Rote Fahne 15/2019
MLPD: Flüchtlingspolitik mit Perspektive
Carola Rackete, die mutige Kapitänin der „Sea-Watch 3“, hatte auf eigene Faust 40 völlig erschöpfte Flüchtlinge in Lampedusa an Land gebracht. Sie nahm bewusst in Kauf, von der italienischen Polizei verhaftet zu werden. Das verdient Hochachtung und hat europaweit eine Welle der Solidarität ausgelöst.
Nicht die einzige Schlappe für Europas ultrareaktionäre Scharfmacher. Und immer mehr Leute fragen sich, wie es überhaupt zu solchen Situationen kommen kann. Was ist das für eine „Weltordnung“, in der 70 Millionen Menschen gezwungen sind, sich auf lebensgefährliche Fluchtwege zu begeben? Und was ist die Alternative dazu?
Bis hinein in die bürgerlichen Parteien sagen die meisten Menschen: „Seenotrettung ist kein Verbrechen!“ Allein am 6. Juli waren in etwa 100 deutschen Städten über 30.000 Menschen bei Solidaritätsdemonstrationen1. Hunderttausende Euro wurden gesammelt zur Unterstützung Carola Racketes. Die internationale Solidarität entwickelte sich so beeindruckend, dass Malta die Flüchtlinge von zwei weiteren Rettungsschiffen an Land gehen lassen musste. Und Innenminister Horst Seehofer (CSU) musste sich gar persönlich dafür verwenden, dass Deutschland einen Teil von ihnen aufnimmt. Heftige Rückschläge steckten die ultrareaktionären Scharfmacher auch in einer weiteren zentralen gesellschaftlichen Auseinandersetzung ein: dem „Fall“ Alassa Mfouapon. Die Flüchtlingssolidarität vertieft die Defensive der reaktionären Flüchtlingspolitik.
Die MLPD gehört zu den Pionieren in dieser Solidarität. Sie ist ein Motor dafür, dass diese Bewegung sich mit der Arbeiterbewegung verbündet und Teil des Kampfes für eine befreite Gesellschaft wird. Bereits die versuchte Abschaffung des Asylrechts durch die Kohl-Regierung in den 1990er-Jahren hat sie bekämpft. Schon 1993 veröffentlichte sie in dem Buch „Der Neokolonialismus und die Veränderungen im nationalen Befreiungskampf“ eine grundsätzliche Analyse der weltweiten Flüchtlings- und Auswanderungsbewegung. Ursachen und Lösungen werden darin entwickelt.2
Symbol des Widerstands
Ein Symbol des Widerstands gegen die reaktionäre Flüchtlingspolitik in Deutschland wurde der aktive Widerstand der Flüchtlinge aus Ellwangen: gegen Abschiebungen, Polizeieinsätze und Kriminalisierung der Flüchtlinge und die umfassende internationalistische Solidaritätsarbeit dazu. Das Gesicht dieses Kampfes wurde der Flüchtlingsaktivist Alassa Mfouapon. Er und seine Mitkämpfer hatten es „gewagt“, sich zusammenzuschließen und nach dem martialischen Polizeieinsatz im Mai 2018 zur Durchsetzung einer Abschiebung mit der einheimischen Bevölkerung zu verbinden. Mit tatkräftiger Unterstützung der MLPD und ihres Jugendverbands wurde der Widerstand gegen Abschiebungen organisiert. Gegen die Kriminalisierung ihres Protestes organisierten sie eine Demonstration unter der Losung „Jetzt reden wir“.
Alassa wurde daraufhin im Juni 2018 als angeblicher Rädelsführer nach Italien abgeschoben. Damals entstand der Freundeskreis Alassa & Friends, der mit dem Ellwanger Appell eine breite Solidaritätsbewegung organisierte. Als der junge Afrikaner später, nach Ablauf seiner Wiedereinreisesperre, wieder legal nach Deutschland kam, wurde ausgehend von Innenminister Seehofer, Bild-Zeitung und AfD eine speiüble Hetze gegen ihn losgetreten. Diese sollte die das inzwischen verabschiedete „Hau ab Gesetz“ Seehofers propagandistisch vorbereiten. Der „Fall Alassa“ wurde so zu einem bundesweiten Politikum. Aber anders, als es sich Herr Seehofer in seinen selbstgerechten Fantasien ausgedacht hatte: Der Freundeskreis, die MLPD und weitere Organisationen gingen dagegen voll in die Offensive: ein Sperrfeuer mit juristischen, politischen und praktischen Aktivitäten. Bis hinein in bürgerlich-demokratische Kreise wuchs die Empörung. Viele Zeitungen berichteten positiv und selbst Gerichte und Behörden sahen sich zum Zurückrudern gezwungen.
Die Bild-Zeitung wurde zudem wegen ihrer „Berichterstattung“ über Alassa Mfouapon vom Deutschen Presserat gerügt. Eine herbe Niederlage für das skrupellose, arrogante Blatt.
Die Solidarität mit Alassa und den Ellwanger Flüchtlingen wurde zu einer Speerspitze und zum direkten Gegenpol zur reaktionären Flüchtlingspolitik der Bundesregierung bzw. der EU.
Kein Einzelfall
Auf ihrem X. Parteitag 2016 hat die Partei ausführlich über die neue Qualität der Flüchtlingskrise diskutiert und Schlüsse gezogen. Entsprechend der kommunistischen Weltanschauung, dass es keine Menschen erster, zweiter oder dritter Klasse geben darf, wurde beschlossen: „Die Weltflüchtlingsbewegung ist zu einer globalen Dauererscheinung mit wachsender Tendenz geworden, die letztlich die nationalstaatliche Ordnung des Kapitalismus in Frage stellt. … Wir sehen das nicht als Bedrohung, wie es die reaktionäre – rassistische und faschistische – Propaganda vertritt, sondern als verbesserte Bedingung für den internationalen Zusammenschluss der Arbeiter und Unterdrückten der Welt“, heißt es in der von den Delegierten einstimmig verabschiedeten Resolution.
In den Betrieben und Gewerkschaften wurde der Kampf um das proletarische Klassenbewusstsein erweitert. Denn, so die Delegierten des Parteitags, „die Haltung zur Flüchtlingsfrage ist heute eine besondere Anforderung an das Klassenbewusstsein geworden. Wer keine proletarisch-internationalistische Haltung zur Flüchtlingsfrage einnimmt, kann auch nicht konsequent für die Selbstbefreiung kämpfen.“ Die Diskussion auf dem Parteitag – nicht nur zur Flüchtlingskrise – wurde zur Leitlinie einer erfolgreichen Selbstveränderung:
- Die MLPD hat sich im Rahmen der revolutionären Weltorganisation ICOR aktiv beteiligt an den internationalen Brigaden zum Bau eines Gesundheitszentrums in Kobanê (Nordsyrien). Inzwischen wurden dort Tausende Kinder geboren. Das Leben kehrt zurück, die demokratische Selbstverwaltung ist gestärkt. Anfang 2015 lebten wenige Tausend Menschen in der Stadt, heute sind es wieder 150.000.
- Die MLPD hat, gestützt auf ehrenamtliche Kräfte und viele Spender, maßgeblich dazu beigetragen, dass in Thüringen das „Haus der Solidarität“ gebaut werden konnte – gegen den Boykott der Behörden, die sich bis heute weigern, Flüchtlinge in dieser Anlage unterzubringen.
- Die Partei ist prägende Kraft bei vielen Aktivitäten der Flüchtlingssolidarität.
- Die MLPD hat immer wieder dazu beigetragen, dass Geflüchtete selbst zu Wort kommen, statt dass vor allem über sie gesprochen wird; und sich mit der Bevölkerung verbrüdern, zu der selbst Menschen unterschiedlichster Herkunft gehören. Beim Internationalen Pfingstjugendtreffen 2019 hat sie zum Erfolg des Tribunals beigetragen: „Angeklagt! Gegen die Fluchtursachen und die Flüchtlingspolitik der Regierung! Für das Recht auf Flucht und für das Recht, die Welt zu verändern!“
- Hunderte Flüchtlinge haben sich in der MLPD und im REBELL organisiert. Sie bereichern die Arbeit mit ihren Erfahrungen, und zugleich lernen sie die
revolutionäre Arbeit der MLPD in Theorie und Praxis. Seit dem Parteitag 2016 wuchs die Zahl der in der MLPD vertretenen Nationalitäten von 33 auf 50.
- Die MLPD arbeitet im Internationalistischen Bündnis mit vielen Migrantenorganisationen und Geflüchteten zusammen. Gemeinsam haben ihre Vertreter zu Wahlen kandidiert.
- Die MLPD ist Mitglied der ICOR und fördert eine internationale antifaschistische und antiimperialistische Einheitsfront. Dazu arbeitet die ICOR zusammen mit dem Internationalen Kampfbund der Völker (ILPS).
- Ziel der MLPD ist die Überwindung des imperialistischen Weltsystems durch die internationale sozialistische Revolution und der Aufbau der vereinigten sozialistischen Staaten der Welt, als Übergang zu einer Welt ohne Klassen, Staaten und Armeen.
- Im Sozialismus wird die Einheit von Mensch und Natur bewusst verwirklicht – im Kampf gegen die Deformierung und teilweise Zerstörung dieser Einheit durch den Imperialismus. In vielen Regionen Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas wären drei Ernten im Jahr möglich, und die Menschheit könnte ausreichend und gesund ernährt werden.
Auf der anderen Seite: Menschenverachtung
Völlig konträr zu dieser optimistischen Einschätzung und Politik erklärt Innenminister Horst Seehofer (CSU) die Migration zur „Mutter aller Probleme“. Die AfD, aber auch rechte Kreise der anderen bürgerlichen Parteien, seien sie aus CDU, SPD oder FDP, verbreiten in ätzend demagogischer Manier Hetze und Gerüchte gegen Geflüchtete. Diese massive Propaganda und diese Lügenmärchen, die in digitalen Medien kursieren, beeinflussen auch einen Teil der Bevölkerung.
Immer wieder hört man, die Flüchtlinge bekämen angeblich alles, „wir Deutschen“ nichts. Tatsächlich erhält ein Flüchtling, der in einem Privatquartier wohnt, 354 Euro im Monat – nicht einmal den Hartz-IV-Regelsatz. Wohnt er in einer staatlichen Einrichtung, dann sind es 135 Euro – ganze 4,50 Euro am Tag, mit denen er seinen Lebensunterhalt bestreiten muss. Überall werden soziale Mindeststandards gedrückt, um die Umverteilung zugunsten
der internationalen Übermonopole zu organisieren: Bei deutschen Rentnern, bei allen Arbeitern egal welcher Herkunft. Der soziale Wohnungsbau, wurde er denn von Flüchtlingen liquidiert? Und wer ist verantwortlich für die Ausbeutung in den Betrieben, inklusive der Arbeitsplatzvernichtung?
Ja, die Menschheit hat ein Problem. Aber es ist nicht die Migration. Es ist der Imperialismus mit seiner allseitigen Krisenhaftigkeit. Heißt: Kriege, Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiterklasse, faschistische und rechte Regierungen, regionale Umweltkatastrophen, Ausbreitung der Wüsten, Landraub für Exportproduktion zwingen Hunderte Millionen Menschen in die Flucht. Weltweit wachsen die Flüchtlingsströme – die offizielle Zahl hat die 70 Millionen überschritten. Allein aus Syrien, Afghanistan und dem Südsudan sind über 21 Millionen Menschen auf der Flucht. Davon sind 660.000, das sind drei Prozent, nach Deutschland gekommen. Über 3,6 Millionen hingegen in die Türkei, 1,4 Millionen nach Pakistan und über eine Million nach Uganda. Sieben Millionen sind innerhalb Syriens auf der Flucht3. Und diese Flüchtlingsbewegung wird weiter dramatisch zunehmen. Diese Menschen gewaltsam aufzuhalten, ist die einzige Antwort der Imperialisten – und zugleich ein völlig untauglicher Versuch.
Das Mittelmeer ist inzwischen die gefährlichste Grenze der Welt. Mindestens 2275 Menschen sind 2018 ertrunken – im Schnitt sechs Tote jeden Tag. Und es wird geschätzt, dass in der Sahara dreimal so viele sterben4. Was für eine Farce, wenn die gleichen verantwortlichen Politiker versuchen, 140 Mauertote5 in knapp 30 Jahren in Berlin antikommunistisch auszuschlachten – so sehr natürlich auch diese Opfer zu beklagen sind.
Die Zahl der Asylanträge geht in Deutschland zurück, von 745.545 im Jahr 2016 auf 185.853 im letzten Jahr 6. Weil die Menschen es gar nicht mehr bis hierher schaffen. Absurd, wenn da gejammert wird, Deutschland könne „nicht die ganze Welt aufnehmen“. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl hat Lettland siebenmal so viele Flüchtlinge aufgenommen, Kolumbien neunmal.7
Vor allem die Art und Weise, wie die bürgerliche Politik die Aufnahme organisiert hat, war bestens geeignet, Konkurrenz zu schüren: Unterbringung in Turnhallen und ghettomäßige Zustände, wofür dann Sportunterricht ausfiel und Konflikte befeuert werden. Hätte man sich langfristig und organisiert auf die neun Millionen Menschen gestützt, die alleine 2015/16 in Deutschland in der Flüchtlingssolidarität aktiv waren, wäre das kein größeres Problem gewesen. Diese ganze Debatte lenkt ab vom grundsätzlichen Problem: dass Menschen fliehen müssen, weil ihnen der Imperialismus die Lebensgrundlage raubt.
Potenzial einer revolutionären Weltkrise
Die Weltflüchtlingsbewegung ist ein Vorbote kommender revolutionärer Veränderungen. Der Imperialismus schafft sich täglich neue Feinde, indem er Hunderte Millionen in ihrer Existenz bedroht. Die Menschen auf der Flucht sind Teil des Potenzials einer revolutionären Weltkrise. Die Flüchtlinge beginnen, sich zu organisieren, wie beim Marsch aus Mittelamerika in Richtung USA. Die Arbeiterklasse unter Führung des internationalen Industrieproletariats muss das Heer der Unterdrückten gewinnen für den gemeinsamen Kampf gegen den Imperialismus.
Die Rechtsentwicklung der Regierungen und der bürgerlichen Parteien zeigt: Auch sie sind sich der kommenden revolutionären Veränderungen bewusst, und sie bereiten sich vor. Das ist der Sinn von Donald Trumps Plan, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen. Das ist auch der Kern des reaktionären „Hau-ab-Gesetzes“, das im Juni hektisch durch den Bundestag gepeitscht wurde. Dieses „Repressionsgesetz“8 beschneidet die Rechte von Flüchtlingen weiter und erleichtert massenhafte Abschiebungen. Revolutionäre Flüchtlinge werden kriminalisiert, und auch ihre Zusammenarbeit mit einheimischen Revolutionären.
Aber jeder Schritt dieser Rechtsentwicklung mobilisiert neue Kräfte für den Widerstand. Im Juli demonstrierten in Leipzig Hunderte Menschen tagelang gegen die Abschiebung eines Flüchtlings aus ihrem Stadtteil. Erst mit Schlagstöcken und Pfefferspray setzte die Polizei die Abschiebung schließlich durch. Die Masse der Flüchtlinge gehört der Arbeiterklasse an, über ein Drittel von ihnen arbeitet inzwischen in Betrieben, sie sind verankert in Vereinen o.ä. Die MLPD trägt maßgeblich dazu bei, dass die Migration „die nationalen Schranken und Vorurteile zerstört und Arbeiter aller Länder in den großen Fabriken und Gruben Amerikas, Deutschlands, usw. miteinander vereinigt …“ (Lenin).9
Die MLPD arbeitet auf Grundlage des Prinzips des proletarischen Internationalismus und der internationalen Klassensolidarität. Sie folgt den marxistisch-leninistischen Losungen „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ und „Proletarier aller Länder und Unterdrückte, vereinigt euch!“. Helft mit, den Plan der MLPD zu verwirklichen! Organisiert euch in der MLPD und im REBELL, macht mit im Internationalistischen Bündnis!