Abschied vom Stahl? Die Antwort muss lauten: „Arbeiteroffensive“!
„Die Kundgebung heute war ein Erfolg,
es könnte aber ein bisschen härter durchgegriffen werden. Ich hoffe, das war nur der Anfang ...“, so einer Stahlkocher beim Stahlaktionstag der IG Metall am 31. August in Duisburg. 9000 Kolleginnen und Kollegen protestierten gegen die Pläne des Vorstands von thyssenkrupp Steel Europe (tkSE) zur Vernichtung Tausender Arbeitsplätze, Schließung ganzer Standorte. Sie kamen auch aus Sorge über die Entwicklung in der internationalen Stahlindustrie. Sie steht vor der größten Umstrukturierung ihrer Geschichte.
Seit Oktober 2015 arbeitet der Vorstand von thyssenkrupp (tk)1 an einem Konzept, um die Gewinne bis zu 1,6 Mrd. Euro in der Stahlsparte thyssenkrupp Steel Europe (tkSE) zu steigern. Dazu gehört die Vernichtung von bis zu 3000 Arbeitsplätzen – das ist nur mit der Stilllegung von Anlagen und Standorten zu realisieren. Im Augenblick führt thyssenkrupp Gespräche mit Tata Steel über eine Fusion mit dessen europäischer Stahlsparte.2 Die Bundesregierung führt direkt Gespräche für einen Zusammenschluss von tkSE und Salzgitter-Stahl.3 Aber auch eine Fusion mit ArcelorMittal4 ist nicht ausgeschlossen.
Es geht um die gesamte Stahlindustrie
Die Pläne von tkSE sind ein Vorgeschmack, was auf die Stahlarbeiter weltweit zukommt. In Deutschland gibt es zurzeit noch 86.000 Stahlarbeiter. tkSE ist der größte deutsche Stahlkonzern mit 27.000 Beschäftigten.
Die Stahlindustrie in den USA, Europa und Japan war jahrzehntelang auf dem Weltmarkt bestimmend. Durch die Entstehung neuimperialistischer Länder wie China, Indien hat der Stahlverbrauch durch die enorme Industrialisierung in diesen Ländern gewaltig zugenommen. Dabei sind auch die Stahlkapazitäten erheblich erweitert worden. China steigerte z. B. seinen Stahlverbrauch von 124 Mio. Tonnen im Jahr 2000 auf 672 Mio. Tonnen im Jahr 2015.
2015 wurden weltweit 1,6 Mrd. Tonnen Rohstahl produziert, davon 50 Prozent in China. Fast doppelt so viel wie noch im Jahr 2000. Damals waren es 848 Mio. Tonnen, davon 15 Prozent in China. Die sogenannten BRIC- und MIST-Staaten beherrschen heute mit 70 Prozent den Weltstahlmarkt, während die „alten“ imperialistischen Länder mit gerade noch 22 Prozent ständig an Einfluss verlieren.
Seit der Neuorganisation der internationalen Produktion in den 1990er Jahren ist eine weltmarktbeherrschende Stellung die Voraussetzung, um Maximalprofit zu erzielen. Aber in der Stahlindustrie hinkt die Herausbildung weltmarktbeherrschender Monopole hinterher. Weltmarktführer ArcelorMittal kommt gerade mal auf 6 Prozent Weltmarktanteile. Im Vergleich: VW hat einen Anteil von über 22 Prozent am Autoweltmarkt.
Der Bau eines integrierten Hüttenwerkes in Brasilien und eines Walzwerkes in den USA 2006 war der Versuch von tk, zu den führenden Stahlproduzenten aufzuschließen. Weltwirtschaftskrise und technische Probleme beim Anfahren haben tk aber einen Strich durch die Rechnung gemacht: Schulden von 12 Mrd. Euro wurden aufgehäuft. Der schwindende Einfluss auf dem Weltmarkt ist der Grund, weshalb der Vorstand inzwischen plant, die Stahlsparte komplett auszugliedern – mit oder ohne Fusion.
Der Krieg um den Weltstahlmarkt tobt auf dem Rücken der Stahlarbeiter, der breiten Massen und der Umwelt. 80.000 Stahlarbeitsplätze stehen in Europa auf der Kippe, in China sogar 500.000. Hinzu kommen die Beschäftigten der Zulieferer und Weiterverarbeiter. Die Neustrukturierung der europäischen Stahlindustrie wird kein langanhaltender Prozess wie der Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau. Der Spielraum für krisendämpfende Maßnahmen ist durch die hohe Staatsverschuldung beschränkt.
Internationaler Kampf herausgefordert!
Zukunftsweisend nahm am 31. August eine Delegation Gewerkschafter aus Rotterdam am Stahlaktionstag in Duisburg teil. Die Solidaritätserklärungen der Gewerkschaft FNV Metaal der Tata-Werke aus Ijmuiden (Niederlande) und der Stahlarbeitergewerkschaft Community aus Großbritannien wurden von den deutschen Kolleginnen und Kollegen begeistert begrüßt. Dass die Erklärungen von den Verantwortlichen der IG Metall aber nicht vorgelesen wurden, stieß bei den Stahlkochern auf Unverständnis. Den Inhalt der Erklärungen zu verschweigen, zeugt von der sozialchauvinistischen, nur auf den eigenen Standort bedachten Haltung der rechten IG Metall-Führung.
Am 15. September riefen die Stahlarbeiter von Tata in Ijmuiden um 11.55 Uhr zu einem Aktionstag. Dabei waren auch Delegationen aus den deutschen Werken – ein weiterer Schritt zur Vorbereitung eines länderübergreifenden Kampfes.
Die MLPD als Mitglied der revolutionären Weltorganisation ICOR wird ihre internationalen Kontakte für die Unterstützung der Stahlarbeiter nutzen.
Verantwortung für die Umwelt
Um die Arbeiter in die Irre zu lenken, haben die Stahlkonzerne die Kampagne für „fairen Wettbewerb und sauberen Stahl“ initiiert. Sie wollen die Belegschaften gewinnen, gemeinsam „Schutzzölle auf Stahl aus China“ zu fordern. Sowie Begünstigungen bei den Strompreisen und weitere Versorgung mit kostenlosen CO2-Zertifikaten. Prompt hat die EU-Bürokratie im August Schutzzölle gegen chinesischen Stahl beschlossen. Und die Bundesregierung hat die Forderung nach Verlängerung der Ausnahmeregelung für die EEG-Umlagen5 erfüllt.
Ausgerechnet der thyssenkrupp-Konzern, der seit Jahrzehnten regelmäßig wegen krimineller Kartellabsprachen bestraft wird, fordert jetzt „fairen Wettbewerb“. Im Konkurrenzkampf sind den internationalen Monopolen alle Mittel recht: Dumpingpreise, Schutzzölle, Kartellabsprachen und andere Machenschaften sind an der Tagesordnung. Am Beispiel VW wird deutlich, wie kriminelle Machenschaften im Konkurrenzkampf mit Billigung und Unterstützung von Regierung, staatlichen Behörden, EU-Bürokratie und rechter Gewerkschaftsführung vertuscht und die Verantwortlichen geschont werden.
Die Stahlproduktion ist weltweit mit 5 Prozent am Ausstoß der Treibhausgase beteiligt. Die Treibhausgase sind eine wesentliche Ursache für den beschleunigten Übergang in eine globale Klimakatastrophe. Der Kampf dagegen ist eine Frage des Überlebens der Menschheit! Kein Stahlarbeiter ist einverstanden, unter welchen Bedingungen – und ohne Rücksicht auf die Umwelt – produziert wird. Gerade die neuimperialistischen Länder sind dabei besonders aggressiv. Ist aber deshalb der deutsche Stahl sauber?
Die Verringerung des CO2-Ausstoßes der Stahlindustrie in Deutschland seit den 1990er-Jahren ist vor allem Ergebnis der Stilllegung von Anlagen! Mit 1,45 Tonnen CO2 pro Tonne verarbeiteten Rohstahl steht die deutsche Stahlindustrie im Vergleich mit dem weltweiten Durchschnitt von 2 Tonnen CO2 relativ gut da. Mit Umweltliebe hat das aber bei den tkSE-Vorständen nichts zu tun: Die Stahlkonzerne haben vor allem Interesse an niedrigen Energiekosten. Und sie machen dabei auch Zugeständnisse an ein gewachsenes Umweltbewusstsein und daraus resultierenden Auflagen.
Der meiste CO2-Ausstoß entsteht bei der Reduktion von Eisenerz zu Roheisen im Hochofen. Die qualitative Reduktion des CO2-Ausstoßes ist nur durch neue Produktionsverfahren ohne Hochofen möglich, wie z.B. das Finex- oder Hisarna-Verfahren.6 An der Forschung und Entwicklung haben die Monopole aus Profitgründen aber kaum Interesse.
Mitbestimmen?
Glaubt man den Äußerungen der rechten Gewerkschaftsführung oder Betriebsratsspitze bei tkSE ist die „Einbeziehung“ in die Konzepte des Vorstands das wichtigste. Aber bereits seit den 1950er-Jahren ist die Gewerkschaftsführung über die Montanmitbestimmung an der Ausarbeitung der Konzernpläne beteiligt. Ist dadurch ein einziger Arbeitsplatz in der Stahlindustrie erhalten geblieben? „Mit Ausnahme der Mitbestimmung auf Löhne und Arbeitsbedingungen, die die Arbeiter sich im hundertjährigen Kampf erzwungen haben, sind alle anderen ‚Mitbestimmungsforderungen unter der Alleinherrschaft der Bourgeoisie Illusion und Betrugsmanöver“, so Willi Dickhut, Vordenker der MLPD, bereits 1973.
Zuletzt 2013 hat der tkSE-Vorstand mit der IG Metall einen Haustarifvertrag abgeschlossen. Die Stahlarbeiter mussten Arbeitszeit- und Lohnkürzungen hinnehmen – dafür versprach der Vorstand alle Arbeitsplätze bis 2020 zu sichern. Davon will er jetzt nichts mehr wissen. Damit ist die Politik der Klassenzusammenarbeit und die Politik des Co-Managements erneut gescheitert. Geht es nach den Stahlmonopolen und ihren Politikern sollen sich nur die Arbeiter an Verträge und Gesetze halten. Monopole wie thyssenkrupp oder VW können dagegen machen, was sie wollen. Das nennt die MLPD völlig zu Recht: Diktatur der Monopole!
Stahlarbeiter können stolz sein
Kein Stahlarbeiter ist mit den Plänen der Stahlkonzerne einverstanden. Viele finden Kampfmaßnahmen richtig. Dennoch wirkt auch eine negative Verarbeitung von Kampferfahrungen. Dabei können die Stahlarbeiter stolz auf ihre Geschichte sein. Sie standen direkt nach dem II. Weltkrieg an vorderster Front gegen die Demontage der Stahlindustrie durch die Alliierten. Mit dem sechswöchigen gewerkschaftlichen Streik 1978/79 wurde das Tor zur 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich aufgestoßen! Die MLPD hat bereits in den 1970er-Jahren diese Forderung im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit vorgeschlagen. Mit ihrem fünfmonatigen Widerstand und dem siebentägigen Streik im April 1988 haben die Stahlarbeiter in Rheinhausen Zeichen gesetzt! Die MLPD hatte führenden Einfluss auf den Streik und trug entscheidend bei, dass dieser Kampf die Arbeiteroffensive einleitete.
Es waren die Märzkämpfe der Stahlarbeiter 1997, die zusammen mit dem Streik der Bergarbeiter das Ende der Ära Kohl eingeleitet haben. Es waren die Kampfbereitschaft und die kämpferischen gewerkschaftlichen Aktionen, mit denen in den letzten Jahren die gleiche Bezahlung für Leiharbeiter, die Regelungen zur unbefristeten Übernahme der Auszubildenden durchgesetzt wurden. Vieles ist auch Ergebnis der positiven Gewerkschaftsarbeit der Genossinnen und Genossen der MLPD und der MLPD-Betriebsgruppen.
Dass nicht alle Kämpfe mit einem Erfolg enden, liegt im kapitalistischen System begründet. Die internationalen Übermonopole haben sich den Staatsapparat vollständig untergeordnet und sind mit ihm verschmolzen. So lange dies so ist, sind Erfolge der Arbeiterbewegung immer nur zeitweilig. Damit sich das grundsätzlich ändert, muss der Imperialismus überwunden werden. Dafür tritt die MLPD ein.
Der Weg der Arbeiteroffensive
Die Stahlkonzerne fürchten, dass sich diese Erkenntnis mit Unterstützung der MLPD in den Kämpfen der Stahlarbeiter verbreitet. Deshalb sind ihnen die MLPD, kämpferische und klassenkämpferische Kräfte ein Dorn im Auge. Aber auch von rechten Gewerkschaftsführern und manchen Betriebsräten werden Kolleginnen und Kollegen gemobbt, die der MLPD zugerechnet werden. So heißt es bei tkSE in Duisburg, der Kampf um jeden Arbeitsplatz gefährde die Standorte. Hinter vorgehaltener Hand wird der MLPD unterstellt, sie wolle nur ihr Süppchen kochen. Damit wird tkSE aus der Schusslinie genommen und die für die Arbeitsplatzvernichtung verantwortlich gemacht, die am konsequentesten für den Kampf eintreten. So spaltet der Antikommunismus die Arbeiter und nutzt allein den Konzernen.
Aufgrund des eingeschränkten Streikrechts bleibt den Stahlkochern so aller Voraussicht nach nichts anderes übrig, als gegebenenfalls den gewerkschaftlichen Rahmen zu durchbrechen – und einen Streik um jeden Arbeitsplatz selbständig zu organisieren. Streik ist eigentlich ein Grundrecht, das die Arbeiterklasse in Deutschland sich aber erst nehmen und als demokratisches Recht erkämpfen muss.
Die MLPD unterstützt die offensive Forderung nach der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Durch die Reduzierung der Arbeitszeit auf 31 Stunden bei tkSE konnten ebenso wie durch die Kurzarbeit in der letzten Weltwirtschaftskrise Arbeitsplätze erhalten bleiben. Allerdings mussten die Beschäftigten dafür Lohneinbußen hinnehmen. Dagegen richtet sich die Forderung nach einem vollen Lohnausgleich!
Mit der 30-Stunden-Woche könnten in der deutschen Stahlindustrie rechnerisch über 14.000 Arbeitsplätze erhalten bzw. geschaffen werden! Die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ist eine offensive Forderung, eine Klammer für den länderübergreifenden Zusammenschluss der Stahlarbeiter. Sie schließt Arbeitende und Erwerbslose zusammen. Eine Arbeitszeitverkürzung erweitert zudem die Möglichkeiten am sozialen, kulturellen und politischen Leben teilzuhaben. Und sie wirft die Frage auf, wer in der Gesellschaft über die Produktivitätsfortschritte verfügt?
Ein selbständiger Streik der Stahlarbeiter hätte von vornherein politischen Charakter. Aufgrund der Vernetzung und Just-in-time-Produktion würden innerhalb von zwei bis drei Tagen Hunderttausende Arbeiter und breite Massen in die Auseinandersetzung einbezogen. Sie alle haben noch offene Rechnungen in ihrem Konzern, wie z.B. die VW-Arbeiter im Kampf gegen die Abwälzung der VW-Krise. Politiker, Parteien, Regierungen und Medien müssten sich positionieren. Es würde klar, wer wirklich Freund oder Feind ist!
Der russische Revolutionär Lenin betonte schon vor rund 100 Jahren, dass es „der Arbeiter ist, der den Boden bebaut, das Erz fördert, in den Fabriken Waren anfertigt, Häuser, Werkstätten, Eisenbahnen baut. Wenn die Arbeiter die Arbeit verweigern, droht der ganze Mechanismus zum Stillstand zu kommen. Jeder Streik erinnert die Kapitalisten daran, daß die wahren Herren nicht sie sind, sondern die Arbeiter, die ihre Rechte immer lauter und lauter anmelden“. Die MLPD und ihre Betriebsgruppen werden alles daran setzen, dass die bevorstehenden Kämpfe der Stahlarbeiter ein Schritt zum Übergang in die Arbeiteroffensive werden!
1 thyssenkrupp ist ein Technologiekonzern mit weltweit 155 000 Beschäftigten in 80 Ländern. Die Stahlsparte ist aufgeteilt in thyssenkrupp Steel Europe mit 27 000 Beschäftigten und thyssenkrupp America mit 3725 Beschäftigten. Der Stahlbereich hat einen Anteil am Umsatz des Konzerns von 23 Prozent.
2 Tata ist der zehntgrößte Stahlkonzern der Welt mit 80 000 Beschäftigten. Tata Steel hat den englischen Stahlkonzern Corus aufgekauft und beschäftigt 15 000 Stahlarbeiter in Europa.
3 Salzgitter ist der drittgrößte Stahlproduzent in Deutschland mit 7,2 Mio. Tonnen 2015.
4 ArcelorMittal ist der größte Stahlkonzern mit 100 Mio. Tonnen Jahresproduktion. In Deutschland produzierte er 2015 mit den Werken in Bremen und Eisenhüttenstadt 8,8 Mio. Tonnen Rohstahl.
5 EEG-Umlage: Wurde von der Schröder/Fischer-Regierung 2000 eingeführt. Eine Umlage zur Finanzierung der Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien.
6 Mehr dazu auf Seite 24/25
7 „Gewerkschaften und Klassenkampf“, S. 199