Miese Methoden gegen den Lokführerstreik
Vom Versuch, eine kämpferische Gewerkschaft zu disziplinieren
In einem Grundlagentarifvertrag vom 8. März 2008 erkannte die Deutsche Bahn das Recht der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) zum Abschluss eigenständiger Tarifverträge für die bei ihr organisierten Lokführer an. Im Gegenzug verpflichtete sich die GDL, für das weitere Fahrpersonal keine Tarifverträge zu fordern. Nachdem dieser Grundlagentarifvertrag am 30. Juni 2014 ausgelaufen war, machte die GDL von ihrem Recht als Gewerkschaft Gebrauch, nun über die Lokführer hinaus auch für ihre Mitglieder anderer Berufsgruppen des Zugpersonals einen Tarifvertrag zu fordern. Was darauf folgte und bis heute anhält, ist ein Lehrstück, wie die Herrschenden heute vorgehen, um wirkungsvolle Streiks zu verhindern und Gewerkschaften zu disziplinieren, wenn sie sich den Regeln von Klassenzusammenarbeit und Co-Management nicht unterwerfen. Ein Wechselspiel aus Tricks, Verschleppungstaktik und Manipulation der öffentlichen Meinung, organisiert in einer konzertierten Aktion.
Die Rolle des Regisseurs übernahm dabei Werner Bayreuther, Berater und Verhandlungsführer der Bahn und seit 2003 Hauptgeschäftsführer von Agv MoVe1. Zuvor hat er als Rechtsanwalt, Arbeitsrichter und Arbeitsdirektor umfangreiche Erfahrungen im Dienste der Herrschenden gesammelt, die er heute als Referent von Seminaren des gewerkschaftsfeindlichen Züricher „Schranner Negotiation Institute“(SNI)2 an Spitzenmanager weitergibt. Sein Seminar „Schwierige Verhandlungsführung mit Gewerkschaft und Betriebsrat“ vermittelt z. B. „den richtigen Umgang mit ideologisch geprägten Betriebsräten“, „Warum Sie in schwierigen Verhandlungen nicht mehr argumentieren sollten“, „warum ein Streik nicht vermieden werden sollte“ usw.3. SNI-Chef Matthias Schranner selbst lehrt in seinem Seminar „Advanced Negotiator“, warum und wie man schwierige Verhandlungen auch mal „bewusst in die Sackgasse steuern“ muss.4
Erster Akt:
Provokation und „Steuern in die Sackgasse“
Bei den Verhandlungen mit der GDL setzte Bayreuther dies gezielt um. In vier Verhandlungsrunden von Juli bis September sprach er der GDL das Recht ab, für andere Berufsgruppen als die Lokführer überhaupt Tarifverträge abzuschließen. Eine bewusste Provokation war schließlich sein „Angebot“, die Verhandlungen bis zur Verabschiedung des von der Bundesregierung geplanten „Tarifeinheitsgesetzes“ auszusetzen. Nach diesem Gesetz sollen konkurrierende Tarifverträge einer „Minderheitsgewerkschaft“ von vornherein ungültig sein. Als die GDL-Führung daraufhin die Verhandlungen abbrach und die Urabstimmung einleitete, schob Bayreuther in einem „Offenen Brief“ vom 1. Oktober 2014 ihr die Verantwortung zu: „Damit haben Sie die Sache überreizt und stecken nun in einer Sackgasse.“
Zweiter Akt:
Medienhetze gegen den „Schurken“ Weselsky
Das war zugleich der Startschuss für eine zentral gesteuerte Hetzkampagne in den bürgerlichen Massenmedien, allen voran die „Bild“-Zeitung sowie ARD und ZDF. Das Problem für die Herrschenden war allerdings die Sympathie, die breite Teile der Massen den Forderungen von Lokführern und Zugpersonal und ihrem Streik entgegen brachten. Eine direkt gegen die Streikenden gerichtete Medienkampagne hätte genau das Gegenteil bewirkt. Zu Beginn des viertägigen Streiks am 6. November hatten in einer ZDF-Umfrage 78 Prozent der Befragten Verständnis dafür geäußert – worauf das ZDF dieses Ergebnis postwendend wieder aus seinen Internetseiten entfernte.
Um in der öffentlichen Meinung eine Stimmung gegen den Streik zu schüren und die Kampfkraft zu zersetzen, wurde die GDL-Führung und insbesondere ihr Vorsitzender Claus Weselsky zum Schurken erklärt. Ab Anfang November wurden alle Register gezielter Desinformation gezogen, um der Öffentlichkeit weiszumachen, es ginge bei dem Streik gar nicht um die Forderungen der Lokführer, sondern diese würden nur missbraucht für die Machtinteressen eines karrieregeilen Gewerkschaftsbosses.
Gegen Weselsky wurde fortan in den bürgerlichen Medien eine abstoßende Hetzkampagne inszeniert, die nur noch mit shitstorms bei „Facebook“ vergleichbar ist. „Es reicht, Herr Weselsky!“, titelte „Focus“. Die „Morgenpost Sachsen“ publizierte gar angebliche private Äußerungen seiner Ex-Partnerin.5
Schon während des Streiks im Oktober hatte Bayreuther gezielt die Falschmeldung verbreitet, der Streik sei wahrscheinlich illegal, denn die GDL habe in der Urabstimmung gar nicht die erforderlichen 75 Prozent Zustimmung erzielt. In einem Interview mit der „Roten Fahne“ wurde dieser Vorwurf von Weselsky überzeugend widerlegt6, in den bürgerlichen Medien hingegen begierig aufgegriffen: „GDL-Chef Weselsky unter Betrugsverdacht“, hieß es bei „Bild“ vom 20. 10. 2014.
Am 4. November veröffentlichte „Bild“ sogar Weselskys Telefonnummer mit der Aufforderung, ihm mal „die Meinung zu geigen“. SNI-Chef Schranner griff nun selbst in die Debatte ein und rechtfertigte den Aufruf zum Telefonterror: „Was heißt hier Medienhetze? Er hat Tausende Familien nicht in die Ferien fahren lassen. Wer dieses Spiel beginnt, muss auch mit den Folgen leben können.“7
Den Bahnvorstand ließ Bayreuther in Interviews dagegen die Rolle des Opfers spielen, dessen gutherzige Angebote von einem auf Krawall gebürsteten Gewerkschaftsfunktionär ausgeschlagen würden.
Dritter Akt:
Hinhaltetaktik und Bruch von Zusagen
Es verdient großen Respekt und Anerkennung, dass sowohl die GDL-Mitglieder als auch Claus Weselsky dieser Stimmungsmache standgehalten und sich dem Tarifdiktat der Bahn nicht unterworfen haben. Auch wenn die Medienhetze bei rückschrittlichen Teilen der Bevölkerung eine gewisse Wirkung zeigte – ihr Ziel einer breiten Ablehnung der Streiks konnte sie nicht erreichen. Die Bahn wurde dagegen von den Streiks empfindlich getroffen. Bayreuthers Taktik war nicht aufgegangen. Statt der GDL war er selbst in die Sackgasse geraten und zu einem Zugeständnis gezwungen. In einer Erklärung vom 17. Dezember 2014 erkannte der Agv MoVe das Recht der GDL auf Abschluss von Tarifverträgen für das gesamte Zugpersonal an und erklärte sich zu Tarifverhandlungen ohne Vorbedingungen bereit. Die GDL-Führung sah darin einen „Durchbruch“ und blies im Vertrauen auf diese Zusage die Vorbereitungen für einen für den 11. Januar geplanten Streik zunächst ab.
Doch frei nach der Devise „Was geht mich mein Geschwätz von gestern an“ nahm die Bahn in den folgenden Verhandlungen ihre Erklärung Schritt für Schritt wieder zurück. Bayreuther hatte nur auf Zeit gespielt, um die GDL mit der für Sommer 2015 geplanten Verabschiedung des „Tarifeinheitsgesetzes“ auszubremsen. Erst nach einem Ultimatum der GDL mit Ankündigung weiterer Streiks unterzeichnete die Bahn am 23. Februar 2015 eine Vereinbarung, mit der sie sich erneut zu Tarifverhandlungen für das gesamte Zugpersonal ohne Vorbedingungen bereit erklärte – acht Monate nach Auslaufen der alten Tarifverträge. Dass die GDL die bisherigen Streiks allein für die Anerkennung ihrer Gewerkschaftsrechte durchführen musste, wird in der öffentlichen Berichterstattung bis heute systematisch verschwiegen bzw. verfälscht dargestellt.
Was hier mit der GDL vorexerziert wird und durch das geplante „Tarifeinheitsgesetz“ rechtlich abgesichert werden soll, ist ein Frontalangriff auf das Streikrecht, der den Widerstand jedes Gewerkschafters herausfordern muss.
1 „Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister“
2 Institut für Verhandlungsführung
3 www.schranner.com/de/programs/details
4 ebenda
5 www-mopo24.de 6.11.2014
6 RF 45/2014, S. 10
7 www.wiwo.de 11.11.2014