Cockpit: Errungenschaften stehen nicht für kurzfristige Bedürfnisse der Aktienbesitzer zur Verfügung

Die „Rote Fahne“ sprach mit Markus Wahl, Mitglied des Vorstands und stellvertretender Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit, zur aktuellen Situation bei den Tarifverhandlungen mit der Lufthansa. Das Gespräch fand im Vorfeld des schweren Flugzeugabsturzes vom 24. März statt. (siehe S. 3) Aktuell hat Cockpit aus diesem Grund die Streiks vorübergehend ausgesetzt.

Was ist der Hintergrund für die starre Haltung der Lufthansa gegenüber der Forderung nach einer Vorruhestandsregelung. Gibt es einen Zusammenhang zu den Spekulationsverlusten der Lufthansa bei sogenannten Kerosin-„Absicherungsgeschäften“?

Ein direkter Zusammenhang zu den Absicherungsgeschäften existiert eher nicht. Aus unserer Sicht liegt die starre Haltung der Lufthansa-Geschäftsführung eher in dem für die Übergangsversorgung zurückgestellten Geld. Um die Versorgung leisten zu können hat Lufthansa mehrere 100 Millionen Euro zurückstellen müssen.

Sollte es dem Management jetzt gelingen, die Übergangsversorgung – auch nur in Teilen – abzuschaffen, so könnte dieses Geld (das die Piloten als Gehaltsbestandteil in diesen Solidaritätstopf eingezahlt haben) zur kurzfristigen Gewinnmaximierung und damit auch für eine höhere Dividende benutzt werden. Wir stellen unsere vertraglich zugesicherte Übergangsversorgung nicht dafür zur Verfügung, dass Lufthansa kurzfristig die Bedürfnisse der Aktienbesitzer befriedigt.

Wodurch erklärt sich die große Solidarität der älteren mit den jungen Piloten, denen eine Vorruhestandsregelung verweigert werden soll?

Eine der Grundsäulen der Vereinigung Cockpit (VC) war und ist die Solidarität aller Piloten untereinander. Es hat noch nie einen Tarifabschluss mit der VC gegeben, bei denen die neueingestellten Kollegen zu Gunsten von Privilegien für „alte“ Kollegen geopfert wurden. Diese Solidarität ist aus unserer Sicht ein Grundpfeiler unserer Tarifpolitik und daran werden wir auch nicht rütteln lassen. Diese Solidarität zu opfern, würde außerdem nur zu Unfrieden innerhalb des Verbandes führen. Wir brauchen alle unsere Kräfte, um mit den Angriffen des Arbeitgebers umzugehen und werden uns sicherlich nicht freiwillig auch noch Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Verbandes einkaufen.

Welche besonderen gesundheitlichen Gefahren entstehen für Piloten durch jahrelange Berufstätigkeit?

Der Beruf des Verkehrspiloten ist, besonders auf lange Sicht gesehen, äußerst belastend. Unter anderem müssen in unregelmäßigen Abständen mehrere Nächte durchflogen werden, man ist den verschiedenen Klimazonen ausgesetzt und Arbeitszeiten von mehr als 16 Stunden sind keine Seltenheit. Der Job verlangt außerdem ein hohes Maß an körperlicher und geistiger Fitness, schließlich arbeitet der Pilot in einem hochdynamischen Umfeld, in dem innerhalb von Sekunden die richtigen Entscheidungen getroffen werden müssen. Der Platz für Fehler ist quasi nicht vorhanden.

Dies ist geistig und körperlich äußerst anstrengend. Zusätzlich dazu unterliegt der Pilot ständig der Zeitverschiebung, besonders auf der Langstrecke. Jeder, der schon einmal aus den USA gekommen ist und einen Jetlag hatte, weiß, wie anstrengend das sein kann. Piloten haben das mehrere Male im Monat.

Auch die hohe Verantwortung für das Leben der Passagiere und für ein oft hunderte Millionen teures Arbeitsgerät steigert die Belastung.

All dies wirkt auf die einzelnen Piloten sehr unterschiedlich. Die einen stecken das einfach weg und sind auch mit über 60 Jahren noch in der Lage, diesen Job verantwortungsvoll und sicher zu tun. Aber es gibt eben auch die anderen, die bereits vorher feststellen, dass sie die Verantwortung nicht mehr tragen können. Für diese Kollegen muss es eine Möglichkeit geben, auch vor dem Eintritt in die gesetzliche Rente ihren Job an den Nagel hängen zu können.

Es ist also bei weitem nicht so, dass jeder Pilot mit Punkt 55 Jahren in die Übergangsversorgung wechselt – ganz im Gegenteil: Das Durchschnittsausscheidealter liegt bereits heute bei ca. 59 Jahren. Trotzdem muss es für eben jenen Kollegen, den die Belastung auch schon vorher so beeinflusst, dass er nicht mehr in einem Cockpit sitzen kann, die Möglichkeit geben, in die Übergangsversorgung zu wechseln. Daher kommt auch unsere Forderung nach einer Übergangsversorgung – auch für die neuen Kollegen.

Vielen Dank für das eindrückliche Gespräch!