Südafrika — ein Land im Stimmungsumschwung
Ihre erste Auslandsreise als stellvertretende Vorsitzende der MLPD führte Gabi Gärtner nach Südafrika
Sie traf auf eine aufgewühlte Situation der offenen politischen Krise. Gabi Gärtner wurde von der Leitung der ICOR-Partei CPSA (ML)1 herzlich empfangen, mit der die MLPD seit genau 20 Jahren enge bilaterale Beziehungen pflegt. In einem ersten Gespräch stellte sie sich in ihrer neu gewählten Funktion vor und berichtete über die Situation in Deutschland und die wichtigsten Ergebnisse des X. Parteitags. Die Genossen informierten über die Arbeit der CPSA (ML) und die aktuelle Lage in Südafrika.
Die Lebenslage der Massen hat sich in den letzten Jahren drastisch verschlechtert. Es herrscht zum Teil regelrechtes Chaos. So funktioniert die Elektrizitäts- und Wasserversorgung vor allem in den Townships, in denen Millionen Menschen leben, nicht richtig. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 27,1 Prozent, unter der Jugend bei 47 Prozent. Überall werden die Preise erhöht.
Über die Massenproteste der Studenten gegen Studiengebühren („fees must fall“) hatte rf-news2 mehrfach berichtet. Anfang November gab es landesweit Massenmärsche für den Rücktritt der Regierung unter Jacob Zuma („Zuma must fall“), die aus dem ANC und der revisionistischen SACP3 besteht. Die Massenkämpfe wurden kurzzeitig etwas abgedämpft, es gibt aber einen allgemeinen fortschrittlichen Stimmungsumschwung – verbunden mit der massenhaften Suche nach einer gesellschaftlichen Alternative.
Neuimperialistischer Charakter Südafrikas weitet sich aus
Der Hintergrund ist die Entwicklung Südafrikas zu einem neuimperialistischen Land. Die südafrikanischen Genossen begrüßen die Analysen des X. Parteitags der MLPD zur Entwicklung dieser neuimperialistischen Länder und konkretisierten sie ihrerseits: Südafrika verkauft sich den meistbietenden imperialistischen Mächten, gleichzeitig entwickelt es sich zu einem Hauptanlageland sämtlicher imperialistischer Länder. Dabei weitet sich auch sein eigener neuimperialistischer Charakter aus. Es hat eine Vormachtstellung gegenüber dem gesamten Kontinent. Insbesondere Bergbaukonzerne beuten die Arbeiter in den Ländern im Süden Afrikas gnadenlos aus.
Um seine Rolle als Anlageland für Direktinvestitionen der imperialistischen Länder zu behalten, gibt es eine neue Dimension der Klassenzusammenarbeitspolitik. So haben die Ratingagenturen gedroht, Südafrika herabzustufen. Daraufhin reiste in diesem Jahr eine Delegation aus Vertretern der südafrikanischen Regierung, von Konzernen und Gewerkschaften nach Großbritannien und in die USA. Sie versicherten dort, es solle keine größeren Arbeiterstreiks mehr geben und sie würden die Arbeiter im Griff halten. Auch politisch werden die Nachbarländer ausgebeutet und unterdrückt. So sind südafrikanische Truppen in allen Ländern des südlichen Afrika militärisch präsent. Bei einer Veranstaltung in East London am 4. Dezember wurde die Bedeutung der Herausbildung neuimperialistischer Länder in Verbindung mit einem Referat von Gabi Gärtner vertieft (die Rote Fahne 1/2017 wird berichten).
Kampf zur Überwindung der Apartheid4 noch nicht vollendet
Auch in Südafrika ist die Regierung erheblich nach rechts gerückt und die Arbeiter- und Volksbewegung, insbesondere die Marxisten-Leninisten, haben unter Repressalien zu leiden. Diese sind Reaktionen auf den wachsenden Loslösungsprozess von der ANC-Regierung. Unter ihrer Führung fand eine bürgerliche Aussöhnung mit der Apartheid statt. Die Verbrecher des faschistischen und rassistischen Apartheid-Regimes blieben fast alle ungestraft. Auch die Konzerne, die bereits damals kräftig von der Ausbeutung der schwarzen Arbeiter profitierten, unter anderem auch deutsche Übermonopole wie Daimler, machten praktisch nahtlos weiter.
Zugleich hat sich eine neue schwarze Bourgeoisie herausgebildet. Die Arbeiterklasse, die in ihrer großen Mehrheit schwarz ist, wird gnadenlos ausgebeutet und unterdrückt. So müssen die Bergarbeiter unter Tage harte und gefährliche Arbeit leisten. Ein Teil von ihnen lebt unter menschenunwürdigen Umständen in sogenannten „Shacks“ – Bretter- und Wellblechbuden, zum Teil ohne Strom und fließendes Wasser.
Angestellte großer Hotelketten berichten, dass sie behandelt werden „wie Hunde oder Sklaven“. Es sei nicht viel anders als während der Apartheid: „Wir dürfen bei der Arbeit nicht essen und für Pausen ist keine Zeit, also essen wir oft den ganzen Tag nichts. Manche haben schon vier Tage am Stück durchgearbeitet.“ Pro Stunde bekommen sie 14 Rand bezahlt, weniger als ein Euro. Sie organisierten einen selbständigen Streik dagegen. Fast die ganze Belegschaft wurde gekündigt und kämpft jetzt, teilweise schon mit Erfolg, für ihre Wiedereinstellung.
Das Apartheid-Museum in Johannesburg informiert lohnenswert über die sozioökonomischen Hintergründe der Apartheid aus den Klassenkonflikten des Landes insbesondere im Bergbau. So gab es Anfang des 20. Jahrhundert große gemeinsame Massenkämpfe, Generalstreiks und Streiks der weißen und schwarzen (Berg)arbeiter. Dieser Klassenkampf sollte mit der faschistischen und rassistischen Apartheid-Politik unterdrückt und gespalten werden. 1973 war ein bewaffneter Streik von 61 000 Arbeitern ein Wendepunkt im Kampf gegen die Apartheid. Das Museum enthält allerdings keine grundsätzliche Kritik am reformistischen und revisionistischen Kurs Nelson Mandelas4. Das Ende der Apartheid wurde von den Massen erkämpft. Die neue Regierungsform aber wurde vom letzten weißen Staatspräsidenten Frederik de Klerk mit allen imperialistischen Regierungen > in Europa – einschließlich der Helmut Kohls – ausgehandelt. Damals wurden die Weichen zur Öffnung des Landes für die Neuorganisation der internationalen Produktion gestellt.
Große Aufgeschlossenheit für gesellschaftliche Alternative
Die Verarbeitung der enttäuschten Illusionen in den ANC bildet eine zentrale Frage zur Entwicklung des proletarischen Klassenbewusstseins. Dabei fiel besonders die große Aufgeschlossenheit für die CPSA (ML) auf und die Suche nach einer gesellschaftlichen Alternative. Bei einer zweistündigen Spendensammelaktion trugen sich zum Beispiel über 100 Menschen in Listen ein, um in Kontakt mit der CPSA (ML) zu bleiben bzw. zu kommen. Im Rahmen einer Einheitsfrontpolitik macht diese Aufbauarbeit in den Gewerkschaften. Die Metallarbeiter-Gewerkschaft NUMSA mit 350 000 Mitgliedern ist aus dem Gewerkschaftsdachverband COSATU ausgeschlossen und orientiert sich jetzt neu. Während der Reise fanden Gespräche mit kämpferischen Vertretern der Automobilarbeiter aus verschiedenen Übermonopolen und Zulieferbetrieben statt.
In dem sehr großen Township Tembisa traf Gabi Gärtner eine Selbstorganisation, die Tembisa Residents Alliance (TRA). Im Gegensatz zu den verbreiteten Einrichtungen der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Sozialarbeit wird hier eine Sozialarbeit praktiziert, die der Konzeption der marxistisch-leninistischen Sozialarbeit, wie sie der X. Parteitag der MLPD beschloss, ähnelt. Sie haben Gruppen in 63 Straßengebieten, jede Gruppe hat viele Mitglieder und ein leitendes Komitee von 15 Leuten. Es gibt Delegiertentreffen aus allen Distrikten. Sie kämpfen vor allem gegen Probleme mit den Mieten, Strom, Wasser, haben Schutzkomitees gegen die Kriminalität usw. In all diesen Diskussionen wurden über 30 Mitglieder für die deutsch-südafrikanische Freundschaftsgesellschaft Marikana gewonnen. Von der CPSA (ML) wird intensiv daran gearbeitet, Marikana als Massenorganisation gerade in den Townships aufzubauen. In Pretoria gab es ein herzliches Treffen mit Frauen der Organisation Abanqobi/Women together. Sie repräsentieren das Lager der kämpferischen Basisfrauen.
Ein Treffen mit 14 Genossen der Jugendorganisation Communist Youth League (CYL) in Vaal fand in einer alten kleinen Kirche statt, die die Jugendgruppe besetzt hat und sich als ihr Zentrum einrichtet. Über das Problem der Denkweise gibt es ein hohes Bewusstsein in Partei und Jugendverband. Sie führen mit Unterstützung von MLPD-Genossen Schulungen zur dialektischen Methode und Studiengruppen zum Buch „Der Kampf um die Denkweise in der Arbeiterbewegung“ sowie zu anderen Schriften aus der Reihe REVOLUTIONÄRER WEG durch. So berichteten die Jugendlichen über den Versuch, die kleinbürgerliche Denkweise in Form des individuellen Auswegs aus der Arbeitslosigkeit unter Schülern und Studenten zu > verankern. Interessiert waren sie an den Erfahrungen der Lebensschule der proletarischen Denkweise des Jugendverbands REBELL in Deutschland.
Bei den Bergarbeitern von Marikana
Ein Höhepunkt war der Besuch bei den Bergarbeitern der Lonmin-Mine in Rustenburg/Marikana. Hier erschossen Polizisten 2012 auf ausdrücklichen Befehl führender Politiker des ANC 34 Bergleute, die im Streik standen. Dieser Kampf und das Massaker an den Bergleuten wird im ganzen Land wie ein Fanal, ein Wendepunkt in der Haltung zur Regierung, behandelt. Die ganze Gesellschaft ist seither sehr politisiert. Künstler schreiben Lieder darüber und haben eine Spendenaktion für die Hinterbliebenen der Opfer gestartet.
Ein Treffen mit Vertretern der Gewerkschaft AMCU5 wurde von einzelnen Führern sabotiert. Also ging die Reisegruppe direkt zur Mine und verteilte bei Schichtende die Einladungsbriefe des Hauptkoordinators der 2. Internationalen Bergarbeiterkonferenz. Diese findet im Februar 2017 in Indien statt – und stieß auf lebhaftes Interesse. Es gab großes Einvernehmen, dass der internationale Zusammenschluss der Arbeiter im Kampf um ihre Rechte notwendig ist. Mehrere Bergarbeiter interessierten sich, zur Konferenz zu kommen und wollen in Kontakt zur CPSA (ML) bleiben.
Eine wichtige Schlussfolgerung aus all diesen Veränderungen besteht darin, dass die proletarische Revolution als Teil der internationalen Revolution für die vereinigten sozialistischen Staaten der Welt auch in Südafrika strategisches Ziel des Klassenkampfs ist. Südafrika hat für diese internationale Revolution wiederum strategische Bedeutung. Das machte die Reise deutlich!
1 Communist Party of South Africa (Marxist-Leninist)
2 www.rf-news.de
3 South African Communist Party
4 Bekannter Führer des langjährigen Widerstands gegen die Apartheid und erster schwarzer Staatspräsident
5 Association of Mineworkers and Construction Union