8. März 1917: Frauenstreiks werden zum Auftakt der Revolution
Am 24. Februar hatte Monika Gärtner-Engel in St. Petersburg die Gelegenheit, Vadim Kuzmin über die Ereignisse vor 100 Jahren – im Februar 1917 – zu interviewen. Dabei lud er herzlich zu den Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution nach St. Petersburg ein
Monika Gärtner-Engel: Was war los bei der Februarrevolution 1917 1, die am 8. März begann?
Vadim Kuzmin: Es ist relativ wenig bekannt und es wird auch relativ wenig darüber gesprochen, aber es ist Tatsache: Es waren die Frauen, die am 8. März 1917 den ersten Schritt gemacht haben zum Sturz der Zarenherrschaft und damit auch zur Oktoberrevolution. Auf der Wyborger Seite2 in St. Petersburg waren die ganzen Industriebetriebe, unter anderem Textilbetriebe, konzentriert. Dort haben die ersten Demonstrationen in dieser harten Kriegszeit stattgefunden. Die wichtigsten Forderungen waren die nach besserer Versorgung, nach Beendigung des Krieges und nach Rückkehr der Männer von der Front.
Wer hat diese Demonstration genau ausgelöst?
Die Demonstration der Frauen aus den Wyborger Industriebetrieben ist spontan entstanden – am 8. März. Die überwiegende Mehrheit waren Textilarbeiterinnen finnischer Herkunft. Die Frauen zersetzten die Kampfbereitschaft der Armee. Sie sagten den Soldaten: Ihr dürft auf gar keinen Fall auf uns schießen – auf das Volk. Aufgrund der intensiven Einwirkung der Frauen ist Abteilung für Abteilung der beteiligten Armeeeinheiten in St. Petersburg auf die Seite der Revolution übergelaufen …
Was war das für ein historischer Zeitpunkt?
Vor 100 Jahren haben die Massen und die Völker sehr unter den Folgen des I. Weltkriegs gelitten. Millionen Menschen sind an den Fronten gestorben. Die Kapitalisten haben die Massen in den Krieg gegeneinander getrieben, und die Parteien der II. Internationale haben damals den Kriegskrediten zugestimmt, statt den Widerstand dagegen zu organisieren. Die Partei Lenins, die Bolschewiki, war die einzige Partei, die die Lage richtig qualifiziert hat. Die Partei war in dieser Zeit in einer äußerst schwierigen Situation. Die Hälfte ihrer Mitgliedschaft saß damals entweder im Gefängnis oder lebte in der Verbannung, die andere Hälfte war verstreut im Exil. Die Polizei hatte auch die Abgeordneten der Bolschewiki in der Duma3 ins Gefängnis geworfen. Der Zarismus ging sehr aggressiv vor, war aber bereits damals extrem geschwächt …
Wie verlief die Februarrevolution und was waren ihre Ergebnisse?
Die Februarrevolution eröffnete das Fenster hervorragender Möglichkeiten für die Weiterentwicklung der Revolution. Lenin befand sich noch im Exil in der Schweiz. Er nutzte die letzte Möglichkeit, mit dem Zug durch Deutschland nach Russland zu reisen, um Einfluss zu nehmen. Es war klar, dass er ein hervorragender Stratege war, aber in dieser Situation erwies er sich auch als glänzender Taktiker. Er konnte in kürzester Zeit erkennen, was zu tun ist, und die gesamte monatelange Vorbereitung kam zum Tragen. Er war hervorragend vertraut mit den Gegebenheiten vor Ort. Die gesamten Analysen, die er gemacht hatte, waren ein großer Schatz. Lenin, und unter seiner Führung dann alle Bolschewiki, wussten ganz genau, was zu tun war, und das taten sie dann auch.
Welche Bedeutung hatte die Februarrevolution für die Oktoberrevolution?
Ohne die Februarrevolution wäre die Oktoberrevolution kaum möglich gewesen. Es gelang Lenin in kurzer Zeit, das Vertrauen der Massen zu erringen. Dadurch konnte er auch die Möglichkeiten nutzen, die sich mit der Februarrevolution eröffneten. Die demokratischen Rechte und Freiheiten ermöglichten aktive Agitation unter den Massen, auch gegen den Einfluss der Sozialrevolutionäre und der verschiedensten Strömungen. Es gelang ihm in der Vorbereitung der Oktoberrevolution, verschiedene linke radikale Gruppen aus den verschiedenen Parteien zu vereinigen und zusammenzuführen. Auch beim Abschluss des Brester Friedens unter der Losung „Frieden ohne Annektionen und Reparationszahlungen und Kontributionen“ zeigte sich, dass Lenin die Forderungen und Wünsche der Bevölkerung aufgriff. So den großen Wunsch nach Frieden!
Welchen Gruß und welche Einladung möchtet ihr an die Genossen der ICOR auf der ganzen Welt richten?
Wir feiern nicht nur den 100. Jahrestag der Oktoberrevolution im Sinne eines bunten Jubiläums. Für uns ist es auch ein Anlass, unsere eigene Bewegung voranzubringen. Ich lade alle Mitglieder der ICOR ganz herzlich ein, an den Aktivitäten und Feierlichkeiten dazu hier in Sankt Petersburg teilzunehmen und mit uns zusammen aufzutreten für einen neuen Aufschwung der internationalen Revolution und für einen weiteren großen Erfolg in unserer Arbeit. Es ist kein Zufall, dass die Welt vor neuen grundlegenden Veränderungen und tiefgehenden Umbrüchen steht. Die Entwicklung hängt im Wesentlichen davon ab, wie wir diese Situation nutzen und dass wir alles dafür tun, diese neue Welt auch tatsächlich zu erkämpfen. Deswegen müssen wir uns auch in der theoretischen Auseinandersetzung weiter vereinheitlichen sowie praktisch zusammen- arbeiten – in dem Sinne, wie Wladimir Iljitsch Lenin uns das auch gelehrt hat. Man muss einfach immer wissen, was man will.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch!
1 Nach dem damals in Russland geltenden Julianischen Kalender begann die Revolution am 23. Februar
2 Stadtteil am rechten Ufer der Newa und Bolschaja Newka
3 russisches Parlament