Rote Fahne 07/2018
Marx-Studium in der Kaffeebude
Eine Korrespondentin berichtet über tiefgründige Pausengespräche zur Mehrwert-Theorie von Karl Marx
Das Gespräch auf der Spätschicht dreht sich um die Auswertung der Metalltarifrunde. Können wir mit dem Ergebnis zufrieden sein? Nein, es wäre mehr drin gewesen, wenn wir richtig weitergestreikt hätten. Aber egal, wie hoch die Prozente ausgefallen wären: Einen „gerechten“ Lohn gibt es nicht. Wir diskutieren über die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.
Solange wir als Arbeiter nur unsere Arbeitskraft besitzen und sie verkaufen müssen, werden wir auch ausgebeutet. Die Konzerne geben uns nur einen Bruchteil dessen, was wir erarbeiten, und eignen sich selbst den Mehrwert an. „Das gab es doch schon immer“, so der Kollege, „und wird es auch immer geben. Nur, dass die Arbeiterklasse fast ausstirbt. Denn mit Industrie 7.0 (wohlgemerkt, nicht „4.0“!) gibt es nur noch Roboter und überhaupt keinen Arbeiter mehr. Hab ich im Fernsehen gesehen.“ Ob so viel Technologie eingeführt wird, ist ja die große Frage. Es kostet gigantische Mengen Kapital, und die schwindende Anzahl an Arbeitern verringert auch die Möglichkeit, sie auszubeuten.
Jetzt wird’s kompliziert in der Debatte – ich versuche mich an der Erklärung von Marx’ Entdeckung des tendenziellen Falls der Profitrate. Fragezeichen bei dem Kollegen. Weil ich das nicht überzeugend erläutern kann, nehme ich am Folgetag Marx mit zur Arbeit. Etwas skeptisch guckt der Kollege mich an, als ich ihn auf ein gemeinsames Lesen in die Kaffeebude einlade. Na gut. Wir lesen gemeinsam das Marx-Zitat samt Formel und diskutieren. Es geht heiß her – warum können Maschinen und Roboter keinen Mehrwert produzieren, sondern nur Menschen? Die Zeit reicht nicht, um alles zu klären, und für ein Treffen habe er momentan keine Zeit.
Der Kollege steht der Idee vom Sozialismus und der MLPD recht skeptisch gegenüber, weil er denkt, wir seien „Gutmenschen“ oder „Träumer“. Mit dem Gespräch wurde klarer, dass es bei den Marxisten-Leninisten und dem Sozialismus nicht nur um einen Menschheitstraum geht – es ist auch eine Wissenschaft, die Hand und Fuß hat. Denn sie beruht auf den dialektischen Entwicklungsgesetzen der Wirklichkeit, von Natur und menschlicher Gesellschaft. Das versteht jeder Arbeiter, er kann es mit seinen eigenen praktischen Erfahrungen durchdringen, wie es kein studierter Richter kann. Die hervorragende marxistisch-leninistische Literatur ist nicht zu schwer für uns Arbeiter. Wenn wir uns gemeinsam durchbeißen, sie zu verstehen, wird sie eine scharfe Waffe! Märchen wie vom „Aussterben der Arbeiterklasse“, ob mit Industrie 4.0 oder X.0, verlieren nachhaltig ihre Wirkung. Jetzt heißt es: dranbleiben!