Rote Fahne 22/2018

Rote Fahne 22/2018

100 Jahre Novemberrevolution – 50 Jahre Parteiaufbau der MLPD

1918 – vor 100 Jahren beendete die Novemberrevolution in Deutschland das Kaiserreich und den I. Weltkrieg. Ein Sturm der Revolution wehte damals durch Deutschland. Natürlich haben wir in Deutschland heute noch keine revolutionäre Situation. Aber der fortschrittliche Stimmungsumschwung unter den Massen entwickelt sich. Genau der richtige Zeitpunkt, sich anhand der Novemberrevolution noch mehr Gedanken über eine „Revolution“ – eine echte gesellschaftliche Umwälzung – zu machen. Radikal links, revolutionär, für den echten Sozialismus – dafür steht die MLPD, die in diesem Jahr stolz auf 50 Jahre Aufbau einer Partei neuen Typs blickt.

100 Jahre Novemberrevolution – 50 Jahre Parteiaufbau der MLPD
Gedenken an die Bremer Räterepublik

1914 brach das damals neuimperialistische Deutschland den I. Weltkrieg vom Zaun. Er war das barbarische Ergebnis des Kampfs der Imperialisten um die Neuaufteilung der Welt. Zu Beginn des Krieges hatte der deutsche Nationalismus durchaus bis in die Massen Kriegsbegeisterung wecken können. Vier Jahre sinnloses Sterben, massenhafter Hunger und Elend haben die Massen desillusioniert und den von der psychologischen Kriegsführung verbreiteten Durchhaltewillen gebrochen.

 

Eine revolutionäre Situation

 

Revolutionäre Situationen können nicht ausgerufen oder willkürlich geschaffen werden. Sicher hätten die Revolutionäre den Kaiser gerne schon bei Kriegsbeginn gestürzt. Aber für eine Revolution müssen objektive und subjektive Faktoren heranreifen: zunächst erfordert es eine Situation, in der die Herrschenden nicht mehr in der alten Weise regieren können. Dafür haben die tiefen wirtschaftlichen und politischen Krisen im Imperialismus größte Bedeutung.

 

Trotz des Waffenstillstands mit Russland – nach der dortigen Oktoberrevolution – taumelte der deutsche Imperialismus im Jahr 1918 seiner militärischen Niederlage entgegen. Das Volk war vollständig erschöpft und forderte Frieden. 800.000 Frauen und Kinder waren seit Kriegsbeginn an Hunger und Erschöpfung gestorben. Sie wollten und konnten nicht mehr in der alten Weise regiert werden. Im Januar/Februar beteiligten sich 500.000 Arbeiter an einem poli­tischen Generalstreik. Der revolutionäre Spartakus­bund spielte eine wichtige Rolle. Geführt von den großen deutschen Revolutionären Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, entstand er in der Kritik an der sozialchauvinistischen Politik der früher revolutionären SPD.

 

Der revolutionäre Gedanke muss die Massen ergreifen! Eine Revolution ist keine anarchistische Einzeltat, kein Putsch, sondern die Erhebung der Massen. Dazu muss die revolutionäre Tat zuerst durch den Kopf. Das zeigt die große Bedeutung des Kampfs um die Meinungsführerschaft unter den Massen. Sie geht jedem großen Kampf voraus und muss von den Marxisten-Leninisten in geduldiger Kleinarbeit erobert werden.

 

Appelle oder Revolution?

 

Im August 1918 liefen 250.000 deutsche Soldaten zum Feind über. Die Stimmung kippte vollends im Oktober 1918, als angesichts der militärischen Niederlage arrogante adlige Offiziere noch Zehntausende Matrosen in aussichtslosen Seeschlachten verheizen wollten. Die politische und militärische Führung des Deutschen Reichs hatte die Situation im Land nicht mehr im Griff.

 

Anfang November weigerten sich die Kieler Matro­sen massenhaft, auszulaufen. Viele Matrosen waren ehemalige Industriearbeiter. Sie hatten illegale Verbindungen und Strukturen aufgebaut und verbrüderten sich mit den Arbeitern in Kiel. Am Sonntag, den 3. November, organisierten sie gemeinsam eine riesige Demonstration durch die Stadt. Als Kaisertreue die Demonstration angriffen, begann die revolutionäre Lawine zu rollen. Der Einsatz des staatlichen Gewaltapparats gegen die protestierenden Massen ist oft ein Wendepunkt in der politischen Entwicklung. In Deutschland begrub diese Lawine unter sich das deutsche Kaiserreich, schuf das Frauenwahlrecht, das Recht auf Betriebsräte und viele weitere demokratische Versammlungs- und Koalitionsrechte. Arbeiter- und Soldatenräte wurden gebildet.

 

Beendet wurde der Krieg nicht etwa durch Einsicht oder gar Vernunft der Herrschenden oder Appelle der kriegsleidenden Menschen – sondern durch die Revolution. Das waren großartige Erfolge der November­revolution. Aber die revolutionären Arbei­ter wollten mehr – die proletarische Räterepublik nach Vorbild des sozialistischen Russlands. Am 9. November rief Karl Liebknecht die sozialistische Republik aus. Fast zur gleichen Zeit proklamierte Philipp Scheidemann (SPD) dagegen die bürgerliche Republik. Sie tat alles, um eine sozialistische Revolution zu verhindern.

 

Die Rolle der SPD-Führung

 

Bis heute schmückt sich die SPD zu Unrecht mit Errungenschaften der Novemberrevolution. Tatsächlich war sie ihr erbitterter Feind, wie Scheidemann 1922 ausplauderte: „Eine antimonarchistische Propaganda, eine positive republikanische Tätigkeit hat die Sozialdemokratie nie betrieben ... Die Unterstellung, daß die Sozialdemokratie die Novemberrevolution gewollt oder vorbereitet hat, ist eine lächerliche, törichte Agitationslüge unserer Gegner.“1

 

Als aber die Revolution nicht mehr aufzuhalten war, entwickelten die sozialdemokratischen Führer wie Scheidemann, Friedrich Ebert, Gustav Noske oder Conrad Haußmann hektische Aktivitäten, um sich an die Spitze zu stellen. Ein Wettlauf der revolutionären mit den opportunistischen Kräften setzte ein.

 

Eine Revolution verläuft nicht harmonisch, indem plötzlich alle Strömungen in der Arbeiterbewegung einheitlich handeln – im Gegenteil: Der Richtungskampf zwischen revolutionärer und reformistischer Richtung entfaltet und verschärft sich. Er muss mit aller Konsequenz auch in der Arbeiterbewegung ausgetragen werden!

 

Dieser Kampf spitzte sich immer mehr zu. Am 16. Dezember 1918 tagte erstmals der Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte. Karl Liebknecht forderte den Sturz der Regierung, Bewaffnung des revolutionären Proletariats, Entwaffnung der Konterrevolution. Gegen die Losung „Alle Macht den Räten“ rief der Kongress jedoch zur Wahl der bürgerlichen Nationalversammlung auf.

 

Nachdem bereits am 6. Dezember Militär das Feuer auf revolutionäre Arbeiter eröffnete hatte, kämpften diese heldenhaft. Zwischen dem 6. und 15. Januar 1919 tobten in Berlin Straßenkämpfe, Zeitungsredaktionen wurden besetzt. Reaktionäre Freikorps ermordeten am 15. Januar die Führer der Revolution, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Und mit ihnen Tausende revolutionäre Arbeiterinnen und Arbeiter. Legendär wurde der Ausspruch Gustav Noskes, der als verantwortlicher SPD-Minister die reaktionären Massaker befehligte: „Einer muss der Bluthund sein.“  Es ist bezeichnend, dass Außenminister Heiko Maas (SPD) noch heute „froh“ ist, dass in Berlin Straßen mit Namen „von Politikern wie Ebert“ vertreten sind. Ebert war aber der Mann, der die Niederschlagung des Spartakus-Aufstands befahl.

 

Starke revolutionäre Parteien nötig

 

Das größte Problem der Novemberrevolution war das Fehlen einer revolutionären Partei, die eine zielklare Führung der Massen hätte ausüben können. In Russland hatten sich die Revolutionäre um Lenin bereits 1903 von den Opportunisten organisatorisch getrennt. Seither hatten sie ihre eigene Partei, die Bolschewiki, aufgebaut und unablässig Aufklärungsarbeit betrieben über die schädliche Rolle des Opportunismus in der Arbeiterbewegung. Unter Führung der Bolschewiki wurde in der Oktoberrevolution 1917 der erste sozialistische Staat der Welt geschaffen.

 

In Deutschland verblieben die Revolutionäre viel zu lange in der durch und durch verbürgerlichten SPD. Statt eine revolutionäre Partei aufzubauen, organisierten sie sich lose in der Spartakus-Gruppe. Diese spielte zwar eine wichtige Rolle in der Vorbereitung und Durchführung der Revolution, war aber noch zu schwach und unerfahren. Die Kommunistische Partei wurde erst mitten im Verlauf der Revolution gegründet, Ende Dezember 1918.

 

Zwischen der revolutionären Kommunistischen Partei und der opportunistischen und sozialchauvinistischen Sozialdemokratie stand zudem die schwankende Unabhängige SPD (USPD). Es gab dort viele revolutionäre Genossinnen und Genossen. Aber die USPD  war schwankend und halbherzig. „Die versöhnlerischen Tendenzen im revolutionären Flügel der Sozial­demokratie haben … den Opportunismus gestärkt und ihm zum Sieg verholfen“, wertete Willi Dickhut, Vordenker und Mitbegründer der MLPD, die damalige Zeit aus – um den illegalen Widerstand der KPD während des Hitler-Faschismus auszurichten.2

 

Was heute als taktische Meinungsverschiedenheit erscheint, kann in zugespitzten Zeiten zu einer Frage von Leben und Tod werden. So wie im Januar 1919!

 

Die Novemberrevolution hat neben ihren vielen konkreten Errungenschaften bleibenden Wert für den Kampf um Befreiung. Die wichtigste und unauslöschliche Konsequenz bleibt: Der Aufbau einer marxistisch-leninistischen Partei und ihre Entwicklung zur Partei der Massen sowie später zur Massenpartei ist von existenzieller Bedeutung für Erfolg oder Misserfolg der proletarischen Revolution.

 

Auch wenn heute ...

 

… noch keine revolutionäre Situation besteht, gibt es doch eine chronische und sich rasant verschärfende Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems. Angesichts einer weltweiten Flüchtlingskrise, eines sich beschleunigenden Übergangs in die globale Umweltkatastrophe, eines sich entfaltenden Handelskrieges, einer Krise der EU, von Vorboten einer neuen Weltwirtschafts- und Finanzkrise und einer allgemeinen Tendenz der imperialistischen Kriegsvorbereitung entwickelt sich weltweit ein fortschrittlicher Stimmungsumschwung. Die Massen wollen nicht in der kapitalistischen Barbarei untergehen. In Deutschland durchlebt das politische System eine selten tiefe Vertrauenskrise in die bürgerlichen Parteien, Institutionen und den bürgerlichen Parlamentarismus. Massendemonstrationen gegen die Rechtsentwicklung der Regierung nehmen zu, nachdem Anfang des Jahres 2018 große gewerkschaftliche Streiks stattfanden.

 

Revolutionäre Gärungen werden kommen. Ob sie zum Erfolg einer befreiten Gesellschaft führen, hängt maßgeblich mit davon ab, wie wir uns heute darauf einstellen.

 

Anders als 1918 ...

 

… verfügt die Arbeiterklasse in Deutschland heute über eine revolutionäre Partei: Die MLPD! Ihr Aufbau wurde notwendig nach der revisionistischen Entartung der früher revolutionären KPD ausgehend vom XX. Parteitag der KPdSU. Die MLPD hat die revolutionären Errungenschaften verteidigt und steht in der Tradition der alten kommunistischen Bewegung. Von Anfang an zog sie aber schöpferische Schlussfolgerungen aus deren Stärken und Schwächen sowie aus den veränderten Bedingungen für den Klassenkampf.

 

Zäh und geduldig durchdringt sie die Kampferfahrungen der Arbeiterklasse und werktätigen Massen mit der revolutionären Theorie. Führt Kämpfe nicht um vergänglicher Reformen willen, sondern als Schule des Klassenkampfs. Das fängt an bei kleinen betrieblichen Fragen und den vielen faulen Kompromissen rechter Gewerkschaftsführer. Heute geht der Opportunismus wieder verstärkt über zum Sozialchauvinismus. Also zum Burgfrieden mit den eigenen Monopolen, dem eigenen Imperialismus. Wo dieser Burgfrieden endet – davon können 17 Millionen Tote des I. Weltkriegs Zeugnis ablegen.

 

Die MLPD hat in den mittlerweile 50 Jahren ihres Parteiaufbaus seit 1968 zahlreiche Alleinstellungsmerkmale einer marxistisch-leninistischen Partei neuen Typs entwickelt. Dazu gehört ihr proletarischer Charakter, ihr solides theoretisches Fundament, die Selbstfinanzierung, ihr System der Kleinarbeit, die engste Verbindung von Führung und Basis, ein ausgearbeitetes Programm, der demokratische Zentralismus als Organisationsprinzip. Mit einem System der Selbstkontrolle zielt sie darauf ab, Fehler zu vermeiden. Mithilfe von prinzipieller Kritik und Selbstkritik mit den Massen und innerhalb der Partei entwickelt sich die MLPD schöpferisch weiter. So lernt sie immer besser, ihre führende Rolle auszufüllen, die sie im Kampf um den Sozialismus und später beim Aufbau des Sozialismus einnehmen muss.

 

Beratung, Austausch und Verbindung der Revolutionäre untereinander – zwischen Russland, Deutschland und den anderen Ländern war Anfang des letzten Jahrhunderts oft nur durch Kuriere möglich. Eine internationale Organisation, wie die erst Jahre später gegründete Kommunistische Internationale, gab es nicht. Auch dieser Problematik hat sich die MLPD zielstrebig angenommen. Mit von ihr initiiert, entstand 2010 die Internationale Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen (ICOR). Keine Revolution darf heute mehr isoliert niedergeschlagen werden. Das haben sich die inzwischen 51 Mitgliedsorganisationen der ICOR auf die Fahnen geschrieben. Auf vier Kontinenten ist diese revolutionäre Weltorganisation heute schon repräsentiert – und aktiv.

 

Keine Parteien?

 

Aber auch die herrschende Klasse hat Lehren gezogen aus der Novemberrevolution. Heute versucht sie, wo immer möglich, die Klassenwidersprüche zu dämpfen. Sie schickt – schon im Vorfeld revolutionärer Entwicklungen – Funktionäre aus vermeintlich fortschrittlichen linken Parlamentsparteien und Nichtregierungsorganisationen in soziale Bewegungen, Proteste oder Arbeiterkämpfe. Dort sollen sie desorientieren und gegebenenfalls spalten. Dass ihre liquidatorische Stimmungsmache sich vor allem „gegen Parteien“ richtet, ist kein Zufall. Ihre bürgerlichen Parteien sind in den Augen der Massen zunehmend diskreditiert. Ihr Hass richtet sich gerade deshalb gegen die MLPD. Denn ohne revolutionäre Partei wird es keine erfolgreichen gesellschaftsverändernden Kämpfe geben – und schon gar keine grundsätzliche Umwälzung der Verhältnisse (Revolution). Die Partei der Arbeiterklasse ist unverzichtbar, um zu organisieren und die Erfahrungen des gesellschaftlichen Kampfes um die Denkweise kollektiv zu verarbeiten. Sie zu stärken, liegt im Interesse aller, die nach einer gesellschaftlichen Alternative suchen.