Günter Grass: Antifaschist und Moralist mit Widersprüchen
Am 13. April wurde der Tod von Günter Grass bekannt. Weltweit gab es für den Nobelpreisträger viele Würdigungen – besonders auffallend die Versuche von Gerhard Schröder in der „Bild“-Zeitung und von Bundespräsident Joachim Gauck, ihn als systemtragend zu vereinnahmen. Günter Grass ist unzweifelhaft ein fortschrittlicher Vertreter der deutschen Literatur nach dem II. Weltkrieg – und auch ein hervorragender Zeichner.
Geboren ist er in Danzig. Seine Danziger Trilogie mit den drei Romanen „Die Blechtrommel“, „Katz und Maus“ und „Hundejahre“ sind die bedeutendsten Zeugnisse seiner Kunst, die eine überbordende Sprachgewalt, Originalität und antifaschistisches Engagement vereinen. Die Hauptgestalt, der Blechtrommler Oskar Matzerath, bringt mit seiner Trommel einen ganzen Nazi-Aufmarsch dazu, Charleston zu tanzen. Oskars Perspektive ist die eines Kindes, was bewusst seit dem dritten Lebensjahr nicht wachsen will – und ist damit im Wortsinn von unten kritisch. Sein Danzig ist ein ganzer Kosmos von Gerüchen, Musik, Dialekt und einmaligen Charakteren, sinnlich, konkret und lebendig.
„Katz und Maus“ ist eine Anklage gegen den Nazi-Militarismus, der die junge männliche Generation in den Tod treibt. Grass selbst gehörte dazu. Seine Absichten dabei hat er einmal so zusammengefasst: „Sicher kam es mir bei der ,Blechtrommel‘, bei ,Katz und Maus‘ und ,Hundejahre‘ darauf an, die damals schon beginnende – nein, die in den sechziger Jahren wirklich akute Dämonisierung des Nationalsozialismus zu zerstören. Man hatte es sich fein eingerichtet: Das waren böse Mächte gewesen, die die Deutschen verführt hätten.“ (1) Grass war bis zum Lebensende weiter antifaschistisch engagiert. Hier nur zwei Beispiele von vielen. Seine Kritik an der Atombewaffnung des Staats Israel und dessen Drohungen gegen den Iran („Was gesagt werden muss“) erregte großes Aufsehen, ebenso das Gedicht „Europas Schande“, was – hochaktuell – die Politik der EU gegenüber Griechenland kritisiert. Beide sind von 2012.
Verbindung zur Arbeiterbewegung hatte Grass nicht. Er wollte politisch wirken und unterstützte die SPD, vor allem die Wahlkämpfe von Willy Brandt – in seinen politischen Grundauffassungen war er Reformist, was ihn z. B. in der Studentenbewegung viel Kredit gekostet hat. Hier hat er auch ein überzogenes, im Kern reaktionäres Selbstbild entwickelt: als großer Lehrer Deutschlands und Berater der Mächtigen.
Sein hoher moralischer Anspruch kam ins Wanken, als er nicht Manns genug war, früh zu offenbaren, dass er selbst als 17-Jähriger zur Waffen-SS eingezogen worden war. Er tat es erst im Jahr 2006 mit 79 Jahren kurz vor Herausgabe seines autobiographischen Textes „Beim Häuten der Zwiebel“. Zu kritisieren ist sein halbherziger und fast heuchlerischer Umgang mit eigenen Schwächen. Ein widersprüchlicher Charakter also – aber einer der großen Romanciers des 20. Jahrhunderts in deutscher Sprache.
1 Materialien Günter Grass „Die Blechtrommel“ und „Katz und Maus“, Stuttgart 1981, S. 11