Rote Fahne 07/2018
Big Pharma – das Riesengeschäft mit der Gesundheit
Der Prozess gegen den Bottroper Apotheker Peter S., der Krebsmedikamente aus Gewinnsucht im großen Stil gepanscht hat, bewegt viele Menschen. Wie sicher sind Arzneimittel? Ein Blick hinter die Kulissen zeigt: Das Hauptproblem ist nicht in den Apotheken zu suchen. Das internationale Finanzkapital hat sich das Gesundheitswesen aller Länder als Quelle seiner Maximalprofite auserkoren: Kliniken, Medizintechnik und Medikamente. Ein Musterbeispiel ist „Big Pharma“. Dieser weltumspannende mächtige Komplex hat die Medikamentenproduktion in seinen Klauen.
Das weltweite Geschäft mit Arzneimitteln ist lukrativ: Mit einem Weltumsatz von 1,521 Billionen Dollar (2016) hat der Pharmamarkt einen erheblichen und wachsenden Anteil am kapitalistischen Weltmarkt (Welt-Bruttoinlandsprodukt 2016: 75,642 Billionen Dollar).
Bezogen auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland nehmen 53 Prozent dauerhaft ein oder mehrere Medikamente ein. In der Gruppe der über 70-Jährigen sind es sogar 85 Prozent. Über 20 000 öffentliche Apotheken versorgen täglich 3,6 Millionen Menschen – das ergibt eine Milliarde Apothekenbesuche jährlich. Hinzu kommt der wachsende Onlinehandel mit Medikamenten.
Ärzte und Patienten machen die Erfahrung, dass chronisch kranke Menschen mit den heute zur Verfügung stehenden Medikamenten oft eine deutlich verbesserte Lebensqualität und ein höheres Alter erreichen im Vergleich zu früher. Die meisten chronischen Krankheiten werden aber durch Medikamente nicht geheilt. Oft kommt es sogar zu teils ernsten Nebenwirkungen. Etwa fünf Prozent der Krankenhauseinweisungen in Deutschland gehen heute schon auf Nebenwirkungen von Arzneimitteln zurück.
Medizinischer Fortschritt – und was der Kapitalismus daraus macht
Mit der Neuorganisation der internationalen Produktion seit Anfang der 1990er-Jahre begann ein weltweiter Prozess, alle Lebensbereiche auf die Erreichung von Maximalprofit auszurichten. Davon blieb das Gesundheitswesen nicht verschont. Die Hersteller medizinischer Geräte, Krankenhauskonzerne und Pharmamonopole drängten weltweit auf eine Privatisierung von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Die Pharmabranche ist ein Musterbeispiel, wie die Profitmaximierung im Gesundheitswesen funktioniert. Pharmamonopole errichteten Betriebsstätten auf der ganzen Welt. Inzwischen konzentrieren sich 90 Prozent der Welt-Pharmaproduktion auf die neuimperialistischen Länder Indien und China. Mit dem Ergebnis, dass dort ebenfalls große Pharmakonzerne entstanden. Sie drängen mittlerweile selbst nach einer weltmarktbeherrschenden Stellung und investieren weltweit in Pharma- und Agrobusiness-Konzerne. Aber 65 Prozent aller Inder haben keinen Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln. Unter den rund 15.000 indischen Pharmaunternehmen gibt es Hightech-Betriebe, die oftmals einzelne Produktionsschritte an kleine Hinterhof-Betriebe auslagern. Unter unsäglichen hygienischen Bedingungen wird dort für einen Hungerlohn gearbeitet. Nur so konnten die internationalen Pharmamonopole die Produktionskosten auf zehn Prozent der früheren Werte drücken. Für die Einfuhr dieser „Substandard-Produktion“ in die EU-Länder reichen Zertifikate lokaler Zulassungsbehörden. Für Schmiergeld sind diese leicht zu erhalten!1
Auch die Gesundheitspolitik der Bundesregierung ist den Interessen der Pharmamonopole vollständig untergeordnet. In ihrem Interesse versucht sie, den imperialistischen Einfluss von Deutschland und der EU auf dem Pharma- und Gesundheitsmarkt zu stärken. Die Ernennung des CDU-Rechtsaußen Jens Spahn zum Gesundheitsminister ist voll auf dieser Linie. Spahn war als gesundheitspolitischer Sprecher der CDU zugleich Lobbyist für die Pharmaindustrie und die privaten Krankenversicherer. Nicht zuletzt hat er sich dabei tatkräftig bereichert (siehe S. 18). Im Interview mit der Bild am Sonntag vom 18. März bekräftigte Spahn: „Die Preise für neue Arzneimittel müssen so sein, dass es sich lohnt, für echte Innovationen … zu forschen.“ Zu Deutsch: Die MilliardenInvestitionen für neue „Blockbuster“ müssen durch steigende Monopolpreise doppelt und dreifach wieder herauskommen. Besonders stark macht Spahn sich dabei für „Big Data“ im Medizingeschäft. Die „Daten von Millionen Demenzkranken in Europa“ will er in klingende Münze verwandeln. Mit kleinen und unzureichenden Zugeständnissen im Bereich der Krankenpflege wollen er und Angela Merkel dem Rechtsruck der Regierungsparteien eine soziale Komponente beifügen.
2017 schlug die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Alarm: Weltweit zehn Prozent der Arzneimittel sind Fälschungen mit zu wenig Wirkstoff oder giftigen Verunreinigungen. Die erschreckende Folge: Eine Million Tote pro Jahr weltweit!² Doch nicht nur die gefälschten Präparate, die unentdeckt im internationalen Großhandel mitschwimmen, sind das Problem: Praktisch für alle großen internationalen Pharmamonopole kann man beweisen, dass sie Studien gefälscht, Nebenwirkungen verschleiert, neue „Krankheiten“ und Anwendungsgebiete frei erfunden haben. Sie treiben die Marktpreise hoch. Nach Untersuchungen des dänischen Mediziners Peter C. Gøtzsche³ könnte man 95 Prozent der Arzneimittelkosten weltweit einsparen – bei verbesserter Lebensqualität der Patienten. Wegen Betrugs und Irreführung, Bestechung oder Vermarktung nicht zugelassener Mittel verurteilten Gerichte führende Pharmakonzerne in den letzten Jahren teilweise zu Milliarden-Strafen.4 Gleichzeitig plündern sie mit ihrer Hochpreispolitik ganze Staatshaushalte, verhindern durch das internationale Patentrecht die Herstellung günstiger Generika bei unverzichtbaren Medikamenten – wie gegen HIV oder chronische Hepatitis.
90 Prozent der Forschungsgelder konzentrieren sich auf nur zehn Prozent der weltweiten Erkrankungen, weil es nur für diese „profitable Märkte“ gibt. So sterben Millionen Menschen an Malaria, Tuberkulose oder Schlafkrankheit.5
Ein einziger Offenbarungseid eines überlebten Imperialismus, der nicht in der Lage ist, die Menschheitsprobleme zu lösen. Schon längst sind die materiellen Voraussetzungen geschaffen, dass die gesamte Weltbevölkerung mit notwendigen Arzneimitteln günstig versorgt werden könnte. Im internationalen Verbund könnte mit Hochdruck an weiteren notwendigen Arzneimitteln geforscht werden, aber auch an den Ursachen von Krankheiten und wie man sie vermeiden kann.
Gewachsen sind die Kräfte, die nach einer Lösung dieses schreienden Widerspruchs drängen. Weltweit entstanden auch durch die Expansion der Chemie- und Pharmakonzerne neue, kämpferische Teile des internationalen Industrieproletariats. In vielen Ländern gibt es Massenkämpfe um die gesundheitliche Versorgung. „Es gilt, hinter den verheerenden Destruktivkräften des Imperialismus zielstrebig die materielle Vorbereitung des Sozialismus im internationalen Maßstab aufzudecken, wie sie insbesondere in der Entwicklung der revolutionären Produktivkräfte, in der Internationalisierung der kapitalistischen Produktion und in den Kämpfen und neuen Organisationsformen der Arbeiterklasse und der breiten Massen zum Ausdruck kommt. Diese materielle Vorbereitung des Sozialismus und die allgemeine Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems sind die gegensätzlichen objektiven Grundlagen eines neuen Aufschwungs des Kampfs für den Sozialismus auf der internationalen Bühne.“ 6
„Pillenboykott“ oder „für alles die richtige Pille“?
Nur noch etwa 20 Prozent der Menschen haben Vertrauen in die Pharmaindustrie. Die berechtigte Kritik am Treiben der Konzerne führt – in Verbindung mit esoterischen Auffassungen – manchmal zur Verweigerung der Einnahme notwendiger und hilfreicher Medikamente. Konzentriert finden sich solche Auffassungen in dem Buch von Thorwald Dethlefsen: „Krankheit als Weg“. Danach haben alle Krankheitssymptome einen tieferen Sinn und sind „ein Anstoß, uns selbst zu finden.“ Die PCB-vergifteten Envio-Arbeiter oder die vielen Krebskranken in der Umgebung von Atomkraftwerken, Müllverbrennungsanlagen und Braunkohle-Tagebauen werden sich dieser Auffassung wohl kaum anschließen.
Doch es gibt auch das andere Extrem: „Für jede Krankheit die richtige Pille“ – solche Werbekampagnen treffen bei manchen Patienten durchaus auf eine entsprechende geförderte Denkweise. Die Erkenntnisse der Schulmedizin müssen kritisch angeeignet und alle positiven Errungenschaften und tatsächlichen Fortschritte genutzt werden. Dafür muss die Ausrichtung vieler Behandlungsmethoden und Medikamente am Maximalprofit aufgedeckt und angegriffen werden. Sie zu ignorieren oder pauschal abzulehnen ist genauso schädlich wie die kritiklose Hinnahme – z. B. die übertriebene Einnahme oder der Missbrauch von Medikamenten. Gleichzeitig muss man wissen: Ohne Bewegungsmangel, Fehlernährung, Übergewicht, übermäßigen Stress, Suchtmittel und Umweltvergiftung gäbe es viele chronische Krankheiten gar nicht. Diese kann man somit auch nur durch bewusste Selbstveränderung in der Lebensweise und im Kampf gegen die gesellschaftlich bedingten Ursachen erfolgreich angehen. Hier haben MLPD und REBELL ein zukunftsweisendes Programm. Die Förderung konzernweiter Kämpfe für Arbeitsplätze und Umweltschutz, für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz findet man bei keiner anderen Partei in Deutschland. Für die Marxisten-Leninisten ist die Gesundheitspolitik kein Ressort, sondern Teil aller Politikfelder. Im Sozialismus steht der Mensch in einer gesunden Umwelt im Zentrum des gesellschaftlichen Handelns. Dieser Leitgedanke prägt auch heute schon die Politik der MLPD. Auch chronisch Kranke oder Menschen mit Behinderungen sind Mitglieder in der MLPD, werden dort geschätzt und leisten im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine wertvolle Arbeit.
Neue Stufe des Kampfes um Weltmarktbeherrschung
Die gegenwärtige Neustrukturierung der Chemie- und Pharmabranche führte zu einer Welle von Fusionen und Übernahmen: 2014 war deren Gesamtvolumen mit über 265 Milliarden US-Dollar höher als in den drei Vorjahren zusammen. „Pharmaindustrie: Das große Fressen“, titelte das Deutsche Ärzteblatt. Durch den Kapitalexport, der inzwischen aus den neuimperialistischen Ländern7 in die alten imperialistischen Länder eingesetzt hat, übernehmen chinesische Investoren auch Pharmakonzerne wie Biotest oder einen Agrochemie-Konzern wie Syngenta. Das internationale Finanzkapital hat erkannt, dass sich die Weltmarktführerschaft in Zukunft wesentlich auch auf den „Wachstumsmärkten“ der neuimperialistischen Länder entscheidet. Dazu das Insider-Blatt Chemanager: „Die pharmazeutische Industrie befindet sich in einem umfassenden Veränderungsprozess. Während die Gesundheitssysteme in den etablierten Märkten unter einem massiven Kostendruck stehen, erleben die so genannten ‚Pharmerging Markets‘ ein beeindruckendes Wachstum.“ 8
Im Zentrum der Strategie der Pharmamonopole steht die Umstrukturierung der Konzerne zur Produktkonzentration und weltweiten Expansion. Die internationalen Pharmamonopole kaufen und verkaufen ganze Teilbereiche, um sich auf für sie lukrative Sparten zu konzentrieren, in denen sie Weltmarktführer sind. Dabei bestimmt das spekulative Kapital inzwischen den Takt. Der Hedgefonds-Betreiber Martin Shkreli gründete in den USA ein Pharmaunternehmen namens Turing und kaufte alle Rechte an einem 60 Jahre alten Medikament namens Daraprim (unverzichtbar in der Therapie der Infektionskrankheit Toxoplasmose). Dann hob Shkreli den Preis des Mittels praktisch über Nacht von 13,50 Dollar auf 750 Dollar pro Pille an – um 5500 Prozent.9 Der weltweit agierende südafrikanische Pharmakonzern Aspen kaufte die Rechte für einige verbreitete Krebsmedikamente, erpresste darauf Gesundheitsbehörden in mehreren Ländern mit einem Auslieferungsstopp, wenn sie nicht Preissteigerungen bis auf das Vierzigfache akzeptierten.
Gesundheitswesen im Sozialismus
Pharma-Kritiker Gøtzsche fordert zu Recht eine „Revolution“. Diese besteht für ihn allerdings nur in „unabhängigen Kontrollen“ für die Pharmabranche und Aufhebung des Patentrechts. Doch wer kontrollieren will, muss die Macht haben. „Unabhängige“ Instanzen in einer Diktatur des Finanzkapitals schaffen zu wollen, ist illusionär. Real waren die sprunghaften Fortschritte im Gesundheitswesen der damals noch sozialistischen Volksrepublik China vor dem Tode Mao Zedongs. Unter der Devise „Dem Volke dienen“ baute sie eine kostenlose gesundheitliche Versorgung für alle auf. Breite Aufklärungskampagnen weckten die Initiative der Massen: Zur Ausrottung der Parasitenkrankheit Bilharziose wurden in weiten Landesteilen die Bewässerungskanäle abgelassen, die Wasserschnecken als Zwischenwirte der Bilharziose eingesammelt und damit die Krankheit weitgehend ausgerottet – gestützt auf Millionen Menschen. Das China Mao Zedongs förderte die Synthese der besten Errungenschaften der westlichen Medizin mit der traditionellen chinesischen Medizin. Es bildete Tausende „Barfußärzte“ für die flächendeckende Versorgung des riesigen Landes aus. Es beschritt erfolgreich neue Wege in der Therapie von Verbrennungskrankheiten und psychischen Erkrankungen – in der engen Verbindung von Wissenschaftlern, Pflegepersonal, Arbeitern und Bauern.
Dieser Leitlinie folgte in gewisser Weise der Aufbau des Gesundheitszentrums in Kobanê/Nordsyrien im Rahmen des ICOR-Solidaritätspakts mit dem kurdischen Befreiungskampf. 177 Teilnehmerinnen und Teilnehmer international zusammengesetzter Brigaden bauten es in ehrenamtlicher Arbeit gemeinsam mit einheimischen Arbeitern auf. Ärzte und Krankenschwestern aus Deutschland stellten ihr Know-how zur Verfügung.
Die Diktatur des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals ist heute das entscheidende Hemmnis für den Fortschritt der Menschheit – auch und gerade in der Frage der menschlichen Gesundheit. Die fortschreitende chronische Umweltkrise, imperialistische Kriege, Unterdrückung und Verschärfung der Ausbeutung, Hunger, Unter- und Fehlernährung unterminieren die Gesundheit der Massen weltweit. Auch deswegen kämpft die MLPD als Mitglied der Internationalen Koordination Revolutionärer Parteien und Organisationen (ICOR) für die internationale sozialistische Revolution. Dies ist eng verbunden und durchdrungen mit der Herstellung der Kampfeinheit des Industrieproletariats mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen und dem Kampf der breiten Massen für eine umfassende gute Gesundheitsversorgung und -vorsorge.