„Das grenzt an Nötigung und dagegen muss ,Notwehr‘ gerechtfertigt sein!“

„Das grenzt an Nötigung und dagegen muss ,Notwehr‘ gerechtfertigt sein!“

Interview mit Rechtsanwalt Peter Weispfenning zum Opel-Sozialtarifvertrag

Nach Aussage von Opel ist der „Sozialtarifvertrag zwischen der IG Metall, Bezirk NRW und der Adam Opel AG über die Schließung der Fahrzeugproduktion am Standort Bochum“ ein Beispiel dafür, wie man in einer „schwierigen Situation zu verantwortungsvollen, sozialverträglichen Lösungen für die Beschäftigten“ kommt …

Bevor ich auf verschiedene Einzelfragen eingehe, möchte ich etwas Grundsätzliches zu diesen sogenannten „Sozialtarifverträgen“ sagen. Schon die Bezeichnung als „Sozial-Tarifvertrag“ ist bewusst irreführend. Er beinhaltet von vornherein die Akzeptanz der jeweiligen „Betriebsänderung“ (gemeint sind Massenentlassungen und Betriebsschließungen), die dadurch höchs­tens „ausgeglichen und gemildert“ werden soll. Das ist der offizielle Regelungsgehalt dieser Verträge. Nur: Was soll da­ran „sozial“ sein, das Bochumer Opel-Werk dicht zu machen in einer Situation der grassierenden Massenarbeitslosigkeit und zunehmender Arbeitsplatzvernichtung in der Region? Es geht hier auch nicht um einen „Tarifvertrag“ im gewerkschaftlichen Sinne. Tarifverträge hielten ursprünglich durch die Arbeiter- und Gewerk­schaftsbewegung erkämpf­te Zugeständnisse rechtsverbindlich fest. Hier geht es dagegen um die Kapitulation vor dem Kampf um jeden Arbeitsplatz.

Allgemein wird unter Juristen ohnehin nicht von Sozialtarifverträgen gesprochen, sondern von „Tarif-Sozialplänen“. Es geht schlicht um So­zialpläne, die von Gewerkschaften mit Unternehme(rverbände)n geschlossen werden, um die arg gesunkene Akzeptanz von Sozialplänen unter den Belegschaften aufzupolieren. Als Brosamen erhält die Belegschaft bestenfalls erhöhte Abfindungsbeträge oder Ähnliches. Dass heute zunehmend Sozialtarifverträge abgeschlossen werden, geht auf eine veränderte Taktik der Unternehmerverbände und eine veränderte Rolle der rechten Gewerkschaftsführung zurück. In der Regel werden diese Sozialtarifverträge auch von den betriebsverfassungsrechtlichen Parteien in einen Sozialplan und Interessensausgleich übernommen, so wie es bei Opel in Bochum der Fall ist. Spätestens dann gibt es ein in Vertragsform gegossenes Bündnis von Unternehmen, rechter Gewerkschaftsführung und rechter Betriebsratsspitze zur möglichst reibungslosen Durchsetzung der „Betriebsänderung“, hier der Werksschließung. Man muss sich also über Desinformation, Tricks, Unterdrückung und Verunglimpfung von Kritik von verschiedenen Seiten nicht wundern, allerdings berechtigt empören … .

Worauf stützt sich der Vorwurf, dass der Sozialtarifvertrag an Nötigung grenzt?

Im Grunde geht es bei solchen Sozialplänen und Sozialtarifverträgen um Abfindungs­regelungen. Das hat das Bun­desarbeitsgericht auch in seinem Urteil mit dem Aktenzeichen 1 AZR 252/06 betont, als es ausführte, dass es bei „Abfindungsregelungen … um tariflich regelbare Ziele“ geht, was die Gewerkschaften mit ins Boot holte. Seit einigen Jahren gehen die Unternehmen, assistiert von der rechten Gewerkschaftsführung und rechten Betriebsräten, dazu über, Teile der eigentlichen Sozialplanleistungen nicht mehr als Abfindung auszuzahlen, sondern dafür eine Transfergesellschaft „anzubieten“. Angeblich dient das nur dem Wohl der Beschäftigten und würde sie besser qualifizieren und in neue Jobs bringen. Wissenschaftliche Untersuchungen dazu zeigen aber, dass dies in der Regel nicht zutreffend ist und die Vermittlungschancen mit einer Transfergesellschaft meist nicht wesentlich größer sind als ohne.

Der Kern ist etwas ganz anderes: Während Abfindungen allen betroffenen Arbeitnehmern zustehen, darf man in eine Transfergesellschaft nur wechseln, wenn man gleichzeitig „freiwillig“ sein bisheriges Arbeitsverhältnis auflöst (sogenannter „Dreiseitiger Vertrag“). Man wird also nicht von Opel gekündigt, sondern geht freiwillig selbst (und kann deshalb z. B. gegen die Kündigung nicht klagen). In Wahrheit hat die Unterzeichnung eines solchen Aufhebungsvertrags mit „Freiwilligkeit“ nichts zu tun. Zumindest rechtspolitisch muss hier von einem Fall von Nötigung gesprochen werden, gegen den umgangssprachlich formuliert „Notwehr“ erlaubt sein muss. Denn normalerweise dürfen Sozialplanleistungen nicht davon abhängig gemacht werden, dass man auf eine Kündigungsschutzklage verzichtet oder einen Aufhebungsvertrag unterzeichnet. Genau das aber passiert mit dem Trick des „freiwilligen“ Wechsels in eine Transfergesellschaft! Einzelne Arbeitsgerichte haben ähnliche Manöver bereits – unter anderem als zumindest „mittelbaren Zwang“ – kritisiert (Bremen, Herford).

Der Sozialtarifvertrag scheint ja auch in vielen Einzelfragen umstritten zu sein.

Umstritten“ ist sehr vornehm ausgedrückt! So sind ein großer Teil der individuellen Berechnungen durch Opel falsch; in einzelnen Fragen geht es wohl um bis zu 95 Prozent der Fälle. Es gibt Regelungen, die Schwerbehinderte diskriminieren. Eine große Zahl an Fragen ist auch überhaupt nicht geklärt, was auch vor dem 30. September nach Angaben von IG Metall und Opel nicht passieren soll. Gleichzeitig bedrängt Opel die Beschäftigten massiv, bis spätestens zum 30. September den sogenannten „Dreiseitigen Vertrag“ zu unterzeichnen. Im Tarifso­zial­plan ist eindeutig geregelt, dass das eine Ausschlussfrist ist und eine Nichtunterzeichnung bis zum 30. September 2014 die Entlassung zur Folge hat. Rechtlich ist das eindeutig, auch wenn es von der Betriebs­rats­spitze auf Grund der Kritik der Belegschaft anders dargestellt wird – aus durchsichtigen Gründen, schließlich haben sie diesen Klauseln zugestimmt. Ob Opel diese Frist politisch durchsetzen kann, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Aber auch das zeigt den diktatorischen Charakter dieses Sozialtarifvertrags. Es gibt auch bis heute keine öffentliche Zusage, bzw. widersprüchliche Aussagen, wie das Arbeitslosengeld I nach der Transfergesellschaft berechnet würde. Das Arbeitslosengeld I wird nicht wie teilweise behauptet auf Grundlage der früheren Opel-Verdienste, sondern zumindest teilweise auf Grundlage des um circa 20 bis 30 Prozent niedrigeren Entgelts aus der Transfergesellschaft errechnet.

Welcher Bruttobetrag allerdings im ersten Jahr Transfergesellschaft zugrunde gelegt wird, wird bis heute weder von Opel, der IG Metall, noch von der Arbeitsagentur verbindlich beantwortet. Auch das ist ein sehr fragwürdiger und bezeichnender Vorgang.

Was ist der Rat an die Mandanten – soll man den „Dreiseitigen Vertrag“ unterzeichnen?

Zuächst: Ich rate davon ab. Hat man den Vertrag einmal unterschrieben, so ist man nicht nur weg von Opel. Es wird auch so gewertet, als ob man das freiwillig gemacht hätte. Auch wenn man nicht unterschreibt, kann man Rechte aus dem Tarifsozialplan nicht verlieren, mit Ausnahme eventuell der Transfergesellschaft. Und da es absolute Gewissheiten im Arbeitsrecht nicht gibt, muss man eine Chancen/Risiken/Nutzen-Analyse machen, die gerade auch politische Faktoren einrechnet.

Es geht nicht darum, ob man den Vertrag unterschreibt oder einfach nichts tut und passiv bleibt. Man kann sich ja auch aktiv und konsequent für den Weg des Kampfes um seine Interessen einsetzen; das Drängen auf Vertragsunterzeichnung soll nach meiner Überzeugung gerade das moralische Rückgrat dafür brechen.

Rechtspolitisch gesehen ist der Streik der Arbeiter als eine Art Notwehrmaßnahme gegen Angriffe der Unternehmer oder unhaltbare Zustände entstanden. Da der Gewerkschaft rechtlich im nicht tariffähigen Kampf um jeden Arbeitsplatz die Hände gebunden sind, aber auch, weil die Gewerkschaftsführung den Sozialtarifvertrag unterschrieben hat, bleibt den Opel-Arbeitern ja nur der Weg des selbständigen Streiks, wenn das Werk und die Arbeitsplätze erhalten bleiben sollen. Die IG Metall hat schon oft die Parole ausgegeben, dass Streik Notwehr sei. Warum eigentlich sollte diese umgangssprachlich gesehene Notstandslage nicht zeitnahe Gegenaktionen der Arbeiter und Angestellten rechtfertigen?

Vielen Dank für dieses Gespräch.