Über den Ausschluss der Antiparteigruppe aus der KPdSU 1957

Aus Rote Fahne 49/2014: Kassel (Korrespondenz): Der neu im Verlag Neuer Weg erschienene Roman „Wald in der Steppe“ dreht sich rund um das Umweltprojekt zur Umgestaltung der Natur durch Schutzwaldstreifen im Südosten der Sowjetunion Ende der 1940er Jahre. Nach dem Tod Josef Stalins wurde dieses Programm gestoppt.

In den bis 1953 angelegten 2,28 Millionen ha Schutzwaldstreifen ließen die Pflegearbeiten nach, die Kolchosbauern benutzten die Waldstreifen als Viehweide. Bis Ende 1956 waren nur noch 650.000 ha Waldstreifen erhalten geblieben. Die Ursachen dieser Vernachlässigung waren innenpolitischer und wirtschaftlicher Natur.“ (1)

Tatsächlich gab es nach Stalins Tod grundlegende Veränderungen in der KPdSU. Schon zu seinen Lebzeiten hatte sich in der Partei eine Schicht von Bürokraten herausgebildet, die ihre poli­tischen Funktionen nutzte, um sich persönlich zu bereichern, einen kleinbürgerlichen Lebensstil zu praktizieren, Kritiker und proletarische Kräfte unterdrückten. Solche Bürokraten, die vorgaben, Kommunisten zu sein, gab es auch im Zentralkomitee (ZK). Der Tod Stalins verschaffte ihnen nun die Möglichkeit, ihren Einfluss weiter auszubauen. Nikita Chruschtschow gelang es, die Funktion des Generalsekretärs zu übernehmen und eine antisozialistische Politik durchzusetzen. Entscheidend, dafür Kritiker an diesem Kurs auch in der internationalen kommunistischen Bewegung zum Schweigen zu bringen, war es, das Ansehen Stalins zu zerstören. Der genoss international und im eigenen Land höchste Wertschätzung.

Höhepunkt der Verleumdungen war Chruschtschows Geheimrede, die er auf dem XX. Parteitag 1956 hielt. Sie war ein Sammelsurium von Lügen, Falschdarstellungen und Erfindungen. Diese Demontage der Politik Stalins schaffte den Bürokraten die Möglichkeit, die bisherige Politik als falsch darzustellen. Tauwetter, Reformen etc. hieß es jetzt.

Jeder, der die bisherige Politik verteidigte, bekam den Stempel „konservativ“ oder „Stalinist“. Was auch gleichbedeutend damit war, einen angeblichen Psychopathen und Massenmörder zu verteidigen, marxistischer Dogmatiker und Bürokrat zu sein. Den Text seiner Rede hat Chruschtschow an westliche Medien weitergegeben. Die „New York Times“ veröffentlichte ihn im Juni 1956. Die Auswirkung auf die weltweite kommunistische und Arbeiterbewegung war verheerend. Stalin, der bisher immer aus bürgerlichen und kapitalistischen Kreisen angegriffen wurde, wurde nun von seinen eigenen „Genossen“ als Verbrecher dargestellt. Die Glaubwürdigkeit der bisherigen sowjetischen Politik wurde völlig in Frage gestellt.

Ein gefundenes Fressen für die herrschenden Klassen. Jeder konnte ab sofort alles über Stalin behaupten und sich dabei auf die Geheimrede als angebliche Quelle beziehen. Bis heute hält diese Dämonisierung Stalins an und hat absurde, teilweise hysterische Züge angenommen.

Natürlich gab es unter den Werktätigen in der Sowjet­union und auch weltweit, in den Kommunistischen Parteien wie auch in der KPdSU Widerstand gegen diesen neuen Kurs. Der Höhepunkt der Auseinandersetzungen im Zentralkomitee der KPdSU war am 29. Juni 1957 der Ausschluss der sogenannten „Antiparteigruppe“. Georgi Malenkow, Lasar Kaganowitsch, Wjatscheslaw Molotow und Dimitri Schepilow wurden ihrer Ämter enthoben. Begründung: Sie hätten sich zu einer Verschwörung zusammengeschlossen „mit dem Ziel, das Land in einen Zustand zurückversetzen, wie er vor dem XX. Parteitag der KPdSU geherrscht hatte, die friedliche Außenpolitik der Sowjetunion, ihre antibürokratischen Wirtschaftsreformen und die Entlarvung des ‚Personenkults‘ zu sabotieren, die amtierende Partei- und Staatsführung abzusetzen und den Zerfall der Sowjetunion herbeizuführen.“ (2)

Mit der Behauptung, die Gruppe „wolle die friedliche Außenpolitik der Sowjetunion“ sabotieren, wurde im Kern gesagt, dass die Außenpolitik Stalins auf Aggression ausgerichtet war. Auch das war Wasser auf die Mühlen der Antikommunisten, die der Sowjetunion schon immer die Verantwortung für Kriege wie in Korea, militärische Spannungen, Aufrüstung etc. gegeben hatten.

Den „antibürokratischen Wirtschaftsreformen“ der neuen Führung fiel in der Landwirtschaft unter anderem das Waldschutz-Programm (ohne dass es im Dokument genannt wird) zum Opfer, weil damit keine kurzfristigen und schnellen Gewinne gemacht werden konnten, sondern zum Erhalt und zur Pflege finanzielle und menschliche Ressourcen notwendig waren.

Chruschtschows „Reformpolitik“ auf dem Gebiet der Landwirtschaft zielte darauf ab, das sozialistische Bewusstsein der Werktätigen zu zersetzen. Die Verbesserung der eigenen materielle Lage sollte zum hauptsächlichen Antrieb für das Handeln werden und nicht die immer bessere Versorgung der sowjetischen Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Produkten und der Schutz und Erhalt der natürlichen Umwelt. Eine Methode der sogenannten Reformer war die Ausweitung des privaten Warenverkehrs. Der Warenverkehr durch privaten Handel fördert ständig das Denken, Gewinn machen zu wollen, Schwankungen bei „Angebot und Nachfrage“ zum persönlichen Vorteil zu nutzen, also kleinbürgerliches Denken. Mit der Beseitigung des staatlichen Planungswesens und der Kontrolle wurde es lokalen Funktionären ermöglicht, sich persönlich an den Erträgen der Kolchosen zu bereichern. Um welche Reformen es in der Landwirtschaft ging, wird in der Begründung für den Ausschluss der vier Genossen dokumentiert:

In den Fragen der Landwirtschaft zeigten die Mitglieder dieser Gruppe kein Verständnis für die neuen herangereiften Aufgaben. Sie sahen nicht ein, dass die materielle Interessiertheit der Kolchosbauernschaft an der Erweiterung der Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse verstärkt werden musste. Sie waren gegen die Abschaffung des alten bürokratischen Planungssystems in den Kolchosen und gegen die Einführung eines neuen Planungssystems, das die Initiative der Kolchosbauern bei der Führung ihrer Wirtschaft fördert, (…). Sie haben sich so weit vom Leben entfernt, dass sie nicht die realen Möglichkeiten erkennen können, die Pflichtablieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse von dem Hofland der Kolchosbauern noch Ende dieses Jahres abzuschaffen. (…)

Man darf es nicht für einen Zufall halten, dass das Mitglied der parteifeindlichen Gruppe, Genosse Molotow, sich konservativ und starr zeigte, indem er die Notwendigkeit der Erschließung von Neuland nicht einsah, ja sich sogar der Nutzbarmachung von 35 Millionen Hektar Neuland, die für die Wirtschaft unseres Landes so gewaltige Bedeutung gewonnen hat, widersetzte.“ (3)

Diese Neulanderschließung wurde zum Fiasko. In ihrer Folge kam es zur Zerstörung riesiger Ackerflächen durch Überdüngung und bereits nach kurzer Zeit zu erheblichen Ernterückgängen. Eine weitere verheerende Folge der rücksichtslosen Bewässerungsmaßnahmen war die weitgehende Austrocknung und Versalzung des Aralsees, eine der größten Umweltkatastrophen in der Geschichte des Landes.

Chruschtschow wollte die Werktätigen in der Sowjet­union für seinen Kurs gewinnen, indem er ihnen auch versprach, man werde die USA in den nächsten Jahren in der Milch-, Fleisch- und Butter­erzeugung pro Kopf einholen. Auch mit diesen Ankündigungen ist er grandios gescheitert. Die chruschtschowschen Reformen haben die kleinbürgerliche Denkweise in der Partei und unter den werktätigen Bauern in der Sow­jetunion gefördert und sich äußerst negativ auf die Entwicklung der sowjetischen Landwirtschaft und den Umwelt- und Naturschutz ausgewirkt.

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte es in Russland Wissen­schaft­ler gegeben, die zur Vermeidung der Dürren Aufforstungen vorschlugen. Der Zar hatte allerdings kein Interesse daran, das Leben der Bauern zu verbessern. Und die Großgrundbesitzer wollten über die Verwendung ihres Privatbesitzes an Grund und Boden selbst bestimmen, den sie in erster Linie zur Profitmacherei nutzten. (4)

In der Chruschtschow-Ära kam dieses kapitalistische Leitmotiv der persönlichen Bereicherung zurück. Das erfolgreich begonnene Aufforstungsprogramm wurde wieder gestoppt. Die Zerstörung der Natur durch Raubbau der Rohstoffe, Verseuchung der Luft, von Gewässern und lokale Umweltkata­strophen waren ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Sow­jet­union nicht mehr sozialistisch war. Dasselbe galt auch für die ehemalige DDR oder gilt für das heutige China. Die Festigung, Höherentwicklung und zum Teil Wiederherstellung der Einheit von Mensch und Natur, das planmäßige und bewusste Handeln der Menschen im Einklang mit der Natur setzt eine sozialistische Gesellschaft voraus.

 

1 Josef Breburda, Auswirkungen der landwirtschaftlichen Bodennutzung auf Bodenfruchtbarkeit und Umwelt in der GUS, S. 111 http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2013/9346/pdf/GU_25_1992_S105_113.pdf

2 http://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_ru&dokument=0015_ant&l=de

3 ebenda S. 7/8

4 Vgl. M. Iljin Besiegte Natur Verlag Volk und Wissen, Berlin 1951