„Der Rechtsruck der Regierung Merkel ist Ausdruck ihrer latenten Krise“
Interview mit Stefan Engel, dem Vorsitzenden der MLPD
Nicht nur zum Rechtsruck der Regierung gibt Stefan Engel präzise und prägnante Antworten auf zentrale Fragen der aktuellen Entwicklung in Deutschland und international. Wie geht es weiter mit der VW-Krise, oder was versteht die MLPD unter neuimperialistischen Ländern? Ist die Krise der bürgerlichen Flüchtlingspolitik beendet, seitdem weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen? Und wie geht es mit der Vorbereitung des X. Parteitags voran – das sind nur einige der Fragen, die das „Rote Fahne“-Magazin dem Vorsitzenden der MLPD stellen konnte.
Rote Fahne: Die AfD hat bei den Landtagswahlen zweistellige Ergebnisse erreicht. Ist das Ausdruck eines Rechtsrucks?
Stefan Engel: Zweifellos konnte sich mit der AfD erstmals in der Nachkriegsgeschichte eine ultrareaktionäre, extrem volksfeindliche Partei mit einer nationalistischen und rassistischen Programmatik in Deutschland etablieren. Das ist den offen neofaschistischen Parteien aufgrund der antifaschistischen Grundhaltung der Massen nicht gelungen. Trotzdem wäre es vereinfacht dargestellt, die Situation in Deutschland als Rechtsruck zu bezeichnen. Unter den Massen entwickeln sich sehr gegensätzliche Tendenzen, die Ausdruck einer gesellschaftlichen Polarisierung sind. Einerseits das Anwachsen rechter, neofaschistischer, rassistischer Tendenzen. Auf der anderen Seite ein deutliches Anwachsen antifaschistischer und antirassistischer Aktivitäten, eine Stärkung des gewerkschaftlichen Kampfwillens, eine zunehmende Aktivität der Jugend, internationalistische Hilfsbereitschaft und Solidarität und die wachsende Suche nach einer gesellschaftlichen Alternative. Das geht mit einer Politisierung unter den Massen einher. Die Haupttendenz ist immer noch der fortschrittliche Stimmungsumschwung, der 2015 eingesetzt hat, auch wenn die Gegenmaßnahmen der Herrschenden das politische Klima merklich beeinflusst haben.
Ihre Stimmen hat sich die AfD in erster Linie als angebliche „Protestpartei“ erworben. In Wirklichkeit ist die AfD eine ultrareaktionäre, extrem volksfeindliche Partei, die auch ein Sammelbecken für Neofaschisten und weitere menschenfeindliche Erzreaktionäre ist. Dass die AfD vermehrt Stimmen unter den breiten Massen bekam, hat etwas mit einem noch niedrigen Klassenbewusstsein zu tun, das sich mit einer allgemeinen Unzufriedenheit und Wut auf die etablierten Parteien mischt.
Die hauptsächliche Massenbasis der AfD kommt aus dem von Ruinierung bedrohten Kleinbürgertum, von selbständigen Geschäftsleuten, Gastronomen, Bauern, zum Teil aber auch rückständigen Arbeitern, arbeitslosen und verarmten Menschen. Offensichtlich suchen die Herrschenden nach einer wirksamen Gegenkraft und Methode gegen die wachsende Unzufriedenheit der Massen und ihre Suche nach einer gesellschaftlichen Alternative. Der AfD wurde maßgeblich durch den Rechtsruck der Merkel/Gabriel-Regierung zu ihren aktuellen Wahlerfolgen verholfen. Es gibt keine Talkshow mehr im Fernsehen ohne führende Repräsentanten der AfD, in denen sie völlig ungehindert vor einem Millionenpublikum ihre rassistische, fremdenfeindliche und islamophobe Demagogie verbreiten können. Interessant ist auch, dass ein großer Teil der Spenden an die AfD von kleineren Monopolen wie dem Maschinenbauunternehmen SMS Group oder dem Hamburger Reeder Folkard Edler kommt. Die nicht-monopolistische Bourgeoisie oder die Monopole, die nicht zum allein herrschenden internationalen Finanzkapital gehören, erstreben eine Nationalisierung der Wirtschaft und versuchen so, dem internationalen Konkurrenzkampf auszuweichen, dem sie sich nicht gewachsen fühlen. Deshalb sind sie auch gegen eine zu weitgehende Öffnung der Märkte, gegen die EU und andere Formen, die das allein herrschende internationale Finanzkapital geschaffen hat.
Die gesellschaftliche Polarisierung unterspült die Massenbasis der großen Koalition von CDU/CSU und SPD und ihr lange „bewährtes“ System der kleinbürgerlichen Denkweise. In einigen Umfragen ist die SPD bereits unter der historischen Marke von 20 Prozent gelandet. In einer Umfrage Mitte Mai haben sich über zwei Drittel der Bevölkerung dafür ausgesprochen, dass Angela Merkel – die immerhin über Jahre die beliebteste unter den Politikern Deutschlands war – nach den nächsten Bundestagswahlen nicht mehr Bundeskanzlerin sein soll.
Wir müssen gegenüber faschistischen und rassistischen Tendenzen wachsam sein. Aber wir dürfen auch nicht auf die Rechtsruck-These reinfallen, die die Bevölkerung für den Rechtsruck der Regierung verantwortlich machen will.
Es ist auch international zu beobachten, dass bürgerliche Regierungen oder Parteien einen Rechtsruck vollziehen bzw. eine deutliche Faschisierung des Staatsapparats betreiben. Wie ist das zu beurteilen?
Man sieht an den Präsidentschaftswahlen in Österreich, wie eine ultrareaktionäre, faschistoide Partei wie die FPÖ zur stärksten Partei werden konnte. Nur knapp hat sie bei der Stichwahl verloren gegen den grünen Bundespräsidentschaftskandidaten van der Bellen. Aber immerhin hat ihr Kandidat Hofer 49,7 Prozent der Stimmen bekommen. Man sieht auch in der Türkei oder in Russland eine drastische Faschisierung des Staatsapparats und der Regierungspolitik. Es wird dort eine regelrechte Hatz auf fortschrittliche Menschen und Revolutionäre durchgeführt, demokratische Rechte werden weitgehend eingeschränkt, die Presse unter staatliche Kontrolle gestellt und massive Repressalien gegen die Bevölkerung angewandt. In Russland gibt es mittlerweile ein weitgehend eingeschränktes Demonstrationsrecht, und jede Opposition gegen Wladimir Putin wird unterdrückt. In der Türkei hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan die parlamentarische Immunität fast aller Abgeordneten des Wahlbündnisses der Kurden und der fortschrittlichen und revolutionären Linken in der Türkei, der HDP, aufgehoben – um sie offen strafrechtlich verfolgen und außer Gefecht setzen zu können. In den USA kandidiert bei den Präsidentschaftswahlen mit Donald Trump ein ultrarechter faschistoider Milliardär für die Republikaner, und in Indien hat der Hindu-Faschist Narendra Modi 2014 die Wahlen gewonnen. Auch innerhalb Europas gibt es in Polen, Ungarn, Mazedonien und der Slowakei ultrarechte, faschistoide Tendenzen. Das alles zeigt, dass mit den Krisen des Imperialismus die Reaktion nach außen und nach innen immer offener zutage tritt.
Diese Situation schüchtert die Massen sicherlich zum Teil ein, öffnet ihnen aber auch die Augen über den wahren Charakter des gesellschaftlichen Systems und macht sie empfänglich für die marxistisch-leninistische Überzeugungsarbeit für den echten Sozialismus. Das wird letztlich das Entscheidende sein, wenn es revolutionäre Arbeiterparteien gibt, die diese Situation zu nutzen wissen.
Im letzten Interview wurde von dir die Einschätzung getroffen, dass die MLPD in eine neue gesellschaftliche Rolle hineinzuwachsen beginnt. Hat sich diese Tendenz fortgesetzt?
Es bilden sich in Deutschland immer mehr Situationen heraus, in denen nur noch die Marxisten-Leninisten den fortschrittlichen, revolutionären Pol der Polarisierung in Deutschland anführen können. So waren es nur REBELL und MLPD, die einem faschistischen Konzert in Hildburghausen einen aktiven Widerstand entgegensetzen konnten. Wesentliche Kräfte der Linkspartei oder der Autonomen kapitulierten vor der Teilnahme an einer antifaschistischen Demonstration und warnten sogar öffentlich davor.
Bei den Kommunalwahlen in Hessen hat das überparteiliche Kommunalwahlbündnis AUF Kassel im Stadtteil Rothenditmold knapp 30 Prozent der Stimmen bekommen. Der bekannte Marxist-Leninist Hans Roth erzielte das beste Einzelergebnis und wurde später sogar zum Ortsvorsteher gewählt. Dieses Wahlergebnis kann man nicht allein mit einer verbesserten Kleinarbeit und Verankerung in Kassel erklären, sondern es ist Ausdruck eines allgemeinen Stimmungswechsels. Dort, wo die Massen eine klare linke Alternative sehen, sind sie auch bereit, über antikommunistische Vorbehalte hinweg den Bündnissen, in denen die MLPD mitarbeitet, ihre Unterstützung zu geben.
Insbesondere bei selbständigen und gewerkschaftlichen Kämpfen in der letzten Zeit haben die Arbeiterinnen und Arbeiter in einigen Fällen ausdrücklich die Unterstützung der MLPD und ihrer Repräsentanten eingefordert; weil sie das Vertrauen in die Gewerkschaftsführung und deren Klassenzusammenarbeitspolitik verloren hatten. Diese neue gesellschaftliche Rolle besteht also vor allem darin, dass wir uns an die Spitze des antifaschistischen Kampfs, an die Spitze des Kampfs für eine gesellschaftliche Alternative, an die Spitze der Arbeiterkämpfe, der kämpferischen Frauen oder auch der kämpferischen Umweltbewegung stellen müssen – und das auch können. Das ist sicherlich eine besondere Herausforderung an unsere Genossinnen und Genossen, die bisher oft nur gewöhnt sind, engagiert mitzuarbeiten – nicht aber verantwortlich die Bewegungen zu führen. Letztlich ist das Vertrauen in die Partei, in die Massen und ihre Kampffähigkeit ausschlaggebend, ob diese führende Rolle an- und wahrgenommen wird.
Die Regierung Merkel/Gabriel hat mit dem Schließen der Balkanroute, der verschärften militärischen Abwehr von Flüchtlingsströmen aus Afrika und mit dem Deal mit dem Erdoğan-Regime dafür gesorgt, dass der Flüchtlingsstrom nach Deutschland deutlich abgenommen hat. Ist damit die Krise der bürgerlichen Flüchtlingspolitik vorüber?
Durch all diese Maßnahmen sind zwar weniger Flüchtlinge nach Deutschland und Europa gekommen – aber es gibt deshalb keinen einzigen Flüchtling weniger auf der Welt. Es wird sicherlich eine Zeit lang dauern, bis die Flüchtlinge wieder neue Wege finden, um nach Europa zu kommen. Doch das Problem wird sich in Zukunft nicht ent-, sondern eher verschärfen. Denn die Fluchtursachen in Kriegen, Umweltkatastrophen, sozialem Elend und Repression wachsen weiter. Immer deutlicher sehen wir, mit welch inhumanen Mitteln gegen die Flüchtlinge an den Grenzen vorgegangen wird – was bereits zum aktiven Widerstand der Menschen in Flüchtlingslagern in Griechenland geführt hat.
Die deutsche Regierung baut weiter massiv das Asylrecht ab, und sie will mit ihrem neuen Integrationsgesetz die Asylbewerber und Flüchtlinge zu Menschen zweiter und dritter Klasse abstempeln. Diese Diskriminierung wird von uns entschieden zurückgewiesen. Sie hat nichts mit einem würdevollen Verhalten gegenüber den Flüchtlingen zu tun. Wir sind proletarische Internationalisten! Wir treten für die Vereinigung der Arbeiterklasse auf der ganzen Welt ein, wir stehen fest an der Seite aller Unterdrückten in der Welt. Die Flüchtlinge sind aus ihren Ländern geflohen, weil sie in der alten Weise nicht mehr leben können, und die Herrschenden sind nicht in der Lage, diese Flüchtlinge in Würde aufzunehmen. Das führt zu einer politischen Krisensituation und ist auch eine wichtige Basis für eine Politisierung der Flüchtlinge. Wir müssen sie gewinnen, dass sie für ihre gesellschaftlichen Rechte kämpfen und sich letztlich für eine gesellschaftliche Alternative und die internationale Revolution einsetzen.
Die Krise der bürgerlichen Flüchtlingspolitik bleibt eine Achillesferse der Regierung, die wir nutzen müssen, um die Menschen gegen die Regierung zu aktivieren.
Das reaktionäre Wesen des deutschen Imperialismus wird durch seine Flüchtlingspolitik immer deutlicher und von den Leuten so nicht akzeptiert. Wir befinden uns also in einer Situation deutlicher Veränderungen – in der wir Marxisten-Leninisten besonders gefordert sind.
Wie ist zu erklären, dass VW seine Krise nicht in den Griff bekommt?
Solange der Volkswagenkonzern ein Monopol war, das in erster Linie mit dem deutschen Nationalstaat verschmolzen war und von diesem wirksam vor der Einflussnahme seiner Konkurrenten geschützt werden konnte, waren solche kriminellen Machenschaften wie die Abgasmanipulationen bei Dieselfahrzeugen ohne größere Probleme und in aller Stille möglich. Sie wurden von der Regierung, staatlichen Stellen und rechter Gewerkschaftsführung gedeckt bzw. in ihre Betrugssysteme integriert. Auf der Grundlage der Neuorganisation der internationalen Produktion funktioniert das jedoch aufgrund des entfalteten Konkurrenzkampfs zwischen den internationalen Übermonopolen nicht mehr so einfach.
Die in solchen Übermonopolen nicht unüblichen kriminellen Machenschaften scheitern inzwischen wiederholt am Widerspruch zwischen der internationalisierten Produktionsweise und dem nationalstaatlichen Charakter der staatsmonopolistischen Strukturen.
Derzeit kommt immer mehr ans Tageslicht, wie sich auch andere internationale Übermonopole wie die Deutsche Bank oder die Commerzbank über geltendes Recht und Gesetz hinwegsetzen bzw. diese nach ihrem Bedarf ausrichten. Die Enthüllungen der „Panama-Papers“ zeigen die staatliche Duldung einer Anwaltskanzlei, die, wie die panamaische Mossack Fonseca, mehr als 200 000 Briefkastenfirmen gründet. Damit hinterziehen Banken, Politiker und Konzerne Steuern in Milliardenhöhe und wickeln Geschäfte zum Ausbau ihrer Machtposition ab. Die wachsenden Widersprüche bis hin zu Massenprotesten gegen TTIP zeigen, dass die Massen immer weniger damit einverstanden sind, dass das allein herrschende internationale Finanzkapital seine Macht immer rücksichtsloser über die ganze Gesellschaft errichtet.
Was gedenkt die MLPD im Hinblick auf die kriminellen Machenschaften von VW zu tun?
Die MLPD hat von Anfang an die Parole ausgegeben, dass erstens der kriminelle Betrug der VW-Konzernspitze rücksichtslos aufgeklärt werden muss. Es war lächerlich, dass bereits in der ersten Stellungnahme des Aufsichtsrats vom ehemaligen IG-Metall-Chef Berthold Huber erklärt wurde, dass Martin Winterkorn mit der ganzen Sache nichts zu tun habe – noch bevor irgendetwas untersucht war. Hier sollten von der ersten Minute an die Hauptverantwortlichen von jeder Schuld reingewaschen werden.
Als Zweites muss ein allseitiger Widerstand organisiert werden gegen die Abwälzung der Krisenlasten durch den VW-Konzern auf die Arbeiter und Massen. Das betrifft die Einschränkung der Bonuszahlung für die Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Angestellten, aber auch den Abbau von Arbeitsplätzen, vor allem unter den Leiharbeitern; ebenso betrifft das die ausbleibenden Steuerzahlungen von VW an die Kommunen, was zu empfindlichen Einschnitten kommunaler, sozialer und ökologischer Verpflichtungen führen kann.
Die MLPD hat eine VW-Broschüre herausgegeben, um den Arbeitern einen Klassenstandpunkt zu diesen ganzen Vorgängen zu vermitteln. In der Tarifrunde entlud sich die Wut der VW-Belegschaft am 11. Mai, als sich 61 000 VW-Beschäftigte an den Warnstreiks beteiligten. Sie demonstrierten nicht nur für die aufgestellte Forderung von fünf Prozent Lohnerhöhung. Sie empörten sich auch darüber, dass sich kurz vorher Vorstand und Aufsichtsrat von jeder Schuld freigesprochen haben und sich entsprechend noch hohe Bonuszahlungen genehmigten. Um diesem Unmut die Spitze zu nehmen, hat der VW-Vorstand Mitte Mai die Auszahlung einer Erfolgsbeteiligung in Höhe von 3 950 Euro an jeden Tarifbeschäftigten zugestanden. Aber damit ist das Problem nicht gelöst.
Wir müssen Organisationsformen des aktiven Widerstands entwickeln gegen diese Machenschaften des VW-Konzerns. Dabei kommt es besonders darauf an, dass unsere Betriebsgruppen und Wohngebietsgruppen die Initiative ergreifen. Ein solcher Widerstand ist von den reformistischen Gewerkschaftsführern und Betriebsräten nicht zu erwarten. Sie haben sich von Anfang an auf die Klassenzusammenarbeitspolitik verlegt und von der „VW-Familie“ gefaselt, die jetzt „zusammenhalten müsse“. Das kommt überhaupt nicht infrage! Die Verantwortung für die kriminellen Machenschaften liegt bei der Konzernspitze und dem Aufsichtsrat – und auch bei der sie unterstützenden Bundesregierung und der Landesregierung in Niedersachsen. Diese müssen auch entsprechend zur Rechenschaft gezogen und gegebenenfalls strafrechtlich verfolgt werden.
An Pfingsten fand das 2. Rebellische Musikfestival in Truckenthal statt. Was war das Besondere an diesem Ereignis und welche Ergebnisse hat es gebracht?
Mitten in der gesellschaftlichen Polarisierung wurde das Festival zu einem Event der kämpferischen linken, antifaschistischen und internationalistischen Richtung unter der Jugend. Über 200 Bands bewarben sich aus dem Bedürfnis heraus, in diesen Zeiten ein „Festival mit Haltung“, wie eine Band es ausdrückte, zu unterstützen.
Mit dem Kampf gegen das faschistische Konzert eine Woche zuvor in Hildburghausen, aber auch wegen der proletarischen Flüchtlingspolitik, hat sich das Festival diesmal viel stärker politisiert als vor zwei Jahren. Von dieser Politisierung ging auch die hauptsächliche Begeisterung auf dem Festival aus.
Die fortschrittliche Kultur des Festivals durchdrang sich mit diesem rebellischen, antifaschistischen Geist und dem Kampf um demokratische Rechte und Freiheiten von Flüchtlingen. Die Abendprogramme hinterließen tiefen Eindruck: So, wenn Musiker und Revolutionäre aus dem „Arabischen Frühling“ in Ägypten und Tunesien gemeinsam mit Revolutionären aus Deutschland auf der Bühne waren. Oder als der Solidaritätspakt zwischen der ICOR und dem kurdischen Befreiungskampf am Sonntag seinen musikalischen Widerklang fand in einer Kooperation der bekannten kurdischen Musikgruppe Koma Berxwedan und der rebellischen Band Gehörwäsche. Das ganze Festival mit seinen 1 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war durchdrungen von einer revolutionären und internationalistischen Atmosphäre.
Die Genossinnen und Genossen der MLPD haben dieses Festival aktiv unterstützt, engagiert ihr Know-how und ihre proletarische Disziplin und Einsatzbereitschaft in die Selbstorganisation des Festivals eingebracht. Ohne sie wäre es in dieser Qualität sicher nicht möglich gewesen!
Der Jugendverband REBELL hat sich mit diesen Aktivitäten einen Namen gemacht und wird für immer mehr Jugendliche zu einer Orientierung. Es ist erfreulich, dass sich eine ganze Reihe Jugendlicher – zum Teil gleich als ganze Clique – im REBELL organisiert hat. Das zeigt, welche Anziehungskraft heute revolutionäre und marxistisch-leninistische Positionen auf Jugendliche, insbesondere junge Flüchtlinge, entfalten können!
Das Sommercamp des REBELL wird der nächste Höhepunkt, mit dem wir diese Arbeit weiterentwickeln und erproben müssen. Ich verspreche mir dabei deutliche Fortschritte zur Verwirklichung der marxistisch-leninistischen Jugendarbeit als Massentaktik unseres Parteiaufbaus.
Die MLPD hat in ihrer Parteitagsvorbereitung die These begründet, dass sich zahlreiche neuimperialistische Länder herausbilden. Wie ist der Stand der Diskussion? Wie wurde das an der Basis aufgenommen?
An der Basis der MLPD ist diese These weitgehend vereinheitlicht. Natürlich müssen darüber noch weitere Analysen gemacht werden. In der internationalen marxistisch-leninistischen Arbeiterbewegung dagegen wird diese These bisher erst von einigen wenigen Organisationen geteilt.
Wir gehen davon aus, dass die Umwandlung ehemals neokolonial abhängiger Länder in neuimperialistische Länder eine neue Erscheinung des imperialistischen Weltsystems im Rahmen der Neuorganisation der internationalen Produktion darstellt. Ohne diese Einschätzung kann man heute weder die verschiedenen Kriegsherde wie im Irak oder in Syrien, die zunehmende ökologische Krise noch den Verlauf der Weltwirtschafts- und Finanzkrise 2008–2014 erklären.
Die neuimperialistischen Länder bildeten sich rasant heraus, als das internationale Finanzkapital seit der Jahrtausendwende seine Investitionspolitik änderte. Es flutete beschleunigt vor allem bevölkerungsreiche neokolonial abhängige Länder mit gigantischen Kapitalexporten. Mit der Privatisierung staatlicher Einrichtungen und Betriebe und der beschleunigten Umwandlung der bäuerlichen Landwirtschaft in industrielle Produktion entstanden dort aus der nationalen Großbourgeoisie private und nationale Monopole. Mit der Monopolbildung und der Bildung staatsmonopolistischer Strukturen beginnt die Umwandlung zu neuimperialistischen Ländern. Das betrifft vor allem Länder der sogenannten BRICS- und MIST-Länder1, aber auch Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate. Insbesondere aus den sogenannten BRICS- und MIST-Ländern stiegen sogar einige große Monopole in das allein herrschende internationale Finanzkapital auf. Die Zahl der Übermonopole aus den BRICS- und MIST-Ländern im Kreis der 500 mächtigsten Monopole der Welt vervierfachte sich, von 32 im Jahr 2000 auf 140 im Jahr 2014.2 Den größten Schub zur Herausbildung neuimperialistischer Länder gab es in der Weltwirtschafts- und Finanzkrise 2008–2014; als das allein herrschende internationale Finanzkapital diese Länder mit überschüssigem Kapital in gigantischem Umfang flutete, um sich selbst aus der Krise herauszumanövrieren und auf diese Weise das Problem der chronischen Überakkumulation von Kapital zu lösen. Der Anteil der BRICS- und MIST-Länder an der weltweiten industriellen Wertschöpfung verdoppelte sich von 17 Prozent im Jahr 2000 auf 34,9 Prozent im Jahr 2014.3 Schon der G20-Gipfel am 15./16. November 2008, der erste unmittelbar nach Beginn der Weltwirtschafts- und Finanzkrise, musste dem Rechnung tragen. Neben den alten größeren imperialistischen Mächten saßen die Regierungs- und Staatschefs aus China, Indien, Brasilien, der Türkei, Saudi-Arabien, Mexiko, Südkorea, Indonesien, Argentinien und Südafrika mit am Tisch. Sie waren aufgestiegen in den Kreis der Vertreter des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals und der führenden imperialistischen Mächte.
Wie gesagt ist um diese Einschätzung der MLPD vor allem international eine Debatte entbrannt. So wird gegen den neuimperialistischen Charakter z. B. der Türkei eingewandt, dort würde es „keine unabhängigen Monopole“ geben. Diese seien in den Händen von ausländischem Kapital, und der türkische Staat könne „politisch nicht unabhängig agieren.“ Auch die im DAX aufgelisteten größten Monopole Deutschlands befanden sich bereits 2014 zu 56 Prozent4 in den Händen ausländischen Finanzkapitals.
Dennoch würde niemand ernsthaft behaupten, dass Deutschland kein imperialistisches Land sei! Politisch kann heute kein imperialistisches Land, nicht einmal die verbliebene Supermacht USA, absolut „eigenständig“, ohne imperialistische Bündnispartner agieren. Die heutige Realität des Imperialismus ist viel komplexer geworden und passt nicht ins Konzept dogmatischer Antworten.
Ein weiterer Einwand ist, dass Länder wie Katar oder Saudi-Arabien „kaum eine eigene fortgeschrittene Produktionsbasis“ hätten. Es ist tatsächlich typisch für das allein herrschende internationale Finanzkapital, seine Maximalprofite nicht in erster Linie aus seiner eigenen nationalen Produktionsbasis zu schöpfen, sondern aus seinen internationalen Beteiligungen und seinen Tochtergesellschaften. Katar ist zu 17 Prozent an VW beteiligt und ist damit zweifellos Eigentümer an Monopolkapital. Wie anders sollte man einen Monopolkapitalisten definieren? Der saudi-arabische Ölkonzern Aramco ist mit etwa 400 Milliarden US-Dollar Umsatz im Jahr 2013 bereits zu einem der sechs mächtigsten Übermonopole der Welt aufgestiegen. Saudi-Arabien drängt nun mit Aramco und dessen geschätztem Wert von zwei Billionen US-Dollar auf den größten Börsengang der Geschichte.
Das Besondere an einigen dieser Länder ist, dass sie eine feudale politische Struktur haben. Aber das ist nicht entscheidend für ihren imperialistischen Charakter. Das galt auch für das imperialistische Russland zur Zeit der Zaren. Auch dort hatten wir es mit einem feudalen, zaristischen Überbau zu tun, aber die ökonomische Basis des Imperialismus war durch die Monopolbildung in Industrie und Handel bereits so fortgeschritten, dass der Zarismus auf eine internationale Expansion drängte.
Die neuimperialistischen Länder verfolgen zum Teil aggressiv eigenständige expansionistische Interessen. Sie stehen an der Spitze einer aggressiven Aufrüstung der Militärapparate. Die Armee Indiens hat mit etwa 1,3 Millionen Soldaten inzwischen die Stärke der größten NATO-Armee USA. Die Truppenstärke von China beträgt circa 2,3 Millionen, die der Türkei etwa 830 000, die von Südkorea 687 000.5
Mit Chauvinismus und Nationalismus rechtfertigen die neuimperialistischen Länder ihre imperialistischen Ansprüche. Es greift zu kurz, ihre Regierungen und Machthaber wie Narendra Modi in Indien, Dilma Rousseff in Brasilien, Jacob Zuma in Südafrika oder Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei als „autokratische Marionetten der USA“ darzustellen. Oft ultrareaktionär oder faschistoid, repräsentieren sie genau den Typ Regierung, den neuimperialistische Länder zur Durchsetzung ihrer Machtansprüche im In- und Ausland brauchen.
Die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur wird von den neuimperialistischen Ländern aggressiv vorangetrieben. Geschützt durch den Nimbus, angeblich „Entwicklungsländer“ zu sein, haben China, Indien, Südkorea, Iran, Saudi-Arabien, Indonesien, Brasilien, Mexiko, Südafrika und die Türkei den Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen von 29,5 Prozent im Jahr 2000 auf 45,3 Prozent im Jahr 2013 hochgetrieben.6
Wir wissen aus der Geschichte, dass neue imperialistische Länder immer weltpolitische Veränderungen vorbereiteten. Immerhin zettelte der Ende des 19. Jahrhunderts neu entstandene deutsche Imperialismus zwei Weltkriege an. Die heutige Multipolarität des Imperialismus verschärft die allgemeine Kriegsgefahr. Die Lösung des Syrien-Konflikts scheitert bisher an den unterschiedlichsten imperialistischen Machtinteressen der verschiedensten Beteiligten. Da reicht es nicht, wenn sich Russland und die USA einigen. Die neuimperialistischen Länder Türkei, Saudi-Arabien, Katar oder Iran sind dabei aggressive Kriegstreiber und bedienen sich zum Ausbau ihrer regionalen Vormachtstellung im Nahen und Mittleren Osten islamistisch-faschistischer Söldner. Mit dem Aufkommen neuer imperialistischer Länder verschwinden die klassischen imperialistischen Mächte natürlich nicht von der Bildfläche. So verschärft sich die zwischenimperialistische Konkurrenz in einer wachsenden Zahl von Brennpunkten zu einer allgemeinen Kriegsgefahr.
Die richtige Qualifizierung des Charakters der jeweiligen Staaten ist von grundsätzlicher Bedeutung für die jeweilige proletarische Strategie und Taktik der internationalen sozialistischen Revolution. Bei aller Destruktivkraft, die diese weltweite imperialistische Tendenz hervorbringt: Durch das An- und Zusammenwachsen des internationalen Industrieproletariats und das Aufbegehren immer breiterer Schichten der Massen gegen den Imperialismus werden zugleich die Kräfte der internationalen sozialistischen Revolution erweitert.
Die MLPD bereitet derzeit ihren X. Parteitag vor. Ist dafür angesichts der vielen Aufgaben überhaupt Zeit?
Der Kampf darum, die neue gesellschaftliche Rolle der MLPD einzunehmen, ist undenkbar ohne den Bewusstseinsschub, den wir uns mit dem X. Parteitag erkämpfen. Die letzten Monate der Parteitagsvorbereitung waren vor allem durch eine große ideologisch-politische Initiative unserer Parteibasis geprägt. So gingen von der Basis fast 3 100 Anträge zu den Entwürfen des Zentralkomitees zum Rechenschaftsbericht und zur Überarbeitung des Parteiprogramms ein. Jedes Mitglied hatte über seine Gruppe und den Delegiertentag am Ort die Möglichkeit, sich in diesen Erkenntnisfortschritt einzubringen. Dabei erkämpfte sich die Partei immer feinere, dialektische Qualifizierungen neuer Erscheinungen und wesentlicher Veränderungen in der Gesellschaft und im Bewusstsein der Massen. Außerdem schafft sie mit vielen Anträgen oder der Vorbereitung von Redebeiträgen ein immer differenzierteres und allseitigeres Bild, wie unser System der Kleinarbeit und der Leitungstätigkeit heute arbeiten muss. Ohne all dies wäre undenkbar, dass sich die MLPD in der gesellschaftlichen Polarisierung so klar positionieren und ihre führende Rolle einnehmen kann. Dieser Prozess straft auch den modernen Antikommunismus Lügen, der den demokratischen Zentralismus als bürokratisches, administratives Monstrum von oben nach unten umdeutet. Dieser Prozess ist nicht zu vergleichen damit, wie solche Parteitage in bürgerlichen Parteien ablaufen. Die MLPD zeichnet sich durch eine große Initiative, selbständiges Denken, eine erkämpfte Geschlossenheit und Überzeugung aus. Besonders erfreulich ist, dass trotz der intensiven ideologisch-politischen Arbeit an der Basis die Partei keinerlei Abstriche an ihrer praktischen Verantwortung im Klassenkampf gemacht hat – im Gegenteil! Die MLPD hat weiter an Einfluss und neue Bündnispartner gewonnen und auch verschiedentlich die relative Isolierung durchbrechen können. All das drückt sich in einer positiven Mitgliederentwicklung aus und auch in unseren finanzpolitischen Erfolgen. Projekte wie das Gesundheitszentrum in Kobanê und das „Haus der Solidarität“ wurden wesentlich aus der Massenarbeit finanziert – und gleichzeitig gelang die finanzielle Stärkung der MLPD. Allein 2015 sammelten die MLPD und ihr Jugendverband REBELL Klein- und Einzelspenden in Höhe von 1,8 Millionen Euro für die verschiedenen Seiten der Arbeit!
Wie hat sich die Kritik-Selbstkritik-Kampagne zum X. Parteitag bis jetzt entwickelt?
In der ersten Phase der Parteitagsvorbereitung hat das Zentralkomitee den Rechenschaftsberichtsentwurf und den Entwurf für das überarbeitete Parteiprogramm ausgearbeitet. In einer zweiten Phase von acht Monaten hat sich die Basis mit diesen Dokumenten befasst und ihre Anträge dazu formuliert, ihre Delegierten gewählt sowie Kandidatinnen und Kandidaten für die zentralen Gremien vorgeschlagen.
Die jetzige dritte Phase der Parteitagsvorbereitung dient vor allem der unmittelbaren Vorbereitung des Parteitags durch die zentralen Gremien und die gewählten Delegierten. Sie ist eine Phase, in der Entscheidungen und die ideologisch-politische Vertiefung der aufgekommenen Fragen eine besondere Bedeutung haben. Dazu gehört, die Diskussion an der Basis auszuwerten und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Selbstverständlicher Bestandteil der Parteitagsvorbereitung ist die Arbeit der ganzen Partei in der Fortführung unserer Kritik-Selbstkritik-Kampagne als Kampf um die neue gesellschaftliche Rolle der MLPD.
Als einen wichtigen ideologisch-politischen Erkenntnisfortschritt hat sich die Partei in den letzten Wochen und Monaten ein tieferes Verständnis des dialektischen Zusammenhangs zwischen objektivem und subjektivem Faktor erarbeitet. In der Vergangenheit trat öfter die Tendenz auf, diese beiden Faktoren des Klassenkampfs nebeneinanderzustellen und ihren grundlegenden Zusammenhang nicht zu verstehen. Die objektive Seite des Klassenkampfs bildet die entscheidende Grundlage für die subjektive Entwicklung. Zugleich ist subjektive Entwicklung davon abhängig, dass die objektive Entwicklung bewusst verarbeitet und begriffen wird – und die richtigen Schlüsse gezogen werden.
So war im letzten Jahr die Grundlage unserer erfolgreichen proletarischen Flüchtlingspolitik, dass wir begriffen haben, dass die bürgerliche Flüchtlingspolitik in einer tiefen Krise steckt und zugleich mit den Flüchtlingsströmen nach Europa ein neues Potenzial für die Revolutionierung der Massen entstanden ist. Mit diesem Erkenntnis- und Arbeitsfortschritt haben wir begonnen, in eine neue gesellschaftliche Rolle hineinzuwachsen und konnten uns entschieden stärken. Das wiederum nimmt auch Einfluss auf den objektiven Faktor.
Dieser Erkenntnisfortschritt über die Einheit von objektivem und subjektivem Faktor wird künftig noch bedeutender werden. Weil die krisenhafte Entwicklung des Imperialismus immer neue Situationen schafft, in denen die Massen nicht mehr in der alten Weise leben wollen und die Herrschenden nicht mehr in der alten Weise herrschen können. In solchen Situationen muss die revolutionäre Partei als Vorhut in der Lage sein, die neuen Entwicklungen exakt zu qualifizieren und eine richtige Strategie und Taktik und Aufgabenstellung zu erarbeiten.
Ihr sprecht von einer weltanschaulichen Offensive. Was hat es damit auf sich?
Die allgemeine Krisenhaftigkeit des Kapitalismus verstärkt die Suche nach einer gesellschaftlichen Alternative und fördert die Offenheit für den echten Sozialismus. Die Leute werden politischer und stellen Fragen nach Hintergründen, Zusammenhängen und grundsätzlichen Lösungen.
Solche Antworten können sie von den bürgerlichen Parteien nicht bekommen. Im Gegenteil, immer mehr Menschen wenden sich von ihnen ab. Etwa ein Drittel der Wähler hat in aktuellen Umfragen erklärt, dass sie nicht wissen, wen sie überhaupt noch wählen sollen.
Das Zentralkomitee hat festgestellt, dass wir noch ungenügend auf die dazu notwendige weltanschauliche Offensive eingestellt sind. Dabei gibt es bereits eine ganze Reihe von hervorragenden Initiativen und Mitteln dafür: Der Schatz unserer marxistisch-leninistischen Literatur, Filme oder auch unser neues „Rote Fahne“-Magazin. Die MLPD beteiligte sich auch an Gedenkveranstaltungen für revolutionäre Aufstände wie den der Roten Ruhrarmee 1920. Aber auch gemeinsame Feiern, zu Geburtstagen oder Jubiläen, auch würdige Gedenkfeiern werden immer mehr zu wichtigen weltanschaulichen Ereignissen. Trotzdem gibt es noch eine Geringschätzung der weltanschaulichen Arbeit.
Um Lebensentscheidungen für ein revolutionäres Leben zu treffen, um sich dauerhaft zu organisieren, müssen die tiefergehenden weltanschaulichen Fragen geklärt werden, kurzum: Man muss wirklich überzeugt sein! Dabei steht nach wie vor das Fertigwerden mit dem modernen Antikommunismus im Zentrum. Die Filme der MLPD über die Klassiker des Marxismus-Leninismus, die bisher zur „Heiligen Hetzjagd gegen den Kommunismus“ und über „Karl Marx“ herausgegeben wurden, haben in dieser Situation eine wichtige Bedeutung. Die bisherigen Veranstaltungen dazu regten die Besucher ungemein an, sich dazu grundlegendere Gedanken zu machen.
Die weltanschauliche Offensive muss aber vor allem alle Aufgaben und die Alltagsarbeit durchdringen. Um die Partei dafür weiter theoretisch zu wappnen, arbeitet das Zentralkomitee an der neuen Ausgabe der Reihe REVOLUTIONÄRER WEG mit dem Titel: „Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise“. Wie Karl Marx so schön sagte, „stürzt mit der Einsicht in den Zusammenhang, vor dem praktischen Zusammensturz, aller theoretische Glauben in die permanente Notwendigkeit der bestehenden Zustände.7“ Dieses Buch wird ein weltanschauliches Vorgefecht für einen neuen Aufschwung im Kampf um den echten Sozialismus werden. Die Arbeit an diesem Buch geht damit einher, unser Verständnis der Verbreitung und Verankerung der proletarischen Ideologie und der Lehre von der Denkweise weiterzuentwickeln.
Außerdem haben wir ein Buch mit dem Titel „Biografische Betrachtungen der MLPD über die Rolle von Stalin“ in Angriff genommen. Dabei geht es nicht um eine weitere Stalin-Biografie, sondern um den Kampf um die Denkweise in den wichtigsten Fragen der internationalen revolutionären und Arbeiterbewegung, die mit der Beurteilung Stalins aufgeworfen werden. Die Grundlinie ist natürlich, dass wir Stalins Lebenswerk verteidigen gegen alle Angriffe des modernen Antikommunismus. Zugleich müssen wir allerdings aus Errungenschaften sowie Fehlern Stalins lernen, was auch eine kritische Betrachtung einschließt.
Wir versprechen uns von diesem Buch, dass auch neuere Erkenntnisse aus teilweise geöffneten Archiven in diese Betrachtungen einfließen und gerade jüngere Genossen weltanschaulich dazulernen. Die zuletzt zentrale Arbeit auf diesem Gebiet war auch die Überarbeitung des Parteiprogramms. Es ging dabei nicht um das Schreiben eines neuen Programms, sondern darum, den Erkenntnisfortschritt bewusst einzubringen, den die Partei seit der Überarbeitung des letzten Parteiprogramms in den 1990er-Jahren gemacht hat. Diese Tätigkeit war zugleich eine wichtige ideologisch-politische Schulung für die ganze Partei und machte uns deutlich, dass mit dem Parteiprogramm künftig viel mehr gearbeitet werden muss. Das Zentralkomitee schlägt deshalb vor, mit diesem Programm künftig in einer höheren und preisgünstigeren Auflage verstärkt zu arbeiten und es auch offensiv bei den Bundestagswahlen 2017 einzusetzen.
Die 2. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen in Kathmandu/Nepal musste gegen zahlreiche Hindernisse erkämpft werden. Wie hat sie aus deiner Sicht ihre Ziele erreicht?
Die 2. Weltfrauenkonferenz verkörpert einen Meilenstein in der neuen Qualität des proletarischen Internationalismus. Ihr Erfolg beruht vor allem auf dem Schulterschluss der ICOR und ihren in der internationalen Frauenbewegung anerkannten Repräsentantinnen mit den vielfältigsten Führerinnen, Bewegungen und Organisationen der weltweiten kämpferischen Frauenbewegung. Diese „Achse“ hat wesentlich dazu beigetragen, dass inzwischen 61 Länder in den Weltfrauenprozess einbezogen sind. Mit Recht sprechen die Frauen von einer Bewegung „der Weltfrauen“, mit festen Wurzeln in den relevanten Bewegungen und Organisationen der Basisfrauen.
Eine wichtige Grundlage des Erfolgs der Konferenz war, dass sich in Nepal neun Frauenorganisationen von verschiedenen fortschrittlichen, revolutionären und marxistisch-leninistischen Parteien zur United Women’s Alliance (UWA) zusammenschlossen, um das Welttreffen gemeinsam vorzubereiten. Vor dem Hintergrund der großen Zersplitterung der revolutionären Organisationen in Nepal ist das ein bedeutender Sieg – ein Signal, dass sie überwunden werden kann! Die Weltfrauenkonferenz konnte, gestützt auf eine breite kämpferische Frauenbewegung in Nepal und unter der Masse der Frauen, vorbereitet werden. Das war ein wesentlicher Fortschritt gegenüber der schon erfolgreichen 1. Konferenz in Caracas 2011. Die Weltfrauenkonferenz ist ein wirklich erkämpfter Erfolg, trotz des schrecklichen Erdbebens und gegen die Handelsblockade gegen Nepal durch die reaktionäre indische Modi-Regierung.
Die auf der Weltfrauenkonferenz sichtbare internationale Organisiertheit gilt es auszubauen – und die Diskrepanz zu überwinden, dass die Frauenorganisationen in Deutschland noch nicht entsprechend an Stärke gewinnen konnten. Wir können heute davon ausgehen, dass die Trümpfe der gefestigten Arbeit der kämpferischen Frauenbewegung in Deutschland auf ein auf breiter Front erwachendes Frauenbewusstseins treffen.
Die kämpferische Frauenbewegung in Deutschland bezog unmissverständlich Stellung gegen Rassismus und Sexismus, angesichts der Stimmungsmache der Regierung gegen Flüchtlinge nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht. Mit 14 000 Frauen nahmen deutlich mehr an kämpferischen, internationalistischen Kundgebungen und Demonstrationen zum Internationalen Frauentag am 8. März 2016 teil.
Die Rote Fahne hat sich ja in der letzten Zeit – besonders in einer Ausgabe – mit dem Phänomen El Niño8 befasst. Welche Bedeutung hat das für die Beurteilung der Entwicklung der Umweltkatastrophe?
Das etwa alle zwei bis sieben Jahre auftretende El-Niño-Phänomen ist eine natürliche Schwankung in der Wechselwirkung der Zirkulationssysteme von Atmosphäre und Pazifik. Zugleich ändern sich durch die Erderwärmung, als einem Ausdruck des beschleunigten Umschlags in eine globale Umweltkatastrophe, die Meeresströmungen und Zugbahnen der Winde. Das verstärkt den El Niño, und dieser wirkt wiederum verstärkend auf die globale Umweltkrise zurück. Das hat gewaltige Auswirkungen in fast allen Teilen der Welt. Die seit 30 Jahren schlimmste Hungerkatastrophe in Ostafrika wurde dadurch hervorgerufen. Die weltweite Korallenbleiche, eine Rekorderwärmung der Meere, die rasch fortschreitende Polareisschmelze usw. wurden beschleunigt. Auch der bisher stärkste Hurrikan Patricia, an der Westküste Mexikos im Oktober 2015, bildete sich vor diesem Hintergrund. 2015 ist erneut das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Geschwindigkeit der Erhöhung der Treibhausgasemissionen überschreitet die der natürlichen Veränderungen der letzten 66 Millionen Jahre um das 10-Fache. Dadurch entsteht ein erdgeschichtlich einmaliger Zustand.
Allein aus Bangladesh werden in den nächsten 10 Jahren 20 Millionen Menschen aus Umweltgründen flüchten müssen. Die MLPD liegt also genau richtig mit ihrer Analyse im Buch „Katastrophenalarm! Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur?“ Dass nämlich zur Rettung der Umwelt der Kampf gegen die Profitwirtschaft geführt werden muss.
Du wirst am 1. Juli 2016 aus der ICOR-Verantwortung als internationaler Hauptkoordinator ausscheiden. Welche Bilanz kannst du ziehen?
Ich habe Zeit meines Lebens eine Funktion nur dann übernommen, wenn ich sie auch in der nötigen Qualität und im nötigen Umfang bewerkstelligen konnte. Ich habe zwar keine akuten Krankheiten, bin aber gesundheitlich inzwischen so eingeschränkt, dass ich verschiedene Aufgaben abgeben muss. Deshalb habe ich letztes Jahr das Zentralkomitee der MLPD gebeten, mich von dieser Aufgabe zu entbinden und entsprechend den ICOR-Statuten eine Nachfolge vorzuschlagen. Das Zentralkomitee beschloss dann, für diese Hauptkoordination der ICOR Monika Gärtner-Engel zu benennen, die dafür hervorragende Voraussetzungen mitbringt. Das Internationale Koordinierungskomitee (ICC) der ICOR hat meine Entscheidung respektiert und begrüßte einstimmig die Entscheidung der MLPD. Wir haben mittlerweile Dutzende Briefe aus dem In- und Ausland bekommen, die die bisherige Arbeit würdigen und diese Veränderung vor allem als Anlass sehen, selbst mehr Verantwortung zu übernehmen.
Ich scheide aus dieser Funktion aus mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Auf der einen Seite habe ich nun neun Jahre an führender Stelle persönlich am Aufbau der ICOR gearbeitet. Ich hatte die Idee dazu entwickelt, intensiv Parteien und Organisationen dafür mobilisiert und auch in den letzten sechs Jahren in meiner Arbeit als internationaler Hauptkoordinator einen vertrauensbildenden Stil geprägt. Gleichzeitig ist der ICOR-Aufbau inzwischen fest genug, dass er nicht unbedingt auf meine persönliche Mitarbeit an führender Stelle angewiesen ist. Die ICOR verfügt inzwischen über 49 Mitgliedsparteien und -organisationen aus 39 Ländern.
Seit Anfang dieses Jahres konnte die ICOR aus Togo und Ägypten zwei neue Mitgliedsorganisationen begrüßen. Das Treffen des ICC im Januar stellte eine neue gesellschaftliche Relevanz der ICOR fest. Ein Grundgedanke ihrer Gründung war, dass nie wieder ein Befreiungskampf aufgrund mangelnder internationaler Solidarität eine Niederlage erleiden darf. Der Solidaritätspakt mit dem kurdischen Befreiungskampf war die bisher erfolgreichste Nagelprobe dafür – die ICOR hat sie mit Bravour gemeistert. Das hat nicht nur verhindert, dass der kurdische Befreiungskampf isoliert werden konnte. Immer mehr kurdische Genossinnen und Genossen sehen ihren Platz im Denken, Fühlen und Handeln an der Seite der internationalen revolutionären und Arbeiterbewegung. Das gewachsene internationale Vertrauen und die Verbrüderung sind ein hohes Gut. Sie ermöglichen auch, die Diskussion über strittige ideologisch-politische Fragen solidarisch weiterführen zu können. Das ist ein großer Fortschritt, wenn man bedenkt, dass die ICOR revolutionäre Parteien und Organisationen mit sehr unterschiedlicher Geschichte und Bedingungen vereint. Das Treffen stellte aber auch fest, dass die wachsende weltpolitische Rolle der ICOR im Widerspruch dazu steht, dass die kontinentalen Strukturen noch nicht die notwendige Handlungsfähigkeit haben, die heute, vor allem aber in Zukunft, notwendig ist. Die neue Stufe des proletarischen Internationalismus misst sich vor allem an der realen praktischen Koordinierung und Kooperation in Parteiaufbau und Klassenkampf. Das muss heute vor allem kontinental und regional organisiert werden.
Die ICOR hatte im letzten Jahr einen Aufschwung. Welche Aufgaben hat sie sich vorgenommen?
Das ICC der ICOR fasste eine Reihe zukunftsweisender Beschlüsse, so zu einer Kampagne zu 100 Jahren Oktoberrevolution oder zum Aufbau der „Freunde der ICOR“. Das Jahr 2017 steht im Zeichen der Kampagne „100 Jahre Oktoberrevolution“. Es geht darum, der Revolution zu gedenken, „die nicht nur Russland, sondern die Welt verändert hat. … Die ICOR wird die Sozialistische Oktoberrevolution gemäß ihrer Universalität und Aktualität würdigen …“
Die Kampagne geht vom 1. Januar bis zum 7. November 2017. Sie wird angesichts des gewachsenen Potenzials einer revolutionären Weltkrise ein weltweit unübersehbares Signal setzen für den Aufschwung der internationalen revolutionären und marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung und die Notwendigkeit revolutionärer Parteien. Im Mittelpunkt der Aktivitäten steht die Verankerung der ICOR und die Organisierung und finanzielle Stärkung ihrer Mitgliedsorganisationen. In Deutschland wollen wir 750 000 Euro Spenden sammeln, wovon zehn Prozent an die ICOR gehen. Außerdem geht es darum, in einer zu erwartenden Massendiskussion über diesen Jahrestag die Meinungsführerschaft im Kampf um die sozialistische Perspektive zu erobern.
Dazu wird im Oktober in Deutschland ein internationales theoretisches Seminar zu den Lehren aus der Oktoberevolution stattfinden, dem sich eine öffentliche kulturelle Großveranstaltung anschließt. ICOR-Delegationen aller Kontinente beteiligen sich an den traditionellen Feierlichkeiten in St. Petersburg am 7. November mit einer Demonstration zum 100. Jahrestag.
Das ICC legte den ICOR-Organisationen auch den Vorschlag vor, „Freunde der ICOR“ aufzubauen. Die ICOR ist bekanntlich eine Mitgliedsorganisation von revolutionären Parteien und Organisationen. Gleichzeitig nimmt das Interesse von Gruppen und Einzelpersonen an der ICOR zu, die nicht Mitgliedsorganisationen der ICOR angehören. Das ist nicht selten verbunden mit Fragen, wie man die ICOR unterstützen kann, ohne Mitglied einer ICOR-Partei zu sein. In Ländern, die bislang keine ICOR-Organisationen haben, wird es so möglich, dass die ICOR in Erscheinung tritt und die Freunde der ICOR zur Keimzelle neuer revolutionärer Parteien werden. Dort, wo es ICOR-Organisationen wie die MLPD in Deutschland gibt, können die „Freunde der ICOR“ eine wichtige Unterstützungsarbeit leisten.
Die ICOR wurde in den letzten Jahren auch wesentliche Garantin und Impulsgeberin für wichtige überparteiliche Zusammenschlüsse. Nach der Weltbauernkonferenz im Juni 2016 in Nepal findet im Februar 2017 die zweite Internationale Bergarbeiterkonferenz in Indien statt. Sie wird ein Kampfprogramm der weltweiten kämpferischen Bergarbeiterbewegung beschließen. Die internationale Bergarbeiterbewegung ist Vorreiterin darin, den Kampf für die Arbeitsplätze mit dem Kampf zur Rettung der natürlichen Umwelt zu verbinden.
Was hat sich die MLPD vorgenommen?
Bereits in diesem und dann vor allem im Jahr 2017 wird die Offensive für den echten Sozialismus und gegen den modernen Antikommunismus im Zusammenhang mit der Beteiligung an der Bundestagswahl eine besondere Rolle einnehmen. Es gilt, die politisierte Stimmung unter der Bevölkerung zu nutzen und die in den letzten Jahren erarbeiteten Fortschritte zum Tragen zu bringen. So hat sich jetzt bereits ein Bündnis fortschrittlicher, kämpferischer und revolutionärer Kräfte gebildet, das eine engere Zusammenarbeit auch in Bezug auf die Bundestagswahlen 2017 vorbereitet. Es geht darum, dass sich die revolutionäre, internationalistische und radikale Linke zusammenschließt und einen klaren revolutionären Pol im Gegensatz zu den ultrareaktionären, bürgerlichen Parteien bildet. Die Linkspartei ist zu einer wirklichen Polarisierung gegenüber dem Rechtsruck der Regierung nicht in der Lage, weil sie selbst mit einer Regierungsbeteiligung liebäugelt. Das Bündnis bezieht sich auch auf die örtliche Zusammenarbeit, die bisher oft noch sporadisch zu einzelnen Aktivitäten stattfindet. In diesem Sinne soll unsere bisherige Methode der Wählerinitiativen erweitert werden zu Bündnistreffen mit allen Kräften der revolutionären Linken, der fortschrittlichen Migrantenorganisationen und von Einzelpersonen, die daran mitarbeiten wollen. Wir erhoffen uns durch diesen Zusammenschluss eine deutliche Stärkung der revolutionären Potenziale in Deutschland.
Eine weitere bedeutende Aufgabenstellung der nächsten Jahre wird sein, den Generationswechsel in der MLPD voranzutreiben. Das gilt für alle Ebenen unserer Partei, die diesen durch eine intensive Ausbildungs- und Schulungsarbeit betreiben müssen. Das muss damit einhergehen, mutig jüngere Genossinnen und Genossen in neuen Aufgaben zu fördern. Es gilt besonders, alle Genossinnen und Genossen zu fördern, die in der gesellschaftlichen Polarisierung der letzten Monate über sich hinausgewachsen sind, sich an die Spitze komplizierter Auseinandersetzungen und Kämpfe gestellt, mutig Rückgrat bewiesen und mit großem Einsatz unsere revolutionäre Kleinarbeit geleistet haben.
Vielen Dank!
1 BRICS: Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika; MIST: Mexiko, Indonesien, Südkorea, Türkei, 2 Fortune Global 500 – eigene Berechnung GSA e. V., 3 Weltbank, World Development Indicators Zahlen zur „industriellen Wertschöpfung“ – eigene Berechnung GSA e. V., 4 Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft www.ey.com/de, 5 NATO Press Release 10.03.2011 und 22.06.2015 und Österreichisches Bundesheer www.bundesheer.at, 6 IEA; www.globalcarbonatlas.org, 7 Marx/Engels, Werke, Bd. 32, S. 553 f., 8 Magazin 5/2016