Spendensammlung für Revolutionäre „terroristisch“?

Spendensammlung für Revolutionäre „terroristisch“?

Rechtsanwalt Manfred Hörner über Hintergründe und Verlauf des TKP/ML-Prozesses in München

Am 17. Juni begann vor dem Oberlandesgericht München ein Massenprozess gegen zehn vermeintliche Mitglieder der TKP/ML (Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten). Ihnen wird die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach § 129 a/b Strafgesetzbuch vorgeworfen. Manfred Hörner ist als Rechtsanwalt in Nürnberg tätig. Seit Jahren verteidigt er auch in politischen Strafverfahren. Sein Mandant, Dr. Sinan Aydin, ist einer der zehn Angeklagten. Zusammen mit 19 weiteren Verteidigerinnen und Verteidigern fordert er die Einstellung des Verfahrens.

Rote Fahne: Was ist das Besondere an diesem Prozess gegen mutmaßliche ATIK-TKP/ML-Aktivisten?

Manfred Hörner: Es handelt sich um ein sogenanntes Pilotverfahren. Die TKP/ML ist in Deutschland weder verboten noch steht sie auf der Terrorliste der Europäischen Union. Den Angeklagten werden auch keine konkreten Straftaten in der Bundesrepublik Deutschland vorgeworfen. Der zentrale Vorwurf lautet, dass sie sich als vermeintliche Mitglieder des Auslandskomitees der TKP/ML betätigt und sich damit z. B. durch Organisierung von Spendensammlungen für die TKP/ML nach § 129 b StGB strafbar gemacht haben. § 129 b ist ein eindeutig politisch ausgerichteter Straftatbestand, der nur angewendet werden darf, wenn der Bundesjustizminister seine Zustimmung erteilt. Diese Verfolgungsermächtigung macht es vom außenpolitischen Ermessen der Bundesregierung abhängig, ob ein Verfahren eröffnet werden kann oder nicht.

Der Paragraph ist äußerst unbestimmt. Das Gericht muss ermitteln, ob es sich überhaupt um eine terroristische Organisation handelt. Völlig zu Recht werden die syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG/YPJ derzeit schließlich auch nicht als terroristische Organisationen diffamiert und kriminalisiert, obwohl sie wie die TKP/ML die IS-Faschisten bekämpfen – und dies sogar bewaffnet. Dieser Gummiparagraph mit Gesinnungscharakter ist vor allem ein Mittel zur Kriminalisierung linker Organisationen.

Was sind die Hintergründe, dass gerade jetzt dieses Verfahren eingeleitet wurde?

Der Generalbundesanwalt ermittelt bereits seit Jahren. In der ganzen Zeit wurden umfangreichste Überwachungs- und Abhörmaßnahmen durchgeführt. Es war letztlich eine taktische Entscheidung, am 15. April 2015 den Zugriff unter Einsatz der GSG 9 durchzuführen. Natürlich will man der türkischen Regierung damit einen Gefallen tun, indem man sie – wie auch bei der Verfolgung von PKK-Aktivisten – in ihrem „Antiterrorkampf“ unterstützt, der in Wirklichkeit staatsterroristisch ist. Es geht bei diesem Prozess aber auch um die Kriminalisierung des Marxismus-Leninismus und die Förderung des reaktionären Antikommunismus.

In der Türkei baut Erdoğan seine faschistische Diktatur aus. Welche Rolle spielt das im Prozess?

Diese Vorgänge wurden seitens der Verteidigung zum Anlass genommen, erneut die Einstellung des Verfahrens zu fordern. Darüber hat das Gericht noch nicht entschieden. Die Verteidiger haben dazu eine Presserklärung herausgegeben, in der es unter anderem heißt: „Die ,Maßnahmen‘ der AKP-Regierung seit dem 15. Juli 2016 zeigen der gesamten Welt, dass sich die Türkei auf dem Weg zu einem offen diktatorisch agierenden Staat befindet, der sämtliche demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien über Bord wirft. … Eine Fortführung dieses Strafverfahrens würde nach den Geschehnissen der letzten Tage eine Legitimierung der … Maßnahmen Erdoğans bedeuten.“

Wie ist der bisherige Prozessverlauf, und wie entwickelt sich die Solidarität?

Der bisherige Verlauf war zum einen durch verschiedene Anträge der Verteidigung auf Aussetzung und Einstellung des Verfahrens sowie gegen Behinderung der Verteidigertätigkeit geprägt. Nicht zuletzt durch Erklärungen der Angeklagten, die die Vorgehensweise der Justiz offensiv angriffen. Hervorstechend ist der ungebrochene offensive Kampfgeist der Gefangenen. Trotz mehr als 16 Monaten Untersuchungshaft, teils unter strengen Isolationsbedingungen. Die Verhandlungen werden immer gut besucht, und es fanden die verschiedensten Solidaritätsaktionen vor dem Gerichtsgebäude statt. Zum Prozessauftakt am 2. September sind weitere Aktionen, auch bundesweit, geplant, am 9. September wird es in München eine überregionale Demonstration geben. Die revolutionären Gefangenen müssen auch weiterhin erfahren, dass ihnen die Solidarität weltweit sicher ist.

Vielen Dank für das Interview!