiedenen Vorstellungen von den Aufgaben und der Arbeit der Gewerkschaften. Im offensiv geführten fast siebenwöchigen gewerkschaftlichen Streik zur Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich in den 1980er-Jahren haben die Arbeiterinnen und Arbeiter die IG Metall zur Kampforganisation gemacht. Das Vertrauensverhältnis zur gerade gegründeten MLPD wuchs sprunghaft. Mit der stufenweisen Einführung der erkämpften Arbeitszeitverkürzung, zunehmender Flexibilisierung, immer mehr Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen usw. haben die Monopole seither den Reformerfolg der kürzeren Arbeitszeit wieder untergraben. Selbst die beste Reform ändert nichts an den Machtverhältnissen im staatsmonopoltischen Kapitalismus. Deshalb kommt es darauf an, solche Kämpfe wie jetzt für die Angleichung der Arbeitszeit in Ostdeutschland oder für eine weitere gemeinsame Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich als Schule für den Befreiungskampf der Arbeiterklasse von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung zu führen. Dafür steht die MLPD mit ihrer Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit.
Dem entgegen steht heute die Politik des Co-Managements der reformistischen Gewerkschaftsführungen. Mit dieser Politik wollen die reformistischen Gewerkschaftsführer als „vernünftige Manager“ aktiv in die Gestaltung der kapitalistischen Produktionsweise eingreifen. Der Betriebsratsvorsitzende von Opel Rüsselsheim, Wolfgang Schäfer-Klug, brachte dies auf einer Belegschaftsversammlung so auf den Punkt: „Als Betriebsratsvorsitzender muss ich auch die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens berücksichtigen.“ Das ist nichts anderes als eine Versöhnung mit dem Profit- und Machtstreben der Monopole, eine Unterordnung unter das Streben der Monopole nach Weltmarktführerschaft, verbunden mit der Untergrabung des Selbstvertrauens der Arbeiter. Die Liquidierung der Gewerkschaft als Kampforganisation soll verhindern, dass die Arbeiter Kampferfahrungen sammeln, der Einfluss der MLPD wächst und die Masse der Arbeiter für den Kampf um den Sozialismus gewonnen wird.
Angst vor einer revolutionären Gärung
Angesichts der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung wächst die Nervosität der Monopole und ihrer Regierung. Die Unternehmerverbände und einzelne Monopolvertreter haben bereits ein umfassendes Programm zur Abwälzung der Krisenlasten von der Bundesregierung gefordert.
So fordert der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Ingo Kramer, unter anderem ein „Belastungsmoratorium für die deutsche Wirtschaft“. Das bedeutet Verzicht auf Lohn- und Gehaltserhöhung, Verzicht auf den Kampf für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, Verzicht auf wirksame Umweltschutzmaßnahmen auf Kosten der Profite, und so weiter. Es ist aber überhaupt nicht einzusehen, dass die Folgen der kapitalistischen Krisen auf die Arbeiter und ihre Familien abgewälzt werden.
Den Monopolen und der Bundesregierung geht es auch mit ihren Vorstößen zur Ausweitung der Kurzarbeit nicht in erster Linie um die Erhaltung der Arbeitsplätze. Sie wollen damit zwar ausgebildete und erfahrene Arbeitskräfte länger halten. Doch haben alle großen Konzerne bereits die dauerhafte Vernichtung von Arbeitsplätzen angekündigt und Zehntausende Leiharbeiter entlassen. Vor allem haben sie Angst davor, dass sich das Industrieproletariat an die Spitze der Kämpfe stellt und in Verbindung mit dem Kampf der breiten Massen gegen die Rechtsentwicklung der Regierungen eine revolutionäre Gärung entsteht.
Wer diesen Weg des Übergangs in die Arbeiteroffensive auf breiter Front mit vorantreiben und nicht beim Kampf um Reformen innerhalb des Kapitalismus stehenbleiben will, der ist in der MLPD und ihren Betriebsgruppen genau richtig. Hier findet man unverbrüchliche Solidarität, gegenseitige Hilfe, intensive Beratung und Ausbildung für all die Anforderungen und Fähigkeiten, die man dazu lernen muss. Über 70 Prozent der Mitglieder der MLPD sind Arbeiter und einfache Angestellte, ihr Frauenanteil liegt bei 43 Prozent. Die meisten Mitglieder sind auch gewerkschaftlich organisiert, viele haben oder hatten gewerkschaftliche Funktionen. In der Arbeiterpartei MLPD herrscht eine Atmosphäre, in der Arbeiterinnen und Arbeiter sowie ihre Familien genau am richtigen Platz sind. Es ist höchste Zeit, sich für diesen Schritt zu entscheiden!
Stärkung der Gewerkschaften und der MLPD
Als Mitglied der ICOR2 tritt die MLPD für die Beseitigung des Imperialismus und die Errichtung der vereinigten sozialistischen Staaten der Welt ein. Dabei spielen die Gewerkschaften als wichtigste Selbstorganisation der Arbeiterklasse eine entscheidende Rolle beim Aufbau und Festigung des Sozialismus. Dazu heißt es im Parteiprogramm der MLPD: „Es sind die Arbeitermassen und ihre Selbstorganisationen, die unter Führung der marxistisch-leninistischen Partei die Lenkung und Verwaltung von Produktion und Gesellschaft in die Hand nehmen müssen.“3 Obwohl dem IG-Metall-Vorstand das Programm der MLPD bekannt ist, behauptet er wider besseren Wissens, die MLPD wolle die Gewerkschaften im Sozialismus auflösen. Die Unvereinbarkeitsbeschlüsse gegenüber der MLPD richten sich hauptsächlich gegen die Höherentwicklung des Klassenbewusstseins der Arbeiter zum sozialistischen Bewusstsein. Die reformistischen Gewerkschaftsführer mögen ihren Frieden mit dem Kapitalismus machen. Sie missbrauchen aber ihre Funktion aus antikommunistischen Motiven, wenn sie den Sozialismus aus der IG Metall verbannen und damit die Einheitsgewerkschaft zerstören wollen. Die MLPD macht sich stark für wirkliche Überparteilichkeit der Gewerkschaften und pflegt eine enge Verbindung der Partei mit den Gewerkschaften, ohne die Gleichberechtigung und Überparteilichkeit zu verletzten. Das ist im ureigensten Interesse der Arbeiterklasse und der breiten Massen. All dies zeigt: die Stärkung der MLPD ist Garant auch für die Stärkung der Gewerkschaften als Kampforganisation und für den Kampf für den echten Sozialismus.