Schlechter Zug der Bahn

Gastbeitrag von Jochen Büttner aus Hamburg, Mitglied der Umweltgewerkschaft

Altonaer Bahnhof in Hamburg. Früher Dezemberabend gegen 20 Uhr, Bahnsteig 9. Beäugt von Bundespolizisten hat sich eine bunte Gruppe auf dem Bahnsteig versammelt. Tricolorfähnchen, Papierfähnchen mit den Nationalfarben Frankreichs: Blau, Weiss, Rot werden geschwenkt; Chansonmusik klingt aus einem mitgebrachten Gerät, ja auch etwas Rotwein wird in der kühlfeuchten Abendstunde genippt. Party? Nein.

Die gerade rückwärts in den Kopfbahnhof eingefahrenen Waggons zeigen den Zielbahnhof an: Paris. Und das ist Grund dieser Veranstaltung:

Verabschiedung des letzten Nachtzugs – nach Willen der Deutsche-Bahn-(DB)-Leitung der allerletzte, ein vorgebliches rien ne va plus – nichts geht mehr. Dieser Schritt vor dem Fahrplanwechsel 2014/2015 ist nicht der erste und soll nicht der letzte aus der oberen Etage im DB-Hochhaus am Potsdamer Platz sein. Die Dürrs, Mehdorns und Grubes an der Spitze des hohen Hauses sind keine ausgewiesenen Bahnfahrer, haben kein Eisenbahnerblut in den Adern und kommen aus ganz anderen Branchen, nämlich Auto oder Flugzeug. Und ob sie in der Lage sind, sich im Tarifdschungel der Bahn eine Fahrkarte am Automaten zu kaufen, sei dahingestellt. Ökologie und Transport – Schlüsselthemen für eine Überlebensfähigkeit mit der Natur – sind nicht erkennbar in Statistiken, geplanten Börsengängen und Rationalisierungen und Beschleunigungen einerseits und der Vernachlässigung von Regionen und Klein- und Mittelstädten andererseits.

Zug der Zeit

Die Bahngeschichte weiß ihrerseits viel zu erzählen von Verbindungen von Station zu Station – von Ort zu Ort über Grenzen hinweg. Seit 1852 im Einsatz sollen Nachtzüge in Deutschland immer mehr aus den Fahrplänen verschwinden. Im Transitland Deutschland kommt der DB eine große Rolle zu. Sowohl in Nord-Süd-Richtung wie auch in Ost-West. Die Skandinavier waren 2014 wohl zuerst davon überrascht, dass die Nachtverbindung im Herbst sang- und klanglos eingestellt wurde. Es existiert für die Schweden, Norweger und Dänen keine Bahnalternative während der Nachtstunden mehr. Auch diejenigen, die ihr Auto per Bahn eine Teilstrecke transportieren lassen wollen, werden nicht mehr bedient. Zug um Zug also Ausdünnung, Angebotseinschränkungen und Serviceabbau.

Viele Kunden der Bahn wollen sich das nicht gefallen lassen, aber an vorderster Front stehen die betroffenen Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Eisenbahnerblut. Rangierer, die an den Knotenpunk-
ten die zusammengetroffenen Nachtzüge neu zusammenstellen, und eben die Beschäftigten der DB-ERS (European RailService). Allein in Dortmund sind das in der Zentrale 100 Mit­arbeiter. Sie befürchten das Schlimmste. Zudem Reibungsverluste anstehen, das Ausspielen mit den Standorten Berlin, Hamburg, München. Immerhin wurde schon der Standort Dresden 2009 aufgegeben. Die Bahnzentrale gibt verändertes Reiseverhalten als Grund an und sieht daher in Kosteneinsparungen die Lösung. Hochengagiert und begeistert von der Solidarität berichtet in einem Hintergrundgespräch mit der Umweltgewerkschaft Joachim Holstein, Betriebsrat der ERS aus Hamburg. Die genannten Zahlen der Bahn AG würden nicht den Erfahrungen der Bahner entsprechen. Keine engagierte Werbung, altes Rollmaterial und unklare Vorgaben wie auch hohe Trassenpreise hätten die Nachtzüge aufs Abstellgleis gebracht. Eben weil auch die Autoreisezüge und die Nachtzüge technisch nicht mehr auf der Höhe der Zeit wären und der Komfort auch stehen geblieben sei. Schließlich wüssten sie es genau – pro Waggon ein Mitarbeiter, das schaffe den Kundenkontakt. Über Stunden hinweg, Nacht für Nacht. Eigenbrötlerei der nationalen Bahngesellschaften täten ihr Übriges in Zusam­menarbeit mit den Waggonherstellern. Damit passe der Wagenpark in Europa nicht auf alle Schienen. Bei den Zuglokomotiven hätte man gerade erst begonnen, die Antriebssysteme mehrfach so auszulegen, dass sie den länderspezifischen Ansprüchen genügten.

Als Aberwitz könne man den Tagesfernverkehr über Grenzen begreifen, am Tag ja, nachts fährt nichts mehr.

Was die rund 500 Mitglieder der ERS auf die Beine stellten, ist schon beachtlich. Es waren eben die Aktionen vor Ort, die die Resonanz vertieften: der Protest der Kollegen aus Lörrach, einer der Autoverladestationen zur Schweiz hin im Sommer, die Proteste gegen das Aus der Autoreisezüge, gegen das absehbare Aus für die Nachtzüge an den Haltestationen, Flugblätter in den Zügen zur Information der Reisenden, natürlich gegen den Willen der Bahnleitung. Mit nur spektakulären Kletteraktionen im Berliner Hauptbahnhof der Robin-Wood Kletterer wird’s nicht reichen, Druck von unten brauchen die Verkehrsgespräche der Berliner Parteien am 14. Januar. Der staatliche Monopolist Bahn AG muss Angebote jederzeit zu erträglichen Preisen anbieten – das ist ökologisch sinnvoll. Der Fernbusverkehr hat in Klein- und Mittelstädten den größten Zuwachs 2013 und 2014 gehabt, eben weil die Bahn schnellere Angebote wie die Interregiozüge aus dem Programm nahm – beim Nachtverkehr könnte es ähnlich ausgehen. Der Schienenverkehr ist die bessere Alternative. Nicht nur bis 500 km Entfernung. Das ICE-Modell als alleiniger Träger des Fernverkehrs auf wenigen ausgesuchten Monopolstrecken zu Monopolpreisen kann es nicht sein.

Versuchsprojekte wie der Transport von Autos auf Autotransportern auf der Autobahn, der Autofahrer fährt mit dem Zug, allein in der Beschreibung kommt zu viel Auto vor, solche Gedankenspiele des Bahnvorstands könnten Vorlage für einen Karnevalsumzug sein – vielleicht am Rosenmontag. Helau und Alaaf.