Massenarmut im viertreichsten Land der Welt nimmt zu

Der vom „Paritätischen Wohlfahrtsverband e.V.“ im Februar veröffentlichte „Armutsbericht 2014“ schlägt Wellen.

Steht er doch mit dem Nachweis einer drastisch gewachsenen Armut in Deutschland – die „Armutsquote“ stieg auf 15,5 Prozent - im krassen Gegensatz zur Propaganda der Bundesregierung und besonders der Kanzlerin Angela Merkel. Diese lässt sich in Europa als Vorbild einer „gelungenen Reformpolitik“ feiern. Mitverantwortlich dafür ist aber eine Politik der Lohnsenkung und Verarmung, die seit Schröder/Fischer von allen Bundesregierungen mit Hartz-Gesetzen, Absenkung des Rentenniveaus, Förderung von Leiharbeit und Minijobs usw. aktiv betrieben wird. Dass mittlerweile 12,5 Millionen Menschen im offiziell viertreichsten Land der Erde nur noch das Allernötigste zum Leben haben, ist ein vernichtendes Urteil über den Kapitalismus.

Obwohl die Armut sich in Deutschland regional unterschiedlich entwickelt, ist die Bevölkerung im ganzen Bundesgebiet betroffen. So hat sich die „Armutsquote“ in Nordrhein-Westfalen auf 17,1 Prozent und im Bundesland Bremen sogar auf den traurigen Spitzenwert von 24,6 Prozent gesteigert. Als „Armut“ werden in dem Bericht Lebensverhältnisse von Menschen definiert, die weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens in Deutschland zur Verfügung haben1. Wird zum Beispiel in der teuren Stadt München das dort höhere Lohnniveau zugrunde gelegt, liegt die Armutsquote nicht mehr bei 9 Prozent, sondern auch hier überdurchschnittlich bei 18 Prozent („Süddeutsche Zeitung“, 20.2.2015). Für die Region Köln/Düsseldorf mit ca. 5 Millionen Einwohnern wird eine Steigerung der Armut seit 2006 um 31 Prozent auf die überdurchschnittliche Quote von 16,8 Prozent nachgewiesen.

Einige Kapitalisten und Zeitungen bestreiten rundweg die analysierte wachsende Massenarmut, weil man mit 60 Prozent des Durchschnittseinkommens noch nicht arm sei. Natürlich geht es hier vor allem um die relative Verarmung, die aber ebenfalls weitgehende Auswirkungen hat. Immer mehr Menschen können ihre Miete kaum mehr bezahlen, müssen sich bei alltäglichen Dingen einschränken oder sind vom kulturellen Leben weitgehend ausgeschlossen. Es gibt zugleich eine Zunahme der absoluten Verelendung, indem das Einkommen von immer mehr Menschen noch unter das Existenzminimum gedrückt wird. Gäbe es sonst immer mehr Besucher von „Tafeln“, Pfandflaschensammler oder Menschen, denen der Strom abgeschaltet wird, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können?

Armut ist vor allem jung und weiblich

90 Prozent der armutsbedrohten Alleinerziehenden sind Frauen. Beträgt die Lohn­ungleichheit zwischen Männern und Frauen immer noch 22 Prozent, so haben im Rentenalter Frauen im Schnitt 59,6 Prozent weniger Rente als Männer. Eine Witwenrente beträgt durchschnittlich 547 Euro. Die Ausbeutungsoffensive durch Monopole und Staat verschärft die doppelte Ausbeutung und Unterdrückung der Masse der Frauen. Immer mehr Vollzeitstellen werden durch Teilzeitstellen verdrängt. So stieg die Zahl der Teilzeitkräfte 2014 gegenüber 2004 um gut drei Millionen auf 14,8 Millionen, zu zwei Dritteln durch steigende Erwerbstätigkeit von Frauen. Demgegenüber ging die Zahl der vollzeitbeschäftigten Frauen seither um ca. 400.000 auf knapp unter 8 Millionen zurück. Mit einem Anteil von 61,7 Prozent werden Minijobs mehrheitlich von Frauen ausgeübt, obwohl der größere Teil gern eine Vollzeitstelle hätte. Lohndumping, unzumutbarer Stress sowie eingeschränkte Rechte treffen Millionen berufstätiger Frauen – bei gleichzeitiger Hauptverantwortung für Haushalt, Kinderbetreuung, Pflege der Angehörigen.

Ein Ergebnis ist auch, dass es immer mehr „arbeitende Arme“ gibt, die trotz ihrer Arbeit nicht mehr davon leben können. Rund 1,3 Millionen Menschen beziehen in Deutschland Hartz IV, obwohl sie einen oder mehrere Jobs haben.

Armut und Reichtum wachsen

Besonders verschärft sich die Armut bei Erwerbslosen, Alleinerziehenden und Kindern. Bei den Erwerbslosen sind 59 Prozent von Armut betroffen. Von den Alleinerziehenden sind es 40 Prozent, von den minderjährigen Kindern 19,2 Prozent. Das bedeutet, dass fast jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut aufwachsen muss. Bei der Altersarmut gibt es bereits seit 2006 den rasantesten Anstieg auf heute 15,2 Prozent. Dieses Problem wird sich in Zukunft noch erheblich verschärfen: Leiharbeit, Niedriglöhne und Lebensarbeitszeitverlängerung lassen eine Welle von Altersarmut auf die heute Arbeitenden zurollen.

Dass zugleich mit dem Anwachsen der Zahl der Armen auf 12,5 Millionen in Deutschland der Reichtum der herrschenden Klasse, vor allem der internationalen Übermonopole und Banken, ins Unermessliche steigt, erwähnt der Armutsbericht des Wohlfahrtsverbands nur am Rande. Deutschland hat nach den USA weltweit die zweitmeisten Multimillionäre. Das sind bei einer Steigerung von 7,2 Prozent (von 2013 auf 2014) 19.000. Ihr Vermögen liegt bei über 2,5 Billionen Dollar - zehn Prozent mehr als im Vorjahr.

Auch mit 123 Milliardären liegt Deutschland weltweit auf Platz vier weit vorn. Die Familie Schaeffler – vor kurzem hat sie die Aldi-Familie als Reichste in Deutschland überholt - hat ein geschätztes Vermögen von 21,5 Milliarden.

Der Kapitalismus „...bedingt eine der Akkumulation von Kapital entsprechende Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Verkommenheit auf dem Gegenpol, d.h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert.“ So bringt Karl Marx in seinem Werk „Das Kapital“ (siehe auch Seite 8) die gesetzmäßigen Ursachen auf den Punkt. Heute tritt diese Tendenz wieder drastischer in Erscheinung - als Folge der chronischen Überakkumulation des Kapitals auf Grundlage der internationalen Neuorganisation der kapitalistischen Produktion. Von allen europäischen Regierungen wird eine Politik des Lohnraubs und des Abbaus der Sozialversicherungssysteme betrieben. Während der Weltwirtschafts- und Finanzkrise hat sich das noch verschärft.

Schleichende Verarmung

Noch haben wir es in Deutschland in erster Linie mit einer schleichenden Verarmung zu tun. Die Regierungen – ob Merkel/Gabriel oder die Vorgängerkoalitionen – haben ihre Maßnahmen der Umverteilung aus Angst vor Massenkämpfen und ihrer Revolutionierung nicht so abrupt umgesetzt wie seinerzeit Gerhard Schröder mit den Hartz-Gesetzen, sondern in vielen kleinen Schritten verbunden mit Teilzugeständnissen. Als „Exportweltmeister“ haben die deutschen Monopole noch einen gewissen Spielraum für die Dämpfungspolitik. In anderen europäischen Ländern nimmt die Umverteilungspolitik schon drastischere Ausmaße an, bis hin zur akuten Verelendung auf breiter Front wie in Griechenland, wo sich schon jeder Dritte keine Krankenversicherung mehr leisten kann.

Von der Regierung die Bekämpfung der Armut zu erwarten oder die Rückkehr zum „Sozialstaat“ einzufordern, wie es die Linkspartei gerne tut, ist eine Illusion. Auf der Grundlage der früheren Politik der „Reformen von oben“ wurde in der BRD jahrzehntelang die Lebenslüge vom angeblichen „Sozialstaat“ verbreitet. Inzwischen traut sich kaum ein bürgerlicher Politiker noch, dieses Wort in den Mund zu nehmen. Tatsächlich gab und gibt es keinen kapitalistischen „Sozialstaat“, der Staat ist vielmehr Dienstleister der internationalen Übermonopole.

Gegen den Kurs der Verarmung immer größerer Teile der Bevölkerung ist ein offensives Vorgehen nötig. Es ist wichtig, den Kampf um höhere Löhne und soziale Rechte offensiv gegen Monopole und Staat zu führen. Die MLPD hat dazu zahlreiche Reformforderungen aufgestellt. Die wichtigste wirtschaftliche Forderung ist die nach der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, die wieder auf die Tagesordnung gehört. Damit kann der Erhalt und die Schaffung von Millionen Vollzeitarbeitsplätzen - vor allem im Interesse der Jugend - durchgesetzt werden. Weiter muss das Renteneintrittsalter auf 60 Jahre für Männer und 55 Jahre für Frauen gesenkt werden, bei vollem Rentenausgleich. Hartz IV muss weg, damit diese besondere Spirale in die Armut beseitigt wird.

Weil Armut und Ausbeutung im Kapitalismus gesetzmäßige Ursachen haben, muss der Kampf um Reformforderungen als Schule des Klassenkampfs für eine sozialistische Gesellschaft geführt werden, in der die Bedürfnisse der Menschen im Einklang mit der Natur im Mittelpunkt stehen.

Den Blick heben

Weltweit gibt es Milliarden Arme und Hungernde, die weniger als 2 Dollar pro Tag haben, trotz modernster Produktionsanlagen. Gleichzeitig hat die chronische Überakkumulation des Kapitals ein Ausmaß angenommen, dass allein der Quartalsgewinn von Apple von 18 Milliarden Dollar im letzten Vierteljahr 2014 ausreichen würde, um den Hunger auf der ganzen Welt für vier Monate zu beseitigen!

Stattdessen wird die Tendenz zur relativen und absoluten Verelendung auf der Welt weiter verschärft – mit Umweltzerstörung und Landraub, mit Überausbeutung, Unterdrückung und mit Kriegen. Wer sich damit nicht abfinden will, der muss aufstehen, gerade auch am 8. März bei den Aktionen zum internationalen Kampftag für die Befreiung der Frau. Wer mit kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung auf der Welt konsequent ausräumen will, der sollte sich organisiert daran beteiligen, den Kapitalismus zu beseitigen, am besten als Mitglied von MLPD oder REBELL.

 

1 Bei einem Single-Haushalt liegt die Armutsgrenze derzeit bei 892 Euro/Monat, eine Familie mit zwei Kindern gilt mit weniger als 1.873 Euro als armutsgefährdet.