Klimagipfel im „Ausnahmezustand“
Erstmals soll eine Weltklimakonferenz der UNO unter den Bedingungen des „Ausnahmezustands“ stattfinden
Während weltweit immer noch Entsetzen über die zahlreichen Opfer des brutalen Massakers faschistischer IS-Schergen in Paris herrscht und die Menschen trauern, hat die französische Regierung unter dem Vorwand der „Sicherheitslage“ auch sämtliche Demonstrationen, Konzerte und Feiern rund um die Klimakonferenz verboten. Eine solch weitgehende Einschränkung …
… der bürgerlich-demokratischen Rechte und Freiheiten hat es in der Geschichte der Weltklimakonferenz noch nicht gegeben. Dabei bereiten Hunderttausende Menschen in zahlreichen Ländern seit Monaten Massenaktionen in Paris vor. Bis zu 300.000 wollen an der Auftaktdemonstration teilnehmen. Es ist dringend notwendig, dass die Demonstrationsverbote und der von der Regierung verfügte „Ausnahmezustand“ aufgehoben werden.
Findet die Weltklimakonferenz doch in einem tatsächlichen, weltweiten „Ausnahmezustand“ statt: inmitten des beschleunigten Übergangs zu einer globalen Klima- und Umweltkatastrophe, die die gesamte Menschheit zu vernichten droht.
20 gescheiterte Klimakonferenzen seit 1995 unterstreichen deutlich die Notwendigkeit eines weltweiten aktiven Massenwiderstands zur Rettung von Umwelt und Weltklima. Nur einmal – 1997 – gelang es aufgrund des weltweiten Drucks, mit dem Kyoto-Abkommen einen Weltklimavertrag auszuhandeln. Schon dieser war jedoch völlig unzureichend. Um 5,2 Prozent sollte bis 2012 der durchschnittliche Ausstoß von Treibhausgasen gegenüber 1990 sinken. Real stieg er bis 2013 um 61 Prozent! Bereits die Weltklimakonferenz in Kopenhagen 2009 wurde zur alles entscheidenden „Schicksalskonferenz“ erklärt – und endete mit einer unverbindlichen Erklärung zur Begrenzung des Anstiegs der weltweiten Durchschnittstemperatur auf zwei Grad Celsius. Ein einziger Offenbarungseid angesichts der dramatischen Entwicklung, die im Buch „Katastrophenalarm!“ so qualifiziert wird: „Die Menschheit befindet sich längst nicht mehr am Beginn eines qualitativen Sprungs, sondern bereits mitten in dem selbstzerstörerischen Prozess der allseitigen Auflösung der Einheit von Mensch und Natur. Die Welt treibt beschleunigt auf eine globale Umweltkatastrophe zu. … Das allein herrschende internationale Finanzkapital ist weder willens noch in der Lage, die tatsächliche Bedrohung allen menschlichen Lebens allseitig zu erfassen und die katastrophale Entwicklung umzukehren. Doch die Massen wollen nicht in einer globalen Umweltkatastrophe untergehen.“ (S. 228)
Was bringt das Zwei-Grad-Ziel?
Mit der am 30. November beginnenden 21. UNO-Weltklimakonferenz soll der Betrug der Herrschenden verfeinert werden. Sie wollen sich nun eine Erderwärmung um mindestens zwei Grad ganz offiziell selbst „genehmigen“. Mit den hierfür vorgesehenen nationalen „Selbstverpflichtungen“1, die bisher von 146 Staaten vorgelegt wurden, käme laut UNO eine Begrenzung der Erderwärmung auf mindestens 2,7 Grad zustande. Allerdings haben auch die „Selbstverpflichtungen“ völlig unverbindlichen Charakter.
Der renommierte Klimaforscher James Hansen kommt in einem mit 17 Koautoren verfassten Artikel vom Juli 20152 zu dem Schluss: In Zeiten der Erdgeschichte, in denen es nur um ein Grad wärmer war als heute, stieg der Meeresspiegel schon um fünf bis neun Meter an. Beobachtungen der letzten 20 Jahre deuten darauf hin, dass sich die Geschwindigkeit dieses Anstiegs inzwischen exponentiell entwickelt. Wenn der Verdoppelung der Schmelzrate alle zehn Jahre keine dämpfenden Faktoren entgegenwirken, würde der Meeresspiegel bereits in den kommenden 50 Jahren um mehrere Meter ansteigen.
Das Zwei-Grad-Ziel wurde schon auf der Weltklimakonferenz von Cancun von den 44 in der „Alliance of Small Island States“ zusammengeschlossenen Inselstaaten empört abgelehnt: Sie würden unweigerlich überflutet. Laut einer Studie der US-Forschungsorganisation „Climate Central“ werden bei einer Erderwärmung um zwei Grad Regionen überflutet, in denen 130 Millionen Menschen leben. Die Menschen von 22 der 50 größten Küstenstädte der Welt – wie New York, London, Mumbai, Schanghai oder Hamburg – würden zur Flucht gezwungen. Verstärkt wird das noch durch das Überschreiten irreversibler Kipppunkte wie beim Abschmelzen des westantarktischen Eisschildes. Das Zwei-Grad-Ziel ist wissenschaftlich unhaltbar und für die Menschheit verheerend!
„Anpassen an den Klimawandel“?
Bestandteil der Beratungen beim Weltklimagipfel soll ein „Weltklimafonds“ für ärmere Länder sein, um ihnen die „Anpassung an den Klimawandel“ zu ermöglichen. Abgesehen davon, dass es meistens bei leeren Zusagen für Geldzahlungen in solche Fonds bleibt, wird eine solche „Anpassung“ weiteren Millionen Menschen die Existenzgrundlage entziehen. Soll etwa Bangladesch mit Geldern aus dem Fonds Dämme um seine gesamte Küste bauen, die dann früher oder später ohnehin nicht mehr ausreichen würden? Schon das verharmlosende Wort „Klimawandel“, das die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen in Kauf nimmt, ist ein Betrug.
Der Vorsitzende der Umweltorganisation BUND, Hubert Weiger, appelliert ausgerechnet an die Bundesregierung: „Jetzt ist die Bundesumweltministerin gefragt. Barbara Hendricks muss sich dafür einsetzen, die viel zu schwachen Klimaziele der EU zu verschärfen.“3 Ausgerechnet eine Regierung soll es richten, die zuletzt das Fracking-Erlaubnis-Gesetz auf den Weg brachte, sich an vorderster Stelle zugunsten der Autokonzerne gegen eine Senkung der Schadstoffnormen stark macht und deren Machenschaften schützt. Seit
Jahrzehnten versuchen kleinbürgerliche Umweltorganisationen wie Greenpeace, „Einfluss auf die Entscheider“ zu nehmen. Die lassen durchaus mit sich reden, binden kleinbürgerliche Umweltverbän-
de und NGOs in ihre Verhandlungen ein und beeinflussen damit vor allem sie im Sinne der angeblichen Vereinbarkeit von kapitalistischer Ökonomie und Ökologie. Abgelenkt werden soll dadurch vom notwendigen aktiven Massenwiderstand gegen die Profitwirtschaft, der allein wirksame Sofortmaßnahmen durchsetzen kann.
Neues Ausmaß regionaler Umweltkatastrophen
Immer dramatischere regionale Umweltkatastrophen richten jetzt schon wachsende Schäden an und sind Vorboten der drohenden globalen Umweltkatastrophe. Am 25. Oktober erreichte der Hurrikan Patricia, der sich im Pazifik gebildet hatte, die Küste von Mexiko. Mit Windgeschwindigkeiten bis zu 400 Kilometern pro Stunde war dies der bisher schwerste durch die Wetteraufzeichnung erfasste Sturm. Nur aufgrund der konkreten geographischen Verhältnisse schwächte er sich an Land rasch ab. Ein im September 2015 veröffentlichter Bericht der UN warnt vor den dramatischen Folgen der weltweiten Zerstörung fruchtbarer Böden, was in den nächsten zehn Jahren zu 50 Millionen zusätzlichen Flüchtlingen führen könnte. In Syrien trat 2007 bis 2010 die schlimmste Dürre seit 100 Jahren auf, die damals bereits 1,5 Millionen Menschen zu Binnenflüchtlingen machte. Das zeigt, wie eng heute Umwelt-, Kriegs- und Weltflüchtlingsfrage zusammenhängen. Sie sind allesamt Ausdruck der tiefen allgemeinen Krisenhaftigkeit des Imperialismus.
Der Widerstand kann sich auch keineswegs auf die drohende Klimakatastrophe beschränken. Die von einem Umkippen der Weltmeere oder nuklearen Katastrophen ausgehenden Gefahren sind nicht weniger bedrohlich für die Existenz der Menschheit.
Eine andere Welt ist möglich – im Sozialismus!
Eine Studie der Stanford-Universität aus dem Jahr 2009 errechnete: Investitionen von etwa sieben Prozent des Weltsozialprodukts pro Jahr in erneuerbare Energien reichen aus, die Energieversorgung weltweit bis 2030 umzustellen. Benötigt werden 3,8 Millionen Windturbinen, 90.000 große Solaranlagen, Fotovoltaik auf allen geeigneten Dächern und Erdwärme-, Wasser- und Gezeitenkraftwerke. Bereits nach zehn Jahren wäre die so erzeugte Energie günstiger als die veranschlagten 5,5 Cent pro Kilowattstunde aus herkömmlichen Kraftwerken4. In ihrem Programm für den Kampf gegen die drohende Umweltkatastrophe fordert die MLPD unter anderem: „Sukzessives und dann vollständiges Ersetzen fossiler Brennstoffe durch regenerative Energien! Energiegewinnung vor allem aus Sonne, Wind, Wasser und Bioabfällen! Senkung der Treibhausgas-Emissionen um 70 bis 90 Prozent bis zum Jahr 2030 und klarer Kurs auf Absenkung des CO2-Gehalts in der Luft auf 350 ppm!“5
Ex-VW-Chef Martin Winterkorn prahlte 2014, dass VW die Brennstoffzellen-Autos technisch voll beherrschte. An ihrer massenhaften Einführung hatte der Konzern aber kein Interesse, weil der notwendige Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur seine Profite empfindlich geschmälert hätte!6 Mehr als 11 Millionen VW-Fahrzeuge stoßen bis zu 40-mal mehr Stickoxide (Nox) aus als die betrügerischen Messergebnisse vortäuschen. Diese manipulierten Diesel-Pkw sind bei durchschnittlich 15.000 Kilometern Jahres-Fahrleistung allein für insgesamt jährlich 41,6 Millionen Tonnen CO2 verantwortlich. Die Stickoxide sind krank machend und krebserregend, und Dieselmotoren sind eng mit dem Feinstaubproblem verbunden. 430.000 Europäer (in Deutschland 47.000) sterben jährlich laut Europäischer Umweltagentur vorzeitig an Feinstaub.7
Dies alles ist den Verantwortlichen in EU-Kommission, Regierung und Kraftfahrtbundesamt seit Jahren bekannt (siehe S. 27). Sie alle sind an Betrügereien des „Vorzeigekonzerns“ VW unmittelbar beteiligt, haben ihn jahrelang gedeckt und alle Kritiken unterdrückt. Er wird von ihnen systematisch geschützt. Das zeigt einmal mehr, wie diese angeblich um die Umwelt so „besorgten“ Spitzenvertreter des herrschenden Systems die mutwillige Zerstörung der Umwelt in Kauf nehmen. Die Lösung der Umweltfrage und der sozialen Frage ist heute identisch geworden und liegt in der revolutionären Überwindung der Diktatur des Finanzkapitals und dem Aufbau vereinigter sozialistischer Staaten der Welt.
ICOR-Umweltkampftag und Weltklimatag am 5. Dezember
Bei ihrer Gründung 2010 hatte die revolutionäre Weltorganisation ICOR vier jährliche Kampftage beschlossen, darunter einen Umweltkampftag, der sich terminlich an dem jährlichen Weltklimatag („Global Action Day“) am mittleren Samstag der Weltklimakonferenzen orientiert. Während sich eine Umweltorganisationen wie BUND, ATTAC und Klimaallianz seit 2011 aus diesem internationalen Protesttag mehr und mehr zurückzogen, prägten MLPD und REBELL, die vor einem Jahr gegründete Umweltgewerkschaft, die Bewegung für „Kreislaufwirtschaft total“ sowie örtliche Initiativen und Ortsverbände von Umweltorganisationen ihn zunehmend mit kämpferischen Aktionen. Die MLPD setzt sich für breite überparteiliche Aktionseinheiten auf antifaschistischer Grundlage ein und führt ihn als einen der internationalen Kampftage der ICOR durch. In diesem Sinn verankert sie auch die Notwendigkeit eines gesellschaftsverändernden Kampfs mit der Perspektive des Sozialismus.
In drei Aktionswochen vor dem Klimagipfel werden MLPD und REBELL das in verschiedene Sprachen übersetzte Buch „Katastrophenalarm! Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur?“ breit vertreiben. Sie werden im Rahmen einer ICOR-Delegation auch an den Pariser Protesten teilnehmen. Die Reaktion der Herrschenden auf die Terroranschläge von Paris zeigt, dass der aktive Widerstand gegen die drohende globale Umweltkatastrophe und der Kampf gegen die Faschisierung des Staatsapparats sowie für das Verbot aller faschistischen Organisationen zusammengehören.
Dr. Günther Bittel, umweltpolitischer Sprecher der MLPD
1 INDC: Intended Nationally Determined Contribution (beabsichtigter zielstrebiger nationaler Beitrag)
2 Hansen et al. Ice melt, sea level rise and superstorms: evidence from paleoclimate data, climate modeling, and modern observations that 2 Hansen et al. Ice melt, sea level rise and superstorms: evidence from paleoclimate data, climate modeling, and modern observations that 2 C global warming is highly dangerous, Atmos. Chem. Phys. Discuss., 15, 20059–20179, 2015
3 http://www.bund.net/nc/presse/pressemitteilungen/detail/artikel/bund-kommentar-anlaesslich-der-veroeffentlichung-des-un-uebersichtsberichts-ueber-die-nationalen-kli/
4 Plan für eine Emissionsfreie Welt bis 2030, Spektrum der Wissenschaft Dezember 2009, S.80 ff.
5 „Katastrophenalarm!“ S. 277
6 „Braunschweiger Zeitung“ 15./16.7.2014
7 „Die Welt“, 4.3.15 www.welt.de/gesundheit/article138055752