„Dass ihr herkommt, um unseren Wiederaufbau zu unterstützen, erfüllt uns mit Stolz“
Interview mit Sevin Mahmoud, Ko-Bürgermeisterin von Kobanê, 28 Jahre
Wie kam es dazu, dass du Bürgermeisterin von Kobanê geworden bist?
Ich habe Kommunikationstechnik studiert und habe dann erst einmal im Elektrizitätswerk von Kobanê gearbeitet. Das war eine ehrenamtliche, freiwillige Tätigkeit. Zu Beginn der Unruhen in Syrien wurde Kobanê dann umzingelt und von der Außenwelt abgeschnitten. Da wollte ich meinen Beitrag zur Freiheit in meiner Stadt leisten. Ich arbeitete in dieser Zeit ein Jahr im Elektrizitätswerk und ein Jahr bei der Post. Dann wurde ich als Ministerin für die Kommunikation in Kobanê vorgeschlagen. Das war kurz nach der Gründung des Kantons Kobanê. Die Funktion des Ministers/der Ministerin ist immer eine Doppelfunktion von einem Mann und einer Frau. Gemeinsam leiten sie eine Kommission, in meinem Fall für den Bereich der Kommunikation.
Als der IS Kobanê näher rückte, habe ich meine Position im Ministerium verlassen und ging zu den Waffen, um meine Stadt zu beschützen. Als sich die Situation zuspitzte, wurden freiwillige Kämpfer, die nicht an der Waffe ausgebildet waren, aus der Stadt evakuiert. Ich war dann einen Monat in der Türkei. Mit zwei Freundinnen bestand ich nach diesem Monat darauf, wieder in unsere Stadt zurückkehren zu können. Unserer Bitte wurde vom Chef der Kantonsverwaltung, Enver Müslim, zugestimmt und wir konnten nach einer kurzen, aber intensiven militärischen Ausbildung zurück in die Stadt. Unsere Aufgabe in der Stadt war, uns um zurückgebliebene Zivilisten zu kümmern, obwohl der Krieg inzwischen so nah war. Wir begannen Kinder in der kurdischen Sprache zu unterrichten.
Nach der Schlacht um Kobanê kehrte ich an meine Arbeit im Ministerium für Kommunikation zurück. Im Zusammenhang mit der Regierungsumbildung wurde ich als Bürgermeisterin vorgeschlagen.
Wie gehst du mit diesen neuen Herausforderungen um?
Ich hatte ja schon etwas Ahnung von dieser Arbeit durch meine Erfahrungen im Ministerium. Aber das reicht natürlich nicht aus. Die Verbundenheit mit meiner Stadt und die gute Zusammenarbeit mit den Kollegen sind die Grundlage, alles dafür Notwendige zu lernen.
Worin siehst du die Bedeutung des Gesundheits- und Sozialzentrums für den Wiederaufbau von Kobanê?
In der Regel freuen wir uns über jeden Besuch. Die Besucher teilen unser Leid und bekunden ihre Solidarität. Das ist sehr wichtig für uns. Aber ihr tut mehr – ihr baut auch selbst etwas auf. Es kann sein, dass wir selbst manchmal nicht mehr besonders sensibel gegenüber unserem Leid hier sind, weil es für uns zum Normalfall geworden ist. Dass ihr herkommt, um unseren Wiederaufbau zu unterstützen, erfüllt uns mit Stolz. Kobanês Erde wurde mit viel internationalem Blut begossen. Viele Kämpfer aus der ganzen Welt haben uns unterstützt und ihr Blut hier gelassen. Genauso wird sie jetzt mit internationaler Zusammenarbeit wieder aufgebaut. So wird unserer Stadt neues Leben geschenkt. Kobanê ist nicht die Stadt der Kobanêr. Sie ist die Stadt aller Menschen, die menschlich sind und Unterdrückung und Benachteiligung ablehnen.
Vielen Dank für das Interview.