Rote Fahne 15/2019

Rote Fahne 15/2019

ABC der faschistoiden Demagogie

Jede neue gesellschaftliche Erscheinung erfordert eine Auseinandersetzung über ihre Deutung. Das geht vom sachlichen Meinungsstreit über Verschleierung bis hin zur Verhetzung.

Von Dirk Willing
ABC der faschistoiden Demagogie
Offensive und kämpferische internationale Solidarität – das Internationalistische Bündnis demonstriert mit Flüchtlingen aus Ellwangen (Mai 2018)

Das Wort Demagogie kommt aus dem Altgriechischen. Es bedeutete ursprünglich die Fähigkeit, das Volk zu führen. Heute ist daraus die Fähigkeit geworden, das Volk zu verführen. Solche sozialfaschistische Demagogie ist eine zentrale Methode der AfD und aller anderen faschistoiden Kräfte. Dabei werden nicht nur einzelne Fake News, „falsche Nachrichten“ verbreitet, sondern Teilbereiche oder die ganze Gesellschaft mit einer grob verzerrten, vielfach mythisch oder fantastisch hinterlegten, irrationalen Sichtweise bewusst falsch gedeutet. Die Demagogie der AfD ist vor allem da wirksam, wo sie ins bürgerlich- konservative und Regierungslager auf der einen, bis in offen neofaschistische Kreise auf der anderen Seite Anschluss findet.

Die „Anti-Abschiebe-Industrie“ war eine Erfindung des bayerischen CSU-Politikers Alexander Dobrindt. Der Begriff diffamiert Flüchtlingshelfer, soziale Einrichtungen und demokratische Juristen. Er unterstellt ihnen wahrheitswidrig ein ökonomisches Interesse an Aufenthaltsrechts-Prozessen. Die Wirklichkeit verzerrende und Dinge auf den Kopf stellende Begriffe und Fake News kursieren innerhalb eines relativ geschlossenen Publikums wie in einer Filter-Blase. In sozialen Netzwerken bestätigen sich die Verbreiter gegenseitig. Keine Geschichte ist zu absurd, um hier nicht verbreitet zu werden.

Wie kann es sein, dass COMBAT 18 – Kampfgruppe Adolf Hitler – nicht verboten ist?

Mit den Dublin-Abkommen wurde in der gesamten EU die Freizügigkeit und damit das Asylrecht ausgehöhlt. Die reaktionäre Abschiebepraxis wie in Deutschland wird als „Geordnete Rückkehr-Gesetz“ ettikettiert, womit der Eindruck von „Recht und Ordnung“ vermittelt werden soll. Beschönigungen dieser Art sind das Pendant zu Hass und Hetze, zum Beispiel gegen „Gutmenschen“. Welchen Charakter muss man haben, dass man „guter Mensch“ zum Schimpfwort macht? Schlagworte wie „Integrationsverweigerer“ übertragen tatsächliche oder erdachte konkrete Ereignisse nach rassistischem Muster auf ganze Bevölkerungsteile und schüren Stimmung. Wie über Hunderte Jahre gegen die Juden. Dass Integration ohne ausreichende Sprachkurse und genügend finanzielle Mittel schwer möglich ist, wird geflissentlich verschwiegen. Genauso, dass schon aufenthaltsrechtliche Verstöße unter „Ausländer-Kriminalität“ gehandelt werden. Wer würde ein Falschparker-Ticket unter „Deutschen-Kriminalität“ verbuchen? Faschistische oder faschistoide Demagogie richtet sich immer vor allem gegen „die anderen“. So bleibt die eigene Vorstellung „ungesagt“ und bietet Projektionsfläche für alles und jeden. Wo denn die Flüchtlinge hinsollten, warum sie eigentlich fliehen, was die deutsche Gesellschaft ohne „Ausländer“ wäre, das sind Fragen, die aus gutem Grund nicht gestellt werden.

Neben der Migration ist das Selbstbild der AfD zentrales Feld ihrer Demagogie. Alexander GauLand oder Jörg Meuthen sind wie Alice Weidel offensichtlich keine Vertreter der sogenannten Unterschichten. Als jahrzehntelange CDU-Parlamentarier, als Ministerialbeamter und Universitätsprofessor bzw. Managerin gehörten sie schon lange vor der AfD zu den Steigbügelhaltern der herrschenden Klasse. Als Agents Provocateurs verstoßen sie wie Identitäre und andere Neofaschisten, bewusst und medienwirksam gegen geltende Regeln und Übereinkünfte, um durch den Skandal die Selbstinszenierung als Opfer und Protestpartei zu pflegen. So bleibt man im Gespräch, und die als „Lügenpresse“ gescholtenen Massenmedien werden zur Quelle des faschistoiden Marketings.

Mit Schlagworten wie „Recht und Ordnung“, „Sichere Herkunftsstaaten“ oder „Asyl-Tourismus“ wollen die Demogogen in der Bevölkerung eine Denkweise prägen, bei der die Realität außen vor bleibt. Wie steht es denn mit Recht und Ordnung in Libyen seit der Zerstörung des Staatswesens durch die NATOMitglieder? Wo ist das Seerecht auf Hilfe bei Schiffbruch im Mittelmeer? Die Definition sicherer Herkunftsstaaten erklärt monarchistische Diktaturen, Bürgerkrieg, Antiziganismus und Homophobie für „sicher“. Die verzweifelte Suche nach einem sicheren Aufenthalt hingegen wird als „touristisch“ verklärt.

Demagogen lechzen nach finsteren Mächten, die keiner kennt, die aber an allem schuld sind. Eins deren Projekte sei die Umvolkung. Migration nach Deutschland und Rückgang der Geburtenrate bei den hiesigen Frauen wird zum Projekt jener erklärt, die aus lauter Selbsthass „das deutsche Volk“ durch Austausch gegen andere Personen vernichten wollen. Die Referenz auf „das deutsche Volk“bleibt ohne exakte Deutung. Da sich Lebensweise, Gewohnheiten und ethnische Zusammensetzung jedes Volkes im modernen Kapitalismus ständig verändern, müsste die Suche nach „dem deutschen Volk“ mindestens bis ins Mittelalter zurückführen. Da gab es aber noch kein einheitliches Deutschland, sondern Schwaben und Badener, Preußen und Bayern etc.

Wehret den Anfängen!
Lasst euch kein X für ein Y vormachen! Zusammen gegen alte und neue Faschisten!