Philippinen vor einer neuen Ära?
In den bürgerlichen Medien wird der neue philippinische Präsident Rodrigo „Digong“ Duterte als Rechter und Reaktionär präsentiert
Dabei nennt er sich ausdrücklich einen linken Präsidenten. Und José Maria Sison, Chefberater der Nationaldemokratischen Front der Philippinen (NDF), sagt: „Die NDF ist bereit, mit Duterte voranzuschreiten, wenn Duterte vorangeht.“ Die Rote Fahne blickt hinter die Kulissen der philippinischen Entwicklung.
Wer ist Duterte?
Im Wahlkampf hatte sich Rodrigo Duterte – bisher Bürgermeister von Davao City – als Linker und in vielen Fragen antiimperialistisch positioniert. Seinen Wahlkampf richtete der 71-Jährige explizit gegen die USA und verschiedene ausländische Monopole. Wegen seiner bescheidenen Art und Volksverbundenheit ist er unter den Massen beliebt. Er wendet sich gegen Korruption und die teils grassierende Kriminalität. Zugleich stand der neue Präsident im Austausch mit dem CPP-Gründungsvorsitzenden1 und Chefberater der NDF, José Maria Sison. Duterte hat verschiedene Reformen angekündigt, unter anderem die Kontraktarbeit zu verbieten – das verhasste System, die Arbeiterinnen und Arbeiter jeweils nur für sechs Monate anzustellen.
Vier Vertreter der national-demokratischen Bewegung sind Mitglied der seit Juni amtierenden Regierung: Ein Führer der Bauernbewegung, Rafael Mariano, ist Minister für Landwirtschaft. Professorin Judy Tagiwalo ist Ministerin für Gesundheit. Jael Manglunsod, ein Führer der Gewerkschaft KMU, ist Staatssekretär im Arbeitsministerium. Die bekannte Abgeordnete für den Frauenverband GABRIELA, Liza Masa, ist Staatssekretärin im Frauenministerium. Duterte hat auch die Freilassung von über 500 politischen Gefangenen aus der nationaldemokratischen Bewegung versprochen und sogar eine Rückkehr des seit 30 Jahren im Exil lebenden Joma Sison in Aussicht gestellt. Außerdem will er die Friedensverhandlungen mit der NDF wieder aufnehmen. Das war für die Philippinen eine politische Sensation und zeigt, dass Duterte kein Antikommunist ist. Er ist eine widersprüchliche Persönlichkeit, wie Joma Sison gegenüber der Roten Fahne erklärte, hat aber eine ganze Reihe fortschrittlicher Positionen.
Gleichzeitig ist der neue Präsident auch für inakzeptable krasse Sprüche bekannt, die teils frauen- oder gewerkschaftsfeindlich sind. Zudem wird er wegen Menschenrechtsverletzungen im Kampf gegen die Drogenbarone kritisiert.2
Wahlen im Linkstrend
Bei einer hohen Wahlbeteiligung von 81 Prozent erreichte Rodrigo Duterte 16,6 Millionen Stimmen (38,6%), 6,7 Millionen mehr als der Kandidat der bisherigen Regierungspartei. Listen, die sich als Bestandteil der nationaldemokratischen Bewegung verstehen, haben bei den Wahlen fast ein Drittel an Stimmen gewonnen. Besonders beeindruckend ist das Ergebnis der Wahlpartei GABRIELA, die vom gleichnamigen Frauenverband getragen ist. GABRIELA war auch Teilnehmerin an der 2. Weltfrauenkonferenz 2016 in Nepal. Die Frauen konnten sich von 715.000 Stimmen (2013) auf 1,4 Millionen (2016) steigern – sie erhielten zwei Sitze.
Die Ergebnisse zeigen einen Linkstrend, spiegeln aber auch eine gesellschaftliche Polarisierung unter den Massen wider. Bei der gesonderten Wahl zum Vizepräsidenten unterlag der Sohn des früheren Diktators Marcos mit 14 Millionen Stimmen nur knapp dem Kandidaten der bisherigen Regierung.
Hoffnung auf Veränderung
Nach Angaben des Forschungsinstituts IBON gab es Ende 2014 12,2 Millionen Arbeitslose und Unterbeschäftigte. In der Realität liegt die Arbeitslosigkeit zwischen 40 und 50 Prozent. Zwei Drittel der Bevölkerung leben von maximal 1,25 Dollar pro Tag. Gleichzeitig hat sich der Reichtum der zehn reichsten Philippinos in den letzten fünf Jahren verdreifacht.
192 Gewerkschafter und Aktivisten waren 2015 von der gewachsenen Verletzung von Arbeiter- und Gewerkschaftsrechten betroffen. Politische Häftlinge sind oft jahrelang inhaftiert, ohne einen Richter auch nur zu sehen.
In der Wahl von Duterte kommt die Suche nach gesellschaftlichen Veränderungen zum Ausdruck. Nach jahrzehntelanger reaktionäre Herrschaft und Kollaboration der Regierungen mit den USA erleben die Philippinen einen Stimmungsumschwung unter den Massen.
Eine neue Regierung ist keine Befreiung
Mit der neuen Regierung haben sich verschiedene Bedingungen für den Klassenkampf verbessert. Aber in der Regierung sitzen auch reaktionäre Vertreter der Bourgeoisie und des internationalen Finanzkapitals. Die bürgerlichen staatlichen Strukturen inklusive des Machtapparats von Polizei, Justiz und Militär sind intakt und auf die Bedürfnisse des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals ausgerichtet.
„Der antiimperialistische Befreiungskampf in den neokolonial abhängigen und unterdrückten Ländern hat den Sturz der dem Imperialismus hörigen Regierung zum Ziel, die Zerschlagung der neokolonialen Staatsmacht, um Unabhängigkeit vom Imperialismus zu erringen“, analysierte Stefan Engel 2011. Der Aufbau einer antiimperialistischen neudemokratischen Ordnung muss organischer Teil der internationalen sozialistischen Revolution sein. Aber wenn „Duterte in diese Richtung geht, werden die USA und die großen Oligarchen im Land ihn bekämpfen“, warnt Joma Sison.
Das allein herrschende internationale Finanzkapital wird – gestützt auf Reaktionäre in der Gesellschaft und auch in der Regierung sowie das Militär – wirtschaftlich, politisch und militärisch nichts unversucht lassen, die neue Regierung gefügig zu machen – oder gegebenenfalls zu stürzen.
Die revolutionären Kräfte um die CPP und NDF haben in den Philippinen Masseneinfluss. Sie unterstützen die Regierung Duterte taktisch, „wenn Duterte vorangeht“, so Joma Sison. Aber sie dürfen sich strategisch nicht unterordnen oder gar ihre Eigenständigkeit auflösen.
In Lateinamerika konnten nach der Jahrtausendwende linke, antiimperialistische Regierungen den Plänen des internationalen Finanzkapitals Widerstand entgegensetzen und einzelne Zugeständnisse und Reformen durchsetzen. Zugleich bremsten aber reformistische und revisionistische Illusionen über einen friedlichen Weg zum „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ die länderübergreifende revolutionäre Gärung – und desorientierten sie in parlamentarische Bahnen. Mittlerweile gibt es einen ausgeprägten Rechtsruck der Regierungen Lateinamerikas.
Auch daraus müssen die richtigen Schlüsse gezogen und in den Philippinen der Weg der revolutionären nationalen und sozialen Befreiung gegangen werden.
Umkämpfte geostrategische Region
Die Imperialisten werden das zwölftbevölkerungsreichste Land der Erde nicht freiwillig aus den Klauen lassen. Die Philippinen liegen in der geostrategisch wichtigen Region des Südchinesischen Meeres. Der dort tobende Streit zwischen USA, Japan und China (im Bündnis mit Russland) wegen vermuteter Rohstoffe und Handelswegen ist Ausdruck der wachsenden zwischenimperialistischen Widersprüche.3
Am 4. Juni feierten die Philippinen den 70. Jahrestag der formellen Unabhängigkeit. Tatsächlich aber stehen sie unter neokolonialer Vorherrschaft, vor allem der USA. Der Bestand ausländischer Direktinvestitionen in den Philippinen wächst stark. 2007 vor dem Ausbruch der großen Weltwirtschafts- und Finanzkrise lagen sie noch bei 20,5 Milliarden US-Dollar. Inzwischen haben sie sich bis 2015 auf 59,3 Milliarden US-Dollar fast verdreifacht! In den nächsten drei Jahren sollen die Philippinen zu den 15 besten Investitionsstandorten zählen.4
Der Sturz des faschistischen Diktators Marcos 1986 und die Räumung der US-Militärbasen 1991 waren ein Erfolg des antiimperialistischen Kampfes. Aber bereits Anfang 2002 eröffneten die USA in den Philippinen eine zweite Front, angeblich im Kampf gegen den weltweiten Terror. Den USA wurde erneut eine dauerhafte Truppenpräsenz gewährt.
Die US-Regierung und ihre Marionetten in der Regierung erklärten dem Freiheits- und Guerillakampf den „totalen Krieg“. Die CPP und die von ihr geleitete Neue Volksarmee (NPA)5 wurden auf die „Terrorliste“ gesetzt. Trotz der Beschlüsse des europäischen Gerichts, dass Joma Sison von der EU-„Terrorliste“ gestrichen werden muss, hielt der EU-Ministerrat daran fest. Daran war und ist auch die Bundesregierung maßgeblich beteiligt – ohne ihre Zustimmung kommt in der EU niemand auf die „Terrorliste“. Regelmäßig diffamiert die Bundesregierung in ihren berüchtigten Verfassungsschutzberichten die CPP in antikommunistische Diktion als „Terrororganisation“.
Massenbewegung und ...
Die nationaldemokratische Bewegung leistet eine intensive Massenarbeit in den Städten. Dafür steht die Arbeit der Gewerkschaft KMU, des Frauenverbandes GABRIELA und der Massenorganisationen unter der Jugend, den Bauern und den Ureinwohnern. In den Betrieben hat die KMU eine Bewegung gegen Leih- und Werksarbeit entwickelt. Zehntausende Frauen gingen am 8. März, dem Internationalen Frauentag, mit GABRIELA auf die Straßen und forderten: Frauen! Vorwärts mit dem Kampf für echte Veränderung!
Im Wahlkampf bekam die Umweltfrage wachsende Bedeutung. So war das Massaker von Kidawapan auf Mindanao am 1. April ein großes Thema. Die Bauern hatten wegen der extremen Trockenheit, die durch den El Niño ausgelöst wurde, die Freigabe von Reissäcken gefordert. Sie blockierten Straßen und eine Autobahn. Die Polizei setzte Wasserwerfer, Schlagstöcke und Maschinengewehre ein. Ein Bauer wurde getötet und 30 zum Teil schwer verletzt.
30.000 Menschen demonstrierten am Montag, den 25. Juli mit dem Volksmarsch in Manila anlässlich Dutertes ersten Berichts zur Lage der Nation. Sie traten selbstbewusst für ihre Forderungen ein. Allein 8.000 waren von zum Teil weit entfernten Inseln angereist. Renato Reyes, Sprecher des legalen nationaldemokratischen Dachverbandes Bayan, rief zur Wachsamkeit auf: Die Allianz mit der Regierung garantiert nicht, dass die Vereinbarungen zu wirtschaftlichen und politischen Reformen auch eingehalten werden. „Unser Kampf geht weiter und wir werden unser Banner nicht niederlegen“, so Reyes.
... Guerillakampf
Neben den Massenbewegungen in den städtischen Zentren führt die 1968 gegründete CPP mit der NPA seit 1969 einen Guerillakrieg. Er richtet sich gegen die reaktionären Regierungen und den US-Imperialismus. Die besondere geografische Struktur mit Tausenden von Inseln ist Bedingung für eine jahrzehntelange Tradition dieses Kampfes. „Trotz aller konterevolutionären Angriffe entwickelt sich der Guerillakampf weiter erfolgreich“, berichten Vertreter der NDF. „NPA, CPP und NDF arbeiten in 71 von 81 Bezirken, es gibt 100 Guerillafronten. Sind die Voraussetzungen gegeben, werden revolutionäre Komitees als Organe der politischen Macht gebildet. Massenorganisationen der Bauern, Arbeiter, Frauen, Jugend, Ureinwohner werden aufgebaut, die auch eine umfassende Bildungsarbeit durchführen. Es gibt Komitees für das Landreformprogramm der revolutionären Bewegung.“ Die NPA ist auch als „Grüne Guerilla“ bekannt. Grün, weil ihre Kämpferinnen und Kämpfer nicht zuletzt den Regenwald vor der imperialistischen Ausplünderung schützen. Um das Land vom Imperialismus zu befreien, muss der Guerillakampf mit dem Kampf des Industrieproletariats in den großen Zentren wie Manila verbunden werden.
Ein gemeinsamer Gegner – ein gemeinsamer Kampf
Wer eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung will, der muss überall die revolutionären Kräfte, den marxistisch-leninistischen Parteiaufbau und die demokratischen Massenorganisationen stärken. Erfolge in den Philippinen sind zugleich eine Ermutigung für die Ausgebeuteten und Unterdrückten der ganzen Welt. Denn es sind Erfolge gegen den gemeinsamen Gegner, das allein herrschende internationale Finanzkapital – die 500 größten Monopole der Welt und den Imperialismus.
Die philippinischen Revolutionäre und Marxisten-Leninisten und die MLPD sind seit Jahrzehnten freundschaftlich verbunden. Organisationen in Deutschland, wie der Frauenverband Courage, Solidarität International und die Deutsch-Philippinischen Freunde oder der Jugendverband REBELL, haben vielfältige Verbindungen. Bereits in den 1990er-Jahren wurde von der MLPD eine Kampagne Freiheit für die Philippinen durchgeführt. Es gab gemeinsame Seminare und Veranstaltungen, wie zum 100. Geburtstag Mao Zedongs, wozu Joma Sison und Stefan Engel gemeinsam ein Buch herausgaben. In der Internationalen Konferenz marxistisch-leninistischer Parteien findet eine Zusammenarbeit statt. Die ICOR6 und der ILPS7 haben eine weltweite Unterschriftensammlung zur Schließung aller Atomkraftwerke durchgeführt. Joma Sison hat sich auf Wunsch von Stefan Engel auch gerne bereit erklärt, 2017 gemeinsam Projekte zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution durchzuführen. Die MLPD wird mit unverbrüchlicher Solidarität den antiimperialistischen Kampf in den Philippinen unterstützen. Sie fordert die Streichung der CPP von allen „Terrorlisten“!
Fjs/Jörg Weidemann
1 Die CPP ist die Communist Party of the Philippines
2 Siehe dazu Interview Joma Sison (S. 20) und Dokument GABRIELA (S. 18)
3 Siehe Wirtschaftshintergrund (S. 19)
4 GTA German Trade and Investment
5 Auf Englisch: New People’s Army
6 Internationale Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen
7 Internationaler Bund des Kampfs der Völker, der von der NDF unterstützt wird