Rote Fahne 09/2018

Rote Fahne 09/2018

1. Mai 2018: Sozialismus – (k)eine Perspektive?

1890 berichtet eine junge Arbeiterin vom erstmals durchgeführten 1. Mai der Arbeiterklasse: „Welch herrlicher Gedanke, zu wissen, dass die Ausgebeuteten, die Unterdrückten der ganzen Welt an diesem Tage seelisch miteinander verbunden sind, dass sie ... ihre Forderungen an die Regierungen stellen.“1 Und 2018?

1. Mai 2018: Sozialismus – (k)eine Perspektive?
1. Mai 2017 in Krefeld. Foto RF

Ein erwachendes gewerkschaftliches Bewusstsein, eine gewachsene Bereitschaft, sich an gewerkschaftlichen Streiks zu beteiligen – und viele politische Diskussionen, oft auch über grundsätzliche Fragen. Das war kennzeichnend bei den beiden großen Tarifrunden in der Metallindustrie und im öffentlichen Dienst. Und die Auszubildenden und Jungfacharbeiter marschierten – oft lautstark – vorneweg.

Die MLPD ist selbst eine Arbeiterpartei. Viele ihrer Mitglieder arbeiten in den bestreikten Betrieben, waren Aktivposten bei der Organisierung, sind Mitglieder der IG Metall oder bei ver.di. Mit sieben aktuellen Flugblättern zur Tarifrunde unterstützte die MLPD die Kolleginnen und Kollegen mit Argumenten, sie organisierte damit auch die Solidarität unter der Bevölkerung – all das als einzige Partei. Sie machte Mut, für höhere Löhne zu kämpfen – aber auch, das ganze kapitalistische Lohnsystem ins Visier zu nehmen. Der Unternehmerverband Gesamtmetall, der Kommunale Arbeitergeberverband und die Bundesregierung waren von der Kampfbereitschaft überrascht. Und sie wollten unter allen Umständen Flächenstreiks verhindern.

Dem wurden die Spitzen von IG Metall und ver.di gerecht und verzichteten auf den Einsatz der vollen gewerkschaftlichen Kampfkraft. Politik im Sinne des Co-Managements. Die basiert auf der Behauptung, Arbeiter und Kapital seien angeblich Partner. In einer auf Ausbeutung beruhenden Klassengesellschaft ist das eine Illusion – und Betrug! „Da wär’ einiges mehr drin gewesen …“, so denken viele, die in den letzten Wochen aktiv an den Tarifauseinandersetzungen teilgenommen haben. Dennoch, die Streiks waren eine wichtige Erfahrung, sie haben die Belegschaften zusammengeschweißt. Gerade die 24-Stunden-Streiks, die es bei Metall und bei ver.di gab, wurden oft von aktiven Vertrauensleuten selbst organisiert. Sie haben die Stärke einer geeint kämpfenden Belegschaft unter Beweis gestellt.

Der 1. Mai ist die Gelegenheit, die Erfahrungen aus den gewerkschaftlichen Kämpfen auszutauschen, gemeinsam Schlussfolgerungen zu ziehen und vor allem: den Blick zu weiten für die großen Herausforderungen, vor der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung stehen.

Kampf gegen die Tendenz zur imperialistischen Kriegsvorbereitung

250.000 Menschen beteiligten sich in den letzten Wochen in Deutschland an Protesten gegen den völkerrechtswidrigen Überfall des türkischen Militärs auf Efrîn. „Wir bereiten zusammen mit dem deutsch-kurdischen Kulturverein das Auftreten auf der 1. Mai- Demonstration des DGB vor und eine gemeinsame Mai-Feier“, berichtet eine Genossin der MLPD aus Dortmund. In Syrien droht eine unmittelbare Konfrontation der imperialistischen Rivalen, ausgehend vom Hauptkriegstreiber USA. Auch Deutschland ist Kriegspartei in Syrien: durch die Waffenlieferungen an die Türkei und seine Aufklärungstornados in Jordanien. Diese Entwicklung ist Teil einer allgemeinen Tendenz der imperialistischen Kriegsvorbereitung. Dafür stehen auch der Handelskrieg zwischen den USA, China und der EU, der Rechtsruck der Regierungen und das Aufpäppeln völkisch-nationalistischer, faschistoider Parteien und Gruppierungen wie der AfD.

„Heute sollen wir Opfer bringen für die Konkurrenzfähigkeit von VW beim Kampf um die Weltmarktführerschaft, und morgen wollen sie uns für ihre Machtinteressen als Kanonenfutter verheizen. Gerade die deutsche Arbeiterbewegung hat damit in zwei Weltkriegen leidvolle Erfahrungen gemacht. Auch deshalb gehe ich am 1. Mai mit auf die DGB-Demonstration“, erzählt ein VW-Arbeiter aus Wolfsburg.

Auf härtere Zeiten vorbereiten!

Fusionen bei Stahl, Stilllegung des Steinkohlebergbaus, Arbeitsplatzvernichtung bei Siemens, Airbus oder Deutscher Bank, die sich anbahnende Strukturkrise und Neuordnung in der Autoindustrie im Zusammenhang mit der E-Mobilität und Digitalisierung – dies alles verschärft die Ausbeutung und führt zu einer massenhaften Vernichtung von Arbeitsplätzen. Aktuell spitzt sich die Situation um das Opelwerk in Eisenach zu. Wegen der Stimmung in der Belegschaft haben IG Metall und Betriebsrat – zurecht – den Verzicht auf die Weitergabe der Tariflohnerhöhung und die Anrechnung übertariflicher Zahlungen abgelehnt. Daraufhin legte der PSA-Vorstand die Investitionen für ein neues Modell auf Eis. „Das wäre das Aus für das Werk. Dabei hat uns Opel in einem Tarifvertrag die Investition zugesagt. Auf Zusagen von denen kannst du pfeifen. Wir haben unsere Lektion aus Bochum gelernt – Zugeständnisse führen auf die Verliererstraße. Dagegen müssen wir in die Offensive gehen“, so fasst eine Kollegin die Stimmung vieler zusammen. Eine drohende Schließung des Werkes betrifft nicht nur 1800 Arbeitsplätze im Werk, sondern ein Vielfaches in der gesamten Region. Als Erstes will der Vorstand in Eisenach die Ausbildungswerkstatt schließen. Das, obwohl schon 2016 in Deutschland nur noch jeder zweite Jugendliche unter 25 Jahren in einem Vollzeitjob beschäftigt war. Auch Siemens will einen Teil seiner Ausbildungswerkstätten schließen. Bei VW, Thyssenkrupp und anderen werden die Azubis nicht mehr oder nur zum Teil übernommen. „Das sind dieselben Konzerne, die groß über den Facharbeitermangel lamentieren“, regt sich ein IG-Metall-Vertrauensmann auf.

Vor diesem Hintergrund wächst die Bedeutung des Kampfs um die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Eine Forderung, die auf Kosten der Profite durchgesetzt werden muss. Sie ist die wichtigste ökonomische Reformforderung gegen Massenarbeitslosigkeit, Leiharbeit und Überausbeutung. Sie hilft, die Spaltung zwischen Standorten, Konzernen sowie Jung und Alt zu überwinden. Sie bringt mehr Zeit für Erholung, Kultur und soziales und politisches Engagement. Und diese Forderung verbreitet den Gedanken, dass der Fortschritt der Produktivkräfte den Arbeitern und der Gesellschaft zugutekommen soll – wie das im Sozialismus der Fall ist. Der gemeinsame Kampf gegen die Erpressung und das Ausspielen der Belegschaften gegeneinander – für die Schaffung der Arbeitereinheit, das muss Thema sein am 1. Mai!

Soziale Demagogie faschistoider Kräfte

Nach ihrem Einzug in den Bundestag versucht die AfD, in den Betrieben organisierten Einfluss zu bekommen. Dabei arbeitet sie mit anderen ultrareak­tionären Kräften zusammen und solchen, die ihre faschistoide Einstellung demagogisch verbrämen, wie dem „Zentrum Automobil“ in Stuttgart-Untertürkeim. Diese Kräfte geben sich das Image, Vertreter des „kleinen Mannes“ zu sein. Doch wie sieht ihre Politik aus? Auf einer Kundgebung in Görlitz machte der AfD-Redner nicht Siemens verantwortlich für die geplante Werksschließung, sondern: die Vertreter der IG Metall im Aufsichtsrat. An den Siemens-Vorstand wird appelliert, zu „deutscher Unternehmenskultur“ zurückzukehren. Was soll das für eine „Kultur“ sein? Im Kampf um den Weltmarkt oder Rohstoffe ist das deutsche Kapital zu keiner Zeit zimperlich gewesen – bis hin zur Anzettelung zweier Weltkriege. Stets wurde die Ausbeutung gesteigert. Auch der miese Betrug einer „sozialverträglichen“ Arbeitsplatzvernichtung ist inzwischen Teil der „deutschen Unternehmenskultur“. Statt den Kampf um jeden Arbeitsplatz zu führen, bilden AfD und Co. Legenden, um das (deutsche) Kapital zu schonen.

Der eigentliche Gegner für die AfD ist nämlich keineswegs der Kapitalismus. Ihre Gegner sind die IG Metall, fortschrittliche Kolleginnen und Kollegen und die MLPD. Die Kritik der AfD am Co-Management der rechten Gewerkschaftsführung und von Betriebsratsspitzen zielt nicht darauf ab, die Gewerkschaften als Kampforganisation zu stärken. Sie wollen die Arbeiterbewegung spalten und zerstören. Dazu fordern die AfD und andere faschistoide Kräfte die Kolleginnen und Kollegen auf, aus der IG Metall auszutreten und Mitglied einer „patriotischen Gewerkschaft“ zu werden. Die Kapitalisten klatschen Beifall zu dieser Spaltung.

Es ist eine neue Herausforderung in den Betrieben und Gewerkschaften, mit der sozialen Demagogie dieser faschistoiden Kräfte fertigzuwerden. Dem Rechtsruck der Regierungen und bürgerlichen Parteien gilt es den Zusammenschluss aller fortschrittlichen und revolutionären Kräfte entgegenzusetzen. Diese Aufgabe hat sich das Internationalistische Bündnis gestellt, ein Zusammenschluss von inzwischen 20 Organisationen und über 23.000 Unterstützerinnen und Unterstützern. Der 1. Mai ist eine gute Gelegenheit, das Internationalistische Bündnis breiter bekannt zu machen – und selber aktiv zu werden!

Die GroKo ins Visier nehmen!

Die neue CDU/CSU/SPD-Regierung sucht den Eindruck zu wecken, als kümmere sie sich jetzt um die Nöte der Masse der Bevölkerung. Zugeständnisse im Koalitionsvertrag, wie das geplante Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit, sollen darüber hinwegtäuschen, wohin die Reise tatsächlich geht. Vehement fordern die Unternehmerverbände Steuersenkungen nach Trump’schem USA-Vorbild – auf Kosten freilich der gesamten Gesellschaft. Die Beschäftigten sollten sich von der derzeitigen guten wirtschaftlichen Lage der deutschen Wirtschaft nicht blenden lassen. Der Handelskrieg auf dem Weltmarkt und das aggressive Auftreten neuer Konkurrenten bergen, vor allem bei der hohen Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft, unabsehbare Risiken – bis hin zu einer neuen Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Die Monopole wollen diese auf den Rücken der Arbeiterinnen und Arbeiter und der breiten Massen abwälzen. Jahrelang haben die Verantwortlichen bei VW und anderen Autokonzernen mit krimineller Energie die Gesundheit der Menschen gefährdet, die Umwelt zerstört – alles mit Unterstützung der Regierungen und für die Extraprofite von Großaktionären. Dass diese Krise bisher nicht unter den Teppich gekehrt werden konnte, hat maßgeblich mit der MLPD und ihrer Arbeit in den Betrieben zu tun. Immer mehr Menschen verstehen: Der Kampf zur Rettung der Umwelt vor der Profitgier gehört zusammen mit dem Kampf für Arbeitsplätze!

Mit dem Abbau demokratischer Rechte und Freiheiten und ständiger Ausweitung der Bespitzelung bereiten sich Monopole und Regierung auf eine Verschärfung des Klassenkampfs vor. Das ist der Grund dafür, dass Repressionen zunehmen wie auch antikommunistische Attacken rechter Betriebsräte gegen kämpferische und klassenkämpferische Kolleginnen und Kollegen. Diese Angriffe richten sich gegen alle Kolleginnen und Kollegen. Es ist eine trügerische Hoffnung, zu meinen, mit Stillhalten könne man seine Haut retten. Wenn die Zeiten härter werden, muss die Solidarität wachsen, und die Organisiertheit. In der MLPD erfahren alle den Rückhalt, das Know-how und die Unterstützung, die notwendig sind, um gemeinsam zu kämpfen für eine lebenswerte Zukunft.

Weltweit eingeleiteter fortschrittlicher Stimmungsumschwung

In Frankreich entwickelt sich – ausgehend von den Eisenbahnern, den Beschäftigen bei Air France, Carrefour, im öffentlichen Dienst und an den Universitäten – eine starke Streikbewegung gegen die reaktionäre Politik des Präsidenten Emmanuel Macron. Von Streiks in der Ukraine berichtet ein Bergarbeiter: „Allmählich entwickelt sich die Koordinierung zwischen den Bergarbeitern der verschiedenen Regionen der Ukraine – von der Westukraine bis zum Dongebiet im Osten der Ukraine. … Die Bergarbeiter der Ukraine sind in der letzten Zeit zu einem wichtigen Bestandteil der weltweiten Bergarbeiterbewegung geworden.“2 Die Internationale Bergarbeiterkoordination (IMC) hat sich als Aufgabe gestellt, die Kämpfe der Bergarbeiter weltweit zu koordinieren. Die 20 Millionen Bergarbeiter sind ein bedeutender, kampfstarker Teil des internationalen Industrieproletariats. In Deutschland organisiert die überparteiliche Bergarbeiterinitiative Kumpel für AUF ab dem 1. Mai eine Unterschriftensammlung gegen die Stilllegung der letzten beiden Steinkohlezechen und gegen die Einstellung der Wasserhaltung.

Schon am Internationalen Frauentag, dem 8. März, haben Frauen in verschiedenen Ländern wie Spanien, Italien, Brasilien, Uruguay und Argentinien Streiks für Frauenrechte und für die Gleichstellung von Mann und Frau organisiert. Es ist auch ein Erfolg der kämpferischen Weltfrauenbewegung und der weltweiten Solidarität, dass Joly Talukder, die Führerin einer Textilarbeitergewerkschaft und Asienkoordinatorin der Weltfrauenkonferenz aus Bangladesch, nach ihrer Verhaftung am 1. April am 17. April freigelassen wurde – pünktlich, um am 1. Mai mit Tausenden ihrer Kolleginnen auf die Straße zu gehen. Die Weltfrauenkonferenz ist ein Zusammenschluss von Basisfrauen, die auch aktiv von revolutionären Parteien und Organisationen unterstützt wird. International fördert die revolutionäre Weltorganisation ICOR den Aufbau einer weltweiten antiimperialistischen und antifaschistischen demokratischen Einheitsfront. Die MLPD ist Gründungsmitglied der ICOR.

Der 1. Mai 2018 fällt fast genau auf den 200. Geburtstag von Karl Marx3. Karl Marx und Friedrich Engels waren nicht nur Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, sie standen auch praktisch an der Spitze der revolutionären Arbeiterbewegung. Sie kritisierten den Opportunismus reformistischer Führer, die die Kämpfe der Arbeiterklasse im Rahmen des Kapitalismus belassen wollen. Die internationale Entwicklung der Kämpfe zeigt: Die Perspektive von Marx und Engels, der Sozialismus/Kommunismus, eine solidarische Gesellschaft freier und gleichberechtigter Menschen – diese Perspektive ist nicht totzukriegen. Um sie durchzusetzen, müssen die Organisationen stärker werden, die auf der Grundlage der schöpferischen Anwendung des Marxismus-Leninismus diesen Weg fördern und führen können.