München: Neulich beim BaMF
Nein, München ist nicht Berlin, und das BaMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) in München nicht das berüchtigte LAGESO in Berlin. Ich begleite zwei somalische Mädchen zu ihrer Anhörung, wohlklingend „Interview“ genannt
Bei diesen „Interviews“ sollen sie über ihre Fluchtgründe, über ihre Lebenssituation im Herkunftsland und ihre Flucht berichten. Sie sind noch minderjährig, daher kennen wir uns aus einer Wohngruppe für UMF (unbegleitete minderjährige Flüchtlinge), in der ich arbeite.
Schon lange vor Ladung – acht Uhr morgens – haben sie sich auf den Weg gemacht und reihen sich bereits vor sieben Uhr in eine lange Schlange von weiteren Geladenen vor dem BaMF ein. Mir klingt noch im Ohr, was kurz zuvor ein CSU-Politiker gefordert hatte – Flüchtlinge sollen erst mal Pünktlichkeit lernen. Wie ich erfahre, sind viele von weiter angereist. Alle haben eines gemeinsam: einen Termin um acht Uhr. Eine Jugendamtsvormündin aus Niederbayern, die keinen Jugendlichen alleine lässt, schildert, dass sie deshalb regelmäßig um vier Uhr aufsteht, den Jugendlichen abholt und dann nach München fährt. Dort heißt es auch für sie – warten. Am Empfang bekommt jeder eine schöne Karte mit einer gut leserlichen Nummer.
Meine Mädels bekommen die Nummern SECHZEHN und EINUNDSECHZIG. Wir suchen eine Ecke auf, in der schon andere Somalier sitzen, man vergleicht die Nummern und ist voller Erwartung. Logisch, denk‘ ich mir, mit EINUNDSECHZIG wird’s wohl für heute nichts mehr. Denn, das hat sich bereits herumgesprochen: Angehört wird bis 18 Uhr, wer dann nicht dran war, bekommt einen neuen Termin – neue Nummer, neues Glück. Nun geht’s los, der Ausrufer erscheint mit einer weißen Karte – und siehe da, EINUNDSECHZIG ist als Erstes dran. Als Nächstes Nr. 63, dann 4 dann 14, dann 9, usw. nur meine kleine SECHZEHN soll heute nicht zum Zuge kommen. Als es zwölf Uhr wird, packen manche ihre mitgebrachte Brotzeit aus. Meine Kollegin aus Niederbayern erklärt, dass das Amt jetzt erst mal Mittagspause macht. Aha, sage ich, und wo ist die Kantine für die Flüchtlinge, wo ist ihr Tee, ihr Hühnchen mit Reis? Fehlanzeige, nicht mal ein Wasserspender steht zur Verfügung. EINUNDSECHZIG kommt zurück, sie strahlt vor Erleichterung, es war gut, sagt sie, und überreicht mir das übersetzte Protokoll ihrer Anhörung. Was ich lese, lässt mir den Atem stocken: entführt von Al Shabab, zwangsverheiratet, mehrfach vergewaltigt, die Familie bedroht – und dann eine lebensbedrohliche Flucht. EINUNDSECHZIG lächelt als wollte sie mich trösten. Ein Jahr ist sie jetzt hier, will ihren qualifizierenden Hauptschulabschluss machen und dann was Medizinisches. Den Frauen helfen und gegen Beschneidung kämpfen. Ein Lehrtag ist das heute für mich, über BaMF-Bürokratie und Schikane, über ehrenamtliches weibliches Engagement und über sogenannte „Kopftuchmädchen“, von deren Mut und rebellischem Geist man jede Menge lernen kann.
München (Korrespondenz)