Der Weißmeer-Ostsee-Kanal
Ein Beispiel für die Resozialisierung von Straftätern in der Sowjetunion
Kassel (Korrespondenz): Eines der großen Projekte der sozialistischen Sowjetunion zu Zeiten Stalins, bei denen hauptsächlich verurteilte Straftäter beschäftigt waren, war der Weißmeer-Ostsee-Kanal (bis 1961 „Stalinkanal“). Er wurde zwischen November 1931 und Juni 1933 gebaut. Der Kanal, der heute noch in Betrieb ist, ist 226 Kilometer lang, hat neunzehn Schleusen und ist für Schiffe bis 5.000 BRT ausgelegt. Er verkürzt den Transportweg von der Ostsee zum Weißen Meer um 3.000 Seemeilen. Pläne, diese Kanalverbindung zu bauen, gehen zurück bis auf die Zeit Peters des Großen. Eine Verwirklichung der Pläne gelang auch dem zaristischen Russland nicht. Die Entscheidung für den Bau des Kanals wurde am 3. Juni 1930 vom sowjetischen Rat für Arbeit und Verteidigung gefasst.
Über den sowjetischen Strafvollzug werden viele Verleumdungen verbreitet. Dabei galt er bis zur Zeit des Kalten Krieges, außer bei Faschisten und Fleisch gewordenen Antikommunisten, als fortschrittlich. Im Mittelpunkt der Resozialisierung von Straftätern stand die Arbeit. Das Einsperren von Verurteilten in Gefängnissen wurde schrittweise abgeschafft. Verurteilte Straftäter wurden beim Aufbau des Landes eingesetzt, wie dem Gleisbau, bei der Erschließung von Rohstoffquellen oder in Fabriken und landwirtschaftlichen Betrieben. Gegner der Sowjetunion diffamieren das als „Sklavenarbeit“, Zwangsarbeit oder gar bewusste Tötung durch brutale Arbeit, schlechte Versorgung oder unmenschliche Arbeitsnormen. Das verfolgt in der Regel nur einen Zweck: Abscheu und Entsetzen wecken. Regina Mönch von der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) gibt in ihrem reißerisch getitelten Artikel „Gulag-Ausstellung: 20 Millionen Arbeitssklaven“ vom 2. Mai 2012 anlässlich der ersten sogenannten Gulag-Ausstellung indirekt zu, wie wenig die Behauptungen tatsächlich fundiert sind. Erst mit Alexander Solschenyzins Publikationen und der Perestroika sei „das ungeheuerliche Menschenexperiment“ und der „Terror Stalins gegen das eigene Volk“ bekannt geworden.1 Also 20 Jahre nach Stalins Tod. Wie das? Welche Gründe hätte es z. B. für Chruschtschow oder andere Stalin-Feinde geben sollen, nach dem XX. Parteitag 1956 vorhandene Beweise über Sklavenarbeit und Massenverbrechen in den Gulags nicht zu veröffentlichen?
Eine neue Art des Strafvollzugs
In der Sowjetunion ging man davon aus, dass Zarismus, Kapitalismus und das Erbe der Klassengesellschaften die Moral, Denkweise und Verhalten straffällig gewordener Bürger beeinflusst und teilweise geprägt haben. Mörder, Diebe, Betrüger, Sexualstraftäter und auch politische Straftäter(innen) sollten die Möglichkeit haben, ihr Verhalten zu ändern, in dem sie nicht ausgegrenzt, sondern in den Aufbau des Landes einbezogen wurden und diesen aktiv unterstützten konnten. So betrug die höchste Haftstrafe in der sozialistischen Sowjetunion zehn Jahre.
Die Verleumder behaupten, beim Kanalbau sei bewusst Handarbeit angeordnet worden, um die Menschen körperlich zu zerstören. Tatsächlich war aber aufgrund der technischen Rückständigkeit als ein Erbe des Zarismus, in der Anfangszeit des 1. Fünfjahresplans auf den Baustellen der Sowjetunion noch viel Handarbeit vorherrschend – keineswegs nur im Strafvollzug.
Opfer – wer bietet mehr?
Um das Projekt des Weißmeerkanals in Misskredit zu bringen, wird unter anderem behauptet, es sei ein technischer Flop. Nur, warum ist er dann bis heute in Betrieb? Vor allem aber werden ungeheure Zahlen angeblicher Todesopfer behauptet. Alexander Solschenyzin spricht in dem Artikel: „Der Bau des Weißmeerkanals“2 von über einer viertel Million Toter. Pro Meter des Kanals also mehr als einer. Nach Regina Mönch waren es „wahrscheinlich 25.000“.3 In „Zeit-online“ schreibt der polnische Journalist, J. Tycner, von 50.000.4 Im „wikipedia“-Artikel „White Sea – Baltic Canal“ steht die Zahl 12.000.5 Das internationale Institut für Geschichte in Amsterdam schreibt, dass zwischen 128.000 bis 180.000 Verurteilte beschäftigt waren. Dessen Kommentar: „Some believe that 100.000 died on the project.“6. Also 100.000 Tote. Folgt man Solschenyzin waren es etwa 250.000 – also mehr, als dort überhaupt gearbeitet haben. Mit seiner Fantasiezahl will er belegen, die Arbeitslager in der Sowjetunion seien dazu dagewesen, Menschen durch Arbeit zu vernichten. Denn, so Solschenyzin: „Für Gaskammern hatten wir kein Gas“.7
Solschenyzin ist wichtigster Stichwortgeber für die meisten Veröffentlichungen über sowjetische Arbeitslager. Er ist Erfinder des „Archipel Gulag“ und Autor des gleichnamigen Buches. „Archipel Gulag“ meint eine abgeschlossene Inselwelt von Unterdrückung und Unmenschlichkeit. 1970 erhielt er für dieses Buch inklusive der Gleichsetzung der Arbeitslager mit den faschistischen Konzentrationslagern den Nobelpreis für Literatur. Seine Methoden sind Gerüchte, Unterstellungen, Behauptungen: „Es heißt, es seien im ersten Winter 1931 auf 1932 hunderttausend Menschen weggestorben – genauso viele wie ständig am Kanal im Einsatz waren. Warum sollten wir es nicht glauben? Eher schon könnte man die Zahl für untertrieben halten.“8 Aus diesem Wettbewerb um die höchsten Opferzahlen wird vor allem eins deutlich: So lange der Sozialismus diskreditiert wird, kann man alles behaupten und die schlimmsten Zahlen seien demnach noch „untertrieben“. Aber gab es wirklich Zehn- oder gar Hunderttausende Tote beim diesem Kanalbau?
Das Buchprojekt Gorkis
Der Bau des Weißmeerkanals ist sehr umfassend dokumentiert worden. Redakteure des Buches, „Belomorsko-Baltijskij-Kanal im. Stalina“, das auf dem XVII. Parteitag der KPdSU 1934 den Delegierten vorgestellt wurde, waren Maxim Gorki, I. L. Awerbach und S. G. Firin. Es umfasst 600 Seiten. 36 sowjetische Schriftsteller und am Bau Beteiligte haben darin den Verlauf des Baus dokumentiert.9
Zu Wort kommen die Arbeiterinnen und Arbeiter, die ihre Geschichte erzählen und wie sie ihre eigene Entwicklung bewerten. Der bekannte sowjetische Fotograf A. M. Rodtschenko hat über 4.000 Fotos gemacht. 1935 wurde das Buch unter dem Titel „The White Sea Canal“ vom Verlag Bodley Head in London herausgegeben und in den USA unter dem Titel „Belomor. The Building of the White Sea Canal“ veröffentlicht.
Dass angesichts einer so großen Publizität, der Beteiligung namhafter Persönlichkeiten bis zu den Veröffentlichungen Solschenyzins nichts über den „Terror Stalins gegen das eigene Volk“ (Regina Mönch) bekannt wurde, ist wenig glaubwürdig. – Wie kann es sein, dass Rodtschenko, Gorki, Tolstoi und andere über die Opfer geschwiegen hätten? Aber nicht nur sie: Anne Kathrin Popin schreibt, dass etwa 10.000 Häftlinge nach Finnland geflohen sind.10 Kann man glauben, dass sie alle über die Zustände geschwiegen haben? Wie glaubwürdig ist es, dass sich Tausende zu Tode schinden ließen, wenn man weiß, dass die Wachmannschaft des Projektes aus 37 Mann bestand?2
Gorki war 1927 nach seiner Rückkehr aus dem italienischen Exil in die Sowjetunion sehr beeindruckt von den Menschen und den Aufbauleistungen. Er sah die Rolle der Schriftsteller darin, diesen Aufbau und seine Menschen zu dokumentieren. Wobei die Arbeitenden mit eigenen Beiträgen selbst zu Wort kamen. Er gab eine Schriftenreihe heraus unter dem Titel „Geschichte der Fabriken und Betriebe“. Darunter Bücher über das Stalingrader Traktorenwerk oder die Moskauer Metro. Mit dem Buch über den Kanalbau wollte er vor allem dokumentieren, welche positiven Wirkungen der sowjetische Strafvollzug bei den Betroffenen hervorbrachte.
Damit wird sich der zweite Teil des Artikels befassen.
Quellen:
1 ‑‑http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/gulag-ausstellung-zwanzig-millionen-arbeitssklaven-11736275.html
2 ‑http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41652392.html
3 ‑http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/gulag-ausstellung-zwanzig-millionen-arbeitssklaven-11736275.html
4 ‑http://www.zeit.de/1996/14/ Kanal_des_Todes
5 ‑http://www.iisg.nl/collections/belomorkanal/
6 ‑http://en.wikipedia.org/wiki/White_Sea-Baltic_Canal#cite_note-ReferenceA-1
7 ebenda
8 ebenda
9 ‑„Ein Mitglied des Autorenkollektivs war S. Alymov, der gerade erst aus dem Lager am Belomorkanal auf Initiative der Exkursionsteilnehmer entlassen worden war, (…) Schaut man sich die Geschichte Alymovs an, so grenzt es schon fast an Wahnsinn sie verstehen zu wollen. Bereits im Lager war er der Herausgeber der Zeitschrift „Perekovka“ („Umerziehung“ d. Verf.) und schrieb einige Gedichte, Lieder, Stücke und Artikel über den Belomorkanal. Nach seiner Freilassung avancierte er außerdem zum beliebtesten Liedermacher der Sowjetunion und seine Unterstützung für das Sowjetsystem blieb ungebrochen“, berichtet die antikommunistische Autorin Anne Kathrin Popin in ihrem Buch: Der Weißmeer-Ostsee-Kanal in der sowjetischen Literatur und Propaganda der 30er Jahre. Das Prinzip der Resozialisierung durch Arbeit am Aufbau des Landes bleibt ihr völlig verschlossen.http://www.solovki.org/de/files/ Belomor.pdf
10 ebenda, S. 3