Schweizer Löcher – oder wo das viele Geld bleibt

Die Großbank HSBC (Hongkong & Shanghai Banking Corporation Holdings PLC) ist Europas größte Bank, agiert international und rangiert auf der Liste der 500 umsatzstärksten internationalen Übermonopole zurzeit auf Rang 53. Die Schweizer Filiale des ehrwürdigen, 1865 gegründeten Bankhauses hat ihren Sitz in einem prächtigen Gebäude, direkt am Genfer See. Von dort gingen Anfang Januar alarmierende Schreiben an Tausende aktuelle und ehemalige Kunden, überschrieben „streng privat und vertraulich“ mit der Warnung vor einem Journalistenteam, das an vertrauliche Bankdaten gelangt sei, die der Bank von einem ehemaligen Mitarbeiter, Hervé Falciani, bereits 2006/2007 entwendet worden waren.

Den Skandal aufgedeckt hat jetzt ein Team von 150 Journalistinnen und Journalisten, die sich schon in anderen Fragen für aufwändige und komplizierte Recherchearbeiten zusammentaten – aus Deutschland sind Journalisten der „Süddeutschen Zeitung“, des WDR und des NDR beteiligt. Koordiniert vom Internationalen Konsortium für investigativen Journalismus berichteten zeitgleich Medien aus mehr als 45 Ländern von den „Swiss-Leaks“ – den Schweizer Löchern.

Zu den eilig gewarnten Kunden gehören ehemalige und gegenwärtige Staatschefs diktatorischer Regime, Verwandtschaft von Ägyptens Husni Mubarak, Syriens Baslar al Assad, Chinas Li Peng, Sponsoren des faschistischen islamistischen Terrors, Waffenschieber und Blutdiamantenhändler – aber auch ganz „gewöhnliche“ Steuerhinterzieher aus den Management-Etagen der Monopole, aus dem Spitzensport usw.

Die Bank beriet die saubere Kundschaft, wie unter Um­gehung von Steuergesetzen Bankkonten eröffnet und vor dem Zugriff staatlicher Stellen bewahrt bleiben konnten. Insgesamt ist von mindestens 100 Milliarden US-Dollar von 106.000 Kunden aus zahlreichen Ländern die Rede. Die Summe entspricht einem Drittel des gesamten deutschen Bundeshaushalts. Aus Deutschland wurden in Genf 2.106 Konten von etwa 1.000 Leuten eingerichtet. Die Namen sind noch nicht bekannt, die Journalisten wollen nicht Helfershelfer von Justiz und Polizei sein. Bekannt gemacht haben sie aber, dass wenigstens 200 der deutschen Kunden die Gründung von Tarnfirmen nutzten, um ihr Geld „sicher“ anzulegen. Eine Summe von 3,3 Milliarden Euro umfasst dieses eine „Modell“.

Die meisten Daten waren bereits 2006/2007 an verschiedenste Regierungen gegangen, aber da war wenig oder nichts passiert. Ganz diskret wurden hier und da Strafen oder Steuer­rückstände eingetrieben – vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Die gleichen Regierungsvertreter erklären schließlich ständig, dass die Steuerkassen leer sind. Es ist kein Geld da für Straßenbauten oder ein kostenloses Schul­essen, es fehlt an Geld zur Erhöhung der Hartz-IV-Sätze, es gibt kein Geld, um Flüchtlinge menschenwürdig aufzunehmen und unterzubringen usw. Aber Steuern und Abgaben für die Massen werden fleißig erhöht und ein Wettlauf um die niedrigsten Unternehmenssteuern betrieben. Das ist die ganz legale Seite der Umverteilung von unten nach oben. Hinzu kommt der Verzicht auf Milliardensummen an Einnahmen aus den Monopolkassen, die auf ähnlich dubiose und illegale Weise verschwinden wie die Summen in den „Swiss-Leaks“.

Besonders dreist ist diese Verschmelzung von Staat und Monopolen und die vollständige Unterordnung des Staates unter deren Interessen am Beispiel des krisengeschüttelten Griechenlands. Gespeist aus den Datensätzen Falcianis tauchte eine von der damaligen französischen Finanzministerin und heutigen IWF-Chefin Christine Lagarde verbriefte Liste mit mehr als 2.000 griechischen HSBC-Kunden auf, die im Verdacht standen, Steuern hinterzogen zu haben. Während die Massen in Griechenland erbarmungslos ausgeplündert wurden, verschwand die Liste sang- und klanglos in den Regierungsschubladen. Als sie wieder auftauchte, fehlten darauf plötzlich enge Verwandte des zuständigen Ministers. Woher kommt der plötzliche Reichtum der Ehefrau des früheren Finanz- und Verteidigungsministers Papantoniou mit einem Guthaben von über 1,3 Millionen Euro bei der HSBC? Wie kommt die immerhin 89-jährige Mutter des ehemaligen griechischen Ministerpräsidenten Georgios Papandreou zu einem Schweizer Konto mit stolzen 550 Millionen Euro?(1) Die überbordende griechische Staatsverschuldung hat einen Ausgangspunkt in riesigen Rüstungsgeschäften und in Mega­bauprojekten bei der Olympiade im Jahr 2004. Auf der Suche nach profitversprechenden Anlagemöglichkeiten für ihr überschüssiges Kapital gehören Korruption und Bestechung für die internationalen Monopole im Konkurrenzkampf mit anderen Anbietern gewissermaßen zum „Geschäftsmodell“. Es sollte halt möglichst nicht bekannt werden – weil die Konkurrenz aufgedeckte Affären auch wieder für sich nutzen kann.

Überall gibt es jetzt Bemühungen, den jüngsten Skandal durch Staatsaktivitäten zu deckeln. Auch die HBSC zeigt Reue. Der frühere HBSC-Chef, Lord Green, trat zurück – auch von seinem Posten beim Lobbyverband der britischen Finanzbranche. Der adlige Herr war von 2006 bis 2010 Aufsichtsratschef der HBSC und zuvor deren Vorstandsvorsitzender. Die Bank erklärte, jetzt nur noch saubere Geschäfte zu tätigen. Außerdem lobte sie, dass die HSBC „ihre Computersysteme sicherer gemacht“ habe – aus denen Falciani die Datensätze gestohlen hatte.(2)

Selbst wenn die illegalen Steuerhinterziehungen zurückgedrängt werden – die ganz legale Umverteilung von unten nach oben gehört zum staatsmonopolistischen Kapitalismus wie das Amen zur Kirche.

Anna Bartholomé

 

1 „Der Spiegel“, 3. 12. 2012

2 „Süddeutsche Zeitung“, 14. 2. 2015