Börseneinbruch in China: Spekulation mit wachsenden Risiken

Ab Mitte Juni brachen die chinesischen Börsen kurzzeitig um über 30 Prozent ein. Vorher hatten sich die Kurse ein Jahr lang verdoppelt und verdreifacht.

Die Börsenkapitalisierung stieg auf über 10 Billionen US-Dollar. Der Absturz bedeutet eine vorübergehende Kapitalvernichtung von über 3 Billionen US-Dollar. Zum Vergleich: Bei der Deutschen Börse lag die Börsenkapitalisierung im Juni 2015 gerade bei 1,8 Billionen US-Dollar.1 Der kurzzeitige Abschwung an Chinas Börsen hatte auf die Weltbörsen keinen entscheidenden Einfluss. Es handelte sich im Wesentlichen um eine Korrektur der massiv aufgeblähten Spekulation vor dem Hintergrund der Abschwächung des realen Wirtschaftswachstums in China.

Das Geschehen an den Börsen wird in erster Linie von den großen Händlern der Banken und Versicherungen bestimmt. Als ein Mittel zur Massenbeeinflussung mit der kleinbürgerlichen Denkweise hat die chinesische Regierung die Börsenspekulation auch in breiten Bevölkerungskreisen gefördert. Viele Privatleute haben Aktien auf Kredit gekauft und geraten durch den jüngsten Börsenabschwung in die Klemme.

Um den Kursrutsch einzudämmen, griff die chinesische Regierung zu drastischen Maßnahmen. Über die Hälfte der Aktien wurde vorübergehend vom Kurs ausgesetzt. Die staatliche Finanzierungsagentur China Securities Finance Corporation (CSF) soll über Kreditlinien der staatlichen Großbanken und aus anderen Quellen Mittel in Höhe von bis zu 3 Billionen Yuan (etwa 430 Milliarden Euro) erhalten, um künftig noch wesentlich energischer mit Stützungskäufen am Aktienmarkt anzutreten. Diese Eingriffe haben eine weitere Abwärtsentwicklung gestoppt. Die Kurse stiegen wieder an, liegen jedoch noch weit unter ihrem vorherigen Höchststand.

Der Börsenwert eines Unternehmens ist eine wichtige Größe im internationalen Konkurrenzkampf und spielt auch eine Rolle bei den zunehmenden Fusionen und Übernahmen, die oft über Aktientausch abgewickelt werden. Chinesische Konzerne kaufen immer mehr Unternehmen weltweit auf. Unter den zehn internationalen Übermonopolen mit dem höchsten Börsenwert waren zum Stichtag 31. März 2015 PetroChina mit einem Börsenwert von 330 Milliarden US-Dollar auf Platz 6 und die Industrial & Commercial Bank of China auf Platz 9, zusammen mit sieben US-Konzernen und dem Schweizer Pharmariesen Novartis.2

Das chinesische Statistikamt hat für das erste Halbjahr 2015 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 7,0 Prozent verkündet – bis aufs Komma exakt die Zahl, welche die Regierung sich gewünscht hat. Diese Zahl steht jedoch in einem krassen Widerspruch zu verschiedenen Angaben über die Entwicklung der Industrieproduktion und des Außenhandels. Die Importe sind im April im Vergleich zum Vorjahr um 16,2 Prozent gesunken, im Mai –17,6 Prozent und im Juni –6,1 Prozent. Die Ausfuhren fielen im April um 6,4 Prozent und im Mai um 2,5 Prozent. Im Juni stiegen sie um 2,8 Prozent an.3 Das bedeutet, dass die Nachfrage nach Waren aus China auf dem Weltmarkt abnimmt, vor allem aber die Nachfrage in China selber, die sich auf Konsumgüter und Investitionsgüter verteilt.

Der Absatz des VW-Konzerns in China, seinem größten Markt, ist im ersten Halbjahr zum ersten Mal seit 2005 um 3,9 Prozent gesunken. Insgesamt stieg der Pkw-Absatz in China nur um 2 Prozent, nach einem Anstieg von 9,9 Prozent im Vorjahr. Die Stahlproduktion ist im gesamten ersten Halbjahr gesunken, erste Stahlwerke wurden stillgelegt, Arbeiter entlassen.4

Der Start neuer Bauprojekte ist um 15 Prozent geschrumpft. Dabei hat sich gerade im Bauwesen eine große Spekulationsblase mit Projekten aufgebaut, die über Kredite finanziert werden. So wurden im Rahmen des großen Infrastrukturprojekts „Neue Seidenstraße“ in Neu-Lanzhou Hochhäuser mit Wohnungen für eine Million Menschen gebaut, die jedoch leer stehen.5

Die wachsenden Probleme, die Expansion auf dem Binnenmarkt im gewohnten Tempo fortzusetzen, drängen die chinesischen Übermonopole immer stärker auf den Weltmarkt. Von allen imperialistischen Staaten haben sie den Bestand ihrer Direktinvestitionen im Ausland im Jahr 2014 am stärksten steigern können: um 336 Milliarden US-Dollar, weit vor Japan mit 75 und den USA mit 43 Milliarden US-Dollar. Der Bestand des EU-Auslandskapitals ist sogar um 515 Milliarden US-Dollar gefallen.6 Der Kampf um die Beherrschung des Weltmarktes verschärft sich und führt zu raschen Kräfteverschiebungen.

Aber die herrschenden Sozialimperialisten in der chinesischen Führung plagen noch andere Sorgen: Laut dem „China Labour Bulletin“ sind die Streiks und Arbeiterproteste in China im zweiten Quartal 2015 vor allem bei Fabrikarbeitern und Taxifahrern deutlich angestiegen. Insgesamt zählt die Organisation 568 Streiks/Proteste im vergangenen Quartal, was die Zahl für das erste Halbjahr 2015 auf 1.218 anhebt. Im Vergleich: 2014 lag die Zahl fürs gesamte Jahr bei 1.379. Die Arbeiter streikten vor allem wegen ausstehender Löhne und gegen Fabrikschließungen.7

 

1 www.world-exchanges.org, eigene Berechnung

2 „Financial Times“, Global 500 2015

3 data.stats.gov.cn

4 www.fr-online.de, 15.7.2015

5 „FAZ“, 24.6.2015

6 www.unctad.org/fdistatistics, eigene Berechnung

7 www.clb.org.hk