„Im Donbass fallen jeden Tag Schüsse“

Interview mit einem Genossen des KSRD (Koordinierungsrat der Arbeiterbewegung in der Ukraine) zum Krieg in der Ostukraine

Die imperialistischen Machtblöcke USA/EU auf der einen, Russland auf der anderen verschärfen die Spannungen. Wie beurteilt ihr die Entwicklung der Kriegsgefahr? Und wie entwickelt sich der schon bestehende Krieg in der Ostukraine?

Der Krieg im Donbass geht weiter, dort fallen jeden Tag Schüsse. Heute, am 20. März zum Beispiel, wurde 13-mal von der Seite der ukrainischen Kräfte aus geschossen. Sie schossen mit Granatwerfern auf das Territorium von Donezk. Die ukrainische Regierung behauptet, dass Truppen der Ostukraine Positionen der Ukraine in der Nähe von Lugansk beschossen hätten. Die dortigen Truppen beschießen natürlich nicht ihre eigene Bevölkerung.

Gibt es jetzt eine besondere Verschärfung dadurch, dass die USA jetzt neue Waffen liefern?

Die USA beliefern damit unter anderem das „Corps der Freiwilligen“ des „Rechten Sektors“1. Dieses hat offen erklärt, dass es sich dem ukrainischen Kommando nicht unterstellen wird. Der Kommandeur ist gleichzeitig der Führer des „Rechten Sektors“. Auch die russische Seite will die Situation ausnutzen, um Schritt für Schritt ihre Verwaltung in der Ostukraine in dem von ihnen kontrollierten Gebiet zu stärken. Allmählich vermindert sich dort die Zahl der Truppen und Gruppierungen, die autonome oder halbautonome Positionen vertreten. Ein Teil der Feldkommandeure, die sich nicht Putin unterordneten, wurde ermordet.

Hofft die Bevölkerung im Westen der Ukraine auf Frieden?

Einerseits hofft sie auf Frieden, aber unter starkem Einfluss der staatlichen Kriegspropaganda und der Faschisierung. Unter dem Einfluss der Propaganda meinen viele, dass die Menschen im Donbass Diebe und Trunkenbolde sind, die ihnen die ukrainische Erde klauen wollen. Die Propaganda beeinflusst sie ständig in der Richtung, dass im Donbass die Russen herrschen und dass die Menschen dort sowieso Menschen zweiter, dritter Sorte sind, nicht würdig eines Niveaus wie in Frankreich oder Deutschland.

Wie sieht ihr tägliches Leben aus?

Das Lebenshaltungsniveau wird andauernd weiter gesenkt, Arbeitsplätze werden vernichtet, die Preise steigen ständig. Die Tarife für die kommunalen Dienste (Miete, Gas, Wasser, Elektrizität) steigen an. Aber die Bevölkerung schimpft deswegen auf Putin. Das ist paradox, aber ein Ergebnis der staatlichen Propaganda.

Und in der Ostukraine?

Im Osten leben die Menschen kaum besser. Schon deswegen, weil es Kriegsschauplatz war und ist. Hier war große Industrie. Aber es gibt keinen Tag, an dem nicht auf sie geschossen wurde und die Produktion beendet werden musste. Zur Stimmung ist zu sagen, dass die Mehrheit mit der Verwaltung von Donezk und Lugansk sympathisiert. Sie wollen nicht, dass die Truppen und die Macht Kiews in ihrem Gebiet herrschen.

Wie stehen die Menschen zur Perspektive einer einheitlichen sozialistischen Ukraine und zum Kampf gegen die beiden imperialistischen Blöcke?

In den Gebieten von Donezk und Lugansk können wir nicht von der einheitlichen Ukraine sprechen, weil das mit der Propaganda der ukrainischen Neofaschisten von der Einheit der Ukraine gleichgesetzt wird. Wir erklären, dass die Bevölkerung dort das volle Recht auf Selbstbestimmung hat. Wenn die Bevölkerung in der Ukraine leben will, kann sie das. Aber man kann den Menschen dort nicht die Einheit in der Ukraine aufzwingen. Äußerst schwierig ist es, den Kampf gegen jegliche Einmischung, ob aus West oder Ost, zu verankern. Wenn die Leute für Deutschland oder die USA sind, dann sind sie gegen die Einmischung von Russland. Die Mehrheit in der Ostukraine ist gegen die Einmischung des Westens. Das ist auch die Haltung unter den meisten Linken. Das hängt mit dem Einfluss des Fernsehens zusammen.

Es gibt wenige, die sich ein unabhängiges Bild machen in der Situation und sich von diesem „Entweder – Oder“ freimachen. Aber ganz allmählich wächst ihre Zahl. Sie machen selbst die Erfahrung, dass es wichtigere Sachen gibt als die Unterstützung Putins. Dazu gehört mit an erster Stelle die Preissteigerung. Die Politiker, die so viel von Patriotismus reden, führen mehr Krieg als die Regierung unter Janukowitsch. Das ist ein sehr langsamer Prozess. Der Einfluss der faschistischen Reden und des Militarismus geht noch sehr tief.

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg bei eurer komplizierten Arbeit!

 

1 Der „Rechte Sektor“ ist eine faschistische Organisation mit militaristischen Strukturen.