Das Desaster der Umweltpolitik der Großen Koalition
Die Weltklimakonferenz in Lima im Dezember endete – wieder einmal – ohne jedes konkrete Ergebnis. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) verließ die Konferenz schon vorzeitig und lobte dann den „Minimalkonsens“, dass die einzelnen Staaten dem UN-Klimasekretariat doch bitte mitteilen sollen, welche CO2-Einsparungen sie sich „freiwillig“ und ohne Kontrolle vornehmen.
Dazu passt die Politik der Bundesregierung, Abbau und Verbrennung der Braunkohle ganz im Sinn der großen Energiemonopole zu fördern, den Bau neuer Kohlekraftwerke zu unterstützen und gleichzeitig den Ausbau der erneuerbaren Energien abzubremsen.
Das Gezeter der Energiekonzerne über die Forderung von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, ihren CO2-Ausstoß bis 2020 nach eigenem Gutdünken um 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr zu senken1, erweist sich bei näherer Betrachtung als reines Scheingefecht. Das entspricht gerade mal in etwa der Stilllegung von acht alten abgeschriebenen Kohlekraftwerken. Selbst das völlig unzureichende Ziel der Bundesregierung, bis 2020 den deutschen CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um 40 Prozent zu senken, würde damit deutlich verfehlt.
Anstieg des CO2-Ausstoßes
Tatsächlich ist der deutsche Ausstoß an Treibhausgasen 2013 noch einmal um 1,5 Prozent auf 951 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent gestiegen2. Angesichts einer katastrophalen Entwicklung des Weltklimas mit beschleunigtem Abschmelzen der polaren Eismassen und Ansteigen der Meeresspiegel wäre eine drastische Senkung der Treibhausgase weltweit von 70 bis 90 Prozent bis 2030 nötig3.
„Ungiftiges“ Fracking?
Vorangetrieben wird von der Bundesregierung mit Macht auch das gefährliche Gasfracking. Laut Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen umgehend „wissenschaftliche Bohrungen“ erlaubt sein, ab 2019 großflächiges kommerzielles Fracking. Vordergründig wird Sorge um den Trinkwasserschutz geheuchelt, gleichzeitig die Mär vom „chemiefreien ungiftigen Fracking“ verbreitet. Da freut sich die Fracking-Industrie, mit der 100 der 500 größten internationalen Übermonopole verbunden sind. Hurtig wird der erste neue Antrag über das Fracking von Kohleflözen durch Hammgas gestellt4.
AKW-Export – ja bitte!
Und auch der sogenannte „Atomausstieg“, der von der Bundesregierung als Rechtfertigung ihrer Kohlepolitik missbraucht wird, ist brandgefährlich. Denn die verbliebenen AKW produzieren permanent neuen Atommüll, der viele Generationen belasten wird. Auf Betreiben der EU-Kommission und auch deutscher Konzerne werden mit Förderung der Bundesregierung auch in europäischen Ländern neue AKW geplant und gebaut.
Die deutsche Regierung, die sich noch vor wenigen Jahren als „Vorreiterin“ in Sachen Umweltschutz ausgab, ist mittlerweile zu einem massiven umweltpolitischen „Rollback“ übergegangen. Das beinhaltet die Zurücknahme gewährter Zugeständnisse bis hin zur Verschärfung der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen im Interesse des Konkurrenzkampfs der internationalen Monopole. Es ist ein Bestandteil dieser Politik, ihre dramatischen Folgen und den sich beschleunigenden Übergang zu einer globalen Umweltkatastrophe in den bürgerlichen Massenmedien weitgehend auszublenden bzw. herunterzuspielen. Das ist auch notwendig, um den Nimbus der angeblich dem „Umweltschutz“ dienenden Umweltpolitik der Herrschenden notdürftig zu retten.
Feinstaub – schleichende Gefahr für Millionen
Das trifft auch für die zunehmende Feinstaub-Vergiftung – vor allem, aber keineswegs nur in den Großstädten – zu. Sie ist unsichtbar und geruchlos, aber hochgefährlich: Trotz der seit 2005 in der EU gültigen Grenzwerte nimmt die Belastung der Bevölkerung mit Feinstaub weiter zu. So stieg die Gesamtzahl der „Überschreitungstage“ des amtlichen Grenzwertes an Messstationen der einzelnen Städte in Nordrhein-Westfalen von 1.100 im Jahre 2012 auf 1.246 im Jahr 20135. Während 2013 in Deutschland 3.290 Menschen im Straßenverkehr zu Tode kamen, gehen laut Weltgesundheitsorganisation jährlich 47.000 Todesfälle in Deutschland auf das Konto der Feinstaub-Folgen. Weltweit sind es rund 2,1 Millionen, 350.000 in der EU – eine schreiende Anklage gegen die Verursacher6! Lungenkrankheiten, Herzinfarkte, Krebs, Frühgeburten und Thrombosen wurden als Folgen von Feinstaubbelastungen nachgewiesen. Auch für den Anstieg von Nerven- und Gemütskrankheiten, Allergien, Autoimmunkrankheiten und Schmerzerkrankungen sind sie mit verantwortlich.
Umweltanwalt EU?
Die EU spielt sich mit ihren Feinstaub-Verordnungen als Anwalt der Betroffenen auf. Mit der Feinstaub-Verordnung von 1999, die 2005 in Kraft getreten ist, wurde für die EU ein einzuhaltender „Tagesmittelwert“ für PM10-Stäube von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter (yg/m³)7 festgelegt, aber 35 Überschreitungstage im Kalenderjahr sind „zulässig“. Eine wissenschaftliche Begründung für diese absurde Regel gibt es nicht. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat bereits 2006 diese Werte als viel zu hoch kritisiert und selbst einen Grenzwert von 10 yg/m³ als Jahresmittel für PM2,5 festgelegt, bzw. 20 yg/m³ für PM108 – ohne „zulässige Überschreitungstage“.
Trotz Tricks wie Abbau von Messstationen und Ersatz durch „Computer-Simulationen“ werden diese Grenzwerte in vielen deutschen Ballungsräumen regelmäßig überschritten – daran haben auch Dieselrußfilter und „Umweltzonen“ nicht viel geändert, sie haben lediglich den Kauf neuer – geringfügig oder gar nicht schadstoffärmerer – Autos zum Nutzen der Automobilmonopole erzwungen.
Nachdem die EU-Kommission jahrelang die Überschreitungen tolerierte (sie beschloss 2007 eine „Schonfrist“ bis 2011)9, leitet sie jetzt Bußgeldverfahren gegen die Bundesregierung ein und rügt, diese habe seit 2005 „nicht alle Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung getroffen“10. Offenbar ist das eine Reaktion auf das wachsende Umweltbewusstsein der Massen und soll den Eindruck erwecken, als ob die Herrschenden in ihrem Interesse tätig werden.
Mit immer neuen Studien und Konzepten für „Elektromobilität“ oder eine „CO2-arme Mobilitätsgesellschaft“ erwecken EU und Bundesregierung den Eindruck, bei ihnen sei der Kampf gegen Feinstaubbelastung und drohende Klimakatastrophe bestens aufgehoben. Auch dabei handelt es sich um Methoden des „Greenwashing“ im Rahmen der Politik des imperialistischen Ökologismus. Seine Botschaft: Umweltschutz nur dann, wenn die Profite des Monopolkapitals nicht darunter leiden, also weiter gesteigert werden können.
Vom ohnehin schon völlig unzureichenden Plan der Bundesregierung, bis 2014 rund 100.000 Elektro- bzw. Brennstoffzellenautos auf die Straße zu bringen, wurde mit 24.000 Fahrzeugen gerade mal ein Viertel erreicht, 0,1 Prozent aller in Deutschland zugelassenen Pkw und Lkw.
Die EU-Kommission sorgt in Wirklichkeit für eine immense Zunahme der Lkw-Transporte und dafür, dass Frischluftschneisen zugebaut werden. Es ist gerade dem maßgeblichen Einfluss der Bundesregierung auf die EU-Kommission zu verdanken, dass sie mit Nachdruck Fracking, Stein- und Braunkohle-Verbrennung fördert, die Verschärfung der Grenzwerte hintertreibt und Umweltstandards aushöhlt.
Umfassende Kreislaufwirtschaft möglich und notwendig
Der Kampf gegen die Feinstaubbelastung kann nicht als Abwehrschlacht gegen einzelne Umweltexzesse geführt werden. Neben den Verbrennungsprozessen gibt es zahlreiche weitere Feinstaubquellen in der kapitalistischen Produktion. So sorgen die gleichen Vorgänge in Verbindung mit den direkten Belastungen am Arbeitsplatz für die chronische Volksvergiftung, für die Schädigung von Pflanzen und Tieren und damit für die Untergrabung der Wasser- und Ernährungsqualität. Durch die gleichen Verbrennungsprozesse und Schadstoffe werden Ökosysteme zerstört, das Umkippen der Meere beschleunigt, das Ozonloch vergrößert und der Übergang in die globale Klimakatastrophe angeheizt.
Nur eine umfassende Kreislaufwirtschaft auf Basis erneuerbarer Energien kann durch weitgehende Vermeidung von Verbrennungsprozessen und anderen Quellen die Feinstaubbelastung drastisch reduzieren. Die MLPD setzt sich deshalb für die Entwicklung eines weltweiten aktiven Widerstands ein. Er kann und muss zu einer Schule des Kampfs für eine Gesellschaft werden, in der die gesamte Produktions-, Konsumtions- und Lebensweise von Ausbeutung befreit im Einklang mit der Natur organisiert wird. Erst in vereinigten sozialistischen Staaten der Welt wird es möglich sein, die heute schon entwickelten alternativen Verfahren wie z. B. Bionik und Totalrecycling umfassend zu nutzen.
Günther Bittel, Umweltpolitischer Sprecher der MLPD
1 „Handelsblatt“, 23.11.14
2 Presseinformation des Bundesumweltamtes vom 10.3.14
3 Stefan Engel, „Katastrophenalarm!“, S. 277
4 „WAZ“, 8.1.2015
5 www.tk.de/tk/regional/nordrhein-westfalen/pressemitteilungen/645112
6 www.umweltbundesamt.de, „Bild der Wissenschaft“ (wissenschaft.de) vom 12.7.13
7 yg/m³: Mikrogramm = Millionstel Gramm pro Kubikmeter
8 de.wikipedia.org/wiki/Feinstaub
9 „stern.de“, 11.12.07
10 „zeit.de“, 26.11.14